Laudatio zur Verleihung des Leuchtturm 2010
Leuchtturmpreisträger 2010: Dr. Heiner Geißler, Dr. Andreas Zielcke und Arno Luik
Laudatorin: Ines Pohl, Chefredakteurin der taz
Lieber Herr Dr Geissler
Lieber Herr Dr Zielcke
Lieber Arno Luik
Lieber Thomas Leif
Sehr geehrte Herren und Damen!
In Stuttgart ist nichts mehr wie es war. Langjährige Doppelkopfrunden zerbrechen an der Frage, ob lieber oben oder unten, Fahrgemeinschaften lösen sich auf, bei Familienfeiern bleiben ganze Stuhlreihen leer. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt regieren Wut und Mißtrauen. Die ganze Republik beobachtet staunend dieses Wunder von Stuttgart, an dessen Ende das Undenkbare möglich scheint: Nach fast 60-jähriger CDU-Regentschaft kann es sein, dass das schwarze Ländle am Ende nicht nur in grüne, sondern womöglich sogar rot-grüne Hände fällt.
Schuld daran sind Arno Luik und Andreas Zielke. Und dafür werden sie heute vom Netzwerk Recherche mit dem “Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen” ausgezeichnet.
Sie haben mit ihrer Arbeit ein Beben ausgelöst, dass – so befürchten die einen und hoffen die anderen – bis ins ferne Berlin seine Spuren hinterlassen wird.
Dabei haben Sie mit ihrer Arbeit nicht nur politische Grundfeste im Daimler-Land – und außerhalb! – erschüttert. Sie haben Fakten ans Licht der Öffentlichkeit gebracht, die wichtige Entscheidungsträger lieber mit einem Millionenaufwand für alle Zeiten ganz tief in der Erde verbuddelt hätten. Sie haben einmal mehr gezeigt, welche Rolle den klassischen Tugenden des Journalismus nach wie vor zukommt, auch in einer Welt von twitter, Bloggern und webcams. Und sie haben gezeigt, wie fatal es für die Glaubwürdigkeit der Entscheidungsträger in einer demokratischen Gesellschaft ist, wenn die Medien hier versagen.
Durch die journalistische Arbeit von Luik und Zielke mußte der Rest der Republik allerdings auch erkennen, dass die vermeintlich braven Schwaben durchaus in der Lage zum Massenprotest sind und sogar bereit, Kastanien zu werfen, wenn sie merken, dass sie von Politik und Wirtschaft an der Nase herumgeführt werden. Und dass der Remstalrebell mehr ist, als nur der Vater eines prominenten Bürgermeisters. Von wegen unkritisches Wohlstandsländle!
Den Anfang hat dabei Arno Luik gemacht, mit seiner Artikel-Serie im Stern, die im Juli diesen Jahres als erstes über die wahren Machenschaften der Tunnelplaner berichtet hat.
Mit seinem Text “Ab in die Grube”, lenkte er die nationale Aufmerksamkeit auf das umstrittene Bahn- und Bauprojekt. Bis dahin war es allenfalls ein Thema von regionaler Bedeutung in Württemberg. Mittlerweile hält es immer wieder das ganze Land in Atem. Luik war der erste, der beweisbare Argumente gegen das Milliardenvorhaben vorlegte. Er lieferte den Gegnern Argumente, die sie wieder hoffen ließen zu einem Zeitpunkt als es so schien, als würde ihnen die Luft ausgehen, als wäre der Kampf gegen die Mächtigen hoffnungslos — in einer Medienwelt, die sie, die Gegner, entweder ignorierte oder gegen sie verschworen schien. Nach den ersten Berichten des Bahnexperten vervielfachte sich der Widerstand, in jedem Teil seiner insgesamt 6-teiligen Artikelserie legte er immer neue Beweise vor und Dokumente, an denen keiner mehr vorbei kommt. Entsprechend war es wenig verwunderlich, dass der SPD-Politiker Erhard Eppler ausgerechnet im Stern dazu aufrief, über die Zukunft des Stuttgarter Kopfbahnhofes in einem Volksentscheid abstimmen zu lassen.
