Ver­schlos­sene Auster 2002 für Otto Schily

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 27. April 2002 | Lese­zeit ca. 21 Min.

Bun­des­in­nen­mi­nister Otto Schily bekommt den Nega­tiv­preis für den schlimmsten Info­blo­cker des Jahres wegen seines restrik­tiven Umganges mit den Medien

Für seinen restrik­tiven Umgang mit den Medien erhielt der Bun­des­in­nen­mi­nister als erster vom Netz­werk Recherche die Negativ-​Aus­zeich­nung “Ver­schlos­sene Auster”. Schily nahm den Preis auf der Jah­res­ta­gung des Netz­werks ent­gegen.

Schily gewann seinem Negativ-​Preis noch etwas Posi­tives ab. Das Netz­werk hätten ihm genau so gut eine Gol­dene Mies­mu­schel ver­leihen können, “also lieber die Auster”, sagte Schily in seiner Gegen­rede zur Lau­datio des frü­heren ZDF-​Mode­ra­tors Ulrich Kienzle.

In der Lau­datio begrün­dete Kienzle für das Netz­werk Recherche die Ver­gabe an Schily damit, dass auf diese Weise der restrik­tive Umgang des Minis­ters mit den Medien bewertet werde. Er erhalte die Klein­skulptur für seine häu­fige Ableh­nung von Inter­view­an­fragen zu kri­ti­schen Themen und für die Blo­ckade des “Infor­ma­ti­ons­frei­heits-​Gesetzes”. Von Schily kein Inter­view zu bekommen, gelte inzwi­schen als “jour­na­lis­ti­sches Sta­tus­symbol”, spot­tete Kienzle.

“Es gibt nicht nur die freie Arzt­wahl, es gibt auch keinen Zwang, einem bestimmten Jour­na­listen ein Inter­view zu geben”, kon­terte Schily. Er nutzte die Gele­gen­heit zur Medi­en­kritik: “Mir wird der Satz zuge­schrieben, “Das Boot ist voll””, den Satz gebe es aber nicht von ihm in Inter­views.

Kienzle kri­ti­sierte in seiner Lau­datio die “Chris­tia­ni­sie­rung der poli­ti­schen Bericht­erstat­tung” in den Talk-​Shows. Schily hin­gegen ver­tei­digte das Fern­seh­format, der Vor­teil sol­cher Inter­views sei, dass sie live seien. “Herr Stoiber hat eine ganz andere Erfah­rung gemacht”, wit­zelte er mit Blick auf den viel geschol­tenen Auf­tritt des Unions-​ Kanz­ler­kan­di­daten bei Sabine Chris­ti­ansen.

Doch der Minister gelobte in Ham­burg auch Bes­se­rung. Als Kon­se­quenz der Ver­lei­hung des Preises gab er das Ver­spre­chen, künftig wieder zeit­kri­ti­schen Fernseh-​Maga­zinen Inter­views zu gewähren.

Der Vor­sit­zende des Netz­werk Recherche, Thomas Leif, begrüßte Schilys Auf­tritt. Mit ihm habe sich erst­mals ein Bun­des­mi­nister aus­führ­lich mit den Pro­blemen von Jour­na­listen aus­ein­an­der­ge­setzt. Schilys Bereit­schaft, sich der Medi­en­kritik zu stellen, sei “vor­bild­lich” und weg­wei­send für das Anliegen, ein “Umdenken der Poli­tiker mit den Medien” zu beför­dern.

Lau­datio von Ulrich Kienzle

Aus­ter­preis­träger: Bun­des­in­nen­mi­nister Otto Schily
Lau­dator: Ulrich Kienzle, ehe­ma­liger ZDF-​Mode­rator

Nur Dumm­köpfe ändern ihre Mei­nung nicht .Mit diesem wun­der­baren Goe­the­satz habe ich immer ihre poli­ti­schen Häu­tungen gegen­über meinem Kol­legen Hauser ver­tei­digt.

Der war natür­lich sauer, weil Sie den Kon­ser­va­tiven ein wahl­wirk­sames Thema geklaut haben. Sie haben recht­zeitig die Bedeu­tung des Themas begriffen. Jeden­falls vor den Ham­burger Sozi­al­de­mo­kraten und vor den Fran­zö­si­schen Sozia­listen. Des­halb ist es kein Wunder, dass man heute Innere Sicher­heit so stei­gert: Beck­stein-​ Schill-​ Schily

Sie waren jeden­falls häufig schneller als Beck­stein und sie haben Ihre Pos­tu­late auch immer besser for­mu­liert. Das meine ich durchaus als Kom­pli­ment. Zum ersten Mal nach­denk­lich geworden bin ich, als Sie Frontal ein Inter­view ver­wei­gerten. Das ist schon lange her. Es ging um Ihre umstrit­tene Äuße­rung ,,das Boot ist voll”. Dazu hätten wir gerne ein biss­chen mehr von Ihnen gehört. Ihr Pres­se­spre­cher hat uns damals den Rat gegeben ,doch ein­fach die ,,ZEIT’ zu lesen.

