Leit­linie Jour­na­lismus und PR

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 20. Juli 2024 | Lese­zeit ca. 8 Min.

Die „Leit­linie Jour­na­lismus und PR“ wurde am 19. Juli 2024 von der Mit­glie­der­ver­samm­lung beschlossen.

Das Netz­werk Recherche pro­ble­ma­ti­siert in dieser Leit­linie all jene Leis­tungen als PR, die einer nicht-​jour­na­lis­ti­schen Orga­ni­sa­tion dabei helfen, für sich und ihre Pro­dukte, Dienst­leis­tungen und Bot­schaften Öffent­lich­keit her­zu­stellen – auch, wenn dies ohne Honorar geschieht.

Im Klar­text: Wer Pres­se­mit­tei­lungen schreibt oder Ver­an­stal­tungen orga­ni­siert, macht PR.
Wer für eine Orga­ni­sa­tion als Spre­cher:in kom­mu­ni­ziert oder für Publi­ka­tionen von Orga­ni­sa­tionen medial tätig wird, die keine unab­hän­gigen Medien sind, macht PR. Wer Medi­en­trai­nings für Poli­tiker:innen oder Unter­neh­mens­chef:innen anbietet, macht PR.

Dies gilt auch für Arbeit, die nicht bezahlt wird – denn auch ohne Bezah­lung stellen die Betrof­fenen für die Orga­ni­sa­tion eine Öffent­lich­keit her, stellen sich also in die Dienste dieser Orga­ni­sa­tion und helfen dabei, mög­li­cher­weise inter­es­sen­ge­lei­tete Infor­ma­tionen zu ver­breiten. Zu her­ge­stellter Öffent­lich­keit bei­zu­tragen, die Par­ti­ku­lar­in­ter­essen in ein mög­lichst gutes Licht rücken soll, ist ein Grund­wi­der­spruch zu den Stan­dards des Jour­na­lismus, der stets die All­ge­mein­heit im Blick hat und Infor­ma­tionen und Inter­essen kri­tisch abwägt. Aus­nahmen sehen wir als Netz­werk Recherche bei Unter­stüt­zung im pri­vaten Umfeld, etwa für die Fuß­ball­mann­schaft der Kinder oder den lokalen Kir­chen­chor.

Es geht Netz­werk Recherche mit seiner „Leit­linie Jour­na­lismus und PR“ im Kern darum, Jour­na­list:innen für Inter­es­sen­kon­flikte aller Art zu sen­si­bi­li­sieren. Wir alle sollten schon den Anschein von Befan­gen­heit und Instru­men­ta­li­sie­rung ver­meiden. Aber: Die Leit­linie ist kein nor­ma­tives Verbot, auch nicht für NR-​Mit­glieder.

Der Vor­stand sieht eine Auf­gabe aber sehr wohl darin, in der pro­fes­sio­nellen Debatte not­wen­dige Fragen zu stellen. Zum Bei­spiel diese: Beein­flusst eine Neben­tä­tig­keit – eine Mode­ra­tion, ein Work­shop, eine Key­note – meine Ent­schei­dungen als Jour­na­list:in? Bin ich oder fühle ich mich nach einer Neben­tä­tig­keit in einem bestimmten Bereich jemand anderem als meinem Publikum ver­pflichtet? Dieser Art sind die Fragen, die sich unseres Erach­tens jede Jour­na­listin und jeder Jour­na­list und erst recht ein NR-​Mit­glied stellen sollte.

Wer jour­na­lis­tisch arbeitet, tut dies für unab­hän­gige Redak­tionen, die ihre Mit­ar­beiter:innen ergeb­nis­offen recher­chieren lassen. Das ist der Umkehr­schluss unseres Leit­satzes „Jour­na­list:innen machen keine PR“. Es gibt jedoch Grenz­be­reiche, in denen Jour­na­list:innen nach sorg­fäl­tiger Abwä­gung tätig werden könnten, ohne die eigene Glaub­wür­dig­keit zu beschä­digen.

