Ver­schlos­sene Auster 2011 für RWE, EnBW, Vat­ten­fall und E.ON

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 2. Juli 2011 | Lese­zeit ca. 27 Min.

FotoNR-​Vor­stand­mit­glied Tina Groll ver­leiht die “Ver­schlos­sene Auster” 2011, für die “Infor­ma­ti­ons­blo­ckierer des Jahres” an die vier großen, deut­schen Atom­kon­zerne RWE, EnBW, Vat­ten­fall und EON (Foto­graf: Bas­tian Din­cher):

Die “Ver­schlos­sene Auster”, der Negativ-​Preis der Jour­na­lis­ten­ver­ei­ni­gung Netz­werk Recherche e.V. für den „Infor­ma­ti­ons­blo­ckierer des Jahres“, geht 2011 an die vier großen Atom­kon­zerne RWE, EnBW, Vat­ten­fall und E.ON. Stell­ver­tre­tend für sie nehmen Volker Heck, Spre­cher des Ener­gie­kon­zerns RWE sowie Guido Knott, Spre­cher beim Ener­gie­kon­zern E.ON den Preis ent­gegen. Die Lau­datio hält Heri­bert Prantl, Mit­glied der Chef­re­dak­tion der Süd­deut­schen Zei­tung.

„Der Lob­by­ein­fluss der Atom­kraft­be­für­worter war bei­spiel­haft. Die Atom­kon­zerne haben Jahr­zehnte lang die Wahr­heit in ihrem Sinne ver­dreht, Politik massiv unter Druck gesetzt und die Gefahr von Atom­kraft gegen­über der Öffent­lich­keit unter dem Deck­män­tel­chen des Kli­ma­schutzes her­un­ter­ge­spielt“, so die Jury­be­grün­dung. Ent­schei­dend für die Jury­ent­schei­dung war vor allem der Stel­len­wert der gesell­schaft­li­chen Debatte zum Thema Atom­kraft.
„Die Erkenntnis lautet: Die Zeit der Atom­energie ist abge­laufen. Die Atom­ver­stro­mung hat ihre gesell­schaft­liche Akzep­tanz ver­loren. Nur unsere Preis­träger, die Atom­ener­gie­kon­zerne E.ON, EnBW, RWE und Vat­ten­fall, wehren sich dagegen“, sagt der Jour­na­list Heri­bert Prantl in seiner Lau­datio.
Alle vier Kon­zerne haben Jahr­zehnte lang Atom­kraft als sichere und sau­bere Chance zur Ener­gie­ver­sor­gung ange­priesen. Das belegt bei­spiels­weise das Stra­te­gie­pa­pier “Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kon­zept Kern­energie – Stra­tegie, Argu­mente und Maß­nahmen” der Unter­neh­mens­be­ra­tung PRGS für Politik und Kri­sen­ma­nage­ment aus dem Jahr 2009. Darin schlägt die Agentur dem Ener­gie­kon­zern E.ON Argu­mente für die öffent­liche Kom­mu­ni­ka­tion vor – die fast 1 zu 1 von den Kon­zernen und später auch von Poli­ti­kern auf­ge­griffen wurden. Obgleich E.ON das Stra­te­gie­pa­pier als Akqui­se­ver­such der Agentur her­un­ter­spielte, sind die Über­ein­stim­mungen zwi­schen vor­ge­schla­genem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kon­zept und ver­wen­deter Kom­mu­ni­ka­ti­ons­linie frap­pie­rend. Da wird Kern­kraft positiv als Brü­cken-​Tech­no­logie bezeichnet, die den Weg in das Zeit­alter der erneu­er­baren Ener­gien ebnen soll und somit die Lauf­zeit­ver­län­ge­rung quasi schon mora­lisch not­wendig macht. Dabei kann Atom­kraft das Klima über­haupt nicht retten: Gerade einmal zwei Pro­zent des Welt­ener­gie­ver­brauchs werden durch diese Nischen­technik gedeckt, und Kern­kraft­werke können gar nicht ver­läss­lich Strom lie­fern.
Da wird auf auf die deut­sche Tech­no­lo­gie­füh­rer­schaft ver­wiesen, für die ein Know-​how-​Ver­lust ange­sichts neuer Kern­kraft­werke in Ost­eu­ropa fatal wäre, dabei würde keines der 17 Atom­kraft­werke heute noch eine Geneh­mi­gung bekommen. Und ein sicheres End­lager für hoch­ra­dio­ak­tiven Atom­müll gibt es welt­weit nicht.
Kri­ti­sche Fragen von Jour­na­listen beant­worten die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ex­perten der Ener­gie­kon­zerne mit beschö­ni­genden, weich­ge­spülten Phrasen. Fakten werden ein­fach umge­deutet und ver­dreht, öffent­liche Mei­nung ver­sucht man zu mani­pu­lieren – und unter­dessen kas­sieren die vier Atom­kon­zerne mit über­höhten Strom­preisen bei den Bür­gern ab, wäh­rend sie gleich­zeitig Mil­li­ar­den­sub­ven­tionen in Anspruch nehmen.
Mit der „Ver­schlos­senen Auster“ wür­digt Netz­werk Recherche e.V. das Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­halten der Ener­gie­kon­zerne. „Der Preis wurde bisher immer ver­liehen dafür, dass der Öffent­lich­keit nichts oder wenig gesagt wurde. Das kann man von der Atom­in­dus­trie wirk­lich nicht sagen. Die Atom­in­dus­trie kom­mu­ni­ziert wie der Teufel” sagt Lau­dator Heri­bert Prantl, „Die Atom­in­dus­trie schreibt mehr Pres­se­mit­tei­lungen als ein Bir­ken­baum Blätter hat. Ihre Manager und Lob­by­isten drängen in jeder Talk­show. Und wenn die Atom­in­dus­trie der Mei­nung ist, dass das nicht reicht, dann ver­öf­fent­licht sie ganz­sei­tige Anzeigen mit potenten Unter­schriften, in denen sie die Kanz­lerin zum Diktat bittet und der Politik erklärt, was sie zu tun hat.“
So bewiesen die vier Atom­kon­zerne mit ihrem “Ener­gie­po­li­ti­schen Appell” im Sommer 2010 eine bis dahin nie da gewe­sene orga­ni­sierte Lob­by­front, die ihre beschö­ni­genden Argu­mente mit Macht in die Öffent­lich­keit bringen sollte. Die vier Ener­gie­chefs Johannes Tey­ssen (E.on), Jürgen Groß­mann (RWE), Hans-​Peter Villis (EnbW) und Tuomo Hatakka (Vat­ten­fall) hatten zahl­reiche Dax-​Vor­stände über­zeugt, sich dem Appell an die Bun­des­re­gie­rung für eine Lauf­zeit­ver­län­ge­rungan­zu­schließen. Josef Acker­mann (Deut­sche Bank) war mit dabei, Werner Wen­ning (Bayer) oder Ekke­hard Schulz (Thyssen-​Krupp).
„Die Atom­kon­zerne werden aus­ge­zeichnet für gefähr­lich ein­sei­tige, markt­mäch­tige Infor­ma­tion, sie werden aus­ge­zeichnet für die Ver­harm­lo­sung von Gefahren, für exzes­siven Lob­by­ismus“, sagt Prantl in seiner Lau­datio.
Weil selbst Fuku­shima nichts an der Lobby-​ und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­tegie der Ener­gie­wirt­schaft ver­än­dert, man sogar ver­fas­sungs­recht­liche Klagen gegen Atom­aus­stieg plant, haben sich die vier Kon­zerne den Preis ver­dient. „Ver­ant­wor­tung und Respekt vor dem Bür­ger­willen sehen anders aus, so die Jury.
Der Kritik-​Preis wird in diesem Jahr zum zehnten Mal ver­liehen. Er steht als mah­nendes Symbol für man­gelnde Offen­heit und Behin­de­rung der Pres­se­frei­heit durch Per­sonen oder Orga­ni­sa­tionen. Die Preis­träger erhalten zur Erin­ne­rung und als Mah­nung zur Bes­se­rung eine Skulptur des Mar­burger Künst­lers Ulrich Behner.
Preis­träger der ver­gan­genen Jahre waren die katho­li­sche Kirche, der Bun­des­ver­band der Banken, der ehe­ma­lige Bun­des­in­nen­mi­nister Otto Schily, der Lebens­mit­tel­kon­zern ALDI, die Hypo-​Ver­eins­bank (stellv. für die DAX-​Unter­nehmen), der dama­lige DFB-​Prä­si­dent Ger­hard Mayer-​Vor­felder, der ehe­ma­lige Chef der Deut­schen Bahn AG, Hartmut Meh­dorn, der ehe­ma­lige rus­si­sche Prä­si­dent Wla­dimir Putin, das Inter­na­tio­nale Olym­pi­sche Komitee und stell­ver­tre­tend IOC-​Vize­prä­si­dent Thomas Bach.
Die aus­ge­zeich­neten Preis­träger erhalten das Recht auf Gegen­rede oder Stel­lung­nahme vor der Jah­res­kon­fe­renz von Netz­werk Recherche, an der in diesem Jahr mehr als 800 Medi­en­ver­treter teil­nehmen. Die vier Atom­kon­zerne werden durch RWE-​Spre­cher Volker Heck und E.ON-​Spre­cher Guido Knott ver­treten, die auf der Jah­res­ta­gung von Netz­werk Recherche eine Gegen­rede halten werden. Diese Her­aus­for­de­rung haben vor ihnen nur Mat­thias Kopp, Spre­cher der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz, Man­fred Weber, der Geschäfts­führer des Ban­ken­ver­bandes, Otto Schily und Hartmut Meh­dorn über­nommen. Andere Preis­träger hatten auf die Kritik schrift­lich reagiert.