Ein Aufruf, der Menschen im ganzen Land darüber diskutieren läßt, wie sehr die Bevölkerung in die Entscheidung über Großprojekte einbezogen werden muss, wo die Grenzen der repräsentativen Demokratie erreicht sind, und wann das Volk ganz direkt beteiligt werden muss, damit sich vor allem bei Jahrzehnte währenden Großprojekten nicht fast zwangsläufig der politisch-wirtschaftliche Klüngel durchsetzt gegen das wirkliche Wohl der Allgemeinheit.
Nach Arno Luik begaben sich auch andere Vertreter überregionaler Medien in die Mühen der Ebene. An ganz herausragender Stelle: Andreas Zielcke von der Süddeutschen Zeitung, der zweite Journalist, der heute Abend ausgezeichnet wird. In seinem Beitrag „Der unheilbare Mangel“, der im Oktober in der SZ erschien, analysiert er mit bewundernswerter Akribie und, wie die Jury in ihrer Begründung sagt, „chirurgischer Präzision“, die Widersprüche und Tricks, die im S21 Genehmigungsverfahren immer wieder angewandt wurden. Nach Zielcke kann keiner, der es ehrlich meint, noch behaupten, dass die Bürgerinnen und Bürger doch hätten wissen können und wissen müssen, was da auf sie zukommt. Zielcke belegt mit unglaublicher Detailkenntnis, dass die Bürgerinnen und Bürger ganz bewusst und über viele Jahre und viele Instanzen hinweg fehlinformiert wurden.
Bei einem Journalistenpreis ist es ja immer auch spannend, auf die ganz konkrete Arbeit der KollegInnen zu blicken. Beide, weder Luik noch Zielcke, haben im klassische Sinne investigative „Heldentaten“ vollbracht. Sie sind weder in Kriegsgebiete gereist, noch haben sie in spektakulären Aktionen geheime Dokumente besorgt oder ganze Netzwerke gekapert.
Eigentlich haben sie nichts anderes getan, als die klassischen Tugenden des Journalismus zu verfolgen.
Luik hat sich schlicht geweigert, den großen Wortblasen der Politik aufzusitzen. Sätze wie “Stuttgart wird zum Herz Europas” lachte der Bahnexperte einfach weg und zeigte ganz konkret, wie widersinnig, wie teuer und gefährlich die Verlagerung eines Großbahnhofes in den Untergrund wirklich ist. Luik saß auch nicht der PR-Finte von der vermeintlichen Zukunftsfeindlichkeit auf, durch deren Schmähcharakter sich einige, eigentlich kritische Köpfe davon abhielten ließen, ihren gesunden Menschenverstand einzusetzen. Mit viel Energie und Beharrungsvermögen konzentrierte er sich auf das, was den Kern jeder investigativen Recherche ausmacht. Mit seiner Arbeit sorgte er für die grundlegenden Informationen, mit denen eine ehrliche und anständige Analyse der Sinnhaftigkeit des Projektes überhaupt erst möglich wurde.
Zielckes Leistung besteht in einer enormen Fleißarbeit. Vielleicht nicht unbedingt das, was Leute die „irgendwas mit Medien machen wollen“, gerne tun. Eigentlich sollte aber genau das die Alltagtsarbeit sein, vor allem der Journalisten und Journalistinnen vor Ort: Ins Archiv zu gehen und die Erzählungen der Politiker mit den Fakten der Geschichte zu konfrontieren. Dass genau dieses, im wahrsten Sinne des Wortes Naheliegendste, vor Ort nicht passiert ist, ist ein Umstand, mit dem ich mich gleich noch beschäftigen will. Aber nicht, ohne davor eine Person zu würdigen, die ich bisher noch gar nicht erwähnt habe, und die aufs erste auch nicht so recht ins Bild passen will, handelt es sich doch hier um einen Journalistenpreis.
