Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 140, 17.08.2016
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
ich wuenschte, es gaebe noch das Sommerloch. Denn in Zeiten des Sommerlochs war es doch einfacher, das Wichtige und Richtige vom Unwichtigen und Falschen zu trennen. Heute ist das nicht mehr so, denn es gibt schlicht keine Pause mehr. Weil sich eine solche Pause niemand mehr leisten kann. Weil eine solche Pause dem System widerspricht, in dem wir alle arbeiten.
Politiker lassen sich ihre Pausen moeglichst gar nicht erst anmerken: Kommentieren weiterhin, allzeit bereit, oder laden sich die Journalisten gleich direkt an ihren Urlaubsort ein. Als sei die mediale Praesenz die einzige Waehrung ihres politischen Geschaefts. Und die Medien koennen sich in Live-Ticker-Zeiten einen Stillstand oder eine Themenflaute noch viel weniger erlauben. Unsere digitale DNA macht ein Sommerloch unmoeglich.
Also laeuft die Maschine, tagein, tagaus. Und wir stuerzen uns auf das, was uns wichtig erscheint, natuerlich. Berichten in Echtzeit und nahezu ungefiltert ueber alles rund um die Amoklaeufe – und begeben uns dabei auch noch in einen medialen Wettkampf, wer die meisten Details zutage foerdert. Aus dem Privatleben des Amoklaeufers. Ueber die Verbindungen zum Terrorismus und zum IS. Oder ueber einige Jugendliche, die sich im Internet “auf das Morden vorbereiten” wie die FAS vor einigen Wochen in ihrem Aufmacher enthuellte. Was wir aber mit diesen zuweilen nur vermeintlich relevanten Recherchen bewirken, was fuer eine Aufmerksamkeit wir damit schaffen, darueber diskutieren wir wie immer erst hinterher. Immerhin tun wir es gerade jetzt ausgiebig und kontrovers.
Aber im Falle der Amoklaeufer haben die Medien womoeglich laengst weitere Nachahmer produziert – ueber die sie dann wieder ausfuehrlich berichten werden? Und auch bei der Berichterstattung ueber Terroristen muessten wir uns vor jeder Geschichte fragen, ob wir uns nicht gerade selbst zum Werkzeug von Verbrechern machen. Auf diese Leitfrage muessen wir eigentlich immer eine Antwort parat haben – schon vor der Sendung, vor dem Abdruck, vor dem Live-Ticker.
Ein richtiges Sommerloch scheint es dagegen nur noch bei RTL zu geben. Man mag es eigentlich nicht glauben: Aber der Sender hatte offenbar die Idee, “investigativ” die Arbeitsbedingungen im Polizeialltag zu recherchieren. So jedenfalls hat ein Sprecher des Senders gegenueber der Sueddeutschen Zeitung versucht zu erklaeren, warum eine Koelner Polizistin mit versteckter Kamera fuer RTL ihre Kollegen bei der Arbeit gefilmt hat. Gegen die Beamtin, einen Kameramann und eine Journalistin laeuft nun ein Ermittlungsverfahren. Was fuer ein Schwachsinn, was fuer eine Branchenblamage. Solange Medien ungehemmt versteckte Kameras einsetzen, wird das nichts werden mit dem Ende der Glaubwuerdigkeitskrise.
Machen wir es also besser. Indem wir uns immer wieder auch die Frage stellen, warum und wie wir etwas recherchieren oder berichten wollen.
Es gruessen,
Julia Stein,
Albrecht Ude
## Inhaltsverzeichnis.
01: Editorial
Abschnitt Eins: In Eigener Sache
02: Unterzeichnen: Online-Petition gegen Ueberwachung durch den BND
03: Stipendien fuer Gruender im gemeinnuetzigen Journalismus: Jetzt bewerben!
04: nr-Stammtisch Berlin “Von der Bonner zur Berliner Republik – Politische Berichterstattung”
Abschnitt Zwei: Veranstaltungen
05: Suchmaschine Metager legt Progammcode offen
06: Diskussion: Kassensturz – Wie steht es um die Finanzierung des Journalismus?
07: Zweite IQ-Fachkonferenz zur Journalistenausbildung
08: Besser Online – Wo steht digitaler Journalismus heute?
09: Suchmaschinen-Workshop in Klagenfurt
10: “The power of the crowd” ECPMF in Leipzig
11: Ringvorlesung “Luegenpresse” an der Uni Hamburg
12: Das Ende der Einbahnstrasse – zum neuen Verhaeltnis zwischen Journalist und Publikum
Abschnitt Drei: Nachrichten
13: Surveillance Industry Index
14: Anonymer Briefkasten des heise-Verlages eroeffnet
15: Weltkarte der Videoueberwachung – Jeder kann mitmachen
16: MDR Korrekturseite
Abschnitt Vier: Seminare, Stipendien, Preise
17: FES-Webinare zur Fluechtlingsthematik
18: Journalistenpreis Informatik 2016
19: Seminar: Sicherer Umgang mit den eigenen Daten
20: Seminar: Medienrecht
21: Seminar: Wirtschaftsjournalismus
Abschnitt Fuenf: Pressespiegel
22: Lesenswert
23: Journalismus
24: Ueberwachung
25: Link-Index
26: Technische Hinweise
28: Impressum