Die „Leitlinie Journalismus und PR“ wurde am 19. Juli 2024 von der Mitgliederversammlung beschlossen.
Das Netzwerk Recherche problematisiert in dieser Leitlinie all jene Leistungen als PR, die einer nicht-journalistischen Organisation dabei helfen, für sich und ihre Produkte, Dienstleistungen und Botschaften Öffentlichkeit herzustellen – auch, wenn dies ohne Honorar geschieht.
Im Klartext: Wer Pressemitteilungen schreibt oder Veranstaltungen organisiert, macht PR.
Wer für eine Organisation als Sprecher:in kommuniziert oder für Publikationen von Organisationen medial tätig wird, die keine unabhängigen Medien sind, macht PR. Wer Medientrainings für Politiker:innen oder Unternehmenschef:innen anbietet, macht PR.
Dies gilt auch für Arbeit, die nicht bezahlt wird – denn auch ohne Bezahlung stellen die Betroffenen für die Organisation eine Öffentlichkeit her, stellen sich also in die Dienste dieser Organisation und helfen dabei, möglicherweise interessengeleitete Informationen zu verbreiten. Zu hergestellter Öffentlichkeit beizutragen, die Partikularinteressen in ein möglichst gutes Licht rücken soll, ist ein Grundwiderspruch zu den Standards des Journalismus, der stets die Allgemeinheit im Blick hat und Informationen und Interessen kritisch abwägt. Ausnahmen sehen wir als Netzwerk Recherche bei Unterstützung im privaten Umfeld, etwa für die Fußballmannschaft der Kinder oder den lokalen Kirchenchor.
Es geht Netzwerk Recherche mit seiner „Leitlinie Journalismus und PR“ im Kern darum, Journalist:innen für Interessenkonflikte aller Art zu sensibilisieren. Wir alle sollten schon den Anschein von Befangenheit und Instrumentalisierung vermeiden. Aber: Die Leitlinie ist kein normatives Verbot, auch nicht für NR-Mitglieder.
Der Vorstand sieht eine Aufgabe aber sehr wohl darin, in der professionellen Debatte notwendige Fragen zu stellen. Zum Beispiel diese: Beeinflusst eine Nebentätigkeit – eine Moderation, ein Workshop, eine Keynote – meine Entscheidungen als Journalist:in? Bin ich oder fühle ich mich nach einer Nebentätigkeit in einem bestimmten Bereich jemand anderem als meinem Publikum verpflichtet? Dieser Art sind die Fragen, die sich unseres Erachtens jede Journalistin und jeder Journalist und erst recht ein NR-Mitglied stellen sollte.
Wer journalistisch arbeitet, tut dies für unabhängige Redaktionen, die ihre Mitarbeiter:innen ergebnisoffen recherchieren lassen. Das ist der Umkehrschluss unseres Leitsatzes „Journalist:innen machen keine PR“. Es gibt jedoch Grenzbereiche, in denen Journalist:innen nach sorgfältiger Abwägung tätig werden könnten, ohne die eigene Glaubwürdigkeit zu beschädigen.
Dazu zählen etwa (Weiter-)Bildungseinrichtungen wie Universitäten und Schulen, aber auch politische Akademien oder Nichtregierungsorganisationen, die an demokratischer Willensbildung, Transparenz oder Meinungsfreiheit interessiert sind. Voraussetzung ist immer, dass Journalist:innen ihre Expertise ungefiltert einbringen können und keinerlei Vorgaben unterliegen. Wenn sie also genauso arbeiten, wie sie auch für eine journalistische Publikation arbeiten würden. Dies gilt sowohl für Mitwirkung in Workshops und eigenständige Vorträge als auch für die Teilnahme als Expert:in an Podiumsdiskussionen. Für diese Art von Expert:innen-Input können freie Journalist:innen auch Reisekosten und ein Honorar annehmen. Festangestellte Kolleg:innen sollten dies jedoch – wenn möglich – ohne Honorar in ihrer Arbeitszeit machen und Reisekosten von ihren Redaktionen zahlen lassen.