Das war eine unge­wöhn­lich freche Ant­wort . Aber: sie war wenigs­tens ehr­lich. Kein Drum­her­um­ge­rede, keine Aus­flüchte. Emi­nenz wollten ein­fach nicht. Bis zu diesem Zeit­punkt glaubte ich noch an einen Zufall. Aber denkste! Es sprach sich unter Kol­legen herum, unter Linken und Rechten, im Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rium sitzt ein großer Schweiger. Er schwieg Frontal gegen­über, Report Mainz, Pan­orama und Monitor. Jour­na­listen fragten und Maga­zin­jour­na­listen wun­derten sich.

Die meisten Minister leiden ja an Logor­rhoe. Sie halten ihren Wort­durch­fall schon für Infor­ma­tion. Die cle­veren haben einen Spin-​Doctor, der sie ver­kauft. Statt eines Spin-​Doc­tors hat Otto Schily seinen Pres­se­spre­cher Lin­gen­thal, der ver­sucht seinen Minister zu ver­ste­cken Ein irri­tie­render Vor­gang

[…]

Und Frau Däubler-​Gmelin. Aus­ge­rechnet Sozi­al­de­mo­kraten ver­wei­gerten sich kri­ti­schen Medien. Und sie ließen das ange­kün­digte Infor­ma­tions-​Frei­heits­ge­setz in den Schub­laden. Bald wurde klar: dahinter steckt Methode.

Dieses Ver­halten, das übri­gens nicht unbe­dingt von Selbst­be­wusst­sein strotzt, mar­kiert das Ende einer jahr­zehn­te­langen Infor­ma­ti­ons­kultur.

Die Vor­gänger haben noch Rede und Ant­wort gestanden, wenn häufig auch wider­willig, aber sie haben geant­wortet.

Es ist übri­gens mal wieder eine Medi­en­ma­ni­pu­la­ti­ons­me­thode, die aus den USA kommt. Bill Clinton war der erste, der seinen Wahl­kampf aus­schließ­lich über Talk-​Shows geführt hat. Kri­ti­sche Jour­na­listen hat er links und rechts liegen lassen .Leider hat er damit Erfolg gehabt. Bei uns ist das Phä­nomen unter dem Begriff “Chris­ti­an­se­nie­rung” der Poli­tik­be­richt­erstat­tung bekannt geworden.

Ich sage das übri­gens ohne jeden pole­mi­schen Unterton gegen­über der Kol­legin. Die Poli­tiker gehen ver­ständ­li­cher­weise lieber In eine Talk-​Show als sich kri­ti­schem Jour­na­lismus zu stellen.

Es ist auf jeden Fall ange­nehmer sich mit der geret­teten Ber­liner Rei­ter­staffel ablichten zu lassen als kri­ti­sche Fragen von Monitor zur fri­sierten Poli­zei­sta­tistik zu beant­worten. Die Medi­en­ex­perten haben dafür einen Fach­aus­druck: Agenda-​set­ting-​Politik und Agenda-​cut­ting-​Politik.

Das ist noch lange nicht das Ende der Pres­se­frei­heit wie einige Kol­legen fast wei­ner­lich beklagen. Es ist aber das Ende einer jahr­zehn­te­lang gepflegten Infor­ma­ti­ons­kultur. Dass aus­ge­rechnet Sozi­al­de­mo­kraten das exe­ku­tieren gehört zur Ironie der Geschichte. Die Zer­split­te­rung der Medien erlaubt wieder eine fast höfi­sche Günst­lings­wirt­schaft und Gefäl­lig­keits­jour­na­lismus.

Wer nett ist bekommt ein Inter­wiew, wer nicht nett ist wird bestraft. Das ist nicht der Unter­gang des Maga­zin­jour­na­lismus und des Recher­chen­jour­na­lismus. Er befindet sich heute zwar in einer Not­wehr­si­tua­tion, aber Krisen haben auch ihr Gutes. Und ein erster selbst­be­wusster Schritt wäre der Ver­zicht auf Inter­views mit bestimmten Minis­tern und eine Ver­schär­fung der Tonart in den Stü­cken. Das dient eher der Klar­heit der Bei­träge.