Lau­datio von Heri­bert Prantl

Aus­ter­preis­träger: die vier deut­schen Kern­kraft­werks­be­treiber  RWE, EnBW, Vat­ten­fall und EON
Lau­dator: Heri­bert Prantl, Mit­glied der Chef­re­dak­tion der Süd­deut­schen Zei­tung und Leiter der Redak­tion Innen­po­litik.
Ham­burg, 2. Juli 2011

„Ich scheiß Dich so was von zu mit meinem Geld. Du hast keine Chance.“

Was die vier Atom­ener­gie­kon­zerne mit dem Kleb­stoff­di­rektor Hein­rich Haf­fen­loher zu tun haben und warum man auch mit sehr viel Geld gegen Sisy­phos nichts aus­richten kann.

Es gilt das gespro­chene Wort

„Und ich sah den Sisy­phos in gewal­tigen Schmerzen: wie er mit beiden Armen einen Fels­block einen unge­heueren, beför­dern wollte. Ja, und mit Händen und Füßen stem­mend, stieß er den Block auf einen Berg. Doch wenn er ihn über die Kappe werfen wollte, so drehte ihn das Über­ge­wicht zurück: von neuem rollte dann der Block, der scham­lose, ins Feld hinab. Er aber stieß ihn immer wieder zurück, sich anspan­nend, und es rann er Schweiß ihm von den Glie­dern, und der Staub erhob sich über sein Haupt hinaus“.

So steht es in der Odyssee, so beschreibt es Homer in der Unter­welt­szene. Auf der Ein­la­dung und dem Tagungs­pro­gramm von „Netz­werk Recherche“ sehen wir die Szene anders. Da sehen wir nicht einen Fels­block, son­dern ein gewaltig großes Gehirn, das auf einen Berg gezogen wird. Das Bild ist voller Rätsel. Wem gehört das Gehirn? Der Atom­in­dus­trie? Der Bun­des­re­gie­rung? Den Men­schen, die daran ziehen und drü­cken und her­um­tat­schen? Und warum ziehen sie das Gehirn auf den Berg? Wartet dort hirnlos der­je­nige, dem es gehört? Was wird er tun, wenn er sein Gehirn wieder hat? Und was machen dann, noch voll­brachter Tat, die Men­schen, die es ihm her­bei­ge­schleppt haben? Werden sie womög­lich mit Posten in der Entou­rage des Gehirn­be­sit­zers belohnt? Dafür gibt es Bei­spiele: Joschka Fischer ist heute Berater beim Ener­gie­kon­zern RWE und Rezzo Schlauch ist Berater beim Ener­gie­kon­zern EnBW. Oder ziehen sie dann das nächste Gehirn auf den Berg, weil es ja noch viele andere Hirn­lose gibt? Fragen über Fragen. Wir stehen hier, bei der Ver­lei­hung der ver­schlos­senen Auster, vor einer para­doxalen Form der Mythen­re­zep­tion.

