Medi­en­frei­heit als Vor­aus­set­zung für Demo­kra­tie­ent­wick­lung? – Gesine Schwan (2007)

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 15. Juni 2007 | Lese­zeit ca. 28 Min.

Medi­en­frei­heit als Vor­aus­set­zung für Demo­kra­tie­ent­wick­lung?

Vor­trag von Prof. Dr. Gesine Schwan anläss­lich der netz­werk-​recherche-​ und n-​ost-​Kon­fe­renz am 15. Juni 2007 in Ham­burg.

I. Ein­lei­tung

Vor einigen Wochen teilte ich mit einigen Jour­na­listen eine Taxi-​Fahrt vom Flug­hafen zu einer Kon­fe­renz. Ihr leb­haftes Gespräch – sie waren alle in sog. kri­ti­schen Medien tätig – drehte sich durchweg um Quoten und Auf­ma­cher. Dabei ging es durchaus dif­fe­ren­ziert um ästhe­ti­sche Fragen und um den Zusam­men­hang zwi­schen Auf­ma­cher und Quote – und je höher sie war, desto mehr leuch­teten die Augen und desto mehr wuchs der kol­le­giale Respekt. Das Gespräch wirkte sehr pro­fes­sio­nell, und man bezog sich auf einen breiten Fächer empi­ri­scher Ver­an­schau­li­chungen. Die Frage nach dem Zusam­men­hang zwi­schen der Prio­rität der Quote und der demo­kra­ti­schen Ver­ant­wor­tung der Medien stellten sich die Jour­na­listen nicht, sie hätte auch in diesem Zusam­men­hang ziem­lich deplat­ziert gewirkt – zu grund­sätz­lich, abs­trakt, theo­re­tisch abge­hoben. Die Dis­kre­panz zwi­schen dem, was diese ganz und gar sym­pa­thi­schen Jour­na­listen offen­sicht­lich vor­rangig bewegte und was mich selbst umtrieb, die Dis­kre­panz näm­lich zwi­schen den Bedin­gungen des täg­li­chen Erfolgs, der zum indi­vi­duell-​pro­fes­sio­nellen wie zum insti­tu­tio­nellen Über­leben der Medien not­wendig ist, und dem, was ich als die zen­trale und überaus wich­tige Ver­ant­wor­tung der Medien in der Demo­kratie halte, beschäf­tigt mich nicht erst seit dieser Flug­ha­fen­fahrt.

Denn kein Mensch würde bestreiten, dass die Medien in der Demo­kratie eine überaus wich­tige Rolle spielen. Aber können sie sich darum ange­sichts der harten Kon­kur­renz auf dem Markt über­haupt noch küm­mern? Müssen sie nicht in erster Linie eben auf jene Quoten und Absatz­zahlen achten, um sich zu behaupten? Sind dazu nicht alle Mittel, die wir im Kampf der Medien beob­achten, erfor­der­lich? Kann man infol­ge­dessen die Kluft zwi­schen der all­ge­mein akzep­tierten Grund­an­nahme ihrer demo­kra­ti­schen Ver­ant­wor­tung und den Bedin­gungen des Geschäfts über­haupt noch über­winden? Oder sollten wir das schöne demo­kra­ti­sche Pos­tulat ein­fach bei­seite legen und uns statt dessen auf die ins­be­son­dere öko­no­misch erfolg­reiche Bewäl­ti­gung des Medi­en­all­tags kon­zen­trieren?

Jeden­falls geht das nicht, wenn man danach fragt, ob Medi­en­frei­heit als Vor­aus­set­zung von Demo­kra­tie­ent­wick­lung zu begreifen ist – und dies im Kon­text der Erfah­rungen in den sog. Trans­for­ma­ti­ons­län­dern Mit­tel­ost­eu­ropas. Diese Frage aber habe ich als the­ma­ti­sche Auf­gabe auf­ge­tragen bekommen. Ich will ver­su­chen, sie zu beant­worten, indem ich zunächst den nor­ma­tiven demo­kra­tie­theo­re­ti­schen Maß­stab zeichne, anhand dessen ich argu­men­tieren möchte. In einem nächsten Schritt skiz­ziere ich die wesent­li­chen Gefahren, gegen die sich Demo­kratie för­dernde Medien behaupten müssen, um schließ­lich mit einigen Schluss­fol­ge­rungen zu enden.

II. Demo­kra­tie­theo­re­ti­sche Über­le­gungen

Die moderne Demo­kratie ent­stand – auf der Grund­lage eines vorher ent­wi­ckelten Rechts­staates – nicht als direkte Demo­kratie, son­dern bedurfte seit dem 19. und erst recht im 20. Jahr­hun­dert der Ver­mitt­lung durch Medien, die für eine brei­tere Öffent­lich­keit Infor­ma­tionen und Dis­kus­sionen von poli­ti­schen Vor­stel­lungen und Par­teien auf­be­rei­teten und ver­brei­teten. Das hat einen tech­nisch-​erkennt­nis­theo­re­ti­schen und einen demo­kra­tie­theo­re­ti­schen Aspekt.

Der tech­ni­sche liegt in der Not­wen­dig­keit, Kom­mu­ni­ka­tion auch zwi­schen den Bür­gern her­zu­stellen, die sich nicht direkt mit­ein­ander aus­tau­schen können. Ver­mitt­lung ist also aus rein prak­tisch-​empi­ri­schen Gründen not­wendig. Solche Ver­mitt­lung ist aber nicht als neu­tral-​trans­pa­rente Über­gabe denkbar, son­dern wirkt not­wendig auf den Inhalt und die Art der Kom­mu­ni­ka­tion ein. Denn genauso wie es keine Erkenntnis als sog. objek­tive Wie­der­gabe einer sog. objek­tiven Wirk­lich­keit gibt – die Lenin’sche Wider­spie­ge­lungs­theorie, die verbal immer noch in man­chen Köpfen spukt, gehörte zu den erkennt­nis­theo­re­tisch viel­leicht naiven, aber jeden­falls phi­lo­so­phisch unhalt­baren Ele­menten eines tota­li­tären Kom­mu­nismus -, genauso gibt es keine „objek­tive“ Kom­mu­ni­ka­tion, Mit­tei­lung, Wei­ter­gabe von Nach­richten oder Mei­nungen. Eine Aus­wahl aus der prin­zi­piell unend­li­chen Zahl von Nach­richten und eine damit ein­her­ge­hende Per­spek­ti­vität mit wer­tenden Impli­ka­tionen über ihre Wich­tig­keit bzw. Bedeu­tung ist unver­meidbar.

