Baye­ri­sche Staats­re­gie­rung erhält Ver­schlos­sene Auster 2019

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 15. Juni 2019 | Lese­zeit ca. 8 Min.

Die Ver­schlos­sene Auster 2019 geht an die Baye­ri­sche Staats­re­gie­rung. Mit dem Nega­tiv­preis zeichnet die Jour­na­lis­ten­ver­ei­ni­gung Netz­werk Recherche (nr) den Infor­ma­ti­ons­blo­ckierer des Jahres aus. Die Begrün­dung des nr-​Vor­stands: Die Staats­re­gie­rung, getragen von einer Koali­tion aus CSU und Freien Wäh­lern, blo­ckiert wei­terhin die Ein­füh­rung eines Infor­ma­ti­ons­frei­heits­rechts, wie es in den meisten Bun­des­län­dern schon exis­tiert. Außer in Bayern fehlt das Recht zur Ein­sicht in behörd­liche Akten nur noch in Sachsen und Nie­der­sachsen – dort ist es aber immerhin in Pla­nung.

„Vor allem die CSU wehrt sich beständig dagegen, die Akten­schränke der Exe­ku­tive zu öffnen. Dabei geht es natür­lich um Macht“, sagte Arne Sems­rott, Pro­jekt­leiter für Frag­Den­Staat.de bei der Open Know­ledge Founda­tion Deutsch­land, in seiner Lau­datio auf den Preis­träger. Vor einem halben Jahr hätte die frisch gewählte baye­ri­sche Regie­rung die Mög­lich­keit gehabt, ihr Dasein als Trans­pa­renz­schluss­licht zu beenden, so Sems­rott: „Die Koali­ti­ons­partner der CSU, die Freien Wähler, hatten in ihrem Wahl­pro­gramm ein Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz ver­spro­chen. Am Ende der Ver­hand­lungen gab es im Koali­ti­ons­ver­trag aller­dings eine Leer­stelle.“

Die Baye­ri­sche Staats­re­gie­rung ver­zich­tete darauf, den Preis per­sön­lich ent­ge­gen­zu­nehmen und eine Dankes-​ oder Gegen­rede zu halten. Oliver Platzer, Spre­cher des Innen­mi­nis­te­riums, ver­wies in seiner Ant­wort auf die bestehenden Aus­kunfts­rechte und begrün­dete, warum die Staats­re­gie­rung ein Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz ablehnt: „Eine Umset­zung der in Bayern in den ver­gan­genen Jahren bekannten Ent­würfe der Oppo­si­tion zu Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setzen hätte in unseren Augen hohe Büro­kra­tie­kosten ver­ur­sacht, daten­schutz­recht­liche Schutz­stan­dards ge-​schwächt, öffent­liche und pri­vate Belange unzu­rei­chend geschützt.“

Mit diesen Bedenken steht Bayern offenbar allein: „Wäh­rend es im Bund seit inzwi­schen 13 Jahren ein Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz gibt, in den USA seit 53 Jahren, in Schweden gar seit 253 Jahren, lässt der Süden der Repu­blik weiter auf sich warten“, so Arne Sems­rott.

Netz­werk Recherche ver­leiht die Ver­schlos­sene Auster seit 2002. Zu den Preis­trä­gern zählen u.a. Face­book, der ADAC, die frü­heren Bun­des­in­nen­mi­nister Hans-​Peter Fried­rich und Otto Schily, Heckler & Koch und die FIFA.

Sie sehen gerade einen Platz­hal­ter­in­halt von You­Tube. Um auf den eigent­li­chen Inhalt zuzu­greifen, kli­cken Sie auf die Schalt­fläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Dritt­an­bieter wei­ter­ge­geben werden.

Mehr Informationen

Lau­datio von Arne Sems­rott

(Manu­skript – es gilt das gespro­chene Wort)

“Ich habe auch nicht den Ein­druck, dass der Durch­schnitts­bürger Akten wälzen will. Das würde ja gerade den Nor­mal­bürger eher über­for­dern. Ich kann dem da näm­lich 100 Akten­ordner hin­schieben und was macht der Nor­mal­bürger dann damit? Da kann er gar nichts anfangen. Der ein­fache Bürger hat eine kon­krete Frage und will wissen: Wie ist das so? Oder: Warum ist das so?”

Sehr geehrte Damen und Herren,

Alleine für diese Aus­sage, die der baye­ri­sche Innen­mi­nister Joa­chim Herr­mann vor drei Jahren gegen­über dem BR abgab, hat das Bun­des­land Bayern eine Ver­schlos­sene Auster ver­dient. Wäh­rend es im Bund seit inzwi­schen 13 Jahren ein Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz gibt, in den USA seit 53 Jahren, in Schweden gar seit 253 Jahren, lässt der Süden der Repu­blik weiter auf sich warten.

