Gegenrede zur Verleihung der Verschlossenen Auster 2006
Austerpreisträger und Redner: Hartmut Mehdorn, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG
Hamburg, 20. Mai
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bedanke mich für Ihre Einladung zur Verleihung des Medienpreises „Verschlossene Auster“.
Ich habe zunächst darüber gegrübelt, warum man den Vorstandsvorsitzenden eines weltweit agierenden Konzerns so kurzfristig zu einer solchen Veranstaltung einlädt. Ich denke, auch Journalisten wissen, welchen Terminzwängen Vorstandsvorsitzende großer Unternehmen unterliegen, die schon einen etwas längerfristigen Vorlauf erforderlich machen. Ich bin auf drei mögliche Gründe gekommen:
Erstens: Sie waren bei Ihrer Wahl zur „Verschlossenen Auster“ des Jahres in Findungsnot und haben dann kurz vor Toresschluss gedacht: Dann nehmen wir doch den Mehdorn. Auf dem prügeln viele rum. Das passt, kommt immer gut und sichert genügend Publizität. Zweitens: Sie wollten gar nicht, dass ich zur „Gegenrede“ komme, weil ich als einer gelte, der sich jeder Sache stellt und – wenn es sein muss – keinem Streit aus dem Weg geht, was Ihnen vielleicht nicht so gefallen und die Preisverleihung doch arg relativiert hätte. Drittens: Natürlich machen wir nicht immer alles richtig. Dies zu behaupten wäre absurd.
Welcher der drei Gründe auch immer zutreffen mag, ein paar Zeilen müssen Sie jetzt schon ertragen können. Und da möchte ich Ihnen zunächst einmal nur mit Fakten kommen. Schließlich legt das Netzwerk Recherche völlig zu Recht großen Wert auf Faktentreue. Am Ende mögen Sie selbst entscheiden, ob die Jury in diesem Jahr ihren eigenen Ansprüchen gerecht geworden ist. Die Deutsche Bahn hat unter der Leitung der „Verschlossenen Auster“ Mehdorn in den vergangenen zwölf Monaten international, national und regional rund 4600 Pressemitteilungen, Themendienste und Hintergrundinformationen herausgegeben. Ob das nicht zuviel war, ist ein anderes Thema. Aber über ein Zuwenig hat sich wirklich noch niemand beklagt. Hinzu kamen allein in den vergangenen zwölf Monaten rund 500 Pressekonferenzen, Pressegespräche, Journalisten-Stammtische, Redaktionsbesuche, Interviews, Hintergrundgespräche und Medienworkshops. Ein Unternehmen, das sich angeblich einmauert, würde ganz gewiss anders agieren.
Die Deutsche Bahn hat weiterhin einen täglichen nationalen und internationalen Pressespiegel von mindestens 50, manchmal sogar bis zu 100 Seiten. Hinzukommen noch einmal sieben regionale Pressespiegel, da können Sie getrost im Schnitt noch einmal bis zu 150 Seiten hinzurechnen. Die meisten dieser Artikel – übrigens gerade auch die kritischen – sind mit Hilfe der Bahn oder mit ihrer Unterstützung bei entsprechenden Journalistenanfragen zu Stande gekommen. Gleiches gilt für elektronische Medien. Rund 1800 Drehgenehmigungen sprechen nun wirklich nicht dafür, dass wir unsere Anlagen und Einrichtungen abschotten.
So ist es nicht verwunderlich, dass die Deutsche Bahn – vor allem auch in Person ihres Vorstandsvorsitzenden – bei fast allen unabhängigen Erhebungen mit Abstand zu den meistzitierten und meisterwähnten Unternehmen der Republik gehört. An kommunikativer Verschlossenheit liegt dies wohl nicht.
Mehr noch: Die Deutsche Bahn hat mit ihrer Kommunikation von allen deutschen Unternehmen das ebenfalls mit Abstand flächendeckendste Netz. Diese flächendeckende Kommunikation ist bei der Bahn seit Amtsantritt der „Verschlossenen Auster“ Mehdorn ausgebaut und so strukturiert worden, dass die Kommunikation der Deutschen Bahn die Pflicht hat, an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr erreichbar zu sein – und das nicht nur zentral, sondern in jedem einzelnen Unternehmensbereich und in jeder Region. Alle Journalisten, die regelmäßig mit der Bahn zu tun haben, wissen und nutzen das auch – was uns unabhängig erhobene Umfragen bestätigen. Und die „Verschlossene Auster“ Mehdorn versteckt sich wahrlich nicht vor Mikrofonen und Kameras, wovon unsere Pressesprecher – meine Spontaneität fürchtend – beredet Auskunft geben können. Bei Dutzenden Veranstaltungen stelle ich mich in aller Regel den Fragen – seien Sie vorher angemeldet oder nicht. Das hat aus Sicht meiner Frau sogar einen ganz gewichtigen Vorteil: Während die meisten Journalisten und anwesenden Bahner sich derweil schon am Buffet tummeln, komme ich vor lauter Interviewwünschen immer als einer der Letzten zu Bier und Häppchen.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle weitere Fakten ersparen. Lassen Sie mich abschließend ganz kurz etwas zu Ihrem schwierigen und verantwortungsvollen Gewerbe sagen. Ich registriere mit einer gewissen Wehmut, dass der gute alte Journalismus in Deutschland, der auf fundierte und seriöse Recherche setzt, leider immer weniger wird. Offenbar zählt immer mehr etwas anderes:
Effekthascherei – also die schnelle – oftmals wenig tiefgründige – Geschichte, die anscheinend eher Aufmerksamkeit als Aufklärung bieten will. Das Bestreben, eine Story so anzulegen, dass sie tatsächlich oder vermeintlich agenturfähig ist, nimmt für meine Begriffe überhand. Mit betrüblichen Konsequenzen. Der eine oder andere Journalist ruft lieber gar nicht mehr an – solche Nachfragen könnten ja die eigene Geschichte kaputtmachen. Und so wird auch über die Bahn manches geschrieben und gesendet, was sich schon bei oberflächlicher Kenntnis der Materie verflüchtigt.
Vor diesem Hintergrund – gestatten Sie mir die offenen Worte – bin ich über die Verleihung der „Verschlossenen Auster“ nicht überrascht. Die „Auster“ wird einen Platz bei mir im Büro erhalten, damit ich jedem, der sie sieht und mich – ziemlich überrascht, wie ich vermute – danach fragt, erklären kann, wie ausgerechnet Hartmut Mehdorn zu dieser Ehre gekommen ist. Denn wenn ich den Preis nicht wirklich materiell in Händen hielte, würden mir diese Geschichte am Ende nur die Wenigsten glauben.
Gegenrede zur Verleihung der “Auster” 2006 von der Deutschen Bahn (PDF; 4 S., 2.319 KB)