Von Ihnen, Herr Schily, kein Inter­view zu bekommen, gilt inzwi­schen als jour­na­lis­ti­sches Sta­tus­symbol. Es ist schon fast eine Frage der Ehre von Ihnen als Inter­viewer abge­lehnt worden zu sein. Sie haben sich also ganz unfrei­willig um den Recherche-​Jour­na­lismus ver­dient gemacht.

Das müsste Sie eigent­lich stutzig machen. Dass Sie die Chuzpe hatten hierher zukommen ,spricht für Sie. Viel­leicht fühlen Sie sich in der Rolle viel­leicht doch nicht ganz so wohl, wie es gele­gent­lich scheint. Wie sagte doch Goethe: Nur Dumm­köpfe ändern Ihre Mei­nung nicht.

Anmer­kung: […] = Skript leider nicht voll­ständig

Gegen­rede von Otto Schily

Aus­ter­preis­träger und Redner: Bun­des­in­nen­mi­nister Otto Schily

Guten Tag meine Damen und Herren, ich bedanke mich selbst­ver­ständ­lich sehr herz­lich für diesen Preis, der nun ein wirk­li­ches Mus­ter­ex­em­plar Ham­burger Hei­mat­kunst ist, und natür­lich auch für die Lob­rede.

Dieser Dank ist umso umfas­sender, als nach meinem Amts­ver­ständnis, ein ver­schwie­gener Innen­mi­nister, der Dis­kre­tion zu wahren weiß, ver­mut­lich in der Bevöl­ke­rung mehr Ver­trauen genießt als ein allzu red­se­liger, um nicht zu sagen, ein geschwät­ziger.

Aber so sehr ich mich durch die Lobes­worte von Herrn Kienzle geehrt fühle, in meiner schon sprich­wört­li­chen Beschei­den­heit muss ich doch Zweifel anmelden, ob ich den Preis wirk­lich ver­dient habe. Die Oppo­si­tion lamen­tiert tagaus, tagein, dass bei mir die Jour­na­listen ein und aus gehen, tag­täg­lich, ich muss leider sagen, manchmal sogar ohne mein Wissen.

Sie haben, lieber Herr Kienzle, als einen der Gründe, das habe ich ja auch schon in den Vor­in­for­ma­tionen gelesen, genannt, dass ich das Infor­ma­ti­ons­ge­setz in irgend­wel­chen Schub­laden ver­schwinden lasse. Das ist ein wenig zuviel der Ehre, muss ich sagen.

Diese Gesetz ist noch in keiner Schub­lade. Im Übrigen habe ich mir sagen lassen, dass die Jury, und ich sehe ja hier auch einige Expo­nenten hier in erster Reihe, dass die Jury, die über die Ver­gabe dieses Medi­en­preises ent­scheidet, sich vor­nehm­lich aus her­aus­ra­genden Ver­tre­tern des inves­ti­ga­tiven Jour­na­lismus zusam­men­setzt.

Ich muss ihnen leider sagen, bei der Suche nach der Begrün­dung für meinen Medi­en­preis, hat ihr inves­ti­ga­tiver Jour­na­lismus nicht eine Stern­stunde gehabt, denn wenn ich sie ein­fach mal mit den nüch­ternen Tat­sa­chen bekannt machen darf, dann ist in meinem Hause ein ganz pas­sa­bler Ent­wurf des Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setztes ent­standen.

Aber ich will ihnen hier offen dar­legen, die­je­nigen, die das hier offenbar inter­es­siert, dass es bei anderen Res­sorts Bedenken gibt. Das hat aller­dings einen sach­li­chen Hin­ter­grund, auf den ich viel­leicht nachher noch mal zurück­kommen werde. Dass es näm­lich einen Grund­kon­flikt gibt zwi­schen Infor­ma­ti­ons­in­ter­esse und Infor­ma­ti­ons­frei­heit auf der einen Seite und Daten­schutz auf der anderen Seite. Und wenn sie mir die Anmer­kung gestatten, dann sind häufig es die selben, die man­gelnden Daten­schutz durch den Staat beklagen, aber auf der anderen Seite die volle Infor­ma­ti­ons­frei­heit ver­langen. Das ist ein etwas selt­sames Span­nungs­ver­hältnis, mit dem man sich aber auch mal aus­ein­ander setzten muss.