Dazu zählen etwa (Weiter-​)Bil­dungs­ein­rich­tungen wie Uni­ver­si­täten und Schulen, aber auch poli­ti­sche Aka­de­mien oder Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen, die an demo­kra­ti­scher Wil­lens­bil­dung, Trans­pa­renz oder Mei­nungs­frei­heit inter­es­siert sind. Vor­aus­set­zung ist immer, dass Jour­na­list:innen ihre Exper­tise unge­fil­tert ein­bringen können und kei­nerlei Vor­gaben unter­liegen. Wenn sie also genauso arbeiten, wie sie auch für eine jour­na­lis­ti­sche Publi­ka­tion arbeiten würden. Dies gilt sowohl für Mit­wir­kung in Work­shops und eigen­stän­dige Vor­träge als auch für die Teil­nahme als Expert:in an Podi­ums­dis­kus­sionen. Für diese Art von Expert:innen-​Input können freie Jour­na­list:innen auch Rei­se­kosten und ein Honorar annehmen. Fest­an­ge­stellte Kolleg:innen sollten dies jedoch – wenn mög­lich – ohne Honorar in ihrer Arbeits­zeit machen und Rei­se­kosten von ihren Redak­tionen zahlen lassen.

Die Stif­tungen poli­ti­scher Par­teien sind von ihrem Auf­trag her der All­ge­mein­heit ver­pflichtet, nicht der jewei­ligen Partei, die die Stif­tung gegründet hat. Als Ein­rich­tungen der poli­ti­schen Bil­dung auf dem Boden des Grund­ge­setzes scheiden sie als Gast­geber von Jour­na­list:innen nicht von vorn­herein aus, aller­dings sollten Jour­na­list:innen damit rechnen, dass hier ihre poli­ti­sche Unab­hän­gig­keit hin­ter­fragt werden könnte. Zudem sollte auf plu­ra­lis­ti­sche Streuung des eigenen Enga­ge­ments geachtet werden. Nur für eine Stif­tung tätig zu werden, könnte erst recht Zweifel an der Unab­hän­gig­keit der Jour­na­listin/des Jour­na­listen begründen.

Einen sorg­fältig abzu­wä­genden Grenz­fall sehen wir in Ein­la­dungen in Lan­des­par­la­mente, den Bun­destag oder in Minis­te­rien. Einer­seits ist es wün­schens­wert, dass Jour­na­list:innen ihr kri­ti­sches Wissen in Pro­zesse der poli­ti­schen Wil­lens­bil­dung ein­bringen. Ande­rer­seits sind damit genau die Insti­tu­tionen die (hono­rie­renden) Auf­trag­geber, deren Han­deln und Ent­scheiden im Regel­fall von unab­hän­gigen Medien beob­achtet werden soll. Hier sollte zu große Nähe ver­mieden werden, Distanz zu allen poli­ti­schen Lagern ist die für Jour­na­list:innen gel­tende pro­fes­sio­nelle Norm.

Neben der schon genannten Vor­aus­set­zung, dass Jour­na­list:innen bei der Ein­brin­gung ihrer Exper­tise keiner Wei­sung der ein­la­denden Insti­tu­tion unter­liegen sollen, ist eine zweite Bedin­gung zu nennen: Die Mit­wir­kung sollte öffent­lich beob­achtbar sein, also min­des­tens vor der Tei­l­öf­fent­lich­keit von Kon­gress­be­su­cher:innen statt­finden. Dies bedeutet in der Kon­se­quenz, dass eine Bera­tung hinter den Kulissen, wie etwa das Ver­fassen von PR-​Kon­zepten oder von Gut­achten zum Medi­en­image eines Unter­neh­mens, erst recht Medi­en­trai­nings für Manager:innen oder Poli­tiker:innen, als pro­ble­ma­tisch ange­sehen werden. Solche Auf­träge sollten abge­lehnt werden.

