Justiz in Deutschland offenbar mit der Verfolgung von Korruptionsstraftaten überfordert
nr-Dokumentation zum Thema „Dunkelfeld Korruption – Herausforderungen für den Recherche-Journalismus“ belegt die Defizite bei der Bekämpfung der Korruption in Deutschland
Wiesbaden – Die juristische Bekämpfung und publizistische Untersuchung der Korruption in Deutschland weist erhebliche Defizite auf. Dies ist die Bilanz der Analysen von renommierten Juristen, Korruptions-Experten und Journalisten, die Korruptionsfälle offengelegt haben. Die Ergebnisse und Belege für diese Lageeinschätzung veröffentlicht die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche (nr) heute in einer 162-seitigen Dokumentation mit dem Titel „Dunkelfeld Korruption – Herausforderungen für den Recherche-Journalismus“. „Justiz, Politik und Medien sollten den Wachstumsmarkt Korruption stärker unter die Lupe nehmen und wie vom Bundesgerichtshof empfohlen, konsequenter verfolgen“, sagte der Vorsitzende der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche, Dr. Thomas Leif, bei der Vorlage der Dokumentation.
Der Vorsitzende von Transparency International Deutschland, Dr. Hansjörg Elshorst urteilt eindeutig: «Seit Jahrzehnten ist die Justiz oft durch Wirtschaftsstrafsachen überfordert». Die Strafvorschriften seien nicht präzise genug und die Rechtssprechung kompliziert. Elshorst warnt: «Dabei kämpft die Justiz mit ungleichen Waffen gegen hoch bezahlte Anwälte.» Der TI-Vorsitzende räumt auch ein, dass «weder TI noch die Medien genügend Druck mobilisiert haben, um der mangelhaften Ausstattung der Strafverfolgung einen angemessenen Stellenwert zu geben». TI ist «deshalb außerordentlich glücklich über die harte Kritik des Bundesgerichtshofes»; der BGH hatte vor kurzem in einer Urteilsbegründung die Überforderung der Justiz bei der Verfolgung von Korruptionsstraftaten scharf kritisiert. Zuvor hatten auch der Bundesrechnungshof, der im Dezember pensionierte Berliner Generalstaatsanwalt Dieter Neumann und der Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner die Defizite der Justiz in der Korruptionsbekämpfung beklagt.
Schaupensteiner bilanziert in seiner Expertise zum Thema „Erfolge und Blockaden bei der Korruptionsbekämpfung“: «Kein Zugriff gerät zum Fehlgriff». Der Korruptionsexperte erwartet in der Zukunft sogar mehr statt weniger Korruptionsstraftaten in Deutschland. «Aufgrund der schlechten konjunkturellen Lage, Kostensteigerungen und einem härter werdenden Wettbewerb stehen viele Manager unter hohem Erwartungsdruck», so die Analyse in der aktuellen nrDokumentation. «Damit wächst die Bereitschaft, durch Regelverstöße die Unternehmensziele zu erreichen.»
Um Korruption künftig vorzubeugen, fordert Schaupensteiner «ein Unternehmensstrafrecht mit einem flexiblen Sanktionensystem». Aus seiner Sicht mangele es in Verwaltung wie Wirtschaft zugleich an der Bereitschaft, die Kontrollen zu stärken: «Entscheidungsebenen werden wegrationalisiert und Kontrollfunktionen aufgegeben, denn die Sicherheit gilt nach verbreiteter Auffassung immer noch als lästiger Kostenfaktor», analysiert der Korruptionsexperte.
„Die gedämpfte Korruptionsbekämpfung in Deutschland wird von der Politik immer wieder als Standortvorteil verkauft; zudem missverstehen viele Bürger und Medienvertreter Korruption oft als Kavaliersdelikt,“ sagte der Vorsitzende von Netzwerk Recherche, Dr. Thomas Leif, anlässlich der Vorstellung der Dokumentation. „Ignoranz auf der einen Seite und Verharmlosung auf der anderen Seite sind die Wachstumstreiber für das Krebsgeschwür Korruption“, so Leif.
