G20-Akkreditierungen: Stellungnahmen von BKA und Bundespresseamt sind unzureichend und stigmatisierend
+ + + Update 12.7.2017, 21:47 Uhr: Journalisten wurden jahrelang beschattet / Verfassungsschutz ist Quelle – siehe Beiträge von SZ und Tagesschau.de in untenstehender Übersicht + + +
Mehrere Tage haben das Bundespresseamt und das Bundeskriminalamt nun gebraucht, um sich zum Entzug von Akkreditierungen während des G20-Gipfels zu erklären. Doch die beiden Stellungnahmen werfen erst recht Fragen auf. Denn sie beantworten nicht, warum einigen Kolleginnen und Kollegen plötzlich ihre Akkreditierungen entzogen wurden. Viel schlimmer: Sie stigmatisieren die Journalistinnen und Journalisten pauschal als Sicherheitsrisiko.
Steffen Seibert, Chef des Bundespresseamtes, verweist in seinem Schreiben darauf, dass es seitens der Sicherheitsbehörden bei 32 bereits akkreditierten Medienvertreterinnen und -vertretern “Sicherheitsbedenken” gegeben habe. “Mit ihren neuen Stellungnahmen setzen die Behörden das fort, was sie während des G20-Gipfels begonnen haben: Die Betroffenen werden pauschal als Sicherheitsrisiko stigmatisiert”, kritisiert Julia Stein, erste Vorsitzende von Netzwerk Recherche. Die Namen der Betroffenen standen auf einer “schwarzen Liste”, die sogar aus der Nähe gefilmt werden konnte, wie die Tagesschau berichtete.
In der aktuellen Pressemitteilung des Bundeskriminalamtes wird die Weitergabe der Namenslisten an Polizeibeamte damit begründet, dass nur so die Sicherheit des Gipfels und seiner Teilnehmer gewährleistet werden konnte. Julia Stein dazu: “Damit werden die Betroffenen sogar nachträglich und identifizierbar als Sicherheitsrisiko benannt. Dabei haben sie bis heute noch nicht erfahren, welche ‘sicherheitsrelevanten Erkenntnisse’ angeblich gegen sie vorliegen.”
Wenn das Bundespresseamt es ernst damit meint, dass die Pressefreiheit und die Bereitstellung guter Arbeitsbedingungen für Journalisten eine “herausragende Bedeutung” für das Amt haben, wie in der Pressemitteilung betont wird, sollte sie die Kritik an ihrem Vorgehen annehmen – und die Betroffenen umgehend und über sämtliche der angeblichen Erkenntnisse informieren. Auch die 23 ursprünglich akkreditierten Medienvertreter, die nicht erschienen sind, sollten vom Amt informiert werden, damit sie entsprechend reagieren können.
Allen Journalisten, die hierfür infrage kommen könnten, empfiehlt Netzwerk Recherche dringend, sich an den Datenschutzbeauftragten des BKA zu wenden, um zu erfragen, ob und ggf. warum ihre Akkreditierung aberkannt wurde. Alternativ kann auch der Generator Frag den Dienst genutzt werden, um Auskünfte von BKA und anderen Diensten zu erhalten.
Die Medienvertreterinnen und -vertreter hatten erst vor Ort erfahren, dass ihnen die Akkreditierung entzogen wurde – ohne Begründung und ohne Einspruchsmöglichkeit. “Seiberts Stellungnahme enthält nicht den Hauch des Bedauerns zu diesem rücksichtslosen Vorgehen, das ist sehr enttäuschend”, so Julia Stein.
Die Stellungnahmen der Behörden:
- Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Akkreditierungen zum G20-Gipfel in Hamburg (11.7.2017)
- Bundeskriminalamt: Akkreditierungen zum G20-Gipfel in Hamburg (11.7.2017)
Medienbeiträge und Stellungnahmen von Journalistenverbänden (Auswahl):
- Entzogene G20-Akkreditierungen Die Quelle war der Verfassungsschutz (Tagesschau.de, 12.7.2017)
- Pressefreiheit: Journalisten werden offenbar seit zehn Jahren beschattet (SZ.de, 12.7.2017)
- “Schwarze G20-Liste” Bundesregierung verteidigt Entzug von Presseakkreditierungen (Tagesspiegel, 12.7.2017)
- Journalisten beim G20-Gipfel: Protest gegen Entzug von Akkreditierungen (heute.de, 12.7.2017)
- Akkreditierung bei G20: Völlig verrutschte Maßstäbe (taz.de, 12.7.2017)
- G20-Akkreditierungen: “Den Beamten schien das selbst ein bisschen peinlich zu sein” (Zeit Online, 12.7.2017)
- Entzogene G20-Akkreditierungen: Widersprüche zwischen Seibert und BKA (Tagesschau.de, 12.7.2017)
- G-20-Gipfel in Hamburg: Sperrbezirk (SZ.de, 12.7.2017)
- Sicherheitsbedenken: BKA verweigert Journalisten Zugang zu G20-Gipfel (Buzzfeed, 8.7.2017 mit Update 11.7.2017 zu Geheimdienst-Quellen)
- Journalisten beim G20-Gipfel in Hamburg: Zugang verwehrt (Spiegel Online, 11.7.2017)
- G20-Akkreditierung entzogen: Kritik an Liste mit Journalistennamen (Tagesschau.de, 11.7.2017)
- Warum wurde Journalisten beim G-20-Gipfel nachträglich die Akkreditierung entzogen? “Das kommt einem Berufsverbot gleich” (Jetzt.de, 11.7.2017)
- G20-Gipfel: Unerträgliche Stigmatisierung von Journalisten (Reporter ohne Grenzen, 11.7.2017)
- Entzogene Akkreditierungen: Schwarze Liste bei G 20: Journalisten arbeiteten in türkischen Kurdengebieten (SZ.de, 11.7.2017)
- Medien nach G20: “Pressefreiheit ist kein Schönwettergrundrecht”
- Brief an das BKA: DJV fordert Aufklärung (DJV, 10.7.2017)
- dju in ver.di geht gegen Akkreditierungspraxis bei G20 vor (dju in verdi, 8.7.2017)
- Akkreditierung für G20 entzogen: Keine Auskunft zum Ausschluss von Journalisten (Tagesschau.de Faktenfinder, 8.7.2017)
- G20: Protest gegen entzogene Akkreditierungen (DJV, 7.7.2017)
Mitschnitte Bundespressekonferenz:
- “Sicherheitsbedenken”: Bundesregierung sperrte mindestens 32 Journalisten von G20 aus (Jung & Naiv, 10.7.2017)
- 12. Juli 2017 – Bemerkenswerte Bundespressekonferenz #G20 (Jung & Naiv, 12.7.2017)