Liebe Kolleg:innen,

Journalismus, besonders der Investigativjournalismus, wird immer noch häufig als Branche mit Ellenbogen-Mentalität verstanden. Gegeneinander, nicht miteinander. Konkurrenz, innerhalb der Redaktionen, zwischen den Redaktionen. Eine Nachwuchs-Journalistin hat mich kürzlich gebeten, einer Kollegin bloß nichts von ihrem Interesse an einem Thema zu erzählen, zu dem diese bereits gearbeitet hatte – aus Angst, diese würde sie dann als Konkurrentin ansehen.

Natürlich gibt es einen Wettbewerb und Konkurrenz zwischen den Medien, aber für mich liegt die besondere Kraft des Journalismus in der Kooperation. In meiner Arbeit kooperiere ich querbeet. Je nach Recherchethema arbeite ich mit ganz unterschiedlichen Partner:innen, da gab es schon das mexikanische Lokalradio oder die Investigativ-Redaktion von ProPublica. Jede:r zusätzliche Journalist:in bringt ein eigenes Adressbuch mit, einen kulturellen Hintergrund, eine eigene kritische Herangehensweise an ein Thema, neue Expertise – und nicht zuletzt wächst der Impact, je mehr Journalist:innen gleichzeitig veröffentlichen. Wenn Journalist:innen sich einander öffnen, sind tiefere Recherchen möglich, die zu besseren Ergebnissen führen – die letztlich mehr bewegen.

Deshalb ist mein Appell: Kooperiert miteinander! Mehr Augen sehen mehr. Findet Verbündete vor Ort, wenn ihr mit einer Recherche nicht weiterkommt. Sprecht Reporter:innen an, die etwas zu einem Thema veröffentlicht haben, das euch interessiert, statt eure Energie damit zu verschwenden, eure Recherche zu verstecken. Kolleg:innen sind eine weit unterschätzte Quelle, und wer weiß, vielleicht kann ja eine Kooperation daraus entstehen.

Kooperation kann eine der Antworten sein auf Stellenstreichungen und Zeitmangel, um gemeinsam dennoch den bestmöglichen Journalismus zu machen. Und dann ist vielleicht auch irgendwann Schluss mit dem Ellbogen-Ruf.

Eure
Stefanie Dodt

 

 

 

Stefanies Tipps des Monats

Erster Haftbefehl wegen Nord-Stream-Anschlägen

Vor knapp zwei Jahren wurden Anschläge auf die Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 verübt. Doch wer hat die Pipelines gesprengt? Die Recherche ist ein tolles Beispiel für Kooperation, denn ein Team von NDR, WDR, dem rbb-Magazin „Kontraste“, dem ARD-Hauptstadtstudio, SWR, Süddeutsche Zeitung und Die Zeit hat monatelang zusammengearbeitet. Außerdem beteiligt waren die internationalen Partner:innen Expressen, frontstory.pl, Delfi sowie NOS/Nieuwsuur. Und nun gibt es Bewegung im Fall: Der Generalbundesanwalt hat einen ersten Haftbefehl gegen eine tatverdächtige Person erwirkt – den Ukrainer Wolodymyr Z., der sich zuletzt in Polen aufgehalten haben soll. Mehr zu den kuriosen Ermittlungen und Entwicklungen lest ihr hier.

Journalismus im Fadenkreuz im Gazastreifen

Mehr als hundert Medienschaffende sind seit Kriegsbeginn im Gazastreifen getötet worden. „The Gaza Project“, das von der französischen Organisation Forbidden Stories und Paper Trail Media initiiert und koordiniert wurde, dokumentiert, wie gefährlich die Arbeit für Journalist:innen vor Ort ist. Für diese Recherche haben 50 Journalist:innen aus aller Welt, darunter auch vom ZDF und dem Spiegel, Hunderttausende Telegram-Nachrichten, hunderte Fotos, Satellitenbilder und Videos ausgewertet und mit über 100 Expert:innen und Augenzeug:innen gesprochen. Außerdem haben bei dem Projekt erstmals arabische und israelische Medien zusammengearbeitet. Wer sich für die Recherche interessiert, sollte unbedingt beim NR-insights am 18. September vorbeischauen. Maria Retter und Frederik Obermaier von Paper Trail Media geben dann Einblicke in ihre Arbeit und die Herausforderungen, denen sie bei der Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen in Gaza begegnet sind.

