Traut Baden-​Würt­tem­berg seinen Bür­gern nicht?

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 2. Februar 2015 | Lese­zeit ca. 8 Min.

„Dieser Entwurf hätte auch von der CDU stammen können.“ nr-IFG-Experte Manfred Redelfs über das nicht eingelöste Versprechen eines Informationsfreiheitsgesetzes für Baden-Württemberg.

„Dieser Ent­wurf hätte auch von der CDU stammen können.“ nr-​IFG-​Experte Man­fred Redelfs über die Eck­punkte für ein Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz in Baden-​Würt­tem­berg.

„In einem umfas­senden Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz werden wir gesetz­liche Rege­lungen treffen, damit Bür­ge­rinnen und Bürger unter Beach­tung des Daten­schutzes grund­sätz­lich freien Zugang zu den bei den öffent­li­chen Ver­wal­tungen vor­han­denen Infor­ma­tionen haben.“ So steht es im Koali­ti­ons­ver­trag von Grünen und SPD Baden-​Würt­tem­berg, unter­zeichnet am 9. Mai 2011. Seit bei­nahe vier Jahren warten wir nun ver­geb­lich auf das Gesetz. Und das bis­lang vor­lie­gende Eck­punkte-​Papier ver­heißt nichts Gutes. „Gibt es in Baden-​Würt­tem­berg ein spe­zi­fi­sches Pro­blem, dass man den Bür­gern nicht traut?“, fragt sich daher Man­fred Redelfs, nr-​Experte für Infor­ma­ti­ons­frei­heit, im Inter­view mit dem Rheinne­ckar­blog, das wir hier dan­kens­wer­ter­weise doku­men­tieren dürfen.

Auf einer Lan­des­pres­se­kon­fe­renz im Jahr 2013 haben sie der grün-​roten Lan­des­re­gie­rung einen Geset­zes­ent­wurf prä­sen­tiert. Warum?

Nach etwa zwei Jahren Regie­rungs­zeit war zu diesem Zeit­punkt noch über­haupt nichts pas­siert. Wir wollten den Hand­lungs­druck erhöhen, indem wir unseren Geset­zes­ent­wurf vor­ge­stellt haben, auch um die Grünen ein biss­chen in die Pflicht zu nehmen und ihnen eine Mess­latte zu zeigen, was ein gutes Gesetz aus unserer Sicht aus­ma­chen würde.

Wie erfolg­reich war ihr Vor­haben?

Leider kein biss­chen. Das Eck­punkte-​Papier, das nun vor­liegt, ist aus­ge­spro­chen restriktiv. Es fällt weit hinter das zurück, was min­des­tens zu erwarten gewesen wäre – gerade von einer grünen Lan­des­re­gie­rung, die Trans­pa­renz zu ihrem Aus­hän­ge­schild gemacht hat und mit dieser Agenda gewählt worden ist. Jetzt ver­sagen sie aus­ge­rechnet auf dem Gebiet ihrer Kern­for­de­rungen und Kern­kom­pe­tenzen auf ganzer Linie.

Was ist denn so schlecht an den Eck­punkten?

Hier wird noch nicht einmal das Niveau des Bun­des­ge­setzes erreicht. Die Eck­punkte sind tat­säch­lich noch restrik­tiver und rück­stän­diger. Außerdem wird behauptet, man habe sich an den Emp­feh­lungen aus der Eva­lua­tion des Bun­des­ge­setzes ori­en­tiert – aber das ist schlicht falsch und eine Irre­füh­rung der Öffent­lich­keit.

Haben Sie dafür ein Bei­spiel?