Dieses Dilemma kann in einer modernen plu­ra­lis­ti­schen Demo­kratie, die nicht nur fak­tisch eine Viel­falt von Inter­essen ent­hält, son­dern sie auch als legitim akzep­tiert, nicht prin­zi­piell über­wunden, son­dern nur demo­kra­tie­kon­form gestaltet werden. Die Grund­ma­xime dafür liegt in der For­de­rung, das Spek­trum der Inter­essen breit zu halten, ihr Gewicht vor Ein­sei­tig­keit zu schützen und den Raum für eine kon­tro­verse Dis­kus­sion zu sichern. Sie bietet die Chance, die ein­zelnen Inter­essen und Prio­ri­täten mit Kri­te­rien des Gemein­wohls zu ver­glei­chen, etwa gemäß dem Habermas’schen Kri­te­rium der Ver­all­ge­mei­ner­bar­keit der Inter­essen, und damit zugleich argu­men­tativ die Viel­falt der Lösungs­mög­lich­keiten und gewollten bzw. unge­wollten Folgen und Impli­ka­tion mög­li­cher Ent­schei­dungen aus­zu­loten, was der Soli­dität und der Gemein­wohl­ori­en­tie­rung der Ent­schei­dung zugute kommen soll. Damit führt bereits der tech­ni­sche Aspekt der Ver­mitt­lungs­auf­gabe von Medien zum zweiten demo­kra­tie­theo­re­ti­schen, d.h. zur demo­kra­ti­schen Ver­ant­wor­tung der Medien.

Denn wenn Demo­kratie die gleich­be­rech­tigte Teil­habe aller Bürger an der Politik bedeutet und Politik im wesent­li­chen die Vor­be­rei­tung und Durch­füh­rung von Ent­schei­dungen – oder auch Nicht-​Ent­schei­dungen bzw. Blo­ckaden – in Bezug auf Ange­le­gen­heiten meint, die kon­tro­vers beur­teilt werden und alle Bürger betreffen und binden, dann haben gemein­wohl­ori­en­tierte Ziele nur eine Chance, wenn sich die Bürger dar­über ver­stän­digen, wenn sie mög­lichst erschöp­fend dar­über argu­men­tieren und die Impli­ka­tionen von Ent­schei­dungen offen legen können. Öffent­lich­keit wurde so Jahr­zehnte lang demo­kra­tie­theo­re­tisch als eine Art Filter ange­sehen, der par­ti­ku­la­ris­ti­sche oder will­kür­liche Politik her­aus­zu­finden hilft und das demo­kra­ti­sche Gemein­wohl beför­dert. Imma­nuel Kant hat es ganz im glei­chen Sinne als eine Art Test für die Gerech­tig­keit von Ent­schei­dungen bezeichnet, wenn sie zu ihrer Ver­wirk­li­chung der Öffent­lich­keit bedürfen, wozu gehört, dass die Öffent­lich­keit dem zustimmen und eine gerechte Inter­es­sen­ab­wä­gung durch­führen kann. Wenn man dagegen im Dun­keln mun­kelt, bleibt die Gerech­tig­keit leicht auf der Strecke.

Damit ist zugleich gesagt, dass Demo­kratie, wie ich sie hier ver­stehe, nicht ein­fach ein wert­mäßig neu­trales Ent­schei­dungs­ver­fahren meint. Viel­mehr begreife ich sie als eine nor­mativ gestal­tete poli­ti­sche Ver­fas­sung und Lebens­form. Ent­spre­chend ihrer ideen­ge­schicht­li­chen wie grund­ge­setz­li­chen Bestim­mung dient sie dem Ziel, die gleiche Würde aller Men­schen im Sinne ihres glei­chen Rechts und ihrer glei­chen Pflicht zur Frei­heit, d.h. zur selbst­be­stimmten und ver­ant­wor­teten Lebens­füh­rung und soli­da­ri­schen Teil­habe am Gemein­wesen, zu ver­wirk­li­chen. Zu ihrer Rea­li­sie­rung und Fes­ti­gung braucht es nicht nur Gesetze und orga­ni­sierte Insti­tu­tionen, son­dern auch eine poli­ti­sche Kultur, die die die ange­mes­sene Hand­ha­bung der Insti­tu­tionen unter­stützt. Wir kennen die Maxime, dass Gesetze ihrem Geiste und Buch­staben gemäß ange­wendet werden sollen. Wir wissen auch, dass man sie immer miss­brau­chen oder per­ver­tieren kann, weil sich die Wirk­lich­keit, auf die sie ange­wendet werden sollen, in kein Gesetz ganz ein­fangen lässt. In Bezug auf die Gerech­tig­keit hat Aris­to­teles des­wegen in seiner berühmten Niko­ma­chi­schen Ethik am Ende seiner Aus­füh­rungen zur Gerech­tig­keit das „Gütige“ als ihren Gipfel gerühmt. Es besteht darin, auf ein eigenes Recht zu ver­zichten, wenn seine Ein­for­de­rung eine grö­ßere Unge­rech­tig­keit nach sich ziehen würde. Das Gütige als Grund­hal­tung brau­chen wir, so Aris­to­teles, in einem frei­heit­li­chen Gemein­wesen, weil sich die Gerech­tig­keit nie ganz in eine Geset­zes­re­ge­lung umsetzen lässt.

Wenn Demo­kratie also auf kul­tu­relle Unter­stüt­zung ange­wiesen ist, dann betrifft das einer­seits die Grund­hal­tung der Bürger. Auto­ri­täre Per­sön­lich­keiten, die ihr indi­vi­du­elles Urteils­ver­mögen unbe­fragten Auto­ri­täten unter­ordnen, die ihren Mit­bür­gern eher miss­trau­isch begegnen und nicht leicht mit ihnen koope­rieren, die also – das gehört ins Bild – weder Fremd-​ noch Selbst­ver­trauen und infol­ge­dessen auch keine Zukunfts­zu­ver­sicht auf­bringen, Bürger, die unge­niert ihre par­ti­ku­laren Inter­essen ver­fechten, ihre Macht aus­nutzen und sich um Fair­ness nicht scheren, Men­schen, die sich abge­wöhnt haben, zwi­schen Wahr­heit und Lüge zu unter­scheiden oder die die Lüge für ein ver­tret­bares Mittel halten, Gegner aus­zu­schalten – können eine Demo­kratie nicht auf­bauen oder bewahren. Sie zer­stören dass Grund­ver­trauen, das Men­schen sowohl für die mutige Gestal­tung ihres pri­vaten Lebens als auch für das Gelingen eines frei­heit­li­chen Gemein­we­sens, das eben grund­sätz­lich auf frei­wil­ligen Gehorsam und frei­wil­lige Koope­ra­tion baut, brau­chen. Ver­trauen ist die kul­tu­relle Nah­rung, ohne die eine Demo­kratie ver­küm­mert, ohne die sich die Bürger und Inter­es­sen­gruppen gegen­seitig im Wege stehen und blo­ckieren, anstatt die Kraft zur Gemein­sam­keit auf­zu­bringen und etwas zu ihrem gemein­samen Wohl auf­zu­bauen.