Nun ist meine Erfah­rung die, das will ich ihnen ja auch nicht vor­ent­halten, dass es bei der Beur­tei­lung des Bun­des­mi­nis­ters des Innern und meines Hauses, meist sowieso nicht auf irgend­welche Tat­sa­chen ankommt. Von Hegel wissen wir ja, dass er den Kon­flikt zwi­schen Theorie und Wirk­lich­keit auf seine eigen­tüm­liche Weise gelöst hat, in dem Sinne um so schlimmer für die Tat­sa­chen.

Ob das eine gute jour­na­lis­ti­sche Methode ist, weiß ich nicht so recht. Aber natür­lich kann man auch sagen, es kommt auf den Erfin­dungs­reichtum an. Ein Kom­pli­ment ist das immer, ein nettes Kom­pli­ment, […] warum denn nicht? Sie sind Künstler in der vir­tu­ellen Welt, da mag das ein oder andere Orna­ment dann auch nicht schaden.

Weil ich ja der erste Preis­träger diese wun­der­baren Geschenkes bin, werden sie mir sicher­lich auch einen Kom­mentar zu der Sym­bol­wahl gestatten, eine gelun­gene Sym­bol­wahl: Ich bin dar­über erfreut, denn sie hätten mir genauso gut eine gol­dene Mies­mu­schel ver­leihen können, und das wäre nicht so schön gewesen.

Es han­delt sich bei der Mies­mu­schel, wie ich in Brehms Tier­leben nach­ge­lesen habe, um eine nahe Ver­wandte der Auster, aber bei weitem nicht so schmack­haft, also lieber die Aus­tern. Bei Brehms Tier­leben findet man relativ wenig Infor­ma­tionen über das See­len­leben der Aus­tern, es soll sich um eine Tierart han­deln, die jede Beweg­lich­keit ein­ge­büßt hat.

Das ist nun nicht so beson­ders schmei­chel­haft, und sie soll auch ziem­lich schweigsam sein, inso­fern stimmt das wohl. Aber es ist durchaus, wie gesagt ein Pro­dukt, was man auch in Ham­burg ja hoch zu schätzen weiß, in den ent­spre­chenden Stuben, und ich kann mich min­des­tens jetzt mit dieser Aus­zeich­nung dagegen zur Wehr setzten, was ja auch so ein biss­chen eine Scha­blone in der jour­na­lis­ti­schen Beur­tei­lung des Innen­mi­nis­ters ist, ich sei eigent­lich ein Ein­sied­ler­krebs. Aber gut, jetzt bin ich eine Auster, die sich durch beson­dere Gesel­lig­keit aus­zeichnet.

Herr Kienzle, wenn ich ihnen richtig zuge­hört habe, dann hat den eigent­li­chen Preis mein Pres­se­spre­cher ver­dient.

Ein­wurf Kienzle: “Da ist was dran… .”

Aber das wäre nun auch nicht fair. Denn Herr Lin­gen­thal ist wahr­lich ein her­vor­ra­gender Mit­ar­beiter, von dem ich wirk­lich sagen kann, dass er mir die Mög­lich­keiten zum Medi­en­zu­gang immer wieder ver­schafft hat, und dass er frech ist, hab ich eigent­lich auch noch nicht erlebt.

Ein­wurf Kienzle: “Ja ihnen gegen­über nicht.”

Aber dass nun ein Pres­se­spre­cher sich durch beson­dere Demut den Jour­na­listen gegen­über aus­zeichnen soll, weiß ich auch nicht so recht, ich würde es nicht zu seinen beson­ders guten Eigen­schaften rechnen.

Aber es ist ja ganz inter­es­sant, wie Sie ihre Argu­men­ta­tion auf­ge­baut haben, bei einer, wie Sie sagen, Infor­ma­ti­ons­ver­wei­ge­rung oder Inter­view­ver­wei­ge­rung. Sie haben das näm­lich mit einem Satz begonnen oder “belegt”, der durch die gesamte Bericht­erstat­tung der Jour­na­listen immer wieder fort­ge­setzt wird. Ich hab es inzwi­schen auf­ge­geben, mich dagegen zur Wehr zu setzen.

Mir wird näm­lich der Satz zuge­schrieben: “Das Boot ist voll.” Ich bitte sie einmal, da sie ja hier ja alle auf den inves­ti­ga­tiven Jour­na­lismus ver­pflichtet sind, irgendwo ein Inter­view mal aus­zu­graben, sei es mit einem Magazin, sei es mit einem Fern­seh­jour­na­listen, einem Hör­funk­jour­na­listen oder einem schrei­benden Jour­na­listen, in dem dieser Satz von mir vor­kommt – den gibt es nicht.