Rechte Influencer auf YouTube

Ein Netzwerk von rechten Influencern verbreitet seine Botschaften mittels Videos im Weihnachtsmannkostüm, jungen Frauen im Blümchenkleid und Prank-Anrufen auf YouTube. Dabei schaltet es auch fragwürdige Werbung. Auch ein Teilnehmer des Geheimtreffens in Potsdam vom November 2023 ist involviert. Für dieses Projekt haben Correctiv und das Y-Kollektiv gemeinsam recherchiert.

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Aus dem Netzwerk Recherche

Programm für die SciCAR 2024 online

Am 27. und 28. September findet die mittlerweile 8. SciCAR in Dortmund statt – unsere Konferenz zu Wissenschaft und Computer Assisted Reporting (CAR). Wir bringen Journalist:innen und Wissenschaftler:innen zusammen, um den interdisziplinären Austausch von Ideen, Methoden und Projekten zu fördern. Die ersten Programmdetails sind online, Tickets gibt es hier.

Open House im Publix

Mitte September eröffnet das Publix-Gebäude, in dem wir seit Mai dieses Jahres unser Büro haben, offiziell. Wir laden euch herzlich ein, Berlins neues Haus für Journalismus und Öffentlichkeit beim Open House am 15. September kennenzulernen. Wir sind mit einem eigenen Workshop dabei und stellen die Arbeit von Netzwerk Recherche vor. Weitere Informationen gibt es hier.

NR bei der „Besser Online“-Konferenz

Unter dem Titel „Alarm im Trollhaus: Demokratie wehrt sich!“ veranstaltet der DJV am 7. September seine „Besser Online“-Konferenz in Leipzig. Auch Netzwerk Recherche ist mit einem Workshop im Programm vertreten, bei dem die Teilnehmenden lernen, was bei berufsbedingten psychischen und physischen Belastungen helfen kann. Informationen zur Veranstaltung und Tickets gibt es hier.

Noch bewerben: Förderprogramme für Journalist:innen

Bis zum 8. September laufen unsere Ausschreibungen mit der Schöpflin Stiftung noch. Mit dem Grow-Stipendium werden Gründer:innen mit einer Anschubfinanzierung, individuellen Coachings und maßgeschneiderten Workshops dabei unterstützt, ihre journalistischen Projekte umzusetzen. Das Greenhouse Fellowship ermöglicht in diesem Jahr eine Recherche zu der Frage, warum Journalist:innen ihren Beruf an den Nagel hängen – und was sich dagegen unternehmen lässt. Jetzt bewerben!

NR-insights: „The Gaza Project – Reporter im Fadenkreuz“

In keinem anderen Konflikt sind innerhalb so kurzer Zeit so viele Journalist:innen getötet worden wie im Gazastreifen. In einer internationalen Recherche haben Spiegel, ZDF und Forbidden Stories die Umstände dieser überdurchschnittlich hohen Todeszahlen untersucht. „The Gaza Project“ legt nahe, dass Israel den Tod palästinensischer Journalist:innen mindestens in Kauf genommen und in einigen Fällen womöglich sogar bewusst darauf abgezielt hat. Maria Retter und Frederik Obermaier von Paper Trail Media (Spiegel/ZDF) geben im NR-insights am 18. September Einblicke in ihre Arbeit und die Herausforderungen, denen sie bei der Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen in Gaza begegnet sind. Moderiert wird der Abend von Eva Achinger (BR Recherche). NR-insights ist exklusiv für Mitglieder von Netzwerk Recherche. Jetzt noch Mitglied werden und teilnehmen!

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Nachrichten

Einreichungen für Himmel- und Hölle-Preis gesucht

Jedes Jahr zeichnen die „Freischreiber“ mit dem Himmel-Preis eine Person oder Redaktion aus, die sich besonders für freie Journalist:innen einsetzt – und mit dem Hölle-Preis entsprechend Menschen oder Institutionen, die Freien das Leben schwer machen. Journalist:innen können ihre Vorschläge einreichen. Am 23. November wird der Preis dann in Hamburg verliehen.

