Quellen finden und öffnen: Werk­statt-​Heft erschienen

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 30. Mai 2008 | Lese­zeit ca. 4 Min.

Netz­werk Recherche prä­sen­tiert Werk­statt-​Heft zum Quel­len­ma­nage­ment – renom­mierte Jour­na­listen und Jour­na­lis­tinnen legen auf 140 Seiten ihre Methoden offen und berichten von ihren Erfah­rungen in der Praxis

Wies­baden. Von den Grund­lagen im Umgang mit Quellen bis hin zu spek­ta­ku­lären Ent­hül­lungen in der Sie­mens-​Kor­rup­ti­ons­af­färe: Die Jour­na­lis­ten­ver­ei­ni­gung Netz­werk Recherche hat ein Werk­statt-​Heft zum Quel­len­ma­nage­ment vor­ge­legt. Unter dem Titel „Quellen finden und öffnen“ erklären nam­hafte Jour­na­listen und Jour­na­lis­tinnen, wie sie sich Infor­manten und Infor­ma­ti­ons­ma­te­rial annä­hern, wie sie Akten aus­werten und prüfen – und wie sie ihre Kon­takte pflegen, um sie auch für künf­tige Geschichten gewinnen zu können. Die Werk­statt steht als PDF-​Doku­ment auf der Home­page von Netz­werk Recherche zum Down­load bereit und liegt in gedruckter Form vor.

Das Werk­statt-​Heft doku­men­tiert eine Fach­ta­gung von Netz­werk Recherche. Die Ver­an­stal­tung im Dezember 2007 in Sör­gen­loch bei Mainz war ein Novum: In der Regel spre­chen Jour­na­listen nicht über ihre Quellen; Infor­man­ten­schutz und Eitel­keit stehen dem ent­gegen. Bei der drei­tä­gigen Kon­fe­renz hin­gegen legten renom­mierte Autoren und ange­se­hene Recher­cheure ihre Methoden offen und berich­teten so kon­kret wie mög­lich von ihren Erfah­rungen in der Praxis.

In dem Werk­statt-​Heft bemän­geln meh­rere Recher­cheure, dass sich viele Jour­na­listen nicht aus­rei­chend auf ihre Gesprächs­partner vor­be­reiten und damit Chancen ver­schenken. „Man sollte den Gesprächs­part­nern mög­lichst auf Augen­höhe begegnen, also wich­tige Quellen nie­mals unvor­be­reitet treffen“, mahnt etwa der preis­ge­krönte Doku­men­tar­filmer und Buch­autor Egmont R. Koch. Neben einer soliden Vor­be­rei­tung müssten Recher­cheure auch erbar­mungs­lose Aus­dauer mit­bringen. Koch schreibt: „Im Extrem­fall kann die Suche nach mög­li­chen Quellen und Inter­view­part­nern nicht unähn­lich sein der Tätig­keit von Drü­cker­ko­lonnen, die von Tür zu Tür ziehen, um einen neuen Zei­tungs-​Abon­nenten zu gewinnen.“

Hans Ley­en­de­cker, lei­tender Redak­teur der „Süd­deut­schen Zei­tung“ und zweiter Vor­sit­zender von Netz­werk Recherche, plä­diert für den Mut, auf mög­liche Quellen zuzu­gehen – statt in der Meute der Jour­na­listen unter­zu­gehen. In der Werk­statt schreibt er, bei Minister-​Emp­fängen sei bei­spiels­weise oft zu beob­achten, dass sich zwei Gruppen bil­deten: auf der einen Seite die Jour­na­listen, die über die viel­fäl­tigen Pro­bleme ihres Berufes plau­dern, und auf der anderen Seite die Beamten, die wie­derum mit­ein­ander über ihre Pro­bleme reden. „Es wäre gut“, schreibt der Ent­hül­lungs­jour­na­list, „wenn, wie in der Tanz­stunde, beide Gruppen zusam­men­kämen.“

