Verschlüsselung von Mes­senger-​Diensten nicht aus­he­beln!

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 17. November 2020 | Lese­zeit ca. 3 Min.

Offener Brief an den Rat der Europäischen Union, das Bun­des­mi­nis­te­rium der Justiz und das Bun­des­mi­nis­te­rium des Innern

Netz­werk Recherche und Reporter ohne Grenzen wenden sich heute in einem offenen Brief gegen das Vor­haben, Mes­senger-​Dienste zu ver­pflichten, Gene­ral­schlüssel zur Über­wach­bar­keit von ver­schlüs­selten Chats und Nach­richten anzu­legen:

Sehr geehrte Frau Bun­des­mi­nis­terin, sehr geehrter Herr Bun­des­mi­nister,
sehr geehrte Mit­glieder des Rats der Euro­päi­schen Union,

ange­sichts der jüngsten Ter­ror­an­schläge hat die deut­sche Rats­prä­si­dent­schaft einen Reso­lu­ti­ons­ent­wurf vor­ge­legt, in dem „tech­ni­sche Lösungen“ gefor­dert werden, um „den zustän­digen Behörden im Bereich der Sicher­heit und des Straf­rechts“ den Zugang zu ver­schlüs­selter Kom­mu­ni­ka­tion zu ermög­li­chen. Wir schreiben Ihnen, um unsere Besorgnis über die ange­strebte Aus­ar­bei­tung eines Regu­lie­rungs­rah­mens zum Aus­druck zu bringen, der die Inte­grität von Ende-​zu-​Ende-​ver­schlüs­selten Mes­sen­ger­diensten in Frage stellen und damit das Recht auf Pri­vat­sphäre und die Ver­trau­lich­keit der Kom­mu­ni­ka­tion von Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen und ihren Quellen gefährden würde.

Die im Reso­lu­ti­ons­ent­wurf des Minis­ter­rates benannte „Sicher­heit durch Ver­schlüs­se­lung und Sicher­heit trotz Ver­schlüs­se­lung“ ist ein Wider­spruch in sich selbst. Ver­schlüs­se­lung funk­tio­niert ent­weder aus­nahmslos, oder sie funk­tio­niert gar nicht. Eine funk­tio­nie­rende Ver­schlüs­se­lung, die nur für die Sicher­heits­be­hörden eine Aus­nahme schafft, ist nicht denkbar und nicht mög­lich. Jedes tech­ni­sche Mittel des Zugriffs auf ver­schlüs­selte Kom­mu­ni­ka­tion würde die Ver­trau­lich­keit der Daten aller Nut­ze­rinnen und Nutzer schwä