Interaktives Wahlarchiv vor Landtagswahlen

Das neue, interaktive MDR Wahlarchiv ermöglicht Einblicke in alle Wahlen in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt seit 1990 – von Bürgermeister:innen- bis hin zu Bundestags- und Europawahlen. Nutzer:innen können damit räumliche und zeitliche Analysen vornehmen und die Ergebnisse einfach und schnell mit aktuellen Wahlergebnissen vergleichen und einordnen. Ein Besonderheiten-Ticker informiert über markante Merkmale: Wer hatte wann und wo sein stärkstes Ergebnis? Wo hat die Partei X immer gewonnen? Welcher Ort liegt am nächsten am Gesamtergebnis? Mehr Infos samt Tutorial gibt es hier.

Reform und Zukunft von ARD, ZDF und Deutschlandradio

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht vor großen Herausforderungen: die digitale Transformation, veränderte Mediennutzungsgewohnheiten oder sinkendes Vertrauen des Publikums. Die öffentlich-rechtlichen Sender müssen ihren verfassungsmäßigen Auftrag erfüllen und das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen. Damit befasst sich die aktuelle Studie „ARD, ZDF und DLR im Wandel“, die die Otto Brenner Stiftung jüngst veröffentlicht hat. Medienrechtler Jan Christopher Kalbhenn analysiert im Arbeitspapier die Vorschläge der Rundfunkkommission der Länder, ordnet sie medienpolitisch ein und gibt eigene Empfehlungen ab. Der „Medieninsider“ kritisiert die Studie, schreibt aber auch: „Auch wenn entscheidende Dimensionen fehlen, so ist es ein Impuls für die wichtigen Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Radikale Gedanken sind hier nicht nur erlaubt, sondern auch gewünscht.“

Online-Tool zur Klimabilanzierung journalistischer Arbeit

Mit dem Online-Tool von CO2mmitted Media können Medienschaffende die Klimabilanz ihrer Arbeit und Recherchen berechnen und die mit der Bilanz verbundenen Umweltschadenskosten ermitteln. Außerdem bietet der Verein die Möglichkeit, Teilhaber:in des CO2mmitted Media-Nachhaltigkeitsfonds zu werden. Jeder Klimabeitrag, der dem Fonds zugutekommt, fördert den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland. In einem zweiten Schritt werden transformative Projekte unterstützt, die von den Teilhabenden des Fonds vorgeschlagen und jährlich per Onlineabstimmung ausgewählt werden.

Fragebogen: Journalistische Arbeitgeber:innen

Im Rahmen seiner Masterarbeit erforscht Lukas Knauer, Student an der Hamburg Media School und Redakteur bei NDR Info, was der journalistische Nachwuchs von seinen (zukünftigen) Arbeitgeber:innen erwartet. Für den Fragebogen werden Leute gesucht, die nicht älter als 35 Jahre sind, maximal seit sieben Jahren journalistisch arbeiten und dies aktuell noch tun oder bis 2023 getan haben.

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Veranstaltungen, Preise & Stipendien

Call for grants: cross-border investigations

Free Press Unlimited (FPU) finanziert grenzüberschreitende, investigative Reportagen. Zehn Zuschüsse in Höhe von jeweils 10.000 Euro werden an Teams vergeben, die grenzüberschreitenden Investigativjournalismus produzieren und kritische, europäische Themen aufgreifen. Bewerben können sich unabhängige europäische Medienorganisationen sowie (freie) Journalist:innen, die in der EU ansässig sind. Bewerbungen von Journalist:innen aus der Ukraine, Belarus oder Russland sind besonders willkommen. Genauere Infos gibt es hier, die Bewerbungsfrist endet am 9. September 2024.

Podcast-Workshop

Wie erstellt man überhaupt einen Podcast? Wie schneide ich interessantes Rohmaterial, damit es nicht nur gut hörbar, sondern auch spannend ist und bleibt? Über welche Kanäle kann ich meinen Podcast anbieten? Und wie verschaffe ich mir im wahrsten Sinne des Wortes Gehör bei meiner Zielgruppe? Das Pressenetzwerk für Jugendthemen möchte mit einem dreitägigen Workshop vom 18. bis 20. Oktober Antworten liefern. Anmeldeschluss ist am 15. September 2024.

Was ist bloß los im Osten?

