„Aufregung, Sehnsucht, Hoffnung, Scheitern, Sehnsucht, Traurigkeit, Heimweh, Sehnsucht, Stolz, Sehnsucht, Sehnsucht.“ So beschreibst Du, Niloufar, deine Gefühle, als sie dich auf dem Weg vom Gefängnis zum Gerichtssaal an der Redaktion, in der du bis vor deiner Festnahme gearbeitet hast, vorbeigeführt haben. Du sitzt nun seit über acht Monaten in Untersuchungshaft, zum großen Teil in der Einzelzelle. Die exakten Vorwürfe gegen dich sind nicht bekannt, dein vermeintlicher Prozess findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, selbst dein Anwalt darf sich die Akten nicht anschauen.
Vielleicht werden wir nie erfahren, was dir, Niloufar, nur durch den Kopf gegangen ist, als du an jenem Septemberabend ins Krankenhaus gefahren bist und von Jina Mahsa Aminis Tod berichtet hast, davon, was ihre Familie durchmachen musste. Wusstest du schon in dem Moment, dass du Geschichte schreibst? Vielleicht erzählst du uns am Morgen der Freiheit in deinem Tagebuch, was du dir am besagten Septemberabend gedacht hast. Doch eins sind wir uns sicher: Du warst dir der Gefahr bewusst. Du wusstest, dass es in keinerlei Weise für dich gut ausgehen würde, wenn du der Welt das Bild von Jinas Eltern mitteilst.
Auch du, Elahe, du wusstest ganz genau, was du machst, als du dich entschieden hast, nach Saghez, in die Heimatstadt von der an Polizeigewalt ermordeten Jina Mahsa Amini, zu fahren, um von ihrer Beerdigung zu berichten. Du hast deiner Geschichte den Titel gegeben: „Die ganze Heimat trauert.“ Im Nachhinein könnte man deine Reportage anders betiteln, vielleicht etwa: „Die ganze Heimat kämpft“.
Es war kein Zufall, Niloufar, dass du, gerade du eine der ersten Journalist*innen warts, die von dem Tod der 22-Jährigen berichtet haben. Das lässt sich durch deine Berichterstattung in all diesen Jahren feststellen: Vor einigen Jahren war es dein Bericht von dem brutalen Mord an einer 14-Jährigen durch ihren eigenen Vater, der eine landesweite Debatte über häusliche Gewalt ausgelöst hat. Direkt nach Talibans Machtübernahme in Afghanistan bist Du, Niloufar, an die Grenze gefahren, um über die afghanischen Geflüchteten zu berichten. Es warst du, die von den Selbstmordwellen unter den Soldaten während des Pflichtwehrdienstes berichtet hat. Du hast dich getraut, von den Gefahren der illegalen Abtreibungen im Land zu berichtet, weil die islamistische Herrschaf die Abtreibung kriminilasiert hat. Du hattest den Mut, aufzuzeigen, dass Selbstverbrennung ein weit verbreitetes Phänomen unter Frauen im westlichen Iran ist. Und du hast im vergangenen Sommer von Gewalt der sogenannten Sittenpolizei berichtet. Du hattest uns gewarnt, du hattest schon lange vor dem Mord an Jina den Staat gewarnt, dass die Sittenpolizei Gewalt ausübt.
Auch du, Elahe, du bist nicht zufällig nach Kurdistan gefahren, um von dieser Beerdigung zu berichten, einer Beerdigung, die nicht das Ende, sondern der Anfang war. Anfang deiner Freiheits’entzug. Anfang eines neuen Kapitels im Kampf um unsere Freiheit. Du hast uns in den vergangenen Jahren auf zahlreiche Missstände im Land aufmerksam gemacht. Auf den Ausbruch von Corona-Virus in Frauentrakten von Teheraner Gefängnissen; auf Straßenkinder, die zu arbeiten gezwungen werden; auf die afghanischen Migrantenkinder, die nicht in die Schule gehen dürfen.
Ein Jahr durftest du in keiner Zeitung veröffentlichen, ein Jahr Berufsverbot ohne Gerichtsverfahren, weil du von Massenprotesten im November 2019 berichtet hast, vom Absturz eines Passagierflugzeugs durch die Raketen der Revolutionsgarde. Du hast dich aber nicht nur mit dem Geheimdienst angelegt, sondern auch mit deinen Vorgesetzten, mit deiner eigenen Redaktion, als du von sexuellem Missbrauch innerhalb der Redaktionen berichtet hast. Ungleichheit konnte sich nirgendwo von deinem journalistischen Instinkt verstecken.
Ihr, Niloufar, Elahe, ihr wusstet ganz genau, was euch erwartet, wenn ihr tut, was ihr getan habt. Ihr habt es trotzdem gemacht, ihr seid eurer journalistischen Aufgabe nachgegangen, denn ihr seid davon überzeugt, und ihr wolltet uns zeigen, dass Journalismus nichts anders ist, als die Sonne an die Hand zu nehmen und sie in die dunklen und unheimlichen Ecken zu tragen, wo die Düsterheit das Licht gestohlen hat.
Und nun, seit acht Monaten, zeigt ihr uns, dass ihr euren Kampf um Freiheit und Gleichberechtigung mit eurer Festnahme nicht für beendet erklärt habt.
Elahe, Niloufar, wir verleihen euch diesen Preis, nicht um euch zu loben. Ihr braucht es nicht. Dieser Preis ist zu klein für ^euch. Ihr seid zu groß für diesen Preis, für jeden Preis. Du hast es selbst mal gesagt, Niloufar: Du hast den größten Journalismuspreis da gewonnen, als du den Stimmlosen eine Stimme gegeben hast.
Ihr sitzt seit über acht Monaten zu Unrecht hinter Gittern, und ihr habt mehrmals deutlich gemacht, dass ihr nur eins vermisst: ihren Job. Journalismus.
Liebe Elahe, liebe Niloufar, wir verleihen euch diesen Preis, um uns selbst daran zu erinnern, was Journalismus eigentlich ist, was Journalismus eigentlich kann und was unsere Aufgabe als Journalist*innen ist. Ihr mahnt uns mit eurem Widerstand, mit eurer Sehnsucht nach Journalismus. Wir verleihen euch diesen Preis, um zu zeigen, dass wir eure Mahnung ernst nehmen.
Und wir sind uns sicher, dass ihr diese dunklen Tage überstehen werdet. Ihr müsstet es überstehen. Denn Journalismus braucht euch.
Danke.