Dr. Oliver Pragal, derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bucerius Law School in Hamburg, stellt in der Dokumentation die Ergebnisse seiner demnächst erscheinenden Dissertation „Die Korruption innerhalb des privaten Sektors und ihre strafrechtliche Erfassung durch § 299 StGB“ vor. Für ihn sind vor allem die so genannten Kick-Back-Geschäfte, bei denen eine Hand die andere wäscht und so ein Netz der Abhängigkeit und Vorteilsnahme entsteht, «das Krebsübel unserer Volkswirtschaft».
Pragal kommt zu dem Schluss, dass zwar immer mehr Unternehmen damit beginnen, ihre Schutzmaßnahmen gegen bestechliche Mitarbeiter auszubauen. Doch bei der Akquisition von Aufträgen würden «zu viele immer noch Korruption als eine von der Unternehmensführung angeordnete oder gebilligte Geschäftspolitik» betreiben. Die Verantwortlichen in den Konzernen würden jedoch übersehen, «dass dies definitiv nicht dem nachhaltigen Unternehmensinteresse dient, sondern Ausdruck einer kurzfristigen und irrationalen Strategie ist».
Als «sehr viel versprechend zur Aufdeckung und Prävention» bezeichnet die Bielefelder Professorin und Korruptionsexpertin Britta Bannenberg neben der Verschärfung des Strafrechts vor allem die Einrichtung von so genannten Ombudsleuten in Verwaltungen und Unternehmen, an die auch anonyme Hinweise erfolgen können. «Darin darf sich die Kontrolle jedoch nicht erschöpfen», sagt die Kriminologin. Die Aufdeckung sollte vielmehr «durch geschulte und relativ unabhängig arbeitende Anti-Korruptions-Stellen unterstützt werden».
Sollte ein Unternehmen bei der Auftragsgewinnung mit korruptiven Mitteln ertappt werden, müsste es laut Bannenberg an den Pranger gestellt werden. «Ein sehr wirksames Mittel könnte der konsequente Einsatz von Vergabesperren sein», bilanziert Bannenberg. Allerdings sollten diese Sperren «bundeseinheitlich geregelt werden, damit gleiche Kriterien für Gerechtigkeit sorgen».
Der Speyerer Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim kommt zu folgendem Urteil: «Die Tolerierung der Korruption an der Spitze des Staates fördert auch die Permessivität an der Basis». In einem Interview in der nr-Dokumentation sagte er weiter: «Die Politik scheint kein wirkliches Interesse an der wirksamen Bekämpfung von Korruption zu haben. Die riesigen Gesetzeslücken und das Vollzugsdefizit bei der Verfolgung von politischer Korruption durch weisungsgebundene Staatsanwälte strahlen auch auf die Bekämpfung der Korruption in der Verwaltung und in anderen Bereichen aus».
Weitere Beiträge
In der Dokumentation klärt der Leiter der Rechercheabteilung bei Greenpeace, Dr. Manfred Redelfs, über die aktuellen Auskunftsrechte für Journalisten auf – und geht dabei detailliert auf das seit dem 1. Januar 2006 geltende Informationsfreiheitsgesetz (IFG) ein. Außerdem berichtet Harald Schumann, Redakteur für besondere Aufgaben beim «Tagesspiegel», über Korruption beim UN-Projekt «Öl für Lebensmittel». Götz Hamann von der «Zeit» berichtet über die Nähe von Wirtschaft und Politik in der Berliner Republik. Jörg Lünsmann, Stellvertretender Chefredakteur der «Wolfsburger Allgemeinen Zeitung», schreibt über die Rolle seiner Lokalredaktion in der VWAffäre. Georg Wellmann berichtet über seine Recherchen im Kölner Klüngel für seinen WDR-Film «Das Milliarden-Monopoly». Und Hans Leyendecker, leitender Redakteur bei der «Süddeutschen Zeitung» ergründet die zur Korruption führende Motivation in seinem Beitrag «Gier hat viele Gesichter». Thomas Leif analysiert das Wechselverhältnis von journalistischer Recherche und der Aufdeckung von Korruptionsfällen.
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