In seinem Tagungs­motto zitiert das „Netz­werk Recherche“ Albert Camus’ Deu­tung von Sisy­phos als einem glück­li­chem Men­schen. „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Men­schen­herz aus­zu­füllen“, schreibt Camus. Der Phi­lo­soph hat uns emp­fohlen, wir sollten uns Sisy­phos daher nicht als resi­gnierten oder als ver­zwei­felten, son­dern als glück­li­chen Men­schen vor­stellen – glück­lich, weil er der Wie­der­kehr des immer Glei­chen einen Sinn gibt, weil er durch seine ewige Stei­ne­wäl­zerei revol­tiert. Sisy­phos müsste ja eigent­lich gar nicht ewig wälzen, er könnte ja ein­fach damit auf­hören, die Strafe der Götter auf sich zu nehmen, er könnte sich hin­setzen, aus­ruhen, davon­laufen. Die Götter hatten das wohl so erwartet, aber er macht das nicht. Er ist stärker als die Last, und er ist stärker als die, die sie ihm ver­ordnet haben. Auf jedem Rückweg, auf jedem Weg zurück ins Tal, ist er seinem Schicksal über­legen: „Er ist stärker als der Fels.“ Er zieht seine Kraft aus der Ver­ach­tung des Schick­sals. Die ewige Wäl­zerei ist seine Form der Empö­rung gegen die Götter. Albert Camus hat den Mythen­kern also seman­tisch berich­tigt, er hat der Sinn­lo­sig­keit Sinn gegeben. Der glück­liche Sysi­phos – das ist eine gute Vor­stel­lung: für Bür­ger­initia­tiven ebenso wie für Jour­na­listen.

Nun also macht das „Netz­werk Recherche“ aus dem Fels­bro­cken ein Gehirn: nicht ein Fels­bro­cken wird nach oben gerollt, son­dern ein Gehirn nach oben gezogen. Das Netz­werk Recherche prak­ti­ziert das, was Camus selber ange­regt hat – Mythen­trans­for­ma­tion: „Die Mythen leben nicht aus sich selbst“, sagt Camus. „Die Mythen warten darauf, dass wir sie ver­kör­pern.“ Wir alle ver­kör­pern Sisy­phos. Und wir müssen immer wieder von neuem, so ver­stehe ich die Absicht von „Netz­werk Recherche“, dafür sorgen, dass das Hirn oben ist und oben bleibt. Die Sisy­phosse müssen danach trachten, dass Ver­stand und Erkenntnis nach oben trans­por­tiert werden. Das ist ein immer wieder müh­se­liger Pro­zess. Die Ver­lei­hung der ver­schlos­senen Auster an die Atom­in­dus­trie ist, so ver­stehe ich das, ein Teil dieses Ver­suchs.

Diese Preis­ver­lei­hung geschieht zu einem Zeit­punkt, in dem schon ziem­lich viel Erkenntnis oben ange­langt ist. Der Atom­aus­stieg der Bun­des­re­gie­rung, dem viele Atom­kraft­gegner noch nicht recht trauen wollen, ist Aus­druck dieser Erkenntnis. Die Erkenntnis lautet: Die Zeit der Atom­energie ist abge­laufen. Die Atom­ver­stro­mung hat ihre gesell­schaft­liche Akzep­tanz ver­loren. Der Tsu­nami hat die Reste der in der Politik noch vor­han­denen Atom­gläu­big­keit weg­ge­spült. Der Staat hat seine Infra­struk­tur­ver­ant­wor­tung erkannt. Was mit dem Strom­ein­spei­sungs­ge­setz vor über zwanzig Jahren begonnen und mit dem Erneu­er­bare-​Ener­gien-​Gesetz fort­ge­setzt wurde, erlebt nun den finalen Schub. „Wenn ihr das in Deutsch­land hin­kriegt, das wäre das ein Signal für die Welt,” sagte soeben der CDU-​Mann Klaus Töpfer auf dem Par­teitag der Grünen: Das Land steht vor einer Ener­gie­wende.

Nur unsere Preis­träger, die Atom­ener­gie­kon­zerne E.ON, EnBW, RWE und Vat­ten­fall, wehren sich dagegen; sie wehren sich in unter­schied­li­cher Inten­sität gegen diese Erkenntnis. Sie wehren sich, weil sie den Strom in ihren rie­sigen Atom­kraft­werken so billig erzeugen können. Sie wehren sich, weil ihnen die Lauf­zeit­ver­län­ge­rung vom Herbst ver­gan­genen Jahres jeden Tag Mil­lionen-​Gewinnen gesi­chert hatte. Die Atom­kon­zerne wehren sich, weil sie den Wett­be­werb unter sich auf­ge­teilt, also ver­hin­dert und die armen Ver­wandten, die Stadt­werke, lust- und macht­voll an die Wand gedrückt hatten. Sie wehren sich erbit­tert, weil sie merken, dass die Zeit der zen­tralen Ener­gie­er­zeu­gung vorbei ist, dass sie sich aber auf die dezen­trale Ener­gie­er­zeu­gung nicht ein­ge­stellt haben. Hinter den Erneu­er­baren Ener­gien steht inves­tive Schub­kraft, die Schub­kraft der bisher Großen Vier nimmt ab. Die Zukunft gehört den Erneu­er­baren Ener­gien, aber auf diese Zukunft haben sich RWE und Co viel zu wenig ein­ge­stellt – RWE am wenigsten. Weil man sich auf die neue Zeit nicht ein­ge­stellt hat, beschwört man die alten.

Höhe­punkt der Beschwö­rung war der so genannte Atom­kon­sens II, der nukleare Lob­by­is­mus­ex­zess vom Sommer 2010. Damals haben die Atom­ener­gie­kon­zerne über­reizt: sie setzten die Lauf­zeit­ver­län­ge­rung für ihre Atom­kraft­werke in so großer Heim­lich­keit und in einer sol­chen Unver­fro­ren­heit durch, dass man diesem nuklearen Unter­nehmen, dem Aus­stieg aus dem rot-​grünen Aus­stieg von 2000/2001, die Züge eines Staats­streich­leins attes­tieren könnte, wenn nicht die Kanz­lerin selbst dabei mit­ge­macht hätte.