Diese Grund­hal­tung ihrer­seits wird aber – und dies ist das zweite – nicht gedeihen -, wenn die Medien ihr zuwi­der­han­deln, anstatt sie ihrer­seits zu för­dern. Wenn Bürger ein­seitig infor­miert werden, dann för­dert dies Miss­trauen, weil es der Kom­ple­xität der Wirk­lich­keit und der gesell­schaft­li­chen Wahr­neh­mungen, Ansprüche und Inter­essen nicht gerecht wird. Wenn Medien jen­seits der oben kurz skiz­zierten grund­sätz­lich-​phi­lo­so­phi­schen Schwie­rig­keit, ange­messen, d.h. in plu­ra­lis­ti­scher Breite zu kom­mu­ni­zieren, einer ganz anderen Logik folgen, wenn sie um ihres Über­leben willen vor allem auf Gewinn aus sein müssen und des­wegen ver­zer­rende Kam­pa­gnen betreiben, anstatt auf­zu­klären, dann werden sie ihrer demo­kra­ti­schen Grund­ver­ant­wor­tung, an einer gemein­wohl­ori­en­tierten Öffent­lich­keit mit­zu­ar­beiten und damit das gesell­schaft­liche Ver­trauen, das die Demo­kratie braucht, mit­zu­schaffen, nicht gerecht. Den zen­tralen Begriff „Medi­en­frei­heit“ in meinem Thema ver­stehe ich also nicht als indi­vi­duell belie­bige Willkür, als unbe­grenzte „Frei­heit von“, son­dern als kon­sti­tu­tio­nell demo­kra­tisch geord­neten Raum, der Medien vor Willkür und Macht­miss­brauch schützt und sie zugleich ihrer­seits in ihrer „Frei­heit für“ ange­mes­senes Han­deln zu dessen Schutz ver­pflichtet. Wel­chen Gefahren ist die Medi­en­frei­heit, ins­be­son­dere in den Trans­for­ma­ti­ons­län­dern aus­ge­setzt und wie kann sie zur Demo­kra­tie­ent­wick­lung in ihnen bei­tragen?
Die moderne Demo­kratie ent­stand – auf der Grund­lage eines vorher ent­wi­ckelten Rechts­staates – nicht als direkte Demo­kratie, son­dern bedurfte seit dem 19. und erst recht im 20. Jahr­hun­dert der Ver­mitt­lung durch Medien, die für eine brei­tere Öffent­lich­keit Infor­ma­tionen und Dis­kus­sionen von poli­ti­schen Vor­stel­lungen und Par­teien auf­be­rei­teten und ver­brei­teten. Das hat einen tech­nisch-​erkennt­nis­theo­re­ti­schen und einen demo­kra­tie­theo­re­ti­schen Aspekt.

Der tech­ni­sche liegt in der Not­wen­dig­keit, Kom­mu­ni­ka­tion auch zwi­schen den Bür­gern her­zu­stellen, die sich nicht direkt mit­ein­ander aus­tau­schen können. Ver­mitt­lung ist also aus rein prak­tisch-​empi­ri­schen Gründen not­wendig. Solche Ver­mitt­lung ist aber nicht als neu­tral-​trans­pa­rente Über­gabe denkbar, son­dern wirkt not­wendig auf den Inhalt und die Art der Kom­mu­ni­ka­tion ein. Denn genauso wie es keine Erkenntnis als sog. objek­tive Wie­der­gabe einer sog. objek­tiven Wirk­lich­keit gibt – die Lenin’sche Wider­spie­ge­lungs­theorie, die verbal immer noch in man­chen Köpfen spukt, gehörte zu den erkennt­nis­theo­re­tisch viel­leicht naiven, aber jeden­falls phi­lo­so­phisch unhalt­baren Ele­menten eines tota­li­tären Kom­mu­nismus -, genauso gibt es keine „objek­tive“ Kom­mu­ni­ka­tion, Mit­tei­lung, Wei­ter­gabe von Nach­richten oder Mei­nungen. Eine Aus­wahl aus der prin­zi­piell unend­li­chen Zahl von Nach­richten und eine damit ein­her­ge­hende Per­spek­ti­vität mit wer­tenden Impli­ka­tionen über ihre Wich­tig­keit bzw. Bedeu­tung ist unver­meidbar.

Dieses Dilemma kann in einer modernen plu­ra­lis­ti­schen Demo­kratie, die nicht nur fak­tisch eine Viel­falt von Inter­essen ent­hält, son­dern sie auch als legitim akzep­tiert, nicht prin­zi­piell über­wunden, son­dern nur demo­kra­tie­kon­form gestaltet werden. Die Grund­ma­xime dafür liegt in der For­de­rung, das Spek­trum der Inter­essen breit zu halten, ihr Gewicht vor Ein­sei­tig­keit zu schützen und den Raum für eine kon­tro­verse Dis­kus­sion zu sichern. Sie bietet die Chance, die ein­zelnen Inter­essen und Prio­ri­täten mit Kri­te­rien des Gemein­wohls zu ver­glei­chen, etwa gemäß dem Habermas’schen Kri­te­rium der Ver­all­ge­mei­ner­bar­keit der Inter­essen, und damit zugleich argu­men­tativ die Viel­falt der Lösungs­mög­lich­keiten und gewollten bzw. unge­wollten Folgen und Impli­ka­tion mög­li­cher Ent­schei­dungen aus­zu­loten, was der Soli­dität und der Gemein­wohl­ori­en­tie­rung der Ent­schei­dung zugute kommen soll. Damit führt bereits der tech­ni­sche Aspekt der Ver­mitt­lungs­auf­gabe von Medien zum zweiten demo­kra­tie­theo­re­ti­schen, d.h. zur demo­kra­ti­schen Ver­ant­wor­tung der Medien.

Denn wenn Demo­kratie die gleich­be­rech­tigte Teil­habe aller Bürger an der Politik bedeutet und Politik im wesent­li­chen die Vor­be­rei­tung und Durch­füh­rung von Ent­schei­dungen – oder auch Nicht-​Ent­schei­dungen bzw. Blo­ckaden – in Bezug auf Ange­le­gen­heiten meint, die kon­tro­vers beur­teilt werden und alle Bürger betreffen und binden, dann haben gemein­wohl­ori­en­tierte Ziele nur eine Chance, wenn sich die Bürger dar­über ver­stän­digen, wenn sie mög­lichst erschöp­fend dar­über argu­men­tieren und die Impli­ka­tionen von Ent­schei­dungen offen legen können. Öffent­lich­keit wurde so Jahr­zehnte lang demo­kra­tie­theo­re­tisch als eine Art Filter ange­sehen, der par­ti­ku­la­ris­ti­sche oder will­kür­liche Politik her­aus­zu­finden hilft und das demo­kra­ti­sche Gemein­wohl beför­dert. Imma­nuel Kant hat es ganz im glei­chen Sinne als eine Art Test für die Gerech­tig­keit von Ent­schei­dungen bezeichnet, wenn sie zu ihrer Ver­wirk­li­chung der Öffent­lich­keit bedürfen, wozu gehört, dass die Öffent­lich­keit dem zustimmen und eine gerechte Inter­es­sen­ab­wä­gung durch­führen kann. Wenn man dagegen im Dun­keln mun­kelt, bleibt die Gerech­tig­keit leicht auf der Strecke.