In allen bisher beschlos­senen Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setzen gibt es Aus­nah­me­re­ge­lungen, nach denen eine Aus­kunft ver­wei­gert werden kann. In der Eva­lua­tion des Bun­des­ge­setzes wird explizit emp­fohlen, man solle sich bei den Aus­schluss­gründen am Umwelt­in­for­ma­ti­ons­ge­setz anlehnen, das viel bes­sere Klau­seln ent­hält. Hier gibt es näm­lich nicht nur weniger Aus­nah­me­re­ge­lungen, diese sind auch enger gefasst. Genau hieran ori­en­tiert sich das Eck­punkte-​Papier aber nicht. Statt­dessen sind die Aus­nah­me­re­ge­lungen des Bun­des­ge­setzes das Vor­bild – ergänzt um ein paar wei­tere Ver­schlech­te­rungen.

Wie wirkt sich das aus?

Es wird eine ganze Fülle von Aus­nahmen auf­ge­zählt, die im Bun­des­ge­setz gar nicht vor­kommen. Der Lan­des­rech­nungshof, Hoch­schulen, For­schungs­ein­rich­tungen, die Lan­des­bank Baden-​Würt­tem­berg, Selbst­ver­wal­tungs­or­ga­ni­sa­tionen der Wirt­schaft, öffent­lich-​recht­liche Rund­funk­an­stalten – hier gibt es einen ganzen Katalog, der noch zusätz­lich ein­ge­führt wird, und alle müssen keine Aus­kunft geben. Dann wird das Ganze noch ergänzt um eine soge­nannte Miss­brauchs­klausel, die es im Bun­des­ge­setz auch nicht gibt.

Was meinen Sie damit?

Wie genau diese Miss­brauchs­klausel for­mu­liert wird, ist noch unklar. Aber fest steht: Eine solche Rege­lung ent­halten die guten Lan­des­ge­setze nicht. Da muss man sich die Frage stellen: Gibt es in Baden-​Würt­tem­berg ein spe­zi­fi­sches Pro­blem, dass man den Bür­gern nicht traut – oder wes­wegen will man so etwas in das Gesetz rein­schreiben?

Gibt es noch wei­tere Kri­tik­punkte?

Etliche. Die Kom­munen sollen die Mög­lich­keit zur kos­ten­de­ckenden Gebüh­ren­er­he­bung erhalten. Solche Bestim­mungen führen leicht dazu, dass unlieb­same Fra­ge­steller mit der Gebüh­ren­keule auf Distanz gehalten werden. Das Eck­punkte-​Papier behauptet weiter, auf die Erfah­rungen des Bundes oder der anderen Länder auf­zu­setzen – das ist schlicht und ein­fach Augen­wi­scherei. So wird etwa behauptet, man bräuchte bei den Betriebs-​ und Geschäfts­ge­heim­nissen keine Abwä­gungs­klausel – auch um Firmen in Baden-​Würt­tem­berg nicht zu benach­tei­ligen. Die Abwä­gungs­klausel ist inter­na­tional aber längst Stan­dard und exis­tiert auch in anderen Bun­des­län­dern, wie Nord­rhein-​West­falen, Schleswig-​Hol­stein, Ham­burg oder Berlin, sodass auch das Argu­ment, Baden-​Würt­tem­ber­gi­sche Firmen würden benach­tei­ligt, ins Leere läuft.

Was bewirkt denn eine Abwä­gungs­klausel?

In den Eck­punkten ist fest­ge­halten: Betriebs­ge­heim­nisse sind ein abso­luter Aus­nah­me­grund – es wird nicht abge­wogen, was wich­tiger ist: das öffent­liche Inter­esse an der Infor­ma­tion oder die ver­meint­lich schüt­zens­werte Infor­ma­tion. Wenn also eine Firma in Baden-​Würt­tem­berg auf die Idee kommt, etwas als Geschäfts­ge­heimnis zu dekla­rieren, dann kommt man an diese Infor­ma­tion nicht ran. Punkt.

Und ein Abwägen wäre mög­lich, ohne einen enormen Auf­wand?