Ein­wurf Kienzle: “Aber das hätten wir vor zwei­ein­halb Jahren kor­ri­gieren können.”

Ja gut, lieber Herr Kienzle. Also, da sag ich ihnen, sehen sie, was da pas­siert. Als Schweiger in der Medi­en­land­schaft, um ein wenig ernst­hafter zu werden, kann ich mich wahr­lich nicht ver­stehen. Aber, wenn sie mir jetzt einige ernst­ge­meinte wei­tere Aus­füh­rungen gestatten:

Sehen sie, ich habe manchmal den Ein­druck, sie betrachten die Politik eher als ein Objekt. Und nicht als Sub­jekt. Also zum Bei­spiel werfen sie uns vor: “Agenda Set­ting”.

Das tun wir, in der Tat, das ist auch unsere Ver­ant­wor­tung, wir lassen nun nicht so mit uns umgehen, dass wir sagen, die Tages­ord­nung bestimmen die Jour­na­listen. Das tun sie zwar im weiten Maße, weil sie in der Tat ja das öffent­liche Bewusst­sein viel stärker beherr­schen, als es Poli­tiker, die ja auf die Ver­mitt­lung durch die Medien ange­wiesen sind, können. Sehen sie, da ich hier ein Mit­glied der Redak­tion der Süd­deut­schen Zei­tung vor mir sehe. Ich fand es über­haupt nicht komisch, dass, wenn die Regie­rungs­partei ihr Wahl­pro­gramm vor­stellt, die größte Regie­rungs­partei, an dem Tage selt­sa­mer­weise auf der ersten Seite nicht das Regie­rungs­pro­gramm der größten Regie­rungs­partei irgendwie beschrieben wird, mei­net­wegen ver­rissen wird – das ist ja in Ord­nung. Aber es wird berichtet über das Regie­rungs­pro­gramm der Oppo­si­tion. Gut, das ist Agenda Set­ting. Ja gut, das kann man ja so machen – ob das fairer Jour­na­lismus ist, weiß ich nicht. Ist viel­leicht Agenda Set­ting. Viel­leicht war es auch der Coup, dass man als Erster das Papier in der Hand hat, das mag ja sein. Und des­halb sagt man, da ver­kauf ich eher, die anderen hatten‘s noch nicht.

Aber da ich nun schon mal bei der Zei­tung bin, die zu meiner täg­li­chen Lek­türe gehört und die ich sehr zu schätzen weiß, scheue ich mich des­halb nicht, damit auch kri­tisch umzu­gehen.

Ich war ersetzt, als ich auf der ersten Seite in dieser Zei­tung las, in Schlag­zeilen: Der Israe­li­sche Minis­ter­prä­si­dent Sharon, der wahr­lich auch durchaus kri­tisch zu sehen ist, das würde ich auch nie als Anti­se­mi­tismus kri­ti­sieren, und der wird zitiert mit dem Satz: “Sharon for­dert den totalen Krieg.” Dieser Satz ist mir schwer in die Glieder gefahren, wie jeder ver­stehen kann, der weiß, aus wel­cher Gene­ra­tion ich stamme. Später, einige Aus­gaben später, habe ich auf einer der hin­teren Seiten ganz unten eine kleine Notiz gesehen, da stand die Über­schrift: “Kor­rektur”. Und da stand dann: Ja, es ist uns leider ein Über­set­zungs­fehler unter­laufen, dieser Satz ist eher anders zu ver­stehen gewesen. Ja, meine Damen und Herren, was ist jetzt? Agenda Set­ting oder wie ist das?

Ich lese heute in der Zei­tung, aber da kommen wir auf ein viel schwie­ri­geres Thema, meine Damen und Herren, das sag ich ihnen jetzt in allem Ernst, jetzt bin ich ganz weg von allen komi­schen Aspekten, die wir heute viel­leicht auch gerne wahr­nehmen. Heute lese ich in einer anderen großen Tages­zei­tung über einen Bericht, der dem BKA zuge­schrieben wird, es stehen in den nächsten 20 Tagen Selbst­mord­an­schläge in Deutsch­land bevor, was ver­ständ­li­cher­weise zu Unruhen in der Bevöl­ke­rung führen könnte.

