nr18: Trainingscamp, Diskussionsforum, Eckkneipe
Einen Preis für MeToo-Berichterstattung, einen Preis für einen verschlossenen Bürgermeister und jede Menge Workshops, Debatten und Gespräche – das war die nr18.
Ein Rückblick von Jonathan Gruber
Der verstorbene Mitbegründer des Netzwerks Recherche Thomas Leif sagte einmal, recherchierende Journalistinnen und Journalisten seien keine einsamen Wölfe, sondern zögen ihre Stärke aus der Arbeit im Team. Ende Juni traf sich dieses Team mal wieder zur Netzwerk-Recherche-Jahreskonferenz (nr18) in Hamburg.
In über 100 Veranstaltungen diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter anderem über Frauen im Journalismus, die Zukunft des Lokaljournalismus und die Nähe zur Politik, lernten in Workshops etwas über investigative Recherche und Datenjournalismus und begegneten dabei allerlei bekannten und neuen Gesichtern.
Vor allem neue weibliche Gesichter. Netzwerk-Recherche-Vorstandsmitglied Kuno Haberbusch erzählte, dass bei der ersten Konferenz vor 18 Jahren alle Referenten männlich gewesen seien. In diesem Jahr lag der Frauenanteil auf den Podien immerhin bei 42 Prozent. Es war eines der großen Themen der nr18: die Rolle der Frau im Journalismus. Laut Angabe der Initiative Pro Quote war noch vor sechs Jahren bei der Süddeutschen Zeitung nur knapp jede 25. Führungsperson eine Frau, mittlerweile sei es jede Fünfte. In der ARTE-Programmkonferenz sind die acht stimmberechtigten Mitglieder dagegen immer noch allesamt männlich. Pro Quote drängt auf ein 50:50-Verhältnis in den Führungspositionen. Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer sagte, sein Magazin habe genau solchen Druck von außen gebraucht, um sich zu verändern und mehr Frauen Verantwortung zu übertragen (mehr zum Thema im Beitrag von Isolde Fugunt).
Datenvisualisierung: Sind Tortengrafiken ok? Muss die x-Achse immer bei Null anfangen? @lisacrost zeigt bei #nr18 die spannendsten Kontroversen über Datengrafiken in News: https://t.co/vrbEB02uKE
— ARDZDFmedienakademie (@ARDZDF_Akademie) June 30, 2018
@flightradar24 ist nicht nur für Nerds ein äußerst spannendes Recherchetool – meine Rede. Was @paldhous damit gemacht hat, ist sehr beeindruckend. #spiesintheskies #nr18 pic.twitter.com/depcaKZyMo
— Jannis Frech (@Kuempser) June 29, 2018
"Es ist inzwischen keine Frage mehr, dass wir Innovation brauchen", sagen @ploechinger und @herrhorn bei #nr18 – nur: die Debatte in kleineren Redaktionen dreht sich leider immer noch um die Frage: wie mit teuren, innovativen Projekten auch Geld machen?!
— Hanna Spanhel (@HannaSpanhel) June 29, 2018
Wie Journalisten (und ein Großteil der Bevölkerung) mit Daten und Statistiken ausgetrickst werden, zeigen Björn Christensen von der FH Kiel und @p_seibt gerade in R3. #nr18 pic.twitter.com/ryyvD4lqpk
— Netzwerk Recherche (@nrecherche) June 29, 2018
Full house bei @ltrgoddard: Mittels Python-Skript hat er aus 1.3TB gescrapten Darknet-Daten unzählige Email-Adressen ausgelesen – und zwar über die öffentlichen GPG-Schlüssel, die Darknet-Verkäufer nachlässig veröffentlichten. #nr18 pic.twitter.com/WQnE5c2nSi
— Konrad Weber (@konradweber) June 29, 2018
Und auch spannend: "Die Aufmerksamkeit des Publikums reicht maximal für 48 Stunden. Dann müssen alle Geschichten des Projekts draußen sein." #nr18 https://t.co/8kGhRHgYBD
— Christina Elmer (@ChElm) June 29, 2018
Bei #nr18 @ArminWolf zur Methodik bei TV-Interviews. Sehr spannend. Nur ein Zitat „Du musst alle 30 Sekunden entscheiden, ob Du deinen Gesprächspartner unterbrichst oder nicht.“
— Jonathan Sachse (@jsachse) June 29, 2018
Gute Frage von T. von Bergen: „Was sollten Journalisten über Google und Facebook recherchieren, um etwas zu bewirken?“ @gutjahr: „Wir brauchen einen Snowden aus dem inneren Zirkel von Zuckerberg oder Apple.“ #nr18
— Fiete Stegers (@fiete_stegers) June 29, 2018
Den Leuchtturm-Preis für besondere publizistische Leistungen verlieh Netzwerk Recherche in diesem Jahr an das MeToo-Rechercheteam der ZEIT, stellvertretend an Jana Simon, Annabel Wahba und Christian Fuchs. Sie berichteten über Vorwürfe der sexuellen Nötigung gegen den Filmregisseur Dieter Wedel.
Laudatorin Anja Reschke sprach von der Aufgabe des Journalismus, Aufmerksamkeit auf wichtige Themen zu lenken, damit sich eine Gesellschaft weiterentwickeln könne: „Das Team hat es geschafft, die MeToo-Debatte aus dem fernen Hollywood nach Deutschland zu holen. Der Artikel hat etwas in Bewegung gebracht, wovor wir viel zu lange die Augen verschlossen haben. Dabei haben die Autorinnen und Autoren kein Schwarz-Weiß-Bild gezeichnet, sondern sich im Detail mit einem Skandal auseinandergesetzt, der symbolisch für ein gesellschaftliches Problem steht.“ (Die vollständige Laudatio kann hier nachgelesen werden.)
