Leucht­turm 2023 geht an Niloufar Hamedi und Elahe Moham­madi

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 15. Juni 2023 | Lese­zeit ca. 7 Min.

(Eng­lish ver­sion here)

Netz­werk Recherche ver­leiht den „Leucht­turm für beson­dere publi­zis­ti­sche Leis­tungen“ an die beiden ira­ni­schen Jour­na­lis­tinnen Niloufar Hamedi und Elahe Moham­madi für ihre mutige Bericht­erstat­tung über den Tod von Jina Mahsa Amini.

„Niloufar Hamedi und Elahe Moham­madi sind Vor­bilder. Ihre Arbeit führt uns vor Augen, wie wichtig und rele­vant eine freie Presse ist – und wie viel Kraft jour­na­lis­ti­sche Ver­öf­fent­li­chungen ent­falten können“, sagt Daniel Drepper, Vor­sit­zender von Netz­werk Recherche.

Die beiden Jour­na­lis­tinnen hatten als Erste über den Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini berichtet. Amini, die von ira­ni­schen Sit­ten­wäch­tern ver­haftet worden war, starb Mitte Sep­tember. Der Fall löste im Iran die schwersten Pro­teste seit Jahren aus. Der ira­ni­sche Geheim­dienst bezeichnet die beiden Jour­na­lis­tinnen als „aus­län­di­sche Agenten“ und wirft ihnen Pro­pa­ganda gegen den Staat vor.

Hamedi und Moham­madi sind seit rund acht Monaten inhaf­tiert, der­zeit stehen sie unter Aus­schluss der Öffent­lich­keit vor dem Revo­lu­ti­ons­ge­richt in Teheran. Sie sind nicht die ein­zigen Medi­en­ver­treter:innen, gegen die die ira­ni­sche Regie­rung vor­geht. Fast hun­dert Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen wurden ver­haftet, ihre Ange­hö­rigen unter Druck gesetzt.

„Niloufar Hamedi und Elahe Moham­madi sind Inspi­ra­tion und Moti­va­tion für alle Jour­na­list:innen welt­weit. Ihre Arbeit zeigt, was mög­lich ist. Des­halb zeichnen wir sie mit dem Leucht­turm-​Preis des Netz­werk Recherche aus“, sagt Daniel Drepper.

Der dies­jäh­rige Leucht­turm für publi­zis­ti­sche Leis­tungen ehrt Niloufar Hamedi und Elahe Moham­madi für ihren Mut, trotz der Repres­sionen durch den ira­ni­schen Staat kri­tisch zu berichten. Stell­ver­tre­tend wür­digt er jedoch alle Pro­tes­tie­renden im Iran, die auf­grund der Bericht­erstat­tung der beiden Jour­na­lis­tinnen die Men­schen­rechte in ihrem Hei­mat­land ver­tei­digen.

„Niloufar Hamedi und Elahe Moham­madi wussten, dass sie Kon­se­quenzen erwarten, wenn sie über den Tod von Jina Mahsa Amini berichten. Sie sind ihrer Auf­gabe trotzdem nach­ge­gangen, denn sie sind davon über­zeugt, dass Jour­na­lismus nichts anderes ist, als Licht auf das Dunkle zu werfen“, sagt der ira­ni­sche Jour­na­list Omid Rezaee, der die Lau­datio für die Preis­trä­ge­rinnen hält.

Die Preis­ver­lei­hung findet auf der zwei­tä­gigen Jah­res­kon­fe­renz von Netz­werk Recherche am Freitag, 16. Juni, um 15:15 Uhr beim NDR in Ham­burg statt. Sie wird wie wei­tere Ver­an­stal­tungen der Kon­fe­renz per Live­stream über­tragen.

Eine Über­sicht der bis­he­rigen Preis­träger:innen ist hier abrufbar.

Lau­datio von Omid Rezaee

„Auf­re­gung, Sehn­sucht, Hoff­nung, Schei­tern, Sehn­sucht, Trau­rig­keit, Heimweh, Sehn­sucht, Stolz, Sehn­sucht, Sehn­sucht.“ So beschreibst Du, Niloufar, deine Gefühle, als sie dich auf dem Weg vom Gefängnis zum Gerichts­saal an der Redak­tion, in der du bis vor deiner Fest­nahme gear­beitet hast, vor­bei­ge­führt haben. Du sitzt nun seit über acht Monaten in Unter­su­chungs­haft, zum großen Teil in der Ein­zel­zelle. Die exakten Vor­würfe gegen dich sind nicht bekannt, dein ver­meint­li­cher Pro­zess findet unter Aus­schluss der Öffent­lich­keit statt, selbst dein Anwalt darf sich die Akten nicht anschauen.

Viel­leicht werden wir nie erfahren, was dir, Niloufar, nur durch den Kopf gegangen ist, als du an jenem Sep­tem­be­r­abend ins Kran­ken­haus gefahren bist und von Jina Mahsa Aminis Tod berichtet hast, davon, was ihre Familie durch­ma­chen musste. Wuss­test du schon in dem Moment, dass du Geschichte schreibst? Viel­leicht erzählst du uns am Morgen der Frei­heit in deinem Tage­buch, was du dir am besagten Sep­tem­be­r­abend gedacht hast. Doch eins sind wir uns sicher: Du warst dir der Gefahr bewusst. Du wuss­test, dass es in kei­nerlei Weise für dich gut aus­gehen würde, wenn du der Welt das Bild von Jinas Eltern mit­teilst.