In der Nacht vom 5./6. Sep­tember mor­gens um 5.23 Uhr wurde dieser Lauf­zeit­ver­län­ge­rungs-​Ver­trag unter­zeichnet, von dem nicht einmal der Vor­sit­zende der CDU/CSU-​Bun­des­tags­frak­tion auch nur die lei­seste Ahnung hatte. Ver­hand­lungs­partner der Atom­ener­gie­kon­zerne war das Bun­des­fi­nanz­mi­nis­te­rium, das von der Sache steu­er­lich pro­fi­tieren wollte, unter­stützt vom Bun­des­kanz­leramt. Die Regie­rung Merkel hat sich und das Land im Spät­sommer und Früh­herbst 2010 noch einmal in das nukleare Gefängnis gesperrt, obwohl dessen Gitter von der rot-​grünen Vor-​Vor­gänger-​Regie­rung schon gesprengt worden waren.

Dieser große Sieg der Atom­in­dus­trie aber war ein Pyr­rhus-​Sieg. Der Lauf­zeit­ver­län­ge­rungs-​Hand­streich wurde ür RWE und Co das, was für die CSU in Bayern die Zwei­drit­tel­mehr­heit der Man­date bei der Land­tags­wahl von 2003 war: der Anfang der Krise. Diese Krise galop­piert bei den Atom­ener­gie­kon­zernen frei­lich viel, viel schneller als bei der CSU. Die immerhin hat kapiert, dass man sich, allen frü­heren Rede­reien und Wahl­kämpfen zum Trotz, von der Atom­energie ver­ab­schieden muß, wenn man Zukunft gewinnen will.

Hor­rende Gewinne ver­leiten, in der Politik wie in der Wirt­schaft, zur Bequem­lich­keit und zu Träg­heit, gepaart mit Über­heb­lich­keit und Hof­fart. Der Staat hat fünfzig Jahre lang die Bad Bank für die Ener­gie­kon­zerne gespielt: Er nahm ihnen die Auf­gabe der Ent­sor­gung des Atom­mülls ab, gewährte ihnen Steu­er­vor­teile und begrenzte die Haf­tung der Kon­zerne für nukleare Unfälle auf Summen, die in Anbe­tracht der Gefahren lächer­lich waren. Das heißt: Die Kon­zerne stri­chen die Gewinne ein, der Staat über­nahm die Risiken. Das hatte seinen Grund: Der Ein­stieg in die Atom­ver­stro­mung Ende der fünf­ziger Jahres der ver­gan­genen Jahr­hun­derts war ja ursprüng­lich nicht der Wunsch der Ener­gie­kon­zerne gewesen, die sich damals mit Kohle gut ein­ge­richtet hatten. Der Staat wollte damals das Atom aus poli­ti­schen Gründen, und er ver­gol­dete es den Ener­gie­kon­zernen mit allen erdenk­li­chen Wohl­taten. So begannen die gol­denen Zeiten der Strom­kon­zerne. Aus diesem Para­dies wollten und wollen sie sich nicht mehr ver­treiben lassen. Aber: Der Staat hat einst das nuklear-​mone­täre Para­dies geöffnet, er kann es auch wieder schließen. Ange­sichts von Fuku­shima wurde der Kanz­lerin klar, auf welch unge­heuere Risiken sich der Staat und ihre Regie­rung nicht zuletzt mit der Lauf­zeit­ver­län­ge­rung ein­ge­lassen hatten.

Es ist ver­ständ­lich, wenn die großen vier Ener­gie­kon­zerne heute der Regie­rung ihre Wan­kel­mü­tig­keit vor­werfen. Aber: mit sol­chen Vor­würfen kann man keinen Kon­zern in die Zukunft steuern. Auf der RWE-​Haupt­ver­samm­lung am 20. April haben die Ver­treter großer Kapi­tal­sam­mel­stellen und Pen­si­ons­fonds darauf auf­merksam gemacht, dass RWE auf Dauer nur dann wirt­schaft­lich dann erfolg­reich sein könne, wenn das Unter­nehmen als Teil der Gesell­schaft akzep­tiert werde: Die RWE-​Eigen­tümer, so hieß es da, „sollten nicht nur die Kosten bedenken, die der Zick-​Zack-​Atom­kurs der Bun­des­re­gie­rung erzeugt. Sie müssen auch die Schäden berück­sich­tigen, die ent­stehen, wenn sich RWE ins gesell­schaft­liche Abseits stellt.“

Nun wird dieser Negativ-​Preis nicht ver­liehen dafür, dass sich jemand ins gesell­schaft­liche Abseits stellt. Er wird auch nicht ver­liehen dafür, dass eine Poli­tiker oder ein Kon­zern seine Zukunft ver­spielt. Er wird nicht ver­liehen dafür, dass jemand wider jede Ver­nunft an einer gefähr­li­chen Technik fest­hält. Mit der „ver­schlos­senen Auster“ wird man auch nicht des­wegen aus­ge­zeichnet, weil der Preis­träger eine andere Mei­nung ver­tritt als der Preis­geber.

Die ver­schlos­sene Auster ist ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­preis – er wird Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hin­de­rern und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­blo­ckie­rern ver­liehen. Er wurde bisher ver­liehen für schlechte Kom­mu­ni­ka­tion, für die Miss­ach­tung der Pres­se­frei­heit, für die Ver­höh­nung des Infor­ma­ti­ons­an­spruchs der Öffent­lich­keit – an Wla­dimir Putin, an das Inter­na­tio­nale Olym­pi­sche Komitee, an den Bun­des­ver­band deut­scher Banken; im ver­gan­genen Jahr an die Katho­li­sche Kirche, weil sie so getan hatte, als seien die Miss­brauchsskan­dale ein Tort, der ihr von einer übel­mei­nenden Jour­naille angetan wurde. Der Preis wurde also bisher immer ver­liehen für schlechte Kom­mu­ni­ka­tion, er wurde ver­liehen dafür, dass der Öffent­lich­keit nichts oder wenig gesagt wurde. Das kann man von der Atom­in­dus­trie wirk­lich nicht sagen. Die Atom­in­dus­trie kom­mu­ni­ziert wie der Teufel.