Was vom einen mit einem Preis ausgezeichnet wird, wird von dem nächsten misstrauisch beäugt – denn immerhin handelte es bei den Zeit-Recherchen um Verdachtsberichterstattung. Dieter Wedel streitet bislang alle Vorwürfe ab. Wie geht man als Journalistin, als Journalist mit Misstrauen um? Und was, wenn einem Teile des eigenen Publikums misstrauen? „Erklären, erklären, erklären“, lautete die einstimmige Antwort von Armin Wolf (ORF) und Susanne Wille (SRF) beim Panel „Die Populisten und die Medien“. Nur indem man Journalismus erkläre, Recherchen erkläre und transparent das eigene Vorgehen abbilde, könne man dem Misstrauen entgegenwirken. Viele würden vom Journalismus grundsätzlich Objektivität verlangen, verstünden aber nur solche Berichterstattung als objektiv, die mit ihrer eigenen Meinung übereinstimme. Deshalb forderte Wille auch eine Abkehr vom aufgeladenen Begriff der journalistischen Neutralität: „Ich finde die Bezeichnung ‚sachgerecht‘ besser. Es bedeutet, die wichtigsten Argumente beider Seiten zu erklären und abzubilden.“
"Leute müssen ja meine Berichte auch einschätzen können. Dieser Neutralitätsanspruch im Journalismus ist doch absurd." @AnjaReschke1 über die private und öffentliche Rolle als Journalist in sozialen Netzwerken. Jetzt bei #nr18
— Hannah Schifko (@madamekann) June 29, 2018
„Lügen heißt, bewusst Unwahrheiten verbreiten. Das ist genau das Gegenteil von dem, wofür der Beruf des Journalisten erfunden wurde. Ich lüge nicht in meiner Arbeit.“ @ArminWolf wehrt sich bei #nr18 zurecht gegen den Vorwurf der Lügenpresse.
— Isabel Schneider (@isicomeeasygo) June 29, 2018
Sachgerechte, inhaltsstarke Berichterstattung ist auch das, was der Lokaljournalismus unbedingt benötigt, um zu überleben. Das behauptet zumindest Benjamin Piel, Chefredakteur des Mindener Tageblatts. Zusammen mit Sabine Schicketanz, Chefredakteurin der Potsdamer Neuste Nachrichten diskutierte er über die Zukunft des Lokaljournalismus. Schicketanz und Piel begreifen die Umsatzeinbußen der vergangenen Jahre auch als Chance: „Uns hat der Prozess des Kleinerwerdens geholfen“, sagte Schicketanz. Man würde nun zwar mit weniger Personal arbeiten, dafür sich aber auch auf weniger Inhalte konzentrieren. Der Lokaljournalismus müsse endlich ganz selbstverständlich auch schwierige Geschichten recherchieren. Geschichten, die vielleicht zunächst auf Widerstand in der Gemeinde prallen, aber auch wichtige Debatten anstoßen.
Anders als den Bürgermeister triffst du Merkel nämlich nicht morgens beim Bäcker, nicht beim Scheunenfest; sie ist nicht deine Nachbarin und ihr Sohn spielt auch nicht mit deinem in einer Fußballmannschaft. Der #Lokaljournalismus ist einfacher als das Überregionale? Nope. #nr18 https://t.co/bagaLATby6
— Dani (@DanielaLottmann) June 30, 2018
Simone Wendler, Lausitzer Rundschau: "Wir erleben, dass es derzeit Mode wird, die Amtsblätter der Behörden zu benutzen, um Lokaljournalisten an einen örtlichen Pranger zu stellen." #NR18
— Martin Kaul (@martinkaul) June 30, 2018
Wie schwerwiegend solch Widerstand im Lokaljournalismus ausfallen kann, dass würdigte das Netzwerk Recherche mit seinem Negativpreis „Verschlossene Auster“. Als „Informationsblockierer des Jahres“ wurde in diesem Jahr der Bürgermeister von Burladingen in Baden-Württemberg, Harry Ebert, ausgezeichnet. Ebert missbrauchte das städtische Amtsblatt zur Stimmungsmache und Abstrafung von ungeliebten Journalistinnen und Journalisten und verweigerte ihnen grundsätzlich Informationen. Einer Journalistin wurde gar der Zutritt zu städtischen Gebäuden verboten. Wie kann eine Lokalredaktion mit so einem Fall umgehen? Die Antwort des anschließenden Panels: per Schulterschluss mit anderen (überregionalen) Redaktionen (Teamarbeit!) und mit Transparenz gegenüber dem eigenen Publikum. Warum antwortet der Bürgermeister nicht? Warum sollte er antworten? Wofür brauchen wir die Informationen? Am Ende wählt dieses Publikum immerhin auch eine neue Bürgermeisterin oder einen neuen Bürgermeister.
Das war, wie immer, die wohl inspirierendste Journalismuskonferenz des Jahres: Dicht, ermutigend, handwerklich. Danke an die Macherinnen & Macher der #nr18 beim @nrecherche.
— Martin Kaul (@martinkaul) June 30, 2018
Wer es gar nicht zu #nr18 oder wg. des üppigen Programms nicht alle Wunsch-Panels geschafft hat: Einige Mitschnitte hier https://t.co/8TFPXH4Qne – der großen Runden, aber auch Workshops wie "PR Tricks mit Daten und Statistiken" und "Detecting spies in the skies".
— Daniel Bouhs (@daniel_bouhs) July 1, 2018