Auch Sti­pen­dien oder Jour­na­lis­ten­preise sollten Jour­na­list:innen nur von Orga­ni­sa­tionen annehmen, welche die Ent­schei­dung über Sti­pen­dien und Preise in die Hände einer nach jour­na­lis­ti­scher Kom­pe­tenz aus­ge­wählten Jury gelegt haben und nach­weis­lich nicht über­wie­gend Par­ti­ku­lar­in­ter­essen mit der Preis­ver­gabe ver­folgen. Denn auch Aus­zeich­nungen, zumal wenn sie hoch dotiert sind, können eine kor­rum­pie­rende Wir­kung haben. Und die Preis­stifter machen mit der Ver­lei­hung an Jour­na­list:innen PR für sich.

Geld­werte Zuwen­dungen oder Rabatte, die einen Wert von 25 Euro über­steigen, sollten Jour­na­list:innen nicht annehmen – so wie es auch im öffent­li­chen Dienst üblich ist. Die früher übliche Annahme von Rabatten, etwa bei Autos oder Bahn­fahrten, schadet der jour­na­lis­ti­schen Glaub­wür­dig­keit und gehört zu Recht der Ver­gan­gen­heit an.

Grund­sätz­lich gilt: Alle Jour­na­list:innen sollten mög­liche Inter­es­sen­kon­flikte ver­meiden, um ihrer eigenen Glaub­wür­dig­keit und der Glaub­wür­dig­keit ihrer Kolleg:innen und Redak­tionen nicht zu schaden – egal ob frei oder fest, lokal oder national, im öffent­lich-​recht­li­chen Rund­funk oder in pri­vaten Medien.

In Zwei­fels­fällen sollte man sich an erfah­rene Kolleg:innen wenden, denen man ver­traut. Auch die Geschäfts­stelle und der Vor­stand des Netz­werk Recherche sind bei Fragen zu Grenz­fällen ver­trau­lich ansprechbar. Im Dialog klärt sich oft, was geht, was man besser bleiben lassen sollte und was ein No-Go ist. Unser Publikum hat Anrecht auf Trans­pa­renz. Medi­en­mit­ar­beiter:innen, die nicht aus­schließ­lich jour­na­lis­tisch tätig sind, sollten andere Arbeiten und Auf­trag­geber offen­legen. Dies kann als Dis­claimer auf der eigenen Web­site oder der Web­site des jewei­ligen Mediums geschehen.

Diese Leit­linie ist als Bei­trag zur berufs­ethi­schen Dis­kus­sion um Inter­es­sen­kon­flikte und der Wah­rung der jour­na­lis­ti­schen Unab­hän­gig­keit zu ver­stehen. Die beson­dere Lage von freien Jour­na­list:innen ist zu berück­sich­tigen, darf aber nicht als Frei­brief genutzt werden. Netz­werk Recherche tritt im Umgang mit PR-​Neben­tä­tig­keiten – anders als andere Berufs­or­ga­ni­sa­tionen – für die prä­zise Abgren­zung beruf­li­cher Rollen und Tätig­keiten ein. Und für einen Jour­na­lismus, der sein Wäch­teramt absolut integer wahr­nimmt. Damit das gelingen kann, sollte eine jede und ein jeder sich im Falle von Auf­trägen prüfen. Wir hoffen, unsere Leit­linie kann bei der jeweils indi­vi­du­ellen Gewis­sens­ent­schei­dung helfen.


Zur Erläu­te­rung der Leit­linie Jour­na­lismus und PR

Jour­na­list:innen, die sich bei Netz­werk Recherche enga­gieren, bemühen sich seit Jahr­zehnten um mehr Trans­pa­renz und Glaub­wür­dig­keit im Jour­na­lismus. In den ver­gan­genen Jahren sind Inter­es­sen­kon­flikte, die sich aus Neben­tä­tig­keiten von Jour­na­list:innen ergeben können, immer wieder öffent­lich dis­ku­tiert worden. Der Vor­stand des Netz­werk Recherche hat des­halb zuletzt intensiv an einer Ori­en­tie­rungs­hilfe gear­beitet, die Jour­na­list:innen dabei helfen soll, Inter­es­sen­kon­flikte zu erkennen und zu ver­meiden.