Der heu­tige Par­la­ments­kor­re­spon­dent des „Stern“, Hans-​Martin Til­lack, beschreibt in seinem Essay ganz offen die Gefahr, „im Ein­klang mit seiner Umwelt“ zu leben. „Kurz nach­ein­ander hatte ich eher freund­liche Por­träts über (ers­tens) den neuen grünen Oppo­si­ti­ons­star Joschka Fischer und (zwei­tens) die taff wir­kende neue Umwelt­mi­nis­terin Angela Merkel ver­öf­fent­licht“, schreibt Til­lack über seine Arbeit im Jahr 1995 in der Bonner Repu­blik. „Es war irgendwie beglü­ckend.“ Gleich­wohl habe ihm seine Arbeit in der Regel einen „Über­hang an Arti­keln, die mir Feinde ein­trugen“, beschert. In seinem Text erklärt Til­lack zudem, wie wichtig ihm die Pflege von Kon­takten ist – und wie er dabei vor­geht.

Aus­führ­lich widmet sich die Netz­werk-​Recherche-​Werk­statt Nr. 9 außerdem dem Fall Bar­schel. Sowohl ein Recherche-​Team des „Spiegel“ (Markus Dettmer/Britta Sand­berg) als auch der NDRAutor Patrik Baab berichten, wie sie im ver­gan­genen Jahr in par­al­lelen Recher­chen den Fall Bar­schel – zwanzig Jahre nach dessen Tod in Genf – auf­ge­ar­beitet haben. Es habe bei der Recherche pro­ble­ma­ti­sche Quellen vom Hören­sagen, dubiose geheim­dienst­liche Quellen und Nebel­kerzen beim Umgang mit Quellen gegeben, resü­miert Baab. Und auch in der ins­ge­samt 25-​sei­tigen „Spiegel“-​Geschichte hieß es im Oktober 2007: „Wem soll man glauben? Kein wich­tiger Eck­punkt in dieser Affäre kann ohne einen Rest an Zweifel rekon­stru­iert werden“ („Der Spiegel“, Nr. 42/2007).

Das 140-​sei­tige Werk­statt-​Heft prä­sen­tiert nicht nur hand­werk­liche Tipps wie das Abklopfen von Inter­net­quellen auf ihre Glaub­wür­dig­keit (IT-​Jour­na­list Albrecht Ude) oder den Zugang zu glaub­wür­digen Quellen in der Pharma-​ und Gesund­heits­branche (Markus Grill, „Stern“). Es skiz­ziert zudem aktu­elle Ent­wick­lungen im Infor­ma­ti­ons­frei­heits­recht (Man­fred Redelfs, Green­peace) und dient als Lein­wand für anschau­liche Recherche-​Berichte. So beschreibt der in Berlin ange­sie­delte Sonder-​Kor­re­spon­dent des „Wall Street Journal Europe“, David Craw­ford, wie er kis­ten­weise Ermitt­lungs­akten aus der Kor­rup­ti­ons­af­färe um Sie­mens sicherte und aus­wer­tete.

Das Heft zeigt aber auch, dass es kei­nes­wegs immer bri­sante interne Unter­lagen oder Insider mit Spe­zi­al­wissen sind, die eine Recherche vor­an­bringen. In vielen Fällen kann auch die Ana­lyse frei zugäng­li­cher Doku­mente helfen – zum Bei­spiel die Aus­wer­tung von Geschäfts­be­richten betrof­fener Unter­nehmen oder von Orga­ni­sa­ti­ons­plänen der Behörden.

Nicht zuletzt bün­delt das Heft Nach­drucke von wich­tigen Praxis-​Bei­trägen, die zunächst in den Werk­statt-​Heften der Jour­na­listik-​Fach­zeit­schrift „mes­sage“ erschienen sind. Sie beschäf­tigen sich mit Inter­view­tech­niken sowie mit klas­si­scher Recherche und Quel­len­aus­wer­tung.

 

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