Mit seinem beherzten Eingreifen in den Bahnhofskampf erwarb Heiner Geißler sich vom Tag 1 seines Schlichtertums an Kultstatus. Ob vorschnell, unbedarft oder super ausgebufft: Wer mag die wahren Gründe kennen, warum er mit einem solchen Knall die Schlichter-Bühne betrat und, offensichtlich ohne Absprachen, das verkündete, was die S21-Gegner schon lange forderten: Einen Baustopp, zumindest während der Zeit der Verhandlungen. Damit machte der Mann mit dem verschmitzen Lächeln im vom Leben beschriebenen Gesicht in jedem Falle eins klar: Ich, Heiner Geißler, suche mir die Wege aus, die ich beschreiten will, um diesen Konflikt aufzulösen.
Mit seinem Vorstoß, die Schlichtungsgespräche öffentlich zu machen, gelang ihm nicht nur ein Quotenerfolg bei Phoenix. Er erreichte damit genau das, was über Jahre verhindert wurde: Echte Transparenz. Die Live-Übertragung zu nutzen, um eine demokratische Beteiligung herbei zu führen, war schon jetzt, noch vor dem Schlichterspruch und seinen Folgen, ausgesprochen erfolgreich. Damit ist es Ihnen, Herr Dr Geißler, gelungen, schon jetzt in erheblichem Maße zur Deeskalation und Befriedung in Stuttgart beizutragen.
Und erlauben sie mir als gebürtiger Mutlangerin an dieser Stelle noch eine persönliche Anmerkung: Nicht nur Sie selbst freut es über alle Maße, dass Sie in letzter Zeit so oft im Fernsehen Tunnellll sagen dürfen. Das wärmt nicht nur im fernen Berlin die zahlreichen Schwabenherzen.
Eigentlich, so hätte man meinen können, sollte die Auseinandersetzung um das Riesenprojekt Stuttgart 21 eine Sternstunde des deutschen Journalismus sein. Im Stuttgarter Kessel ist das anders. Anstatt dass den Zeitungsverkäufern die Blätter noch druckfrisch aus den Händen gerissen worden wären, wurden Abos bei den beiden Regionalblätter gekündigt, der Kiosk-Verkauf läuft seit Wochen mies, jahrzehntelange LeserInnen wenden sich von ihren Heimatzeitungen ab, weil sie ihnen fremd geworden sind.
Traditionell sind die lokalen und regionalen Presseorgane da besonders gut, wo es hilft, einen Skat-Bruder zu haben, der auf dem Rathaus arbeitet oder sich im Verkehrsausschuss engagiert. Das erleichtert den Nachrichtenfluß ungemein, und macht investigativen Journalismus auch für jene möglich, die ohne teure Rechercheteams auskommen müssen. In Stuttgart war das anders. Mit Luik und Zielcke mussten Kollegen von außen kommen, um das zu tun, was eigentlich Standard sein sollte für unsere Zunft: vorbehaltlos hinhören, hinterfragen, eigene Fakten sammeln und in Beziehung setzen — und dann darüber berichten.
Die Stuttgarter Zeitungen haben das nicht getan.
Beschämend offensichtlich haben sie sich von Anfang an ein Stück weit als Pressesprecher des Projekts begriffen. Laut Stern hat Uwe Vokötter, der einstige Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung — kurz StZ — der heute bei der “Berliner Zeitung” arbeitet, inzwischen ehrlicherweise zugegeben, es sei ein “Fehler gewesen S21 zu StZ 21 zu machen“. Von ihrem aussenpolitischen Ressortleiter Adrian Zielke stammt immerhin der Satz: “Ohne die Zustimmung der ‘Stuttgarter Zeitung’ zu diesem Grossprojekt würde, so vermute ich einfach mal, Stuttgart 21 nie gebaut werden.” Den hat er übrigens kurz vor seinem Rückzug in den Ruhestand gesagt.
