Leuchtturmpreisträger 2011: FAZ und FAS
Laudator: Hans-Ulrich Jörges, Mitglied der stern-Chefredaktion
Diese Preisverleihung wäre zu keinem besseren Zeitpunkt denkbar. Nächste Woche erscheint das Interview-Buch „Vorerst gescheitert”, in dem sich Karl-Theodor zu Guttenberg zu seiner Plagiatsaffäre und seiner politischen Zukunft einlässt, und aus dem die „Zeit” in ihrer neuen Ausgabe aufregende Passagen vorabdruckt.
Guttenberg bleibt darin bei seiner Linie, es habe sich in seinem Fall nicht um kühl kalkulierten Dissertationsbetrug gehandelt – es habe auch kein anderer seine Doktorarbeit geschrieben -, sondern um einen „Fehler”, wenn auch einen „ungeheuerlichen Fehler”, unzureichender Kennzeichnung von Quellen nämlich, dem „Chaos” seiner Materialsammlung geschuldet.
Und, weitaus bedeutsamer: Er kündigt seine Rückkehr nach Deutschland und seine Rückkehr in die Politik an, wobei er betont, er sei „zurzeit” Mitglied der CSU, die von einer „Infektion” befallen sei, und wie alle früheren Volksparteien womöglich ihrem Ende entgegen gehe. Zugleich fabuliert er über eine neue Partei, in der politischen Mitte angesiedelt. Man darf das getrost als Drohung interpretieren: Nehmt mich wieder auf in der Union, rehabilitiert mich – oder ich mache Euch Konkurrenz.
Der Fall Guttenberg ist also weder politisch noch medial abgeschlossen. Wir dürfen uns auf die fortgesetzte Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung freuen. Das wird schon in diesen Tagen beginnen.
Wir dürfen uns darauf freuen, denn FAZ und FAS haben Maßstäbe gesetzt mit ihrer Berichterstattung über die Guttenberg-Affäre im Februar und März dieses Jahres. Sie ist ein Musterbeispiel für die mediale Befassung mit einem bewegenden, die Gesellschaft zutiefst aufwühlenden Thema. FAZ und FAS haben nicht nur vorbildlich recherchiert, informiert und eingeordnet, sie haben auch herausragend kommentiert – in großartigen Leitartikel.
Aber hier geht es nicht um mustergültiges Handwerk, ausgezeichnet wird die bestechende journalistische Haltung der beiden Blätter. Wer sie ermessen will, sollte sich noch einmal Auszüge dessen anhören, was die Redaktion seinerzeit zu lesen bekam.
„Der Anspruch (…), wonach die Truppe der medialen Meinungs-macher über das politische Schicksal des Bundesverteidigungs-ministers entscheidet, lässt sich an Arroganz kaum überbieten”, schrieb ein Doktor der Rechte aus Essen.
„Wenn nach dem Winterfrost die Wiesen auftauen, dann kommen sie, die Wildschweine, und wühlen in den Wiesen auf der Suche nach Nahrung. Und sie wühlen so lange, bis sie etwas finden”, schrieb ein anderer Doktor unbekannter Fachrichtung aus dem großbürgerlichen Bad Homburg.
„Großartig haben Sie das gemacht, ganz großartig”, schrieb eine Dame ohne akademischen Titel aus dem schönen Wiesbaden. „Endlich sind alle unbequemen Politiker durch die Medien beseitigt: erst Köhler, dann Sarrazin und demnächst Guttenberg. (…) Ich (62 Jahre alt) wähle von nun an die Piratenpartei.”
Wer die kritische Haltung der FAZ zu dem Plagiator seinerzeit teilte, weiß, was sich dahinter verbarg: ein wahrer Tsunami wütender Leserbriefe – nur vergleichbar mit der Flutwelle der Empörung, die sich wenige Monate zuvor über Kritiker Thilo Sarrazins ergossen hatte. Der Begriff „Wutbürger” ist seit den Protesten gegen „Stuttgart 21″ in aller Munde. Kritische Medien, ganz besonders FAZ und FAS, lernten damals „Wut-Leser” kennen.
Sie wüteten gegen die Berichterstattung zweier Blätter, deren Haltung zu Guttenberg in einem einzigen unvergesslichen Satz des Herausgebers Berthold Kohler über den seinerzeitigen Shooting Star ihren Ausdruck fand: „Auch in der Stratosphäre gelten noch die Gesetze der Schwerkraft.”
Es gab damals zwei ganz andere, für viele verlockende Pole in der politisch-publizistischen Auseinandersetzung: „Macht keinen guten Mann kaputt. Scheiß auf den Doktor”, hieß es in der „Bild”-Zeitung. Sie habe Guttenberg „nicht als wissenschaftlichen Mitarbeiter” eingestellt, verkündete die Kanzlerin. FAZ und FAS haben sich von diesen Blendgranaten nicht den Blick nehmen lassen. Sie haben gestanden und sie haben widerstanden.
Jean-Paul Sartre schreibt in seinen „Entwürfen für eine Moralphilosophie”: „Die Sittlichkeit muss sich auf ein Ziel hin überschreiten, das sie nicht selbst ist.” Mit anderen Worten: Wer der Sittlichkeit folgt, muss nicht nur den Horizont seiner eigenen, seiner egoistischen Interessen überschreiten; er darf sich auch nicht in der Pose des Moralisten erschöpfen.
FAZ und FAS haben im vorliegenden Fall den Horizont der verlegerischen Interessen überschritten: Sie haben Kategorien wie Auflage und Abonnentenzahl hintan gestellt, sie haben sich einzig dem journalistischen Ethos unterworfen – ohne sich freilich darin eitel zu spiegeln.
Ich habe von Haltung gesprochen. Haltung zu zeigen, kann quälend sein, vordergründig betrachtet sogar schädlich. Sie kann einsam machen. Haltung ist Ausweis von Bildung, von Charakter, von Gewissen und freiem, unbeugsamem Willen.
Die „Frankfurter Allgemeine” und die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” haben in beeindruckender Weise Wahrhaftigkeit, Geradlinigkeit und Unbestechlichkeit bewiesen. Sie haben sich an dem Maßstab orientiert, den Guttenberg blenderisch als seinen ausgegeben hatte: Anstand.
„Kaum ein anderer Bereich unserer Gesellschaft prägt Haltungen und Lebensentwürfe ganzer Generationen so stark, wie die Medien dies vermögen”, befand Angela Merkel zum 80. Geburtstag des Verlegers Alfred Neven DuMont. Manchmal sagt sie ja auch etwas Richtiges – und das war vor der Affäre Guttenberg. In diesem Sinne haben FAZ und FAS der moralischen Nachhaltigkeit gedient. Und etwas salopper angemerkt: Die Zentralorgane der deutschen Akademiker haben die Würde der deutschen Akademiker verteidigt.
Sie waren, sie sind Leuchttürme in der Medienlandschaft. Das Netzwerk Recherche hätte in diesem Jahr keine geeigneteren Empfänger des Preises finden können, der diesen Namen trägt: Leuchtturm. Dazu gratuliere ich, auch ganz persönlich.