Ich kenne diesen Bericht. Der ent­hält eine solche Aus­sage nicht, der ist einem Hin­weis nach­ge­gangen, der durchaus der sehr sorg­fäl­tigen Über­prü­fung bedurfte, der aber eine Aus­sage, wie sie in der Zei­tung steht, über­haupt nicht trägt. Das ist ein Bericht des BKA, der ist an alle Lan­des­kri­mi­nal­ämter gegangen, wie sich das auch gehört, weil wir ja unter den Sicher­heits­in­sti­tu­tionen solche Infor­ma­tionen ver­teilen wollen. Und nun kommen wir auf das eigent­lich Pro­blem – ich könnte das jetzt auch wieder iro­ni­sieren – dass wir näm­lich Tat­sa­chen geheim halten, ver­trau­lich halten. Wenn wir das nicht täten, dann wäre der Markt für diese Art von Wett­be­werb, jour­na­lis­ti­schen Wett­be­werb, natür­lich schon kaputt.

Weil ja offenbar der ganze Ehr­geiz darin besteht, als Zei­tung ein Doku­ment zu ver­öf­fent­li­chen, was von der staat­li­chen Insti­tu­tion als geheim oder vor­erst ver­trau­lich ein­ge­stuft worden ist. Ich weiß nicht, ob das eigent­lich in seinen Dimen­sionen erkannt wird, was da geschieht, vom Ein­zel­fall mal abge­sehen. Wenn zum Bei­spiel ein Ermitt­lungs­ver­fahren in Gefahr gebracht werden kann, wenn Ent­schei­dungen in einem Ermitt­lungs­ver­fahren des­halb getroffen werden müssen, zu einem bestimmten Zeit­punkt, weil man befürchten muss, es gerät sonst vorher etwas in die Öffent­lich­keit.

In einer Lage, in der wir uns als Deutsch­land befinden und viele Länder, wir nicht allein, in der die Bedro­hung wahr­lich nicht mehr eine Spie­lerei ist, sind solche Geheim­hal­tungs-​ und Ver­trau­lich­keits­vor­schriften nicht irgendwie “just for fun”, son­dern sie dienen der Sicher­heit unserer Bür­ge­rinnen und Bürger.

Ganz leise dazwi­schen gesagt: Die­je­nigen, die dafür ver­ant­wort­lich sind, dass solche Infor­ma­tionen in die Öffent­lich­keit ver­bracht werden, machen sich in der Regel strafbar, das Min­deste ist, dass sie eine Dienst­ver­gehen begehen. Und das sich so etwas auf die Insti­tu­tionen zer­stö­re­risch aus­wirken kann, dass sollte jeder viel­leicht auch einmal im stillen Käm­mer­lein bedenken.

Ich will ver­zichten auf wei­tere Bei­spiele, es gibt derer genug und leider zu viele. Damit sage ich nicht, dass an der ein oder anderen Stelle auch der Staat einmal falsch han­deln kann, wenn er Dinge ver­sucht, im Ver­bor­genen zu halten, den Tep­pich dar­über zu kehren. Und dass es dann auch ein Ver­dienst ist, wenn Dinge in die Öffent­lich­keit gebracht werden – das ist ein Span­nungs­ver­hältnis, wie ich ja gar nicht bestreite.

Aber: Ich finde, jeder muss seine Ver­ant­wor­tung kennen, und ich lasse es mir nicht zum Vor­wurf machen, dass ich darauf achte, dass wir im staat­li­chen Han­deln auch diese Art von Dis­kre­tion brau­chen. Übri­gens gilt das auch für Ent­schei­dungs­vor­be­rei­tungen. Ich wüsste ja nicht, dass sie ihre Redak­ti­ons­sit­zungen alle öffent­lich machen. Oder ihre Pla­nungen über jour­na­lis­ti­sche Vor­haben alle öffent­lich machen.

Es ist für einen ordent­li­chen demo­kra­ti­schen Wil­lens­bil­dungs­pro­zess wichtig, auch gerade inner­halb der Regie­rung, dass wir mal das Für und Wieder argu­men­tativ erwägen können, ohne dass uns schon jeder über die Schulter schaut. Das ist not­wendig, zumal ja dann die Fehl­in­ter­pre­ta­tion auch zu Stande kommt, in dem Sinne, dass man nur Strei­te­reien in der Regie­rung wie­der­gibt. Aber es muss mög­lich sein, dass mal ein Res­sort sagt, so muss es gehen, das andere Res­sort macht Bedenken dagegen gel­tend, ohne dass es gleich in die Öffent­lich­keit kommt, das muss mög­lich sein.

