Grußwort des NDR-Intendanten Lutz Marmor auf der Jahrestagung 2010: „Fakten für Fiktionen. Wenn Experten die Wirklichkeit dran glauben lassen“,
9./ 10.Juli 2010 in Hamburg

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

auch von mir: Herzlich Willkommen zur Jahrestagung von Netzwerk Recherche! Wir sind zum neunten Mal in Folge Gastgeber der Konferenz. Das freut mich, denn ich schätze diese Veranstaltung. Sie passt gut zum NDR.

Der NDR hat in diesem Jahr sein Engagement noch einmal verstärkt. Wir freuen uns, Ihr Gastgeber zu sein!

Vielerorts wird mit großem Aufwand versucht, Medienkongresse zu initiieren, ich nenne nur den Internationalen Mediendialog in Hamburg. Die Jahrestagung von Netzwerk Recherche – eine Veranstaltung von Journalisten für Journalisten in den Räumen des NDR – ist fest etabliert. Darauf können Sie stolz sein. Ein Blick auf das Programm zeigt, dass es auch in diesem Jahr wieder gelungen ist, interessante Themen zu finden und hochkarätige Referenten zu gewinnen.

Je schwieriger die Zeiten werden, desto wichtiger ist es, in die Qualität der eigenen Arbeit zu investieren. Recherche – jedenfalls dann, wenn Sie über den zweiten Telefonanruf hinausgeht – macht Arbeit und sie kostet Geld. Doch die Investition lohnt sich – Ihnen brauche ich das nicht näher zu erläutern.

Mit dem Reporterpool von NDR Info haben wir ein Modell zur Verbesserung von Recherche gefunden, das inzwischen andere Unternehmen – zum Beispiel die WAZ Mediengruppe – kopieren. Damit verlieren wir vielleicht ein Alleinstellungsmerkmal, aber wir sind dennoch froh über diese Entwicklung. Guter Journalismus nützt allen und ist im digitalen Zeitalter wichtiger denn je.

Er bleibt, das gebe ich gerne zu, eine ständige Herausforderung. Sie brauchen die richtigen Leute, einen langen Atem, die nötigen finanziellen Mittel – und – das wird immer wichtiger – eine gute Rechtsabteilung. Je mehr Sie recherchieren, desto größer wird die Anzahl an juristischen Verfahren. Immer öfter versuchen Firmen oder Privatpersonen mit juristischen Mitteln unliebsame Berichterstattung zu verhindern. Oft geht es dabei nicht um den Kern der Sache, sondern um Nebensächlichkeiten. Wird ein Teilerfolg errungen, wird das öffentlichkeitswirksam per Pressemitteilung verkündet, obwohl der Kern der Berichterstattung davon unberührt bleibt.

Solche Fälle erleben wir häufig. Deshalb möchte ich an Sie appellieren: Übernehmen Sie diese Pressemitteilungen von Unternehmen nicht ungeprüft! Natürlich auch nicht die des Senders. Fragen Sie zumindest beide Seiten und bilden Sie sich ein eigenes Urteil!
Allzu oft feiern Unternehmen einen Sieg, den sie gar nicht errungen haben. Das geschieht mit Hilfe von Journalistinnen und Journalisten, die sich ihre Arbeit zu einfach machen – man könnte auch sagen: sich gar keine Arbeit machen.

Die häufigen Klagen zeigen auch: Die Anforderungen an die Journalistinnen und Journalisten, bis in die Details sorgfältig zu arbeiten, steigen.

Wir verlangen von unseren Leuten korrekte und sorgfältige Arbeit. Wenn etwas Falsches behauptet wurde, muss das im Programm richtig gestellt werden. Auch das gehört zur journalistischen Sorgfaltsplicht. Der Druck finanzstarker Lobbyisten darf umgekehrt aber nicht dazu führen, Berichterstattung zu verhindern!

In Anlehnung an das Zitat von Wilhelm Busch auf Ihrem Programmheft könnte man auch sagen: „Manche Prozesse sollen nicht, manche brauchen nicht, manche müssen geführt werden.”

Die Entwicklung, mit juristischen Mitteln gegen Journalistinnen und Journalisten vorzugehen, ist nicht neu – bei mir weckt sie den Kampfgeist. Auch das gehört zur journalistischen Ehre: Wenn wir Recht haben, werden wir auch dafür streiten, Recht zu bekommen.

Ich weiß, dass nicht jedes Medium die finanziellen und personellen Kapazitäten hat, sich so zu wehren wie der NDR. Ein großer Verlag darf aber genau so wenig wie ein öffentlich rechtlicher Sender klein beigegeben, wenn versucht wird, mit juristischen Mitteln Journalismus zu verhindern.

Wir werden das Verhalten von Unternehmen auch in unseren Sendungen thematisieren – in der Hoffnung, damit die Hürde für Klagen auch gegen andere zu erhöhen.

Abmahnungen und einstweiligen Verfügungen sind immer wieder auch Thema der Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche. Vielleicht bietet es sich an, im nächsten einen Blick darauf zu werfen, was aus den zahlreichen Verfahren in diesem Jahr geworden ist.
Ich biete Ihnen gerne an, auch im nächsten Jahr die Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche zu unterstützen.

Jetzt wünsche ich Ihnen gute Gespräche, interessante Diskussionen und vor allem auch viel Spaß hier in Hamburg!