Die Stiftungen politischer Parteien sind von ihrem Auftrag her der Allgemeinheit verpflichtet, nicht der jeweiligen Partei, die die Stiftung gegründet hat. Als Einrichtungen der politischen Bildung auf dem Boden des Grundgesetzes scheiden sie als Gastgeber von Journalist:innen nicht von vornherein aus, allerdings sollten Journalist:innen damit rechnen, dass hier ihre politische Unabhängigkeit hinterfragt werden könnte. Zudem sollte auf pluralistische Streuung des eigenen Engagements geachtet werden. Nur für eine Stiftung tätig zu werden, könnte erst recht Zweifel an der Unabhängigkeit der Journalistin/des Journalisten begründen.
Einen sorgfältig abzuwägenden Grenzfall sehen wir in Einladungen in Landesparlamente, den Bundestag oder in Ministerien. Einerseits ist es wünschenswert, dass Journalist:innen ihr kritisches Wissen in Prozesse der politischen Willensbildung einbringen. Andererseits sind damit genau die Institutionen die (honorierenden) Auftraggeber, deren Handeln und Entscheiden im Regelfall von unabhängigen Medien beobachtet werden soll. Hier sollte zu große Nähe vermieden werden, Distanz zu allen politischen Lagern ist die für Journalist:innen geltende professionelle Norm.
Neben der schon genannten Voraussetzung, dass Journalist:innen bei der Einbringung ihrer Expertise keiner Weisung der einladenden Institution unterliegen sollen, ist eine zweite Bedingung zu nennen: Die Mitwirkung sollte öffentlich beobachtbar sein, also mindestens vor der Teilöffentlichkeit von Kongressbesucher:innen stattfinden. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass eine Beratung hinter den Kulissen, wie etwa das Verfassen von PR-Konzepten oder von Gutachten zum Medienimage eines Unternehmens, erst recht Medientrainings für Manager:innen oder Politiker:innen, als problematisch angesehen werden. Solche Aufträge sollten abgelehnt werden.
Auch Stipendien oder Journalistenpreise sollten Journalist:innen nur von Organisationen annehmen, welche die Entscheidung über Stipendien und Preise in die Hände einer nach journalistischer Kompetenz ausgewählten Jury gelegt haben und nachweislich nicht überwiegend Partikularinteressen mit der Preisvergabe verfolgen. Denn auch Auszeichnungen, zumal wenn sie hoch dotiert sind, können eine korrumpierende Wirkung haben. Und die Preisstifter machen mit der Verleihung an Journalist:innen PR für sich.
Geldwerte Zuwendungen oder Rabatte, die einen Wert von 25 Euro übersteigen, sollten Journalist:innen nicht annehmen – so wie es auch im öffentlichen Dienst üblich ist. Die früher übliche Annahme von Rabatten, etwa bei Autos oder Bahnfahrten, schadet der journalistischen Glaubwürdigkeit und gehört zu Recht der Vergangenheit an.
Grundsätzlich gilt: Alle Journalist:innen sollten mögliche Interessenkonflikte vermeiden, um ihrer eigenen Glaubwürdigkeit und der Glaubwürdigkeit ihrer Kolleg:innen und Redaktionen nicht zu schaden – egal ob frei oder fest, lokal oder national, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder in privaten Medien.
In Zweifelsfällen sollte man sich an erfahrene Kolleg:innen wenden, denen man vertraut. Auch die Geschäftsstelle und der Vorstand des Netzwerk Recherche sind bei Fragen zu Grenzfällen vertraulich ansprechbar. Im Dialog klärt sich oft, was geht, was man besser bleiben lassen sollte und was ein No-Go ist. Unser Publikum hat Anrecht auf Transparenz. Medienmitarbeiter:innen, die nicht ausschließlich journalistisch tätig sind, sollten andere Arbeiten und Auftraggeber offenlegen. Dies kann als Disclaimer auf der eigenen Website oder der Website des jeweiligen Mediums geschehen.
