Die Causa Wulff ist das Gegenteil einer 
erfolgreichen investigativen Recherche

Es klingt zu schön, um wahr zu sein: Zwei Journalisten erhalten vertrauliche Hinweise über merkwürdige Finanztransaktionen des berühmtesten Politikers im Land. Der Mann, so heisst es, sei pleite, und habe sich von einem Gönner aus der Wirtschaft kaufen lassen. Die knallharten und unbestechlichen Medienleute recherchieren und ecken den Fall auf. Der Politiker muss zurücktreten. Die Journalisten werden berühmt und erhalten den renommiertesten Journalistenpreis des Landes.
Die Wirklichkeit verhält sich in der Causa Wulff allerdings ganz anderes: Der vertrauliche Hinweis, dem “Bild”, aber auch “Stern” und “Spiegel” nachgingen, erwies sich als blanker Unfug. Die investigative Recherche scheiterte kläglich. Wulff trat auch nicht wegen der journalistischen Enthüllung zurück. Und selbst der “Henri”, mit dem die beiden “Bild”-Journalisten ausgezeichnet wurden, hat einen besseren Ruf als er tatsächlich verdient.
Die Nannen-Jury begründete die Auszeichnung der “Bild”-Recherche auch mit der “Fallhöhe”. Das klingt merkwürdig inkonsequent. 2011 ist beispielsweise eine Kollegin für eine Artikelserie ausgezeichnet worden, die in anderen Medien so gut wie keinerlei Widerhall gefunden hat. Schlimmer noch, der damalige Hauptinformant erschien Kollegen ls zu windig, um auf ihn eine Geschichte zu stützen.
Ebenso abenteuerlich war diesmal zumindest der Hinweis, der die Recherche auslöste. Christian Wulff soll sich sein eher bescheidenes Klinkerhaus in Grossburgwedel von Carsten Maschmeyer finanziert haben lassen. Dass Wulff knapp bei Kasse war, wussten in Hannover viele. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass er sich das Geld ausgerechnet vom schillerndsten Multimillionär ganz Niedersachsens schenken lassen würde?
Dennoch versuchten “Bild”, “Stern” und “Spiegel” diese Geschichte zu recherchieren. Doch schon beim Grundbuchamt war Schluss mit der investigativen Recherche. Die Behörde verweigerte jede Einsichtnahme. Der Spiegel klagte durch alle Instanzen, bekam schliesslich Recht – und war doch anschliessend so schlau wie zuvor. Das Grundbuch gab nichts her. Wulff hatte eine Buchgrundschuld auf seinen Namen eintragen lassen, immerhin höher als der Wert des Hauses, was dafür sprach, dass er über kein Eigenkapital verfügte. Später, so ging aus den Eintragungen hervor, kam die BW-Bank ins Spiel. Aber keine Spur von Maschmeyer oder einem anderen Gönner.
Was also tun? Verdeckt weiter recherchieren, auf andere Quellen hoffen? Oder den Beteiligten selber fragen – und so die bislang verdeckte Recherche gegenüber dem Betroffenen aufdecken? Der “Spiegel” wartete ab, “Bild” und “Stern” entschieden sich fürs direkte Fragen. Sie fragten Wulff selber nach einem möglichen Geldgeber.
Ein solcher Weg ist eigentlich nur vielversprechend, wenn man gegen den Verdächtigten schon einige “Beweise” in der Hand hat. Denn wieso sollte etwa Wulff einräumen, dass er sich von Maschmeyer hat kaufen lassen? Jedenfalls hatten “Bild” und “Stern” Glück, dass Wulffs Sprecher Olaf Glaeseker einer fatalen Fehleinschätzung erlag. Er offenbarte den Namen des Geldgebers, weil er glaubte, damit die ganze Geschichte aus der Welt schaffen zu können. Denn mit Maschmeyer hatte die Finanzierung bekanntlich nichts zu tun.
“Bild” wusste mit der Info nichts Richtiges anfangen. Sie schwurbelte dann in der Überschrift von “Wirbel um Privatkredit”, und schob den Artikel nur an den Rand der Titelseite. Ein Erfolg zwar, aber nicht der erhoffte.
Den Verdacht, dass die Eheleute Geerkens, die wohl tatsächlich bezahlt haben, von dem Geschäft profitierten, konnte niemand belegen. Auch, wie es zu der Umschuldung zur BW-Bank kam, blieb im Dunkel – wie fast alle weiteren Umstände im Fall Wulff.
Der Bundespräsident beklagte sich im Fernsehen, die Journalisten hätten hunderte Fragen gestellt. Nachprüfbar beantwortet hat er nur eine einzige: die Frage nach dem Kreditgeber Geerkens.
Auch sonst brachte die investigative Recherche nicht viel zustande. Mal beschäftigten sich die Medien miteinander, wie im Fall von Wulffs Mailbox-Anruf. Mal nahmen sie die Ex-Ehefrau Wulffs ins Visier, weil ihr ein ehemaliger Nachbar Wulffs einen Job verschafft habe. Als ob die arme Frau nicht auch in dem Haus gewohnt und den Mann ebenfalls gekannt hätte. Zu guter Letzt inszenierte sich “Bild” noch selbst, als das Blatt mit Wulff nach Italien reisten und ihn über den “Rubikon” begleiten konnte.
Ganz aus dem Blick geriet dabei, weshalb Wulff tatsächlich zurücktrat. Die zunächst zögerliche Staatsanwaltschaft Hannover beantragte die Aufhebung seiner Immunität. Den Schritt hatte aber nicht etwa ein “Bild”-Bericht ausgelöst. Die niedersächsische Staatskanzlei übergab den Ermittlern Akten über ein Bürgschaftsgeschäft mit dem Filmunternehmer Groenewold. Diese Papier hat kein Journalist aufgespürt oder je zu sehen bekommen. Für die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft war dies jedoch
ein Signal.
Die Wahrheit ist nämlich: Die Diskussion um Wulff wurde für seinen Nachfolger David McAllister im heraufziehenden Landtagswahlkampf zu riskant. Womöglich hätte ein Untersuchungsausschuss tatsächlich Unangenehmes herausfinden können.
Der letzte Akt blieb dennoch “Bild” vorbehalten. Die Kollegen vom Boulevard schafften, woran anderen Medien zuvor scheiterten: Die drängten den ermittelnden Staatsanwalt, der eigentlich zu seinem Schutz anonym bleiben wollte, ein Foto von sich und seinen Lebenslauf preis zu geben. Hätte er das nicht getan, hätte Bild in seiner Nachbarschaft, bei Kollegen und Freunden recherchiert. So aber konnte das Blatt einen nicht gerade preisverdächtigten Bericht über den “mutigen Staatsanwalt” bringen.

Michael Fröhlingsdorf ist Spiegel-Redakteur mit Schwerpunkt Niedersachsen.