Auch du, Elahe, du wuss­test ganz genau, was du machst, als du dich ent­schieden hast, nach Saghez, in die Hei­mat­stadt von der an Poli­zei­ge­walt ermor­deten Jina Mahsa Amini, zu fahren, um von ihrer Beer­di­gung zu berichten. Du hast deiner Geschichte den Titel gegeben: „Die ganze Heimat trauert.“ Im Nach­hinein könnte man deine Repor­tage anders beti­teln, viel­leicht etwa: „Die ganze Heimat kämpft“.

Es war kein Zufall, Niloufar, dass du, gerade du eine der ersten Jour­na­list*innen warts, die von dem Tod der 22-​Jäh­rigen berichtet haben. Das lässt sich durch deine Bericht­erstat­tung in all diesen Jahren fest­stellen: Vor einigen Jahren war es dein Bericht von dem bru­talen Mord an einer 14-​Jäh­rigen durch ihren eigenen Vater, der eine lan­des­weite Debatte über häus­liche Gewalt aus­ge­löst hat. Direkt nach Tali­bans Macht­über­nahme in Afgha­ni­stan bist Du, Niloufar, an die Grenze gefahren, um über die afgha­ni­schen Geflüch­teten zu berichten. Es warst du, die von den Selbst­mord­wellen unter den Sol­daten wäh­rend des Pflicht­wehr­dienstes berichtet hat. Du hast dich getraut, von den Gefahren der ille­galen Abtrei­bungen im Land zu berichtet, weil die isla­mis­ti­sche Herr­schaf die Abtrei­bung kri­mi­ni­la­siert hat. Du hat­test den Mut, auf­zu­zeigen, dass Selbst­ver­bren­nung ein weit ver­brei­tetes Phä­nomen unter Frauen im west­li­chen Iran ist. Und du hast im ver­gan­genen Sommer von Gewalt der soge­nannten Sit­ten­po­lizei berichtet. Du hat­test uns gewarnt, du hat­test schon lange vor dem Mord an Jina den Staat gewarnt, dass die Sit­ten­po­lizei Gewalt ausübt.

Auch du, Elahe, du bist nicht zufällig nach Kur­di­stan gefahren, um von dieser Beer­di­gung zu berichten, einer Beer­di­gung, die nicht das Ende, son­dern der Anfang war. Anfang deiner Frei­heits’entzug. Anfang eines neuen Kapi­tels im Kampf um unsere Frei­heit. Du hast uns in den ver­gan­genen Jahren auf zahl­reiche Miss­stände im Land auf­merksam gemacht. Auf den Aus­bruch von Corona-​Virus in Frau­en­trakten von Tehe­raner Gefäng­nissen; auf Stra­ßen­kinder, die zu arbeiten gezwungen werden; auf die afgha­ni­schen Migran­ten­kinder, die nicht in die Schule gehen dürfen.

Ein Jahr durf­test du in keiner Zei­tung ver­öf­fent­li­chen, ein Jahr Berufs­verbot ohne Gerichts­ver­fahren, weil du von Mas­sen­pro­testen im November 2019 berichtet hast, vom Absturz eines Pas­sa­gier­flug­zeugs durch die Raketen der Revo­lu­ti­ons­garde. Du hast dich aber nicht nur mit dem Geheim­dienst ange­legt, son­dern auch mit deinen Vor­ge­setzten, mit deiner eigenen Redak­tion, als du von sexu­ellem Miss­brauch inner­halb der Redak­tionen berichtet hast. Ungleich­heit konnte sich nir­gendwo von deinem jour­na­lis­ti­schen Instinkt ver­ste­cken.

Ihr, Niloufar, Elahe, ihr wusstet ganz genau, was euch erwartet, wenn ihr tut, was ihr getan habt. Ihr habt es trotzdem gemacht, ihr seid eurer jour­na­lis­ti­schen Auf­gabe nach­ge­gangen, denn ihr seid davon über­zeugt, und ihr wolltet uns zeigen, dass Jour­na­lismus nichts anders ist, als die Sonne an die Hand zu nehmen und sie in die dunklen und unheim­li­chen Ecken zu tragen, wo die Düs­ter­heit das Licht gestohlen hat.

Und nun, seit acht Monaten, zeigt ihr uns, dass ihr euren Kampf um Frei­heit und Gleich­be­rech­ti­gung mit eurer Fest­nahme nicht für beendet erklärt habt.

Elahe, Niloufar, wir ver­leihen euch diesen Preis, nicht um euch zu loben. Ihr braucht es nicht. Dieser Preis ist zu klein für ^euch. Ihr seid zu groß für diesen Preis, für jeden Preis. Du hast es selbst mal gesagt, Niloufar: Du hast den größten Jour­na­lis­mus­preis da gewonnen, als du den Stimm­losen eine Stimme gegeben hast.

Ihr sitzt seit über acht Monaten zu Unrecht hinter Git­tern, und ihr habt mehr­mals deut­lich gemacht, dass ihr nur eins ver­misst: ihren Job. Jour­na­lismus.

Liebe Elahe, liebe Niloufar, wir ver­leihen euch diesen Preis, um uns selbst daran zu erin­nern, was Jour­na­lismus eigent­lich ist, was Jour­na­lismus eigent­lich kann und was unsere Auf­gabe als Jour­na­list*innen ist. Ihr mahnt uns mit eurem Wider­stand, mit eurer Sehn­sucht nach Jour­na­lismus. Wir ver­leihen euch diesen Preis, um zu zeigen, dass wir eure Mah­nung ernst nehmen.

Und wir sind uns sicher, dass ihr diese dunklen Tage über­stehen werdet. Ihr müsstet es über­stehen. Denn Jour­na­lismus braucht euch.

Danke.

Die gesamte Lau­datio von Omid Rezaeen fin­dest Du natür­lich auch hier im Video:

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