Damit ist zugleich gesagt, dass Demo­kratie, wie ich sie hier ver­stehe, nicht ein­fach ein wert­mäßig neu­trales Ent­schei­dungs­ver­fahren meint. Viel­mehr begreife ich sie als eine nor­mativ gestal­tete poli­ti­sche Ver­fas­sung und Lebens­form. Ent­spre­chend ihrer ideen­ge­schicht­li­chen wie grund­ge­setz­li­chen Bestim­mung dient sie dem Ziel, die gleiche Würde aller Men­schen im Sinne ihres glei­chen Rechts und ihrer glei­chen Pflicht zur Frei­heit, d.h. zur selbst­be­stimmten und ver­ant­wor­teten Lebens­füh­rung und soli­da­ri­schen Teil­habe am Gemein­wesen, zu ver­wirk­li­chen. Zu ihrer Rea­li­sie­rung und Fes­ti­gung braucht es nicht nur Gesetze und orga­ni­sierte Insti­tu­tionen, son­dern auch eine poli­ti­sche Kultur, die die die ange­mes­sene Hand­ha­bung der Insti­tu­tionen unter­stützt. Wir kennen die Maxime, dass Gesetze ihrem Geiste und Buch­staben gemäß ange­wendet werden sollen. Wir wissen auch, dass man sie immer miss­brau­chen oder per­ver­tieren kann, weil sich die Wirk­lich­keit, auf die sie ange­wendet werden sollen, in kein Gesetz ganz ein­fangen lässt. In Bezug auf die Gerech­tig­keit hat Aris­to­teles des­wegen in seiner berühmten Niko­ma­chi­schen Ethik am Ende seiner Aus­füh­rungen zur Gerech­tig­keit das „Gütige“ als ihren Gipfel gerühmt. Es besteht darin, auf ein eigenes Recht zu ver­zichten, wenn seine Ein­for­de­rung eine grö­ßere Unge­rech­tig­keit nach sich ziehen würde. Das Gütige als Grund­hal­tung brau­chen wir, so Aris­to­teles, in einem frei­heit­li­chen Gemein­wesen, weil sich die Gerech­tig­keit nie ganz in eine Geset­zes­re­ge­lung umsetzen lässt.

Wenn Demo­kratie also auf kul­tu­relle Unter­stüt­zung ange­wiesen ist, dann betrifft das einer­seits die Grund­hal­tung der Bürger. Auto­ri­täre Per­sön­lich­keiten, die ihr indi­vi­du­elles Urteils­ver­mögen unbe­fragten Auto­ri­täten unter­ordnen, die ihren Mit­bür­gern eher miss­trau­isch begegnen und nicht leicht mit ihnen koope­rieren, die also – das gehört ins Bild – weder Fremd-​ noch Selbst­ver­trauen und infol­ge­dessen auch keine Zukunfts­zu­ver­sicht auf­bringen, Bürger, die unge­niert ihre par­ti­ku­laren Inter­essen ver­fechten, ihre Macht aus­nutzen und sich um Fair­ness nicht scheren, Men­schen, die sich abge­wöhnt haben, zwi­schen Wahr­heit und Lüge zu unter­scheiden oder die die Lüge für ein ver­tret­bares Mittel halten, Gegner aus­zu­schalten – können eine Demo­kratie nicht auf­bauen oder bewahren. Sie zer­stören dass Grund­ver­trauen, das Men­schen sowohl für die mutige Gestal­tung ihres pri­vaten Lebens als auch für das Gelingen eines frei­heit­li­chen Gemein­we­sens, das eben grund­sätz­lich auf frei­wil­ligen Gehorsam und frei­wil­lige Koope­ra­tion baut, brau­chen. Ver­trauen ist die kul­tu­relle Nah­rung, ohne die eine Demo­kratie ver­küm­mert, ohne die sich die Bürger und Inter­es­sen­gruppen gegen­seitig im Wege stehen und blo­ckieren, anstatt die Kraft zur Gemein­sam­keit auf­zu­bringen und etwas zu ihrem gemein­samen Wohl auf­zu­bauen.

Diese Grund­hal­tung ihrer­seits wird aber – und dies ist das zweite – nicht gedeihen -, wenn die Medien ihr zuwi­der­han­deln, anstatt sie ihrer­seits zu för­dern. Wenn Bürger ein­seitig infor­miert werden, dann för­dert dies Miss­trauen, weil es der Kom­ple­xität der Wirk­lich­keit und der gesell­schaft­li­chen Wahr­neh­mungen, Ansprüche und Inter­essen nicht gerecht wird. Wenn Medien jen­seits der oben kurz skiz­zierten grund­sätz­lich-​phi­lo­so­phi­schen Schwie­rig­keit, ange­messen, d.h. in plu­ra­lis­ti­scher Breite zu kom­mu­ni­zieren, einer ganz anderen Logik folgen, wenn sie um ihres Über­leben willen vor allem auf Gewinn aus sein müssen und des­wegen ver­zer­rende Kam­pa­gnen betreiben, anstatt auf­zu­klären, dann werden sie ihrer demo­kra­ti­schen Grund­ver­ant­wor­tung, an einer gemein­wohl­ori­en­tierten Öffent­lich­keit mit­zu­ar­beiten und damit das gesell­schaft­liche Ver­trauen, das die Demo­kratie braucht, mit­zu­schaffen, nicht gerecht. Den zen­tralen Begriff „Medi­en­frei­heit“ in meinem Thema ver­stehe ich also nicht als indi­vi­duell belie­bige Willkür, als unbe­grenzte „Frei­heit von“, son­dern als kon­sti­tu­tio­nell demo­kra­tisch geord­neten Raum, der Medien vor Willkür und Macht­miss­brauch schützt und sie zugleich ihrer­seits in ihrer „Frei­heit für“ ange­mes­senes Han­deln zu dessen Schutz ver­pflichtet. Wel­chen Gefahren ist die Medi­en­frei­heit, ins­be­son­dere in den Trans­for­ma­ti­ons­län­dern aus­ge­setzt und wie kann sie zur Demo­kra­tie­ent­wick­lung in ihnen bei­tragen?
III. Insti­tu­tio­nelle und kul­tu­relle Gefahren für die Medi­en­frei­heit

Als erstes liegt die Gefahr jeg­li­cher poli­ti­scher Macht­kon­zen­tra­tion auf der Hand. Die tra­di­tio­nell bekannte in Dik­ta­turen – gar tota­li­tären Dik­ta­turen – muss ich wahr­schein­lich nicht näher beschreiben. Es ist klar, dass das ursprüng­lich mar­xis­ti­sche Argu­ment, die Macht des „Kapi­tals“ durch die geballte poli­ti­sche Macht des Volkes bzw. seiner Avant­garde zugunsten der wahren Volks­herr­schaft zu ersetzen, nicht diese letz­tere, son­dern selbst­er­nannte Eliten gegen das Volk pri­vi­le­giert hat. Diese Gefahr insti­tu­tio­nell, auf dem Wege von Ver­fas­sungs-​ und Geset­zes­än­de­rungen zu über­winden, gehörte in allen Trans­for­ma­ti­ons­län­dern zu den vor­ran­gigen Auf­gaben.

