Alles Lügen, oder was?
Von Martha Dudzinski, JONA
„Lügenpresse“ ist noch eines der harmloseren Schimpfworte, mit denen sich der Journalismus zuletzt auseinandersetzen musste. Die nr-Jahreskonferenz bot Gelegenheiten genug, sich der Glaubwürdigkeitskrise der Medien ehrlich zu stellen. Eine Chance, die leider mehrfach verpasst wurde.
Die Eröffnungsdiskussion unter dem Titel „Lügenpresse und Co.“ drehte sich um unsachliche Leserkritik im Netz. Während SZ-Journalist Hans Leyendecker mit seinem Desinteresse an digitaler Feedbackkultur kokettierte, verteidigte Jakob Augstein, Herausgeber des Freitag, seine zum Teil persönlich werdende Leserschaft. „Auch die ausfallenden Kommentare richten meist thematische Kritik an mich. Die kann man nicht als persönliche Beleidigungen pauschalisieren.“
Aus einer angenehm-unangenehmen Spannung heraus garnierten Augstein und Leyendecker die Diskussion immer wieder mit charmanten Seitenhieben und machten sie zur Generationenfrage. Julia Stein, stellvertretende Leiterin des Investigativressorts beim NDR und neue Vorsitzende des Netzwerk Recherche, betonte noch einmal den Wert der Kritikfähigkeit für die eigene Glaubwürdigkeit und gab selbstkritisch zu: „Jetzt fällt uns auf die Füße, dass wir gerne selber ordentlich austeilen.“
Bei der Diskussionsrunde „Im Visier der Meute“ sagte GDL-Chef Claus Weselsky, dass er während der kritischsten Phase der Berichterstattung ständig von Bürgern angesprochen und bestärkt worden sei. Medienanwalt Christian Schertz sprang ihm beiseite, seine prominenten Mandanten erlebten dasselbe. Die Lücke zwischen dem, was Medien verbreiteten und Empfänger erwarteten sei besonders beim Germanwings-Absturz unübersehbar gewesen: „Da hat sich zum ersten Mal das Blatt gewendet. Die Leser sagten klar: Lasst die Sensationsgier. Wir wollen das nicht.“
Konkrete Selbstkritik von Journalisten gab es bei der Konferenz so gut wie keine. Ausnahme: die Griechenland-Diskussion, in der FAS-Wirtschaftsjournalist Rainer Hank zeitweise vor Wut schäumend zusehen musste, wie sich seine Mitstreiter auf dem Podium seelenruhig über tendenziöse Berichterstattung unterhielten. Norbert Häring vom Handelsblatt brachte das Publikum zum Lachen, aber auch zum Grübeln: „Wenn die Griechen das deutsche Presserecht kennen würden, könnte die Tagesschau jeden Tag drei Minuten lang Gegendarstellungen bringen.“
Symptomatisch für die mangelnde Kritikfreudigkeit war das NSU-Panel: Elke Grittmann, Professorin der Universität Lüneburg, präsentierte eine Studie, die sich mit der rassistischen Berichterstattung über die Taten des NSU vor seiner Aufdeckung beschäftigte. Die anschließende Diskussion verlief sich jedoch in der Empörung über das Generalisieren „der Medien“, anstatt sich mit der Frage auseinanderzusetzen, warum sich Journalisten nach dem bekannt gewordenen Behördenversagen auf die Zschäpe-fixierte Strategie der Ermittler beschränkten, statt weitere Spuren in der rechten Szene zu verfolgen. Eine entsprechende Frage aus dem Publikum kanzelte SZ-Gerichtskorrespondentin Annette Ramelsberger vom Podium mit dem Hinweis ab, dass verdeckte Arbeit „etwas für Wallraff“ sei.
Auch im Panel zur Ukraine-Krise beschränkte sich die Medienkritik der drei aktiven oder ehemaligen Russland-Korrespondentinnen auf die Romantisierung der Maidan-Proteste. Dass es erst vergangenes Jahr eine Rüge des ARD-Programmrats gegeben hat, wurde in der Harmonie allgemeiner Aufrufe zu transparenter Fehlerpolitik ausgelassen. Ein konkreter kritischer Punkt immerhin kam auf: Bis heute gibt es keine Korrespondenten in Kiew. Die Berichterstattung über die Ukraine erledigen die Korrespondentenbüros in Warschau und Moskau.
Bei der Abschlussdiskussion mit dem vielsagenden Titel „Die (Un-)Fehlbaren“ stellte Moderator Kuno Haberbusch dann endlich die entscheidende Frage: „Transparenz und Fehlerkultur sind doch Konsens. Warum passiert trotzdem nichts?“ Und genau dann passierte doch etwas: Carolin Emcke, Publizistin, und Georg Mascolo, Leiter des Rechercheverbunds von NDR, WDR und SZ, beschlossen auf dem Podium, im kommenden Jahr mit gutem Beispiel voranzugehen und bei der #nr16 von eigenen journalistischen Irrtümern zu berichten.