Die Atom­in­dus­trie schreibt mehr Pres­se­mit­tei­lungen als ein Bir­ken­baum Blätter hat. Ihre Manager und Lob­by­isten drängen in jeder Talk­show. Und wenn die Atom­in­dus­trie der Mei­nung ist, dass das nicht reicht, dann ver­öf­fent­licht sie ganz­sei­tige Anzeigen mit potenten Unter­schriften, in denen sie die Kanz­lerin zum Diktat bittet und der Politik erklärt, was sie zu tun hat. Man kann sich über den Stil wun­dern, auch über den Inhalt und die poli­ti­sche Prä­po­tenz, die darin zum Aus­druck kommt.

Am 21. August 2010 haben die großen Ener­gie­kon­zerne ganz­seitig in allen deut­schen Zei­tungen eine Anzeige ver­öf­fent­licht, die sich „Ener­gie­po­li­ti­scher Appell“ nannte; der Appell begann mit einem heuch­le­ri­schen Bekenntnis zu den erneu­er­baren Ener­gien und endete dann mit dem Passus „Rea­lis­tisch bleiben: Deutsch­land braucht weiter Kern­energie“. Diese Anzeige mit vielen Unter­schriften war die publi­zis­ti­sche Fan­fare zur Lauf­zeit­ver­län­ge­rung für die Atom­kraft­werke, die dann etliche Wochen später kam. Deutsch­land braucht weiter Kern­energie: Das war eine Bot­schaft, gegen die man schon damals mit viel Recht viel haben konnte. Aber sie ist allein ist noch kein Grund dafür, die Ver­schlos­sene Auster zu ver­leihen. Wollte das „Netz­werk Recherche“ fal­sche und miß­lie­bige Mei­nungen mit einem Preis anpran­gern – es könnte jeden Tag einen Preis ver­leihen und ich würde keine Lau­datio halten.

Die Atom­in­dus­trie kom­mu­ni­ziert das Fal­sche, aber sie kom­mu­ni­ziert, ich habe es schon gesagt, wie der Teufel. Sie grillt sogar Würst­chen und schenkt Cham­pa­gner aus, auf dass die Jour­na­listen und die Beamten und die Poli­tiker kommen und zu ihr aufs Dach steigen: EnBW zum Bei­spiel hat erst kürz­lich zum Som­mer­grillen aufs Dach ihrer Reprä­sen­tanz in Berlin geladen zu ver­trau­li­chen Gesprä­chen in weißen Cou­che­cken. RWE hat zum Som­mer­fest ins „Haus der Kul­turen der Welt“ gebeten, und Vat­ten­fall hat auf Schloß Ceci­li­enhof ein fest­li­ches Abend­essen gegeben. Mahl­zeit, Prost und Guten Appetit. Man lässt sich die Infor­ma­tion also durchaus etwas kosten und ser­viert sie ange­nehm und mit Bei­lagen. Das wäre die „ver­schlos­sene Auster“ nicht wert.

Wofür werden die Atom­kon­zerne also aus­ge­zeichnet? Sie werden aus­ge­zeichnet für gefähr­lich ein­sei­tige, markt­mäch­tige Infor­ma­tion, sie werden aus­ge­zeichnet für die Ver­harm­lo­sung von Gefahren, für exzes­siven Lob­by­ismus. Eine nicht gewich­tige Rolle dabei spielt das Deut­sche Atom­forum, das 1959 gegründet wurde. Zum 50-​jäh­rigen Jubi­läum des Atom­fo­rums hat der dama­lige Bun­des­um­welt­mi­nister Sigmar Gabriel als Pro­pa­gan­da­zen­trale de Atom­kon­zerne“ bezeichnet; sie stehe „wie kaum eine andere Insti­tu­tion für das bewusste Ver­schweigen, Ver­drängen und Ver­harm­losen der Gefahren, die mit der kom­mer­zi­ellen Nut­zung der Atom­energie ver­bunden sind“. Manchmal hat Gabriel recht. Seit Fuku­shima frei­lich agiert das Atom­forum in einem völlig ver­än­derten Poli­tik­um­feld. Auf dem Forum sind die Ener­gie­wirt­schaftler mit sich alleine.

Wofür werden die vier Atom­kon­zerne werden aus­ge­zeichnet? Sie werden aus­ge­zeichnet dafür, dass sie an den poli­ti­schen Schalt­stellen ihre Leute pos­tiert haben – Leute wie den CDU-​Bun­des­tags­ab­ge­ord­neten Joa­chim Pfeiffer. Als Pfeiffer 2002 erst­mals in den Bun­destag einzog, wurde er gleich Koor­di­nator für Ener­gie­fragen und stell­ver­tre­tender wirt­schafts­po­li­ti­scher Spre­cher der CDU/CSU-​Bun­des­tags­frak­tion. Früher hatte er bei der Energie-​Ver­sor­gung Schwaben AG unter anderem im Bereich Con­trol­ling gear­beitet. Seit 2009 ist er wirt­schafts­po­li­ti­scher Spre­cher der CDU/CSU-​Bun­des­tags­frak­tion und einer der wich­tigsten und ver­läss­lichsten Ver­bün­deten der Ener­gie­kon­zerne im Par­la­ment. Er war es, der bei der Bun­des­tags­de­batte am 24. März 2011 erklärte: „Wir sind gut beraten, darauf zu achten, Herr Trittin, dass der Kern­schmelze, die in Japan droht, nicht die Hirn­schmelze in Deutsch­land folgt.“

Die Atom­kon­zerne werden mit der „ver­schlos­senen Auster“ aus­ge­zeichnet für das Ver­schweigen und Her­un­ter­spielen von Unfällen, die sie „Stör­fälle“ nennen, welche sie oft erst auf Druck offen­baren und dann klein­reden und klein­schreiben. Sie werden aus­ge­zeichnet für Ihren schlei­chend-​beschö­ni­gende Beein­flus­sung der poli­ti­schen Sprache. Sie werden aus­ge­zeichnet für das ver­brau­cher­feind­liche Raf­fi­ne­ment, mit dem sie die Strom­preise auf hohem Niveau halten, für die Art und Weise, mit der sie an der Strom­börse EEX ihre Machi­na­tionen trieben und mit der sie die Regu­lie­rung für diesen Han­dels­platz hin­ter­trieben haben. Sie werden aus­ge­zeichnet dafür, dass sie den Ver­brau­cher die Zeche haben bezahlen lassen: „Oli­go­pole wie die großen vier Kern­kraft­werks­be­treiber können die Preise bestimmen und durch­setzen. Die Mil­li­arden-​Gewinne der Kon­zerne kommen aus dem Port­monee der Bür­ge­rinnen und Bürger.“ So steht es in der Ant­wort von 42 Stadt­werken und vier Lan­des­mi­nis­ters auf den ener­gie­po­li­ti­schen Appell der vierzig Manager, der zur Lauft­zeit­ver­län­ge­rung der Kern­kraft­werke führte.

Die vier Kern­kraft­werks­be­treiber werden auch aus­ge­zeichnet für die Chuzpe, mit der sie in Anzeigen und kos­ten­losen Büch­lein der Öffent­lich­keit Sand in die Augen zu streuen ver­suchten, Anzeigen und Büch­lein, in denen die AKW’s als Idylle mit Schafen, Schre­ber­gärten und Rüben­bauern abge­bildet wurden und in denen die „Kern­kraft als Kli­ma­schutz“ pro­pa­giert wurde. Tat­sache ist, dass länger lau­fende Kern­kraft­werke wei­tere Inves­tionen in moderne Ener­gie­er­zeu­gungs­an­lagen ver­hin­dern. Wenn der Ein­satz und die Ent­wick­lung moderner Effi­zienz-​Tech­no­lo­gien wie der Kraft-​Wärme-​Kopp­lung zum Erliegen kommen, schadet das dem Kli­ma­schutz.

Beim Nach­denken über die Infor­ma­ti­ons­po­litik und das Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­halten der Atom­kon­zerne ist mir, weiß Gott warum, auf einmal eine berühmte Szene aus dem Film „Kir Royal“ ein­ge­fallen, in der Mario Adorf den Kleb­stoff­ge­ne­ral­di­rektor Hein­rich Haf­fen­loher und Franz-​Xaver Kroetz den Reporter Baby Schim­merlos spielen. Als der Reporter nicht nach der Melodie tanzen will, die der Unter­nehmer pfeift, beginnt der ihm auf eine ganz eigene Weise zu drohen. Ich hab mir die Szene auf You Tube noch einmal ange­schaut: „Ich kauf Dich ein­fach … Ich schieb es Dir hinten und vorne rein. Ich scheiß dich so was von zu mit meinem Geld, dass Du keine ruhige Minute mehr hast. Und irgend­wann kommt dann der Moment, an dem Du so mürbe bist und so fertig … Gegen meine Kohle hast Du keine Chance.“ So war das im Film. Und manchmal ist die Wirk­lich­keit nicht so weit davon weg.

Aber es hat nicht geklappt, nicht im Film und nicht in der Atom­po­litik. Das liegt nicht nur daran, dass der Tsu­nami das Geld weg­ge­spült hat. Es hat nicht geklappt, weil es eine kri­ti­sche Öffent­lich­keit gibt, die nach dem Lauf­zeit­ver­län­ge­rungs-​Exzess noch wacher geworden ist, als sie es vorher war.

Viel­leicht ist es nach dreißig Jahren einmal Zeit, danke zu sagen: Da haben die Men­schen – zum Bei­spiel im Wend­land – genau das getan, was Poli­tiker sonst gern von ihnen for­dern. Sie haben sich hin­ein­ge­ar­beitet in eine hoch­kom­pli­zierte Materie, sie haben sich orga­ni­siert, sie haben zusam­men­ge­halten, ihre Frei­zeit geop­fert; sie haben sich einer wich­tigen Sache ver­schrieben. Kinder sind auf­ge­wachsen mit dem Pro­test gegen Gor­leben, der Wider­stand ist gewachsen, er ist zur Volks­be­we­gung geworden, getragen von Haus­frauen, Pfar­rern, Leh­rern und Bauern. Doch dieses Enga­ge­ment ist nie gewür­digt worden, im Gegen­teil. Die Regie­rungs­po­litik hat den bür­ger­li­chen Pro­test gegen die Kern­energie oft genug in einen Topf mit kri­mi­nellen Anschlägen geworfen. Die Pro­teste gegen den Castor zum Bei­spiel haben es der Politik und der Ener­gie­wirt­schaft nicht erlaubt, das unge­löste Pro­blem der Ent­sor­gung des Atom­mülles zu ver­drängen oder vom Tisch zu wischen. Der deut­sche Atom­aus­stieg ist der Tri­umph einer Bür­ger­be­we­gung, der in einer Staats­be­we­gung mün­dete.

Der Aus­stieg aus der Kern­energie kann in Deutsch­land nur des­wegen gelingen, weil ihn zivil­cou­ra­gierte Bürger dreißig Jahre lang vor­be­reitet haben. Da darf die Politik auch einmal Danke sagen. Und in meine Lau­datio gehört so eine Bemer­kung des­wegen, weil die vielen Sisy­phosse, die das Bewusst­sein für die Gefahren der Kern­energie wach gehalten haben, die Gegen­macht waren gegen die Kom­mu­ni­ka­tions-​ und Geld- und Lob­by­is­ten­macht der Atom­ener­gie­kon­zerne. Der deut­sche Atom­aus­stieg ist „der Tri­umph einer Bür­ger­be­we­gung, der in einer Staats-​Bewe­gung mün­dete“ (Michael Bauch­müller in der Süd­deut­schen Zei­tung).

Ich komme am Schluss zum Mythos vom Sisy­phos zurück. Ich füge dem Bild von „Netz­werk Recherche“, dem Bild also, das den Fels­bro­cken durch ein Gehirn ersetzt und das ich ein­gangs zu inter­pre­tieren ver­sucht, mein ganz per­sön­li­ches Lieb­lings­bild von Sisy­phos dazu. Es stammt vom Maler Wolf­gang Mat­theuer, der neben Werner Tübke und Bern­hard Heisig zu den Haupt­ver­tre­tern der Leip­ziger Schule gehört. Auf diesem Bild rollt Sisy­phos nicht den Stein den Berg hoch, er zieht auch nicht ein Gehirn in die Höhe. Man sieht ihn, wie er mit Hammer und Meißel dem Stein behaut und ihm seine Form auf­zwingt.

Das passt wun­derbar zu diesem Preis, das passt wun­derbar zur aktu­ellen Politik: Der Stein ist die alte Ener­gie­po­litik, sie muss kom­plett umge­formt werden. Die neue Form des Steins steht für die große Ener­gie­wende – für die Umfor­mung der Ener­gie­pro­duk­tion und damit der Lebens­be­din­gungen. Ich wün­sche mir von den bis­he­rigen Atom­kon­zernen, dass sie an dieser Umfor­mung, dass sie an dieser großen Ener­gie­wende kräftig mit­wirken, dass sie, zusammen mit den poli­ti­schen Par­teien, zusammen mit der Zivil­ge­sell­schaft, zusammen mit den alten und neuen Kern­kraft­geg­nern, zusammen mit den Stadt­werken in ganz Deutsch­land und zusammen mit den vielen klei­neren Ener­gie­pro­du­zenten den Stein des Sisy­phos behauen und etwas Gutes dabei her­aus­kommt. Dann wären die Sisy­phosse wirk­lich glück­liche Men­schen.

Gegen­rede von Dr. Guigo Knott, E.ON

Aus­ter­preis­träger: die vier deut­schen Kern­kraft­werks­be­treiber  RWE, EnBW, Vat­ten­fall und EON
Redner: Dr. Guido Knott (EON)
Ham­burg, 2. Juli 2011

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr ver­ehrte Ver­ga­be­jury,
sehr geehrter Herr Prantl,

vielen Dank zunächst für Ihre Auf­merk­sam­keit, heute in den kom­menden 10 Minuten und über­haupt, was unsere Arbeit in den ver­gan­genen Jahren oder Jahr­zehnten angeht.
Mein Name ist Guido Knott. Ich ver­ant­worte seit gut einem Jahr die Kom­mu­ni­ka­tions-​ und Poli­ti­k­ar­beit des E.ON-​Kon­zerns, und ich spreche stell­ver­tre­tend für die vier Unter­nehmen, denen Sie die Aus­zeich­nung oder besser Kenn­zeich­nung zuge­dacht haben.
Sie können sich vor­stellen, dass es bes­sere Zeiten oder auch schö­nere Jobs für einen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­chef gibt, als ins­be­son­dere in den ver­gan­genen vier Monaten für eines der vier Betrei­ber­un­ter­nehmen zu arbeiten. Aber das ist kein Werben um Ihr Mit­leid oder etwa Resi­gna­tion, son­dern schlichtweg eine Vor­be­mer­kung.
It´s all about per­cep­tion. Mit dieser Ein­stel­lung sind meine drei Kol­legen und ich heute zu Ihnen gekommen. Unter der festen Annahme, dass die Preis­ver­lei­hung nicht bloß dem all­ge­meinen Main­stream folgt, den ver­meint­lich Aus­sät­zigen noch einmal einen mit­zu­geben, noch einmal drauf zu hauen, weil es so schön ist und weil man  wohl auto­ma­tisch die Rich­tigen trifft.
Die Begrün­dung lässt nicht unmit­telbar darauf schließen, aber ich bleibe ein­fach bei meiner Unschulds­ver­mu­tung, dass es Ihnen nicht darum geht, uns als Sün­den­bock hin­zu­stellen, dem man alle Schuld – welche und woran auch immer – zuschiebt, den man wie das his­to­ri­sche Vor­bild in die Wüste ver­jagt oder schreibt und damit alles – was auch immer – löst. Bestimmt geht es Ihnen um die Sache, um eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit einem kom­plexen Thema. Und weil das sicher so ist, setze ich mich gern mit den vor­ge­brachten Kri­tik­punkten und deren Erfül­lung bzw. Nicht­er­fül­lung als Bedin­gung für die Aus­zeich­nung aus­ein­ander.
Um was geht es also? Was prä­de­sti­niert uns für eine ver­schlos­sene Auster? In der Rede von Herrn Prantl habe ich eine ganze Reihe von Recht­fer­ti­gungen gehört. Er hat ja sehr deut­lich gesagt, dass der Preis mit seiner ursprüng­li­chen Inten­tion gar nicht zu uns passt. Wir kriegen ihn ja offen­sicht­lich nicht, weil wir Aus­kunft ver­wei­gert haben. Es dürfte kaum jemand im Saal sein, der in der jüngsten Zeit nicht in irgend­einer Weise mit uns Kon­takt hatte, wenn er es denn wollte – und in dem Fall selbst­ver­ständ­lich eine Aus­kunft von uns erhalten hat.
Wenn wir Herrn Prantl folgen, haben wir „wie der Teufel“ kom­mu­ni­ziert. Unheim­lich viel, das aber gefähr­lich ein­seitig, markt­mächtig und Gefahren ver­harm­lo­send.
Wenn eines völlig klar geworden ist in den ganz über­wie­gend poli­ti­schen Bekennt­nissen von Herrn Prantl, dann, dass Ihr Preis und unsere Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ar­beit rein gar nichts mit­ein­ander zu tun haben. Offenbar sollten wir ihn aber unbe­dingt erhalten, auf Teufel komm raus eben. Worauf Sie kur­zer­hand alle Ver­ga­be­kri­te­rien über Bord geworfen und neue defi­niert haben. Was nicht pas­send ist, wird pas­send gemacht. Beein­dru­ckend, wie sehr Sie, Herr Prantl, und die Ver­ga­be­jury sich hier von rein poli­ti­schen Motiven haben leiten lassen. Nur schade um den Preis, der damit zum Spiel­ball poli­ti­scher Inter­essen einiger Ver­lage und Mei­nungs­ma­cher ver­kommt.
Dem flam­menden Plä­doyer gegen die Kern­energie bin ich auf­merksam gefolgt. Neues habe ich dabei nicht gehört. Lauter alte Kli­schees, lauter Halb­wahr­heiten, lauter Stim­mungs­mache – also genau die gefähr­liche Ein­sei­tig­keit, die uns vor­ge­halten wird. Mit einem ent­schei­denden Unter­schied: Sie geben sich den Deck­mantel jour­na­lis­ti­scher Objek­ti­vität.
Stich­wort Objek­ti­vität. Wie objektiv, wie seriös sind eigent­lich Medien, die Feind­bilder schüren? Neu­er­dings werden wir ja gern „Atom­kon­zerne“ genannt.  E.ON zum Bei­spiel hat in etwa so viel Erzeu­gungs­ka­pa­zität in Erneu­er­baren Ener­gien wie in Kern­kraft. „Erneu­er­barer Ener­gien-​Kon­zern“ klingt aber – zuge­geben – etwas holprig, und wirk­lich reiben kann man sich daran auch nicht. Da macht ein  „Atom­kon­zern“ schon mehr her. Sicher nur zufällig wird mit diesem Begriff auch vieles ein­fa­cher: Hier die „Atom­kon­zerne“, da der Rest der Repu­blik. Wenige Böse, viele Gute – alles klar. Und wer zu den Bösen gehört, hat natür­lich auch keine Rechte mehr. Wenn ich Herrn Prantl richtig ver­stehe, sollen nicht Gerichte dar­über ent­scheiden, ob man uns Steu­er­mil­li­arden abnehmen und unsere Kraft­werke ohne Ent­schä­di­gung still­legen darf. Das hat ja die Ver­ga­be­jury der „ver­schlos­senen Auster“ schon getan. Nichts gegen Medien als vierte Gewalt im Staat, aber es gibt da noch drei andere! Und wie jedem Bürger, steht es auch uns frei, die dritte davon anzu­rufen, wenn wir unsere Rechte ver­letzt sehen.
Zu diesem Bild passt ganz her­vor­ra­gend der Vor­wurf des angeb­lich bei­spiel­losen Lob­bying-​Ein­flusses bei der Lauf­zeit­ver­län­ge­rung. Fest­ge­macht wird das ja vor allem an der ganz­sei­tigen Anzeige mit dem Titel „Ener­gie­zu­kunft für Deutsch­land“. Aber dafür die ver­schlos­sene Auster? Offener als mit einer Anzeige kann man ja kaum deut­lich machen, wofür man steht.
Die anschlie­ßende Bericht­erstat­tung hatte mit dem wirk­li­chen Inhalt der Anzeige kaum noch etwas zu tun. Die großen Bösen hatten es gewagt, ihr Teu­fels­zeug in aller Öffent­lich­keit zu pro­pa­gieren. Also her mit dem Pranger. Natür­lich kann man die Anzeige kri­ti­sieren, das Instru­ment an sich, deren Inhalt oder beides. Aber mit Intrans­pa­renz – und die ist ja eines der Ver­ga­be­kri­te­rien für Ihren Preis – hatte auch das nun wirk­lich nichts zu tun.
Natür­lich ver­treten wir unsere Inter­essen, auch gegen­über den Medien. Und natür­lich ver­treten wir dabei auch Posi­tionen, von denen wir wissen, dass viele sie nicht teilen. Dass viele Men­schen – aus wel­chen Gründen auch immer – gegen die Kern­energie sind, war uns immer klar. Dafür haben wir auch Ver­ständnis. Aber: Ist es wirk­lich ein kom­mu­ni­ka­tives Ver­gehen, wenn wir unsere Posi­tion ver­treten? Gehört es nicht gerade zum Wesen eines demo­kra­ti­schen Gemein­we­sens, unter­schied­liche Mei­nungen und Posi­tionen zu ver­treten und zu dis­ku­tieren? Dass wir von der Sicher­heit unserer Anlagen über­zeugt sind, daran konnten auch die ver­hee­renden Ent­wick­lungen in Fuku­shima nichts ändern. Und mit Ver­laub, das öffent­liche Ein­treten für die Sicher­heit unserer Anlagen mag zwar nicht allen gefallen. Aber, dass wir mit diesen Posi­tionen nicht den Main­stream der ver­öf­fent­lichten Mei­nung treffen, kann die „Aus­zeich­nung“ eigent­lich auch nicht recht­fer­tigen.
Last but not least wird in der Preis­be­grün­dung unser jahr­zehn­te­langes Bemühen  ange­führt, die Atom­kraft als sicheren und beson­ders effi­zi­enten Weg der Ener­gie­ver­sor­gung dar­zu­stellen. Hierum haben wir uns in der Tat bemüht Aber Mühen reicht ja oft­mals nicht aus. Und so muss man, zumin­dest wenn man vom Ende denkt, fest­stellen, dass unsere Kom­mu­ni­ka­tion hier nicht erfolg­reich war.
Viel­leicht ist bereits die Vor­stel­lung Utopie, dass es über­haupt jemals hätte mög­lich sein können, über das Angst­thema Kern­energie aus­ge­wogen und  rational zu dis­ku­tieren. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Fakt ist heute: Deutsch­land steigt aus der Kern­energie aus, das ist breiter poli­ti­scher Mehr­heits­wille. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als das zu akzep­tieren.
Ob dieses Ergebnis durch mehr, andere oder gar bes­sere Kom­mu­ni­ka­tion zu ver­hin­dern gewesen wäre, bleibt Spe­ku­la­tion. Aber das hätte Ihnen dann ja erst recht nicht gepasst. Dass wir mit der Kom­mu­ni­ka­tion letzt­end­lich nichts erreicht haben, ist leider eine Tat­sache. Dass wir uns zumin­dest bemüht haben, spre­chen Sie uns nicht ab. Dass bereits das Bemühen ein Kri­tik­punkt ist, der zur Preis­ver­lei­hung recht­fer­tigt, haben Sie ent­schieden.
Daher bleibt für mich unterm Strich ein Preis, den es zu ver­leihen galt für ein Thema, an dem kein Medi­en­ver­treter vor­bei­gehen konnte – mit einer Begrün­dung, die nur dann nach­voll­ziehbar ist, wenn man das Ver­treten von Posi­tionen, die aus Sicht der Ver­ga­be­jury poli­tisch falsch sind, als preis­wür­diges Ver­halten betrachtet. Den Preis der „ver­schlos­senen Auster“ nehme ich daher ent­gegen, aber nicht an.
Aber: It´s all about per­cep­tion: Der Kri­tik­preis soll einen offenen Umgang mit den Medien bewirken. Wenn es uns in der Ver­gan­gen­heit noch nicht bei allen von Ihnen gelungen ist, dies zu beweisen, soll unser Kommen und das Nicht­weg­tau­chen ein Beleg dafür sein, dass wir es mit der Offen­heit ernst nehmen.

Ich danke Ihnen für Ihre Auf­merk­sam­keit!

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