Und wer inhaltlich mit seinem Podcast über Klischees und Stereotypen hinausgehen möchte, meldet sich am besten noch rasch zum kostenlosen Workshop von Nine-Christine Müller, Gründerin des Podcasts „Ostwärts: Gespräche über ostdeutsche Identitäten“, an. Im Workshop „Was ist bloß los im Osten?“ zeigt sie, wie wir einen offenen Austausch mit ostdeutschen Identitäten fördern können, und lädt zum kritischen Dialog ein. Der Workshop findet im Rahmen des Inspiration Day 2024 am 10. Oktober statt.

ai-academy

KI-Tools für die eigene Arbeit entdecken und anwenden, richtig gut prompten, die eigenen Workflows verbessern, lernen und ausprobieren im Team – das verspricht die ai-academy von Tactile.News. Als Webinar (und teilweise vor Ort als Seminar) finden vom 20. September bis 12. November Lerneinheiten zum Thema KI, Deepfakes und co. statt. Die ai-academy ist förderfähig für Selbstständige und Freiberufler:innen durch das Kompass-Programm, d.h. 90 Prozent der Kursgebühr werden erstattet. Mitglieder von Netzwerk Recherche können sich zum Early Bird-Tarif anmelden und sparen damit 500 Euro – dafür bei Yvonne Pöppelbaum melden.

Fachjournalismus Religion

Ob Antisemitismus oder Rassismus, Konflikte um religiöse Praktiken oder ideologische Bewegungen im Web: Religionen sind oft ein Thema in der journalistischen Berichterstattung. Zur Vermittlung von Expertise über Religion bieten der Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster und die Journalistenschule ifp eine berufsbegleitende Fortbildung für Journalist:innen an. Die Fortbildung findet von Januar bis Juni 2025 statt, die Bewerbungsfrist endet am 1. Oktober 2024.

Hans-Matthöfer-Preis für Wirtschaftspublizistik

Mit dem Hans-Matthöfer-Preis für Wirtschaftspublizistik ehren die Hans-und-Traute-Matthöfer-Stiftung und Friedrich-Ebert-Stiftung Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler:innen, die jenseits der volkswirtschaftlichen Standardtheorie oder des makroökonomischen Mainstreams neue Antworten auf die großen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Herausforderungen geben. Erstmals wird der Preis in zwei Kategorien („Buch“ und „Andere Medien“) ausgeschrieben. Das Preisgeld beträgt jeweils 12.000 Euro für den Buch- und 8.000 Euro für den Medienpreis. Die Bewerbungsfrist endet am 15. Oktober 2024.

Hamburger Woche der Pressefreiheit

Im Rahmen der „Hamburger Woche der Pressefreiheit“ wollen NDR Info und die
Hamburg Media School (HMS) die Frage stellen: Wie reagieren wir Journalist:innen darauf, dass eine wachsende Zahl von Menschen sich von Nachrichten abwendet und freie, unabhängige Berichterstattung nicht mehr nutzt? Die kostenlose Veranstaltung „Was tun gegen Nachrichtenmüdigkeit? Neue Ansätze im Journalismus“ bietet Impulse aus Wissenschaft und Praxis, einen Blick auf Chancen und Grenzen von „konstruktivem Journalismus“ und (hoffentlich) kontroverse Diskussionen. Die Veranstaltung ist kostenlos und findet am 16. Oktober statt.

Mercator-Journalists in Residence

Medienschaffende, die sich mit gesellschaftlichen und politischen Fragen des Finanzsektors beschäftigen, können sich auf das Mercator-Journalists in Residence Programm bewerben. Im Rahmen des Projekts „Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors“ bieten ZEVEDI und die Stiftung Mercator die vierwöchige Residenz an. Bei dem Programm erhalten die Stipendiat:innen 3.500 Euro und können sich auf der ZEVEDI-Geschäftsstelle an der TU Darmstadt einem Forschungs- oder Praxisvorhaben widmen, das den digitalen Wandel des Finanzsektors und damit verbundene gesellschaftliche Probleme thematisiert. Eine Bewerbung ist jederzeit möglich.

Fortbildungen

Zum Schluss

We’re going Publix

Nicht vergessen: Wir sehen uns am 15. September zum Open House im Publix. Wir freuen uns jetzt schon, euch in unserem Workshop hinter die Kulissen unserer Arbeit mitzunehmen.