Ganz schön was im Tee
Von Kristoffer Fillies, JONA
An Zeit und Geld mangelt es in vielen Redaktionen. Netzwerk Recherche vergibt deshalb Stipendien an Journalisten, die eine gute Idee haben. Auf der Jahrestagung berichten Geförderte von ihren Erlebnissen auf indischen Tee-Plantagen oder unter evangelikalen Christen.
Seit diesem Jahr gibt es ein zusätzliches Stipendium, das in Kooperation mit der gemeinnützigen Gesellschaft Olin vergeben wird: Geschichten zu Umweltthemen können mit bis zu 5000 Euro gefördert werden.
Susanne Götze ist die erste Olin-Stipendiatin und beschäftigt sich mit dem Emissionshandel bei privaten Unternehmen. „Den EU-Emissionshandel gibt es seit zehn Jahren“, sagt sie. „Für die Recherche schaue ich mir an, wie der Stand auf dem freien Markt ist, und wie sich private Unternehmen bei der Reduzierung von Treibhausgasen beteiligen.“ Götze ist seit 2001 Umweltjournalistin.
Ein weiteres Projekt hätte gut ins Olin-Programm gepasst, wurde von nr aber bereits gefördert, bevor es die neuen Stipendien gab: Der nr-Stipendiat Philipp Jusim hat sich mit Fairtrade-Tee beschäftigt. Dafür flog er auf eine indische Tee-Plantage und ließ die dort eingesetzten Stoffe untersuchen. Sechs unterschiedliche Gifte konnte er finden.
„Der betroffene Konzern hat das Fairtrade-Siegel nun verloren“, sagt Jusim. Aber: „Die Bauern leben heute wohl noch immer unter diesen schlimmen Bedingungen.“ Eines ist dem Stipendiaten wichtig: „Fairtrade ist ein Siegel, das in den 1990er-Jahren entstand. Es bedeutet nicht gleich auch wirklich fairen Handel.“ Sein ARD-Radio-Feature „Fair-Giftet. Nachhaltiger Handel und der Tee aus Indien“ wurde im Februar auf SWR 2 gesendet.
Stipendiatin Ulrike Heitmüller wiederum hat freikirchliche Gemeinden in Deutschland und ihre Mitglieder – die Evangelikalen – untersucht. Dabei konzentrierte sie sich auf deren Abdriften nach rechts. Die Rolle ihres eigenen Großvaters vor achtzig Jahren nahm sie auch unter die Lupe: Friedrich Heitmüller war in den 1920er Jahren Gründer einer evangelikalen Gemeinde und Direktor eines Krankenhauses in Hamburg. Er war aber auch ein überzeugter Antisemit. Wie die religiöse Gruppe der Evangelikalen heute mit dem Judenhass umgeht, hat Ulrike Heitmüller für ihren Artikel „Hosianna für rechts“ recherchiert, der im Mai 2015 im Tagesspiegel erschien.
Der Umgang mit Minderheiten bewegt auch zwei weitere nr-Stipendiaten: Bereits vor zehn Jahren wurde das Roma-Jahrzehnt ausgerufen, um die Lage der größten europäischen Minorität zu verbessern und deren Ausgrenzung zu bekämpfen. Sebastian Garthoffs und Daniel Kaldoris (Fotos) Reportage „Sárszentlörinc in Ungarn – Ein Ort der Hoffnung für Roma“ beschreibt ein ungarisches Dorf, in dem die Integration der Roma gelungen ist. „Dort herrscht ein normales, friedliches Zusammenleben“, sagt Garthoff. Er weiß aber auch: „Das ist leider noch eine der wenigen Ausnahmen.“ Der Text erschien in der Berliner Zeitung.
Netzwerk Recherche will mit den Stipendien auch den Nachwuchs unterstützen: Das Film-Projekt von Evi Lemberger und Maria Göckeritz über die Holocaust-Überlebende Irene Eber entstand als Semesterabschlussprojekt. Die beiden studieren den Master „Multimedia und Autorenschaft“ an der Martin-Luther-Universität in Halle (Saale). Mit Hilfe des Stipendiums konnten die Studentinnen ihre Protagonistin in Jerusalem besuchen. Ausgangspunkt der Recherchen war ein Stolperstein für die jüdische Familie Eber in Halle. Für Schnitt und Montage der Dokumentation erhielten sie professionelle Unterstützung von ihrem nr-Mentor Egmont R. Koch. Die jungen Studentinnen haben mit dieser Hilfe einen Film gemacht, der sich wirklich sehen lassen kann.