Ja. Zum Bei­spiel gibt es im Eva­lua­ti­ons­be­richt – an dem man sich angeb­lich ori­en­tiert haben will – auf Seite 441 einen eigenen Passus zur Abwä­gungs­klausel: “Der inter­na­tio­nale Ver­gleich zeigt, dass Klau­seln zur Abwä­gung zwi­schen Infor­ma­ti­ons­in­ter­esse und den zu schüt­zenden öffent­li­chen Belangen vor­handen und im Wesent­li­chen prak­ti­kabel sind.” Im wei­teren Text emp­fiehlt der Eva­lua­ti­ons­be­richt solche Klau­seln zur Stär­kung der Infor­ma­ti­ons­frei­heit. Das müssen die Koali­tio­näre in Baden-​Würt­tem­berg wohl über­lesen haben.

Nun haben ja ins­be­son­dere die Grünen mit Infor­ma­ti­ons­frei­heit und “wei­test­mög­li­cher Trans­pa­renz” geworben. Baden-​Würt­tem­berg solle hier eine Vor­rei­ter­rolle ein­nehmen – offenbar ist gerade das Gegen­teil der Fall. Woran könnte das liegen?

Ich finde diese Ent­wick­lung erschre­ckend. Meine Mut­ma­ßung ist, dass hier zwei Mecha­nismen greifen: Die Feder­füh­rung liegt ja beim Innen­mi­nis­te­rium unter der Lei­tung von Rein­hold Gall – und der hat nicht gerade erkennen lassen, dass er ein großer Befür­worter der Infor­ma­ti­ons­frei­heit ist. Offen­sicht­lich steht hier das Innen­mi­nis­te­rium mit dem Fuß auf der Bremse. Meiner Ansicht nach will es das Gesetz gar nicht nach Vorne bringen. Aber auf­grund der Rege­lung im Koali­ti­ons­ver­trag muss man eben irgend­etwas prä­sen­tieren.

Und was ist der andere Mecha­nismus?

Die Grünen zeigen sich hier absolut hand­zahm. Ent­weder haben sie ihre ursprüng­li­chen For­de­rungen auf­ge­geben oder sie lassen sich hin­ters Licht führen. Ich frage mich, was schlimmer wäre.

Halten Sie es wirk­lich für mög­lich, dass sich die Grünen hin­ters Licht führen lassen? Das sind ja nicht alles Dumm­köpfe.

Das sicher­lich nicht. Aber anschei­nend haben sie wenig Erfah­rung mit der Materie und werden sehr schlecht beraten.

Der große Wahl­er­folg der Grünen war eine Über­ra­schung, auf die man in diesem Ausmaß nicht vor­be­reitet gewesen ist. Bei der Beset­zung der ganzen Posten und Ämter hat die Partei auf zahl­reiche Per­sonen zurück­greifen mussten, die der Öffent­lich­keit bis­lang eher unbe­kannt waren. Viel­leicht ist ein Pro­blem, dass die Grünen mit ihren eher uner­fah­renen Leuten ein­fach über­for­dert sind.

Das mag sein – aber das ändert nichts an dem ent­schei­denden Punkt: Sie holen sich keine gute Bera­tung. Viel­leicht wollen sie auch gar keine. Auf unserer Pres­se­kon­fe­renz 2013 haben wir ihnen ange­boten, in Kon­takt zu bleiben und uns über das wei­tere Vor­gehen aus­zu­tau­schen.

Und kam es dazu?

Es ist über­haupt nichts pas­siert. Sie haben kein ein­ziges Mal ver­sucht, uns ein­zu­binden oder Kon­takt auf­zu­nehmen. Sie haben unseren Geset­zes­ent­wurf ent­ge­gen­ge­nommen und offen­sicht­lich igno­riert. Es gab keine Stel­lung­nahme dazu. Keine inhalt­liche Aus­ein­an­der­set­zung. Keine ein­zige Nach­frage zu einer inhalt­li­chen Rege­lung. Das kennen wir von anderen Land­tags­frak­tionen der Grünen ganz anders, die gerne den fach­li­chen Aus­tausch zu sol­chen Themen suchen. Sie müssen die Posi­tionen aus der Zivil­ge­sell­schaft ja nicht 1:1 über­nehmen. Aber mehr Dialog würde sicher­lich dazu bei­tragen, dass sie die Fall­stricke erkennen, die in den Eck­punkten ste­cken.