Das ist so ähn­lich wie mit einer Pflanze, der es nicht gut tut, wenn man das Samen­korn in die Erde gelegt hat und dann immer schon im Erd­boden rum­sucht, was ist denn nun mit dem Samen­korn? Es darf ein biss­chen wachsen, bis es über die Erd­ober­fläche kommt, und dann können sie es sich ja wirk­lich anschauen, im Son­nen­licht ihrer Pres­se­öf­fent­lich­keit.

So und nun ist mir das Lob zuteil geworden, dass ich mich den poli­ti­schen Maga­zinen ver­wei­gere und über­haupt kri­ti­schen Jour­na­listen.

Und zu meiner großen Ver­wun­de­rung, lieber Herr Kienzle, ich weiß ja, dass die Staats­an­walt­schaften längst den Ruf abge­geben haben an die Jour­na­listen, bisher waren immer die Staats­an­wälte die objek­tivste Behörde der Welt, inzwi­schen weiß ich, der Jour­na­lismus ist die objek­tivste Insti­tu­tion unserer Öffent­lich­keit.

Also, ich war natür­lich über­rascht, weil sie ja gesagt haben, sie haben Goethe zitiert, übri­gens stammt das auch vom “Pom­pidou”. Goethe und Pom­pidou, passt ja auch nicht schlecht zusammen. Sie haben gesagt: “früher war alles viel besser”, also das ist ja…

Ein­wurf Kienzle: “Es war anders.”

Anders? Viel besser, nein, nein, sie haben gesagt “eine Infor­ma­ti­ons­kultur ist zu Ende gegangen.”

Ein­wurf Kienzle: “Ja!”

Ja, das hab ich ja noch gar nicht gewusst. Helmut Kohl als Symbol der Infor­ma­ti­ons­kultur, das ist mir wirk­lich ent­gangen, meine Damen und Herren, das ist mir wirk­lich ent­gangen. Und meinen Vor­gänger, dessen Namen die Oppo­si­tion gar nicht mehr aus­zu­spre­chen wagt, und des­halb bin ich höf­lich und tue es auch nicht. Der ist ja nun ständig in diesen, wie sie es genannt haben, kri­ti­schen Maga­zinen zu sehen gewesen, ständig. Aber ich führe keine Gespräche mit kri­ti­schen Jour­na­listen…

Also dem­nächst habe ich ja wieder ein Gespräch mit ihnen, ein großes Inter­view, werden wir ver­ein­baren mit “Ritter Heri­bert” [Heri­bert Prantl, SZ, die Red.]. Der ist ja nun bekannt, dass er mir grund­sätz­lich nur wohl gesonnen ist. Grund­sätz­lich…

Mit dem hab ich noch kein ein­ziges Inter­view gemacht, weil der ein­fach… na ja, also, ich meine…

Nun kommen wir aber auf einen Punkt, der ist ernst. Mit den Maga­zinen: Ich nehme mal Monitor. Das liegt einige Zeit zurück, des­halb ist das leichter zu ver­schmerzen, die Kritik an dieser Stelle. Da hat mich Monitor ein­ge­laden zu einem Streit­ge­spräch mit meinem Freund Rupert von Plott­nitz, das war ein schönes Gespräch, die Mode­ra­torin war total ein­seitig, gut das kann ja sein, die war eben grün ein­ge­färbt, warum soll das nicht sein, da hätt´ ich nicht so furchtbar viel damit zu tun.

Das ging ganz flott, Rupert hatte ein paar gute Argu­mente, ich hatte aber auch ein paar ganz gute. So, das haben wir da abge­dreht, und dann hab ich mir das später ange­sehen und dann hab ich fest­ge­stellt, die Pas­sagen, in denen ich ein biss­chen besser war in der Argu­men­ta­tion, waren alle draußen. Waren alle raus­ge­schnitten. Dann hab ich einen Brief geschrieben an Herrn Bed­narz und gesagt: “Das find ich aber nicht so ganz fair”. Da sagte er: “Jetzt seien sie aber mal nicht so emp­find­lich!”.

Aber da bin ich emp­find­lich, das sag ich ihnen. Das ist dann näm­lich kein Jour­na­lismus, son­dern das ist Mani­pu­la­tion. Also das ist das Min­deste, was man einem dann vorher sagt: “Also gucken sie mal, dass ist kein Live-​Mit­schnitt, son­dern das werden wir dann hin­terher schneiden”. Und ich kann ihnen das jetzt nicht in allen Bei­spielen dar­legen, ich hab jetzt auch nicht so furchtbar viel Zeit, aber wir haben Erfah­rungen dieser Art gemacht.