Noch im Sommer diesen Jahres, also auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung, schrieb der stellvertretende Chefredakteur Michael Maurer: “Die Stuttgarter Zeitung hat schon lange eine klare Haltung zu Stuttgart 21: Wir sehen das Vorhaben positiv.”
Nun gibt es in Stuttgart ja eigentlich zwei Zeitungen, eben jene “Stuttgarter Zeitung”, aber eben auch die “Stuttgarter Nachrichten”.
In diesem Falle aber half das der interessierten Öffentlichkeit wenig. Denn hinter beiden Zeitungen steht ein Verlag: Die Südwestdeutsche Medienholding, die ordentlich bei der Landesbank in der Kreide steht, besitzt ein publizistisches Monopol. Kritiker sagen: die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft, die die Geschicke der Landesbank lenken, bestimmen auch die Blattlinie in Stuttgart.
Nun könnte man hoffen, dass wenigstens der Öffentliche Rundfunk eingesprungen wäre und sich als unabhängigere Kraft profiliert hätte. Aber auch hier: Fehlanzeige: Auch er verschlief in weiten Teilen das Thema. Kritiker sagen: der politische Einfluss auf den Sender habe bewußt lange Zeit verhindert, dass das Thema offensiv in der Weise aufgegriffen wurde, wie es angemessen gewesen wäre.
Ähnliches trifft für das SWR Fernsehen zu. Bevor Arno Luik als erster durch seine überregionale Berichterstattung die Verantwortlichen mit sauber recherchierten Fakten bombardierte, übte sich der Sender in sehr merkwürdiger journalistischer Zurückhaltung gegenüber dem Megathema Stuttgart 21. Bis dahin wurde das Thema praktisch nur in Form von Nachrichten- und Magazinbeiträgen aufgegriffen. Statt sich mit dem Thema vor der Haustür zu profilieren, regiert eher die Furcht, es allen Seiten recht zu machen. Recht machen zu wollen.
Was also lernen wir von Stuttgart 21?
Wir sollten erkennen, dass es in Wahrheit nicht das Internet ist, das den Qualitätsjournalismus bedroht. Wir lernen, dass die Qualität des Journalismus da am meisten gefährdet ist, wo sie am dringendsten gebracht wird: Direkt vor Ort. Ganz nah dran. Dort, wo sich zeigt, welches Demokratieverständnis und welches Menschenbild diejenigen haben, die die Macht in unserem Land ausüben.
Wir lernen, dass zu große räumliche Nähe offenbar journalistische Qualität verhindern kann, allemal in Zeiten, in denen sich einige wenige Großverleger und Zusammenschlüsse den Markt der Fläche aufteilen.
Wir lernen, dass die wirtschaftlichen Abhängigkeiten oft zu groß sind, als dass man es sich bei so einem teuren Projekt wie S 21 glaubt leisten zu können, grundlegende Kritik zu üben. Erst als das Interesse von überregionalen Medien geweckt wurde, die unabhängig vom lokalen und regionalen Beziehungsgeflecht arbeiten, kamen die brisanten Geschichten zu S21 ans Licht, die heute ausgezeichnet werden.
Wir lernen aber auch, dass es die Bürger selbst waren, die ihre regionalen Medienorgane zu einer kritischen Berichterstattung gezwungen haben. Und hierbei klug und kreativ die Möglichkeiten des Internets nutzen.
Weil sie sich verweigert haben und ihre teilweise jahrzehntelange Verbundenheit aufgekündigt haben.
Auch das sollte und kann Mut machen.
Und auch hierfür gilt den drei Ausgezeichneten heute abend unser Dank.
In diesem Sinne noch einmal:
Herzlichen Glückwunsch. Und ich tät saga: Oba bleiba!