Frei­lich stand sie vor einer beson­ders kom­plexen Her­aus­for­de­rung: die alten Insti­tu­tionen mit ihren Kadern und kul­tu­rellen Gewohn­heiten zu über­winden und zugleich den neuen Gefahren wirt­schaft­li­cher Macht­kon­zen­tra­tion und der Ver­ab­so­lu­tie­rung kapi­ta­lis­ti­schen Pro­fit­logik zu wehren. Das Ganze unter Bedin­gungen eines neuen hef­tigen Schubs öko­no­mi­scher Glo­ba­li­sie­rung, die durch natio­nal­staat­liche Gesetze kaum zu beein­flussen ist und die den Trans­for­ma­ti­ons­län­dern mehr­heit­lich aus­län­di­sche Medi­en­ei­gen­tümer beschert hat, mit kom­pli­zierten Folgen für das gerade gewon­nene Selbst­be­stim­mungs­recht der vom Kom­mu­nismus befreiten Gesell­schaften. Dabei zeigt sich, dass „Frei­heit von“ leichter zu bewerk­stel­ligen ist als „Frei­heit für“.

Wo liegen die gefähr­li­chen Folgen der wirt­schaft­li­chen Macht­kon­zen­tra­tion und der Ver­ab­so­lu­tie­rung kapi­ta­lis­ti­scher Gewinn­logik? Aus den öffent­li­chen Dis­kus­sionen der eta­blierten Demo­kra­tien sind sie bekannt, wenn auch in der letzten Zeit m.E. nicht genü­gend prä­gnant erör­tert. Das Pro­blem liegt wohl weniger im Ein­fluss der Eigen­tümer auf die Jour­na­listen als im Zwang des Wett­be­werbs, so preis­günstig wie mög­lich zu pro­du­zieren und so erfolg­reich wie mög­lich die Medi­en­pro­dukte abzu­setzen. Die Ein­spa­rung von Per­sonal, von fest ange­stellten Jour­na­listen hat schon seit län­gerem zu einem klar erkenn­baren Qua­li­täts­ver­lust in Recherche und Ana­lyse geführt. Wenn nicht genü­gend Zeit und kom­pe­tente Per­sonen zur Ver­fü­gung stehen, solide infor­miert und ana­ly­tisch reflek­tiert über Sach­ver­halte und Zusam­men­hänge zu berichten und sie zu kom­men­tieren, wenn dar­über hinaus – auch aus Gründen der Kos­ten­er­sparnis – die inhalt­lich selben Pro­dukte in ver­schie­dener Auf­ma­chung erscheinen, dann leiden dar­unter die Gründ­lich­keit der Recherche und die Viel­falt der Aspekte und Argu­mente, die eine demo­kra­ti­sche Öffent­lich­keit und mit ihr die han­delnden Poli­ti­ke­rinnen und Poli­tiker brau­chen, um solide und ver­trau­en­er­we­ckende Ent­schei­dungen zu fällen bzw. kri­tisch zu rezi­pieren.

Dar­über hinaus wächst die Ver­su­chung zur Skan­da­li­sie­rung, um die Auf­la­gen­höhe zu stei­gern, und zur Bana­li­sie­rung, um den Stoff mund­ge­recht zu ser­vieren. Hier glaube ich übri­gens, dass die Gesell­schaft auch in ihren sehr unter­schied­li­chen Schichten bereiter ist als gene­rell ange­nommen wird, kom­pli­zierte Sach­ver­halte zu ver­stehen, wenn sie Ver­trauen in Per­sonen und Insti­tu­tionen gefasst hat, die dies zu ver­mit­teln suchen.

Mit Skan­da­li­sie­rung und Bana­li­sie­rung ent­steht eine Ver­zer­rung von Wirk­lich­keit, die über die unaus­weich­liche Per­spek­ti­vität weit hinaus geht, eine Unter­schei­dung zwi­schen Wahr­heit und Lüge scheinbar (nicht wirk­lich!) über­flüssig macht und das Ver­trauen nicht nur zwi­schen Politik und Gesell­schaft, son­dern auch inner­halb der Gesell­schaft beschä­digt, ja zer­stört, weil mit dem Ver­lust der Wahr­heits­bin­dung auch die Gerech­tig­keit auf der Strecke bleibt.

Die Ver­ab­so­lu­tie­rung der Markt-​ und Wett­be­werbs­logik unter­mi­niert auch die zur Demo­kratie erfor­der­liche Ver­ant­wor­tung der Men­schen als poli­ti­scher Bürger, als „Citoyens“ im Unter­schied zum „Bour­geois“, weil sie als Kon­su­menten, nicht als mit­ver­ant­wort­liche Akteure ange­spro­chen werden. Sie können dann bequem im Sessel sitzen und sich den Mund über all die Tor­heit, die Gewinn­sucht, die Lächer­lich­keit der han­delnden Politik zer­fetzen, ohne sich der Ver­pflich­tung zu unter­ziehen, sich an deren Stelle zu setzen, was heißt: unter Bedin­gungen der unver­meid­li­chen Unge­wiss­heit in der Sache und des viel­fa­chen Inter­es­sen­drucks zu ent­scheiden, und ohne die Ver­pflich­tung, sich für kon­struk­tive Alter­na­tiven ver­ant­wort­lich zu fühlen.

Damit sind wir schon bei den kul­tu­rellen Folgen der insti­tu­tio­nellen Markt-​ und Gewinn­logik. Hier sind Hin­der­nisse auf Seiten der Jour­na­listen zu nennen. Ein völlig ver­ständ­li­cher Ehr­geiz, in dieser Logik zu bestehen, bekräf­tigt den Wunsch, im Wett­be­werb auf­zu­fallen, Punkte zu machen, von anderen zitiert zu werden, auch wenn dies zu Unsach­lich­keit und einer Ver­zer­rung führt, die an Lüge grenzt. Denn der Zusam­men­hang, in den Fakten gebracht werden (die ihrer­seits natür­lich stimmen müssen), kon­sti­tu­iert deren jewei­lige Wahr­heit, die nicht absolut zu errei­chen, aber durchaus absolut zu ver­fehlen ist, wenn man z.B. erkenn­bare Gegen­ar­gu­mente oder wider­spre­chende andere Fakten ver­schweigt. Und wenn man sich, z. B unter Zeit­druck, nicht an die Ver­pflich­tung hält, Behaup­tungen anhand unab­hän­giger alter­na­tiver Quellen zu prüfen.