Diese Leitlinie ist als Beitrag zur berufsethischen Diskussion um Interessenkonflikte und der Wahrung der journalistischen Unabhängigkeit zu verstehen. Die besondere Lage von freien Journalist:innen ist zu berücksichtigen, darf aber nicht als Freibrief genutzt werden. Netzwerk Recherche tritt im Umgang mit PR-Nebentätigkeiten – anders als andere Berufsorganisationen – für die präzise Abgrenzung beruflicher Rollen und Tätigkeiten ein. Und für einen Journalismus, der sein Wächteramt absolut integer wahrnimmt. Damit das gelingen kann, sollte eine jede und ein jeder sich im Falle von Aufträgen prüfen. Wir hoffen, unsere Leitlinie kann bei der jeweils individuellen Gewissensentscheidung helfen.
Zur Erläuterung der Leitlinie Journalismus und PR
Journalist:innen, die sich bei Netzwerk Recherche engagieren, bemühen sich seit Jahrzehnten um mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit im Journalismus. In den vergangenen Jahren sind Interessenkonflikte, die sich aus Nebentätigkeiten von Journalist:innen ergeben können, immer wieder öffentlich diskutiert worden. Der Vorstand des Netzwerk Recherche hat deshalb zuletzt intensiv an einer Orientierungshilfe gearbeitet, die Journalist:innen dabei helfen soll, Interessenkonflikte zu erkennen und zu vermeiden.
Für das Netzwerk Recherche gilt seit vielen Jahren: Journalist:innen machen keine PR. Theoretisch ist dieser Satz aus dem NR-Medienkodex klar, in der Praxis wirft er aber eine Menge Fragen auf. Das Netzwerk Recherche hat die kritischen Debatten zu diesem Satz in den vergangenen Jahren natürlich wahrgenommen und intern immer wieder darüber diskutiert.
In den Diskussionen ist deutlich geworden, dass sich der Blick auf Journalist:innen und mögliche Interessenkonflikte stetig verschärft hat. Die Erwartungen an Transparenz sind in den vergangenen Jahren zurecht gewachsen. Die Messlatte dafür, als glaubwürdig wahrgenommen zu werden, liegt höher und Nutzer:innen sind zurecht kritischer geworden, was mögliche Interessenkonflikte angeht. Verhaltensweisen, die früher akzeptabel schienen, werden heute zur Wahrung journalistischer Unabhängigkeit und professioneller Integrität abgelehnt.
Das Netzwerk Recherche hat deshalb eine Leitlinie Journalismus und PR entwickelt. Die Abwägung möglicher Interessenkonflikte muss jede Kollegin und jeder Kollege individuell für sich treffen. Das ist nicht immer einfach. Gleichzeitig lädt das Netzwerk Recherche alle Kolleg:innen dazu ein, sich gemeinsam dafür einzusetzen, den Journalismus klarer von der PR abzugrenzen und dadurch die Glaubwürdigkeit des Journalismus zu stärken. Das Netzwerk Recherche fordert, dass Medienhäuser ihre internen Regeln zu Interessenkonflikten und zum transparenten Umgang mit solchen diskutieren und im Zweifel überarbeiten.
Kein:e Journalist:in ist in der Berufsausübung ganz frei von Vorurteilen, Befangenheiten und eigenen materiellen Interessen. Es hilft dem Publikum aber, wenn es diese möglichen Konflikte einschätzen kann. Dafür braucht es jedoch Transparenz. Ähnlich wie in anderen Branchen – etwa der Medizin oder der Politik – sollten deshalb auch Journalist:innen mögliche Interessenkonflikte offenlegen.
Das Netzwerk Recherche verfasst diese Leitlinie Journalismus und PR in dem Wissen, dass viele – besonders freiberufliche – Journalist:innen nicht ausreichend für ihre Arbeit entlohnt werden und deswegen teilweise auch PR-Tätigkeiten nachgehen. Das Netzwerk Recherche fordert bereits seit Jahren eine angemessene Vergütung von journalistischen Recherchen, damit wirtschaftliche Zwänge nicht dazu führen, dass Kolleg:innen sich gezwungen sehen, mit PR-Tätigkeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Angesichts dessen ist die neue Leitlinie Journalismus und PR des Netzwerk Recherche als Orientierungshilfe gedacht.
Beteiligt an den Diskussionen zur neuen Leitlinie Journalismus und PR des Netzwerk Recherche waren neben dem Vorstand und der Geschäftsstelle des Netzwerk Recherche auch Volker Lilienthal, Journalistik-Professor an der Universität Hamburg.