Newsletter Netzwerk Recherche 233 vom 24.05.2024
Liebe Kolleg:innen,
mit jeder Zeile, die wir Journalistinnen und Journalisten über einen Angriff im Wahlkampf schreiben, stellt sich die Frage, ob wir dadurch zu Nachahmungen inspirieren. Mit jedem Stück, das wir über die militante Rechtsextremisten-Szene schreiben, stellt sich die Frage, ob wir Möchtegern-Nazis damit nicht auch noch den Gefallen tun, sie groß und prominent zu machen.
Das ging mir durch den Kopf, als ich Anfang Mai in der Redaktion saß und vom Angriff auf die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckhardt erfuhr. Es war so absehbar, dass es Nachahmer geben würde. Vier davon waren dann daran beteiligt, in Dresden den SPD-Europapolitiker Matthias Ecke ins Krankenhaus zu prügeln.
Die Medien haben weder Schuld an den Nachahmern, noch können sie sie verhindern. Das Berichten zu unterlassen, widerspräche nicht nur den journalistischen Grundsätzen, sondern liefe auch auf eine Verharmlosung raus. Die Gefahr, die von Rechtsextremen in Parlamenten und im gesellschaftlichen Umfeld ausgeht, ist zu groß. Und trotzdem hat praktisch jede Redaktion diese Diskussion schon einmal geführt.
Der Spiegel-Titel vom 11. Mai macht aus Olaf Scholz (narrativ) eine Zielscheibe. Ist das nicht ein Motiv, das jeder Rechtsextreme sich als Bildschirmschoner einrichten möchte? Und die Woche drauf zeichnet sich dann auf der Spiegel-Titelseite das überdeckte Hakenkreuz in der deutschen Fahne ab. Wie viel Ehre will man Neonazis erweisen? Kein Spiegel-Bashing an dieser Stelle! Die Kolleginnen und Kollegen machen tolle Arbeit und setzen damit ja dankenswert klare Zeichen gegen Rechtsextremismus. Die Motive illustrieren nur den Grenzgang, den wir alle bewältigen müssen. Und ich gestehe, dass mich dabei ein mulmiges Gefühl beschleicht.
Eure
Barbara Junge