Die Lan­des­re­gie­rung ist also bera­tungs­re­sis­tent?

Ich bin mir sicher, dass die Gegen­seite, die mehr auf Abschot­tung und das alte „Amts­ge­heimnis“ setzt, sich fleißig mit den kom­mu­nalen Spit­zen­ver­bänden beraten hat. Das kann man aus dem Papier her­aus­lesen. Diese ganzen abweh­renden For­mu­lie­rungen sind die typi­schen Aspekte, die immer wieder von den kom­mu­nalen Spit­zen­ver­bänden ein­ge­for­dert werden. Auf die ist man her­vor­ra­gend ein­ge­gangen. Das ist gerade bei einer von Grünen geführten Lan­des­re­gie­rung gro­tesk.

Warum?

Die Grünen haben auch mehr Bür­ger­be­tei­li­gung gefor­dert. Jetzt hat man ein Gesetz, das in hohem Maße die Zivil­ge­sell­schaft betreffen wird – aber man hört offenbar nur die Betriebe und die Ver­wal­tungs­stellen. Man hätte die Bürger in die Debatte mit ein­be­ziehen müssen. Viel­leicht nicht unbe­dingt zu jedem ein­zelnen Punkt, aber zumin­dest bei der Ziel­set­zung. Das haben die Grünen ver­säumt – und wie ver­hee­rend sich das aus­wirkt, sieht man an den Eck­punkten. Sämt­liche Stan­dards werden unter­boten. Dieser Ent­wurf hätte auch von der CDU stammen können.

Wo ist man denn fort­schritt­li­cher als in Baden-​Würt­tem­berg?

Das wei­test­ge­hende Gesetz in Deutsch­land hat Ham­burg, das soge­nannte Trans­pa­renz­ge­setz. Hier gibt es das Trans­pa­renz­re­gister, in dem auto­ma­tisch Doku­mente und Daten ver­öf­fent­licht werden, die durch Steu­er­gelder finan­ziert wurden. Das ist die nächste Stufe der Infor­ma­ti­ons­frei­heit: Die älteren IFGs folgen dem Prinzip: Wenn jemand etwas anfragt, wird es im Regel­fall frei­ge­geben. In Ham­burg wird eine Viel­zahl von Infor­ma­tionen auto­ma­tisch zugäng­lich gemacht, ohne dass jemand nach­fragen muss. Das ist vor­bild­lich.

Warum ist man in Ham­burg so viel weiter?

Das liegt vor allem am öffent­li­chen Druck, befeuert durch die Kos­ten­ex­plo­sion bei der Elb­phil­har­monie. Ein Bündnis aus dem Mehr Demo­kratie e.V., dem Chaos Com­puter Club und Trans­pa­rency Inter­na­tional hat eine Volks­in­itia­tive gestartet und einen Ent­wurf vor­ge­legt, der viel Zustim­mung in der Bevöl­ke­rung erhalten hat. Die Par­teien haben erwartet, dass die weit­ge­hende Vor­lage bei einer Abstim­mung gewinnen wird. Dann ist es nach dem Motto gelaufen: Was die Politik nicht ver­hin­dern kann, das segnet sie. Aber ganz abge­sehen davon, dass auch in Ham­burg ohne öffent­li­chen Druck keine gute Rege­lung zustande gekommen wäre: Das Trans­pa­renz­ge­setz hat Vor­bild­cha­rakter. Daran müssen sich neue gesetz­liche Rege­lungen jetzt messen lassen, auch in Baden-​Würt­tem­berg.

Das Inter­view führten Minh Schredle und Hardy Proth­mann.


 

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