Ange­sichts eines Wett­be­werbs, der einen Kampf aller gegen alle nahe legt und damit aus wirt­schaft­li­chen Gründen eine Situa­tion wie in Hobbes’ poli­ti­scher Welt der Wölfe herauf führt, reagieren viele Jour­na­listen aus­ge­spro­chen all­er­gisch, wenn man sie ihrer­seits kri­ti­siert, begreifen sie sich doch als Wächter der Öffent­lich­keit, deren Auto­rität und Unpar­tei­lich­keit außer Frage steht. Die Medien dürfen, sollen, müssen die Politik nicht nur kri­ti­sieren – was ja im genauen Wort­sinn „son­dern“ heißt, also unter­scheiden, zwi­schen gut und schlecht, falsch und richtig etc. und was der Demo­kratie völlig ange­messen wäre. Sie dürfen sie auch viel­fach höh­nend oder iro­nisch-​über­legen atta­ckieren, aber wehe, die Politik zahlt mit glei­cher Münze heim! Dagegen hält die Zunft dann oft wie Pech und Schwefel zusammen, ohne zu begreifen, dass sie der Wahr­heit und den ethi­schen Geboten der Demo­kratie genauso zu dienen hat wie die Politik. Blind machender Ehr­geiz, Kor­rum­pier­bar­keit, Träg­heit und man­gelnde Moral sind kein Pri­vileg der Politik, son­dern Ver­füh­rungen, denen wir alle aus­ge­setzt sind und gegen die nur gegen­sei­tige Kor­rektur und Kri­tikof­fen­heit hilft.

Als erstes liegt die Gefahr jeg­li­cher poli­ti­scher Macht­kon­zen­tra­tion auf der Hand. Die tra­di­tio­nell bekannte in Dik­ta­turen – gar tota­li­tären Dik­ta­turen – muss ich wahr­schein­lich nicht näher beschreiben. Es ist klar, dass das ursprüng­lich mar­xis­ti­sche Argu­ment, die Macht des „Kapi­tals“ durch die geballte poli­ti­sche Macht des Volkes bzw. seiner Avant­garde zugunsten der wahren Volks­herr­schaft zu ersetzen, nicht diese letz­tere, son­dern selbst­er­nannte Eliten gegen das Volk pri­vi­le­giert hat. Diese Gefahr insti­tu­tio­nell, auf dem Wege von Ver­fas­sungs-​ und Geset­zes­än­de­rungen zu über­winden, gehörte in allen Trans­for­ma­ti­ons­län­dern zu den vor­ran­gigen Auf­gaben.

Frei­lich stand sie vor einer beson­ders kom­plexen Her­aus­for­de­rung: die alten Insti­tu­tionen mit ihren Kadern und kul­tu­rellen Gewohn­heiten zu über­winden und zugleich den neuen Gefahren wirt­schaft­li­cher Macht­kon­zen­tra­tion und der Ver­ab­so­lu­tie­rung kapi­ta­lis­ti­schen Pro­fit­logik zu wehren. Das Ganze unter Bedin­gungen eines neuen hef­tigen Schubs öko­no­mi­scher Glo­ba­li­sie­rung, die durch natio­nal­staat­liche Gesetze kaum zu beein­flussen ist und die den Trans­for­ma­ti­ons­län­dern mehr­heit­lich aus­län­di­sche Medi­en­ei­gen­tümer beschert hat, mit kom­pli­zierten Folgen für das gerade gewon­nene Selbst­be­stim­mungs­recht der vom Kom­mu­nismus befreiten Gesell­schaften. Dabei zeigt sich, dass „Frei­heit von“ leichter zu bewerk­stel­ligen ist als „Frei­heit für“.

Wo liegen die gefähr­li­chen Folgen der wirt­schaft­li­chen Macht­kon­zen­tra­tion und der Ver­ab­so­lu­tie­rung kapi­ta­lis­ti­scher Gewinn­logik? Aus den öffent­li­chen Dis­kus­sionen der eta­blierten Demo­kra­tien sind sie bekannt, wenn auch in der letzten Zeit m.E. nicht genü­gend prä­gnant erör­tert. Das Pro­blem liegt wohl weniger im Ein­fluss der Eigen­tümer auf die Jour­na­listen als im Zwang des Wett­be­werbs, so preis­günstig wie mög­lich zu pro­du­zieren und so erfolg­reich wie mög­lich die Medi­en­pro­dukte abzu­setzen. Die Ein­spa­rung von Per­sonal, von fest ange­stellten Jour­na­listen hat schon seit län­gerem zu einem klar erkenn­baren Qua­li­täts­ver­lust in Recherche und Ana­lyse geführt. Wenn nicht genü­gend Zeit und kom­pe­tente Per­sonen zur Ver­fü­gung stehen, solide infor­miert und ana­ly­tisch reflek­tiert über Sach­ver­halte und Zusam­men­hänge zu berichten und sie zu kom­men­tieren, wenn dar­über hinaus – auch aus Gründen der Kos­ten­er­sparnis – die inhalt­lich selben Pro­dukte in ver­schie­dener Auf­ma­chung erscheinen, dann leiden dar­unter die Gründ­lich­keit der Recherche und die Viel­falt der Aspekte und Argu­mente, die eine demo­kra­ti­sche Öffent­lich­keit und mit ihr die han­delnden Poli­ti­ke­rinnen und Poli­tiker brau­chen, um solide und ver­trau­en­er­we­ckende Ent­schei­dungen zu fällen bzw. kri­tisch zu rezi­pieren.

Dar­über hinaus wächst die Ver­su­chung zur Skan­da­li­sie­rung, um die Auf­la­gen­höhe zu stei­gern, und zur Bana­li­sie­rung, um den Stoff mund­ge­recht zu ser­vieren. Hier glaube ich übri­gens, dass die Gesell­schaft auch in ihren sehr unter­schied­li­chen Schichten bereiter ist als gene­rell ange­nommen wird, kom­pli­zierte Sach­ver­halte zu ver­stehen, wenn sie Ver­trauen in Per­sonen und Insti­tu­tionen gefasst hat, die dies zu ver­mit­teln suchen.

Mit Skan­da­li­sie­rung und Bana­li­sie­rung ent­steht eine Ver­zer­rung von Wirk­lich­keit, die über die unaus­weich­liche Per­spek­ti­vität weit hinaus geht, eine Unter­schei­dung zwi­schen Wahr­heit und Lüge scheinbar (nicht wirk­lich!) über­flüssig macht und das Ver­trauen nicht nur zwi­schen Politik und Gesell­schaft, son­dern auch inner­halb der Gesell­schaft beschä­digt, ja zer­stört, weil mit dem Ver­lust der Wahr­heits­bin­dung auch die Gerech­tig­keit auf der Strecke bleibt.

Die Ver­ab­so­lu­tie­rung der Markt-​ und Wett­be­werbs­logik unter­mi­niert auch die zur Demo­kratie erfor­der­liche Ver­ant­wor­tung der Men­schen als poli­ti­scher Bürger, als „Citoyens“ im Unter­schied zum „Bour­geois“, weil sie als Kon­su­menten, nicht als mit­ver­ant­wort­liche Akteure ange­spro­chen werden. Sie können dann bequem im Sessel sitzen und sich den Mund über all die Tor­heit, die Gewinn­sucht, die Lächer­lich­keit der han­delnden Politik zer­fetzen, ohne sich der Ver­pflich­tung zu unter­ziehen, sich an deren Stelle zu setzen, was heißt: unter Bedin­gungen der unver­meid­li­chen Unge­wiss­heit in der Sache und des viel­fa­chen Inter­es­sen­drucks zu ent­scheiden, und ohne die Ver­pflich­tung, sich für kon­struk­tive Alter­na­tiven ver­ant­wort­lich zu fühlen.