Und des­halb sage ich ihnen, bevor­zuge ich in aller Regel Sen­dungen, in denen eben nicht geschnitten wird, son­dern live. Und das ist der Vorzug von Talk­shows.

Ich geh gar nicht so oft in Talk­shows, aber der Vor­teil einer Talk­show ist, und ich finde, das hat Frau Chris­ti­ansen nicht ver­dient, nun zu sagen, das sei kein kri­ti­scher Jour­na­lismus, das mag ja dem ein oder anderen nicht ganz so gefallen, wie sie das macht oder nicht, viel­leicht kann man da auch Kritik daran üben, da bin ich frei davon, das beur­teilen zu wollen. Herr Stoiber hat ´ne ganz andere Erfah­rung gemacht…

Also, meine Damen und Herren, da sag ich im Übrigen: Es gibt nicht nur die freie Arzt­wahl… Es gibt auch keinen Zwang, einem bestimmten Jour­na­listen ein Inter­view zu geben. Das ent­scheide noch immer ich. Da kann er gekränkt sein, dass ich ihn also… Aber er sollte es nicht immer unbe­dingt als Aus­zeich­nung ver­stehen, Herr Kienzle, da muss ich Ihnen schon wider­spre­chen. Im Sinne, dass er nun ein betu­li­cher, kein betu­li­cher und… oder die­je­nigen sollten nicht in den Ruf gebracht werden, die zu mir… das klingt ja jetzt so ein biss­chen als ich…zuge­lassen werden zum Inter­view, so ist es ja doch nicht, ich ver­suche schon. Also die sollten nicht in den Ruf kommen, sie seien betu­liche Jour­na­listen.

Also, ich hab in meinem Leben `ne ganze Menge an harten Fragen über mich ergehen lassen müssen, übri­gens in den unter­schied­lichsten Funk­tionen, ein biss­chen abge­härtet bin ich auch, so dass ich meine, dass wir ganz gut mit­ein­ander aus­kommen. Denn heute, sie haben Goethe zitiert, ich zitiere Pom­pidou, ver­spreche ich jetzt allen Pan­orama-​ und Monitor-​Sen­dungen, dass ich dem­nächst ihnen zu Inter­views zur Ver­fü­gung stehe, damit sie also getröstet auch von dannen gehen.

Zumal die jüngste – ich hab sie leider nicht gesehen, ich bin ja Fern­seh­muffel, weil ich gerne ein biss­chen ja noch mal zu mir kommen muss, und dann doch lieber ein Buch bevor­zuge. Also, ich habe sie selber nicht gesehen, hab es mir aber berichten lassen – die jüngste Monitor-​Sen­dung. Inter­es­sant ist, was kri­ti­sche Nach­frage zur Kri­mi­nal­sta­tistik angeht, ich wüsste übri­gens nicht, dass wir dazu ein­ge­laden worden sind, es sei denn, Herr Lin­gen­thal hätte mir das ver­schwiegen.

Aber er hätte dann aber auch einen Grund gehabt: Dass wir über die Kri­mi­nal­sta­tistik erst dann reden, wenn wir sie ver­öf­fent­licht haben. Aber sonst finde ich das einen inter­es­santen Bei­trag, das trifft sich mit unserer Ein­schät­zung, dass die Kri­mi­nal­sta­tistik sehr zu Fehl­schlüssen ver­führen kann, und des­halb haben wir ja auch als Bun­des­re­gie­rung neben der Kri­mi­nal­sta­tistik auch einen peri­odi­schen Sicher­heits­be­richt gestellt.

Ja, und die Rei­ter­staffel, das ist doch was Gutes, ich weiß gar nicht, was dagegen ein­zu­wenden ist.

Also ich meine, dass wir damit gut mit­ein­ander aus­kommen. Viel­leicht weckt das ja auch mal das Inter­esse an posi­tiver Nach­richt. Denn eines – da brauch ich keinen Geheim­hal­tungs­stempel drauf zu setzen oder vor­erst ver­trau­lich, das bleibt tief geheim: Wenn wir posi­tive Nach­richten zu bringen haben. Dafür inter­es­siert sich über­haupt nie­mand, und da steh ich ihnen für jedes Inter­view Tag und Nacht zur Ver­fü­gung, meine Damen und Herren, Tag und Nacht.

Und da ich nun zwi­schen­durch auch Hegel zitiert habe, will ich einen posi­tiven Satz von Hegel zitieren zum Schluss, der lautet: “Das Wahre ist das Ganze, und das ist ein gutes Leit­motiv für Jour­na­lismus, aber auch für die Politik.

Vielen Dank!

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