Meldungen darüber, dass Journalist*innen von Rechtsextremisten bedroht werden, häufen sich. Sechs Vereinigungen von Medienschaffenden, darunter Netzwerk Recherche, wenden sich in einem offenen Brief an den Bundesinnenminister und fordern ihn auf, Vorkehrungen für ihre Sicherheit zu treffen. Eine Entwarnung wegen einzelner ‚Todeslisten‘ reiche nicht.

Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister Seehofer,

wie Sie wissen, beschreibt der Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention die Verpflichtung des Staates, Leben zu schützen. Laut Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beinhaltet dies die Bringschuld der Behörden, präventive Maßnahmen zu ergreifen, um eine identifizierte Person zu schützen, deren Leben durch kriminelle Akte einer anderen Person gefährdet ist. Dies bedeutet, dass der Staat jede Person über jegliche aktenkundige Bedrohung ihres Lebens informieren sowie aktiv weitere Maßnahmen ergreifen muss, wenn die Bedrohung real und unmittelbar ist.

Im Kontext der jüngsten Berichte über ‚Todeslisten‘, die von rechtsextremen Akteur*innen zusammengestellt wurden: Können Sie uns versichern, dass jede Person, deren Name auf dieser Liste oder ähnlichen Listen steht, auf Anfrage Auskunft darüber und Empfehlungen für ihre Sicherheit erhält? Werden Einzelpersonen proaktiv informiert, falls konkrete Lebensgefahr besteht? Falls diese ‚Todeslisten‘ nicht nur Namen von Einzelpersonen, sondern auch von Organisationen enthält, sind die betroffenen Organisationen darüber informiert worden? Befindet sich eine der folgenden Organisationen und Vereine auf diesen Listen: „Neue deutsche Medienmacher*innen“, „Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union“, „Deutscher Journalisten-Verband“, „Krautreporter“, „Netzwerk Recherche“, „Peng!“? Können Sie uns zusichern, dass die Mitglieder dieser Organisationen nicht gefährdet sind? Wenn Sie der Ansicht sind, dass keine Gefährdungslage vorliegt, nach welchen Kriterien sind Sie zu dieser Überzeugung gekommen?

Eine freie Presse ist einer der Grundpfeiler unserer Demokratie. In Anbetracht der erwiesenen Tatsache, dass Journalist*innen zu besonderen Hassobjekten vieler Rechtsextremen geworden sind, ist es unabdingbar, dass die Sicherheit von Medienschaffenden gewährleistet wird, damit diese ihren Beruf ungehindert ausüben können.

Die unterzeichnenden Organisationen fordern das Innenministerium auf, gemäß Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention die betroffenen Einzelpersonen (auf Nachfrage ihrerseits) sowie Organisationen (proaktiv) darüber zu informieren, ob sie auf einer der Listen stehen. Wenn dies der Fall sein sollte, fordern wir darüber hinaus, dass der deutsche Staat alle notwendigen Maßnahmen ergreift, um die Sicherheit all dieser Personen und Organisationen zu gewährleisten. Dazu gehört ein nachvollziehbares einheitliches Konzept für alle Bundesländer im Bezug darauf, wo und wie man sich über die Gefahrenlage informieren kann und wie der Staat darauf reagiert.

Uns sind Fälle bekannt geworden, in denen Betroffene informiert wurden und ihnen die Polizei nahe gelegt hat, sich „aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen“. Abgesehen davon, dass damit die Einschüchterungsstrategie der Rechtsextremen erfolgreich wäre, ist diese Reaktion für Medienschaffende schlicht unmöglich.

Zudem fordern wir zu den nötigen Schritten auf, um Medienschaffenden bundesweit wieder zu ermöglichen, eine unkomplizierte Auskunftssperre für Privatadressen im Melderegister zu erwirken. In einigen Bundesländern muss inzwischen eine akute Gefahr für Leib und Leben nachgewiesen werden, damit eine Auskunftssperre erfolgt – dann könnte es bereits zu spät sein, um sich zu schützen.

Unterzeichner*innen:

Neue deutsche Medienmacher e.V.
Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union
Deutscher Journalisten-Verband
Krautreporter e.G.
Netzwerk Recherche e.V.
Peng! e.V.