Für das Netz­werk Recherche gilt seit vielen Jahren: Jour­na­list:innen machen keine PR. Theo­re­tisch ist dieser Satz aus dem NR-​Medi­en­kodex klar, in der Praxis wirft er aber eine Menge Fragen auf. Das Netz­werk Recherche hat die kri­ti­schen Debatten zu diesem Satz in den ver­gan­genen Jahren natür­lich wahr­ge­nommen und intern immer wieder dar­über dis­ku­tiert.

In den Dis­kus­sionen ist deut­lich geworden, dass sich der Blick auf Jour­na­list:innen und mög­liche Inter­es­sen­kon­flikte stetig ver­schärft hat. Die Erwar­tungen an Trans­pa­renz sind in den ver­gan­genen Jahren zurecht gewachsen. Die Mess­latte dafür, als glaub­würdig wahr­ge­nommen zu werden, liegt höher und Nutzer:innen sind zurecht kri­ti­scher geworden, was mög­liche Inter­es­sen­kon­flikte angeht. Ver­hal­tens­weisen, die früher akzep­tabel schienen, werden heute zur Wah­rung jour­na­lis­ti­scher Unab­hän­gig­keit und pro­fes­sio­neller Inte­grität abge­lehnt.

Das Netz­werk Recherche hat des­halb eine Leit­linie Jour­na­lismus und PR ent­wi­ckelt. Die Abwä­gung mög­li­cher Inter­es­sen­kon­flikte muss jede Kol­legin und jeder Kol­lege indi­vi­duell für sich treffen. Das ist nicht immer ein­fach. Gleich­zeitig lädt das Netz­werk Recherche alle Kolleg:innen dazu ein, sich gemeinsam dafür ein­zu­setzen, den Jour­na­lismus klarer von der PR abzu­grenzen und dadurch die Glaub­wür­dig­keit des Jour­na­lismus zu stärken. Das Netz­werk Recherche for­dert, dass Medi­en­häuser ihre internen Regeln zu Inter­es­sen­kon­flikten und zum trans­pa­renten Umgang mit sol­chen dis­ku­tieren und im Zweifel über­ar­beiten.

Kein:e Jour­na­list:in ist in der Berufs­aus­übung ganz frei von Vor­ur­teilen, Befan­gen­heiten und eigenen mate­ri­ellen Inter­essen. Es hilft dem Publikum aber, wenn es diese mög­li­chen Kon­flikte ein­schätzen kann. Dafür braucht es jedoch Trans­pa­renz. Ähn­lich wie in anderen Bran­chen – etwa der Medizin oder der Politik – sollten des­halb auch Jour­na­list:innen mög­liche Inter­es­sen­kon­flikte offen­legen.

Das Netz­werk Recherche ver­fasst diese Leit­linie Jour­na­lismus und PR in dem Wissen, dass viele – beson­ders frei­be­ruf­liche – Jour­na­list:innen nicht aus­rei­chend für ihre Arbeit ent­lohnt werden und des­wegen teil­weise auch PR-​Tätig­keiten nach­gehen. Das Netz­werk Recherche for­dert bereits seit Jahren eine ange­mes­sene Ver­gü­tung von jour­na­lis­ti­schen Recher­chen, damit wirt­schaft­liche Zwänge nicht dazu führen, dass Kolleg:innen sich gezwungen sehen, mit PR-​Tätig­keiten ihren Lebens­un­ter­halt zu ver­dienen. Ange­sichts dessen ist die neue Leit­linie Jour­na­lismus und PR des Netz­werk Recherche als Ori­en­tie­rungs­hilfe gedacht.

Betei­ligt an den Dis­kus­sionen zur neuen Leit­linie Jour­na­lismus und PR des Netz­werk Recherche waren neben dem Vor­stand und der Geschäfts­stelle des Netz­werk Recherche auch Volker Lili­en­thal, Jour­na­listik-​Pro­fessor an der Uni­ver­sität Ham­burg.

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