Vor allem die CSU wehrt sich beständig dagegen, die Akten­schränke der
Exe­ku­tive zu öffnen. Dabei geht es natür­lich um Macht. Wer den Zugang zu Wissen kon­trol­liert, kann auch eine Gesell­schaft kon­trol­lieren. Es ist kein Zufall, dass das erste Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz der Welt, näm­lich das in Schweden, nicht nur den Zugang zu amt­li­chen Infor­ma­tionen regelte, son­dern gleich­zeitig die staat­liche Zensur abschaffte. Und es ist kein Zufall, dass in den ver­gan­genen Monaten so heftig um das Urhe­ber­recht gestritten wurde – denn auch da geht es letzt­lich um die Frage des Zugangs zu und der Wei­ter­ver­wen­dung von Infor­ma­tionen.

In Europa gibt es heut­zu­tage nur noch fünf Regie­rungen, die kein Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz vor­ge­legt haben: Bayern, Sachsen, Nie­der­sachsen, Öster­reich und Weiß­russ­land. Und das sollte man sich tat­säch­lich öfters vor Augen führen: Bayern ist hier wirk­lich auf einer Linie mit Öster­reich.

Natür­lich ist das Bild in Sachsen und Nie­der­sachsen auch traurig. Die große Koali­tion in Sachsen hatte bis Herbst ein IFG ver­spro­chen und lie­fert nicht. Rot-​Schwarz in Nie­der­sachsen will erstmal bis­he­rige Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setze “eva­lu­ieren”, bevor es tätig wird.

Aber vor einem halben Jahr hätte die frisch gewählte baye­ri­sche
Regie­rung die Mög­lich­keit gehabt, ihr Dasein als Trans­pa­renz­schluss­licht
zu beenden. Aber vor einem halben Jahr hätte die frisch gewählte baye­ri­sche Regie­rung die ein­zig­ar­tige Mög­lich­keit gehabt, sein Dasein als Trans­pa­renz­schluss­licht zu beenden. Die Koali­ti­ons­partner der CSU, die Freien Wähler, hatten in ihrem Wahl­pro­gramm ein IFG ver­spro­chen. Am Ende der Ver­hand­lungen gab es im Koali­ti­ons­ver­trag aller­dings eine Leer­stelle. Üblich geblieben ist der hohle Titel des Koali­ti­ons­ver­trags: “Für ein bür­ger­nahes Bayern”.

Wie es gute Praxis ist, hat Netz­werk Recherche Innen­mi­nister Herr­mann natür­lich zu dieser Preis­ver­lei­hung ein­ge­laden. Aus Ter­min­gründen sagte er aller­dings ab. Und der Pres­se­spre­cher seines Minis­te­riums, Oliver Platzer – übri­gens ehe­ma­liger Jour­na­list – kon­terte mit Rück­fragen: Warum denn das Ver­brau­cher­infor­ma­ti­ons­ge­setz nicht aus­reiche und das Bun­des­da­ten­schutz­ge­setz und das Umwelt­in­for­ma­ti­ons­ge­setz – übri­gens alles Gesetze, die auf den Bund oder die EU zurück­gehen, nicht auf Bayern selbst. Tat­säch­lich hat Bayern es geschafft, beim Umwelt­in­for­ma­ti­ons­ge­setz die höchste Gebüh­ren­ord­nung Deutsch­lands durch­zu­setzen, sodass Anfragen dort bis zu 2500 Euro kosten können und damit fak­tisch unbrauchbar werden. Und dann fragte der Pres­se­spre­cher Platzer noch, wie ein poli­tisch neu­traler Verein wie netz­werk recherche sich denn “der­maßen auf eine Seite schlagen” könne und einen Negativ-​Preis ver­leihen.

Ich finde, diese Ant­wort zeigt zum einen – und der Hin­weis an den Vor­sit­zenden des DJV sei mir erlaubt – dass PR kei­nes­wegs “eine Spielart des Jour­na­lismus” ist, son­dern das Gegen­teil. Und zum anderen, dass es für eine starke Demo­kratie starke Demo­kraten braucht. Es braucht keine Per­sonen, die Gesetz­ent­würfe absicht­lich kom­pli­ziert machen und die den Staat vor der Öffent­lich­keit abschirmen.

Statt zum Vor­bild für Trans­pa­renz zu werden, strahlt die baye­ri­sche Hal­tung zur Infor­ma­ti­ons­frei­heit jetzt auch in den Bund aus. Das CSU-​geführte Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rium bereitet der­zeit eine Reform des Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setzes im Bund vor. Da sind hef­tige Ver­schlech­te­rungen zu erwarten, zumal der für die Reform zustän­dige Refe­rats­leiter im BMI gleich­zeitig die­selbe Person ist, die einem im Gerichts­saal gegen­über sitzt, wenn man das BMI auf Aus­kunft ver­klagt. Dass die Ver­wal­tung für ein Gesetz zur Ver­wal­tungs­trans­pa­renz zuständig ist, ist unge­fähr so, als würden die Banken sich die Gesetze für die Ban­ken­re­gu­lie­rung selbst schreiben.

