Sonder-Leuchtturmpreisträger 2020: Science Media Center (SMC)
Laudatorin: Nicola Kuhrt, Medizinjournalistin
20. Juni 2020
Es war der 31. März 2015. Martin Schneider, Vorsitzender der Wissenschaftspressekonferenz, und der freie Wissenschaftsjournalist Volker Stollorz hatten einen wichtigen Termin. Sie waren unterwegs nach Heidelberg. Dort sollte Klaus Tschira die finale Unterschrift unter die Gründungsurkunde des Science Media Center Deutschland setzen. Seit mehr als vier Jahren hatten die beiden Wissenschaftsjournalisten, zusammen mit weiteren Kollegen und klugen Köpfen aus dem Wissenschaftsjournalismus – ich möchte stellvertretend Franco Zotta und Holger Hettwer nennen – an dem Projekt gearbeitet, ihre Idee vorangetrieben, eine deutsches Science Media Center zu gründen und aufzubauen.
Die Idee war orientiert am britischen Vorbild, das bereits 2002 gestartet war mit dem erklärten Ziel die Öffentlichkeit mit evidenzbasierten Informationen vor irreführender Berichterstattung zu schützen. Ziel war und ist es, der Wissenschaft eine Stimme geben, wenn Wissenschaftsthemen auf dem Weg in Schlagzeilen sind. Mit dem Ziel „to get the news right“ orientiert sich das britische Vorbild insbesondere an den Schlagzeilen der wichtigsten Newsmedien und adressiert speziell Nachrichten- und Leitmedien-Journalisten. Die Angebote waren und sind genau auf den Bedarf dieser Journalisten zugeschnitten: rapid reactions, Pressekonferenzen, daneben fact sheets und crib sheets („Spickzettel“).
Das wollten Franco, Volker, Martin und ihre weiteren Mitstreiterinnen und Mitstreiter auch. Aber anders als in Großbritannien, galt dieses doch als “press office for science” – tendenziell also eher einseitig, nur wissenschaftsfreundliche Berichterstattung würde gefördert, der Output daher eindimensional.
Das Gründungsteam plante seinen eigenen Weg: Unterstützung der Berichterstattung von Journalistinnen und Journalisten JA – aber transparent und unabhängig. Man wollte zum verlässlichen Partner im Dschungel wissenschaftlicher Nachrichten werden, evidenzbasiert, man plante eine unabhängige Expertendatenbank aufzubauen und allen Kolleginnen und Kollegen diesen Service kostenfrei zur Verfügung stellen.
Man wird doch einmal träumen dürfen.
Und das taten die Gründerköpfe und mehr noch, sie machten sich stark für diese Idee, stellten eigene Studien zu Machbarkeit an und warben für ihren ehrgeizigen Plan. Durch beinahe einen Zufall – Volker Stollorz war als Journalist in Residence eine zeitlang am Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS) in Karlsruhe und lernte Klaus Tschira kennen. Der Wissenschaftler war eben nicht nur einer der Gründer des Softwareunternehmens SAP, sondern er initiierte auch das HITS. Tschira war begeistert von der Idee eine deutschen SMCs und erklärte sich bereit, dieses finanziell zu unterstützen.
Neben seiner Stiftung sollte auch die Wissenschaftspressekonferenz – mit 10 Prozent – Gesellschafter des SMCs werden, geplant war ein Föderkreis und ein Fachbeirat, um größtmögliche Transparenz herzustellen.
Unter vielen freien wie festangestellten Kollegen rumorte es. Dass da etwas kommen sollte, war schnell durchgesickert. Würde das SMC ihnen wirklich ein hilfreiches Beiboot in der eigenen Berichterstattung werden, ihnen Arbeit abnehmen – ohne das eigene Geschäftsmodell kaputt zu machen? Auch hier war viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Doch nun schien alles geschafft. Martin und Volker saßen im Zug, eine wichtige Unterschrift noch, dann könnte es los gehen.
Doch es kam anders. Im Zug sitzend, kurz vor der Haustür Tschiras stehen, erhielten die beiden die Nachricht, dass dieser verstorben war. In die Trauer mischten sich schnell auch die bange Frage: War es das nun auch für das SMC? Waren alle Planungen und Bemühungen umsonst gewesen?
Es ist der Familie Klaus Tschiras zu verdanken, dass das SMC auch danach seine Chance bekam. Einiges musste neu geregelt werden, aber am 1. Juli 2015 war tatsächlich alles geschafft: Die Klaus Tschira Stiftung gibt die Pressemitteilung heraus, dass man den Aufbau des SMC als gemeinnützigen Einrichtung ermöglicht. Das „SMC hilft Journalisten bei der Orientierung, wenn Wissenschaft Schlagzeilen macht“.
Seit dieser Zeit hat sich das SMC seinen Stand erarbeitet.
Die Expertendatenbank besteht aus mittlerweile über 400 Wissenschaftlern, die das SMC-Zertifizierungsverfahren absolviert haben und je nach Fachgebiet immer dann um eine kurze Stellungnahmen gebebeten werden, wenn ein tagesaktuelles Ereignis mit Wissenschaftsbezug Schlagzeilen macht.
Die kurzen Statements werden Journalisten, die sich beim SMC angemeldet haben, zur Verfügung gestellt. Meist gibt es drei bis vier Wissenschaftlerstimmen, die dem Journalisten helfen, das wissenschaftliche Ereignis einzuschätzen. Egal ob es um die Debatte um Grenzwerte bei Kohlendioxid, zu E-Zigaretten, zum Klimawandel oder zuletzt und vor allem Einschätzungen zu Covid19, zur Impfstoffentwicklung oder den Problemen der Corona-Warn-App geht. Die Statements kommen tagesaktuell und ermöglichen es Journalisten, fundiert über diese Themen zu berichten.
Neben den aktuellen Statements bietet das SMC Fact Sheets (zu „Feinstaub“, „Cannabis“, zu „Der Weg zum selbstfahrenden Auto“ bis zu „Wie berechtigt sind Hoffnungen auf RNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2?“), es gibt Online-Pressbriefings, „Research in Context, und hilfreiche Tools wie den „Operation Explorer“. Das SMC Lab ermöglichte zuletzt unter anderem eine Datenanalyse über die regionalen Unterschiede beim Einsatz von künstlichen Kniegelenken in Deutschland. Dieser Report erregte bundesweit Aufsehen.
Knapp 20 Menschen arbeiten mittlerweile im SMC, das seinen Sitz in Köln hat.
2019 wurde einmal das eigene Angebot auf den Prüfstand gestellt, damals stellte man fest, wie häufig Informationen des SMC in Artikeln aufgegriffen werden: Seit der Gründung wurden vom SMC vermittelte Experten-Einschätzungen mehr als 7.000 Mal in knapp 4.000 Berichten zitiert, und das in rund 500 unterschiedlichen Medien.
Spätestens mit seinem gigantischen Service in der Corona-Krise – 27 Rapid Reactions, 14 Online-Pressekonferenz, zehn Fact-Sheets, vier Research in Context – Unterstützung des COSMO-Projekts – ist das SMC zu einem unverzichtbaren Unterstützer vieler (nicht nur) Wissenschaftsjournalisten geworden.
Ich bin sehr stolz und froh, euch ein wenig dabei begleitet zu haben und euch heute als überzeugte Nutzerin eures Angebots den Netzwerk-Recherche-Sonderpreis überreichen zu dürfen.
Für euer Engagement, dafür dass ihr brennt für Wissenschaft und dafür, verlässliches Fachwissen in die Berichterstattung zu bringen, jeden Tag.
Vielen Dank.