Damit sind wir schon bei den kul­tu­rellen Folgen der insti­tu­tio­nellen Markt-​ und Gewinn­logik. Hier sind Hin­der­nisse auf Seiten der Jour­na­listen zu nennen. Ein völlig ver­ständ­li­cher Ehr­geiz, in dieser Logik zu bestehen, bekräf­tigt den Wunsch, im Wett­be­werb auf­zu­fallen, Punkte zu machen, von anderen zitiert zu werden, auch wenn dies zu Unsach­lich­keit und einer Ver­zer­rung führt, die an Lüge grenzt. Denn der Zusam­men­hang, in den Fakten gebracht werden (die ihrer­seits natür­lich stimmen müssen), kon­sti­tu­iert deren jewei­lige Wahr­heit, die nicht absolut zu errei­chen, aber durchaus absolut zu ver­fehlen ist, wenn man z.B. erkenn­bare Gegen­ar­gu­mente oder wider­spre­chende andere Fakten ver­schweigt. Und wenn man sich, z. B unter Zeit­druck, nicht an die Ver­pflich­tung hält, Behaup­tungen anhand unab­hän­giger alter­na­tiver Quellen zu prüfen.

Ange­sichts eines Wett­be­werbs, der einen Kampf aller gegen alle nahe legt und damit aus wirt­schaft­li­chen Gründen eine Situa­tion wie in Hobbes’ poli­ti­scher Welt der Wölfe herauf führt, reagieren viele Jour­na­listen aus­ge­spro­chen all­er­gisch, wenn man sie ihrer­seits kri­ti­siert, begreifen sie sich doch als Wächter der Öffent­lich­keit, deren Auto­rität und Unpar­tei­lich­keit außer Frage steht. Die Medien dürfen, sollen, müssen die Politik nicht nur kri­ti­sieren – was ja im genauen Wort­sinn „son­dern“ heißt, also unter­scheiden, zwi­schen gut und schlecht, falsch und richtig etc. und was der Demo­kratie völlig ange­messen wäre. Sie dürfen sie auch viel­fach höh­nend oder iro­nisch-​über­legen atta­ckieren, aber wehe, die Politik zahlt mit glei­cher Münze heim! Dagegen hält die Zunft dann oft wie Pech und Schwefel zusammen, ohne zu begreifen, dass sie der Wahr­heit und den ethi­schen Geboten der Demo­kratie genauso zu dienen hat wie die Politik. Blind machender Ehr­geiz, Kor­rum­pier­bar­keit, Träg­heit und man­gelnde Moral sind kein Pri­vileg der Politik, son­dern Ver­füh­rungen, denen wir alle aus­ge­setzt sind und gegen die nur gegen­sei­tige Kor­rektur und Kri­tikof­fen­heit hilft.
IV. Die beson­dere Situa­tion der Trans­for­ma­ti­ons­länder

Dies alles gilt bereits für eta­blierte Demo­kra­tien. In Trans­for­ma­ti­ons­län­dern kommt hinzu, dass weder die neuen poli­ti­schen Insti­tu­tionen noch erst recht eine demo­kra­ti­sche poli­ti­sche Kultur Zeit hatten, sich zu fes­tigen, so dass die Gefahren des kapi­ta­lis­ti­schen Marktes sich leicht und oft schwer durch­dringbar mit denen der über­kom­menen unde­mo­kra­ti­schen Tra­di­tionen und Eliten der über­wun­denen Dik­ta­turen ver­knüpfen und sich dadurch gegen­seitig ver­stärken. Wenn ein ver­mach­teter Medi­en­markt mit einer auto­ritär-​dik­ta­to­ri­schen Tra­di­tion poli­ti­scher Kultur und unzu­rei­chen­denden Medi­en­ge­setzen zusammen kommen, hat es die Demo­kra­tie­ent­wick­lung schwer. Über­dies machen wir immer wieder die Erfah­rung, dass die über­kom­menen Eliten von ihren sozialen Netzen pro­fi­tieren und von aus­län­di­schen Inves­toren gern wegen ihrer Gewinn brin­genden Effek­ti­vität gehalten werden.

Wir haben bisher auf die innere Situa­tion der Trans­for­ma­ti­ons­länder geblickt. Aber wie in West­eu­ropa nach 1945 hängt das Gelingen der Demo­kra­ti­sie­rung vom euro­päi­schen Kon­text ab. Die demo­kra­tie­po­li­ti­sche Chance der west­deut­schen Bun­des­re­pu­blik lag – neben der Tra­di­tion demo­kra­tisch-​poli­ti­scher Par­tei­tra­di­tionen von CDU/CSU, SPD und den nicht deutsch-​natio­nalen Libe­ralen in ihrer Ein­bet­tung in die west­eu­ro­päi­sche Inte­gra­tion und in die NATO. Mit den­selben Argu­menten ist für die rasche Auf­nahme der post­kom­mu­nis­ti­schen Länder in die Euro­päi­sche Union plä­diert worden. Die Sta­bi­li­sie­rung ihrer Demo­kra­tien durch die euro­päi­sche Inte­gra­tion und die Ein­spa­rung einer natio­nalen Ver­tei­di­gung, die kost­spie­liger geworden wäre als die Ein­glie­de­rung in die NATO, waren wich­tige poli­ti­sche Gesichts­punkte in der poli­ti­schen Dis­kus­sion.

Umfragen etwa in Polen haben auch gezeigt, dass die mit­tel­ost­eu­ro­päi­schen Gesell­schaften von der Inte­gra­tion in die Euro­päi­schen Union durchaus eine über­zeu­gen­dere Qua­lität ihrer Demo­kra­tien erwartet haben und erwarten. In Bezug auf die Medien zeigt sich aller­dings hier ein beson­deres Pro­blem. Denn die Bericht­erstat­tung west­eu­ro­päi­scher Jour­na­listen in deren Hei­mat­län­dern ist nicht immer hilf­reich, wenn sie denn über­haupt in nen­nens­wertem Maße statt­findet. Ange­sichts des his­to­ri­schen Infor­ma­tions-​ und Inter­es­sen­ge­fälles von Ost nach West und tief ver­wur­zelter nega­tiver Vor­ur­teile gegen­über dem Osten, war und ist es auch unter demo­kra­tie­po­li­ti­schem Aspekt wichtig, die Befes­ti­gung dieser Vor­ur­teile zu ver­meiden. Sie geschieht aber leicht, wenn man die neuen Demo­kra­tien pater­na­lis­tisch als defi­zi­ente Nach­zügler in Sachen Demo­kratie beschreibt, ohne ihre jewei­ligen his­to­ri­schen und kul­tu­rellen Vor­aus­set­zungen und Beson­der­heiten zu erläu­tern und ohne die gene­rellen Pro­bleme einer rasanten Moder­ni­sie­rung unter den beson­deren Bedin­gungen der öko­no­mi­schen Glo­ba­li­sie­rung mit ihren – auch im Westen – gra­vie­renden sozialen Umbrü­chen und Ver­wer­fungen zurei­chend in Rech­nung zu stellen.

In Bezug auf Polen z.B. ent­steht dann leicht ein Ein­druck sozialer Rück­stän­dig­keit, reli­giöser Bor­niert­heit und poli­ti­scher Stur­heit, der sich mit den tra­di­tio­nellen Vor­ur­teilen (sie sind ja fast immer negativ!) ver­bindet und sie bekräf­tigt. Wenn die Bericht­erstat­tung sich dann zusätz­lich auf die Haupt­stadt kon­zen­triert und das Land de facto mit seiner jewei­ligen Regie­rung iden­ti­fi­ziert und die gesell­schaft­liche Viel­falt auf einige Skur­ri­li­täten zusammen schnurren lässt, dann weckt und stärkt das nega­tive Ein­stel­lungen auf beiden Seiten und dient weder der Ent­wick­lung der natio­nalen Demo­kra­tien noch der demo­kra­ti­schen euro­päi­schen Eini­gung, die ihrer­seits die Demo­kra­tien sta­bi­li­sieren könnte.
V. Chancen der Demo­kra­tie­ent­wick­lung durch die Medien

Aus den bis­he­rigen Über­le­gungen lassen sich 10 zusam­men­fas­sende For­de­rungen ableiten. Wie immer, wenn es um Demo­kra­ti­sie­rung geht, müssen wir an insti­tu­tio­nelle und an kul­tu­relle Wege denken.

Zu den wich­tigsten insti­tu­tio­nellen gehört die kluge Ver­an­ke­rung der Medi­en­frei­heit in den neuen demo­kra­ti­schen Ver­fas­sungen. Dies ist in der Regel der Fall.
Dazu gehören aller­dings auch Medi­en­ge­setze, die die Erfah­rungen der west­li­chen Länder ebenso berück­sich­tigen wie die neue Mischung von dik­ta­to­risch-​poli­ti­schen und kapi­ta­lis­tisch-​öko­no­mi­schen Gefahren. Diese dürfen nicht durch andere Vor­schriften (z.B. im Straf­recht oder in Sicher­heits­ge­setzen oder staat­liche Inter­ven­tion aus­ge­he­belt werden.)
Zen­tral bedeu­tend ist dabei die Ein­schrän­kung von wirt­schaft­li­cher und poli­ti­scher Macht­kon­zen­tra­tion …
… und eine reflek­tierte Ver­bin­dung von öffent­li­chen und pri­vaten Medien, wobei die öffent­li­chen sowohl den par­tei­po­li­ti­schen Miss­brauch als auch die Blo­ckade einer über­trie­benen gesell­schaft­li­chen „Aus­ge­wo­gen­heit“ von Auf­sichts­räten ver­meiden müssen, weil sonst ori­gi­nelle und unab­hän­gige Kritik „weg-​nivel­liert“ wird.
Für die Öffent­li­chen muss genug Raum bleiben, weil die pri­vaten Medien erfah­rungs­gemäß Infor­ma­tion, Ana­lyse und Kultur zu kurz kommen lassen, auf die eine leben­dige Demo­kratie aber ange­wiesen ist.
und das ist an dieser Stelle und an Ihre Adresse gerichtet viel­leicht die wich­tigste Anre­gung: Eta­blieren Sie medi­en­in­terne Jurys, die Miss­brauch ver­folgen und pro­fes­sio­nelle Kritik mit wirk­samen Sank­tionen anwenden. Das wich­tigste Kon­struk­ti­ons­prinzip der Insti­tu­tionen ist die Trans­pa­renz. Denn es gibt keine Inter­es­sen­neu­tra­lität und auch keine Objek­ti­vität der Medien. Trans­pa­renz aber hilft am besten, Inter­essen zu ver­folgen und deren mög­li­chen nega­tiven Kon­se­quenzen ent­ge­gen­zu­wirken.
Zu den kul­tu­rellen Ele­menten
Die insti­tu­tio­nellen Rege­lungen müssen sich mit der Fest­le­gung und immer erneuten öffent­li­chen Refle­xion demo­kra­ti­scher kul­tu­reller Stan­dards ver­binden, die bis in die Jour­na­lis­ten­aus­bil­dung rei­chen sollten.
Auch dies möchte ich an dieser Stelle ganz deut­lich her­vor­heben: Debatten zwi­schen unter­schied­li­chen medialen Posi­tionen halte ich für überaus wichtig, eine Wagen­burg-​Men­ta­lität unter Kol­legen nach dem Motto „right or wrong my col­le­ague“ für dys­funk­tional. Die Dis­kre­di­tie­rung von sol­chen Debatten als „Zer­strit­ten­heit“ dient der Demo­kratie nicht, die auf den Aus­trag der Plu­ra­lität von Aspekten zugunsten des Gemein­wohls ange­wiesen ist. Auch Poli­ti­ker­be­schimp­fung, ebenso wie die simple Mora­li­sie­rung von Kon­flikten anstelle ihrer sorg­fäl­tigen Ana­lyse macht es sich zu leicht und geht an den Not­wen­dig­keiten der Demo­kratie vorbei
Ganz ent­schei­dend ist m.E. zur Stär­kung der Demo­kra­tie­ent­wick­lung in den Trans­for­ma­ti­ons­län­dern die Euro­päi­sie­rung der öffent­li­chen Debatten. Dass Polen in Deutsch­land kri­tisch über Politik und Gesell­schaft ihres Landes urteilen ebenso wie Deut­sche in Polen hilft der euro­päi­schen Ver­stän­di­gung und Inte­gra­tion und darf nicht zugunsten einer natio­nalen Regres­sion ver­un­glimpft werden. Wir Deut­sche oder: Wir Jour­na­listen oder: Wir Poli­tiker müssen zusam­men­halten! – das ist die fal­sche Devise. Wir müssen alle mit­ein­ander fair umgehen, aber zugleich eigen­ständig und zivil­cou­ra­giert. Demo­kra­tie­ent­wick­lung gelingt nicht mehr rein national, son­dern nur noch min­des­tens euro­pä­isch, eigent­lich nur noch global.
Die letzte und beste Instanz für das Gelingen von Demo­kra­tie­ent­wick­lung in unserer öko­no­misch und kul­tu­rell glo­ba­li­sierten geschicht­li­chen Situa­tion ist eine wache, kri­ti­sche in eigener poli­ti­scher Akti­vität (auch etwa der orga­ni­sierten Zivil­ge­sell­schaft) erfah­rene Öffent­lich­keit, so wie schon die berühmten „Federa­list Papers“ in der Dis­kus­sion um die ame­ri­ka­ni­sche Ver­fas­sung darauf hin­ge­wiesen haben, dass gegen allen Miss­brauch insti­tu­tio­neller Rege­lungen allein der „manly spirit“ der Ame­ri­kaner eine Garantie zu bieten vermag. Heute gehören aller­dings auch, viel­leicht ganz beson­ders die Frauen dazu. Und das ist gut so!

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