Inso­fern liegt es in der Natur der Sache, dass Impulse für mehr Trans­pa­renz von außen kommen müssen. In Bayern gibt es inzwi­schen mehr als 80 Kom­munen, die zumin­dest für ihren eigenen Wir­kungs­kreis Infor­ma­ti­ons­frei­heits­sat­zungen beschlossen haben, weil das Land nicht mit­zieht. Und das bisher fort­schritt­lichste IFG Deutsch­lands, das Ham­bur­gi­sche Trans­pa­renz­ge­setz, ist auf Basis einer Volks­in­itia­tive ent­standen.

In Berlin wird in einem Monat ein breites zivil­ge­sell­schaft­li­ches Bündnis, das auch von Netz­werk Recherche unter­stützt wird, mit der Unter­schrif­ten­samm­lung für ein Ber­liner Trans­pa­renz­ge­setz beginnen. Der Gesetz­ent­wurf, den das Bündnis vor­ge­legt hat, würde nicht nur den Staat trans­pa­renter machen, son­dern auch unab­hän­gigen Jour­na­lismus stärken.

Wie man hört, sind Volks­be­gehren ja durchaus auch in Bayern en vogue. Viel­leicht wäre das eine Mög­lich­keit. Und viel­leicht trägt dieser Nega­tiv­preis dazu bei, dass sich dem­nächst noch mehr Men­schen “auf eine Seite schlagen”. Näm­lich die Seite einer offenen Gesell­schaft, von Trans­pa­renz, unab­hän­gigem Jour­na­lismus und einer starken Demo­kratie. Vielen Dank.

Ant­wort der Baye­ri­schen Staats­re­gie­rung

Sehr geehrter Herr Bartsch,

der baye­ri­sche Innen­mi­nister beginnt an diesem Tag eine Aus­lands­reise und kann aus Ter­min­gründen nicht an Ihrer Ver­an­stal­tung teil­nehmen.

Ich möchte Sie aber fragen, inwie­fern Ihr Verein vom Fehlen eines  Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setzes in Bayern betroffen ist. Jour­na­listen haben doch einen Aus­kunfts-​ und Infor­ma­ti­ons­an­spruch über das Pres­se­recht? Sehen Sie da Defi­zite in Bayern?

Ansonsten darf ich Ihnen auch dar­legen, dass es nach gel­tendem Recht in Bayern eine Reihe beson­derer Infor­ma­ti­ons­rechte gibt. Zu nennen sind ins­be­son­dere:

  • Art. 29 BayVwVfG, wonach im Verwaltungsverfahren für die an einem Verwaltungsverfahren Beteiligten ein Akteneinsichtsrecht besteht;
  • das Bayerische Umweltinformationsgesetz gewährt nach Art. 3 jeder Person nach Maßgabe des Gesetzes einen Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen;
  • das Verbraucherinformationsgesetz, das auf Bundesebene den Zugang zu verbraucherrelevanten Informationen insbesondere im Bereich des Lebensmittelrechts eröffnet;
  • Art. 54 Abs. 3 der Gemeindeordnung, wonach allen Gemeindebürgern die Einsicht in die Niederschriften über öffentliche Sitzungen des Gemeinderats freisteht (entsprechende Bestimmungen in Art. 48 Abs. 2 Landkreisordnung und Art. 45 Abs. 2 Bezirksordnung);
  • polizei-, datenschutz- und melderechtliche Auskunftsansprüche, nach denen ein Betroffener Anspruch auf Auskunft hinsichtlich der über ihn gespeicherten Daten hat (Art. 48 PAG, Art. 10 BayDSG, § 19 BDSG, 
    Art. 9 MeldeG);
  • und eben das Bayerischen Pressegesetz, das ein Auskunftsrecht der
    Presse enthält, und das in §§ 9a, 55 Abs. 3 Rundfunkstaatsvertrag geregelte Auskunftsrecht der Rundfunkveranstalter und der Anbieter von Telemedien.

Daneben besteht eine Viel­zahl landes-​ und bun­des­ge­setz­li­cher Unter­rich­tungs­pflichten bzw. Ver­öf­fent­li­chungs­be­fug­nisse und Infor­ma­ti­ons­platt­formen.

Eine Umset­zung der in Bayern in den ver­gan­genen Jahren bekannten Ent­würfe der Oppo­si­tion zu  Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setzen hätte in unseren Augen hohe Büro­kra­tie­kosten ver­ur­sacht, daten­schutz­recht­liche Schutz­stan­dards geschwächt, öffent­liche und pri­vate Belange unzu­rei­chend geschützt. Es wäre außerdem eine Miss­brauchs­ge­fahr gegeben gewesen. Es war in den ver­gan­genen Jahren also ein durchaus poli­tisch umstrit­tenes Thema.

Finden Sie es des­halb nicht bedenk­lich, wenn sich ein Verein, der sich in seiner Sat­zung als “poli­tisch neu­tral” bezeichnet, der­maßen auf eine Seite schlägt und einen “Negativ-​Preis” für das Fehlen eines Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setzes ver­leiht?

Freund­liche Grüße

Oliver Platzer
Pres­se­spre­cher 
des Baye­ri­schen Staats­mi­nis­te­riums
des Innern, für Sport und Inte­gra­tion

Wei­ter­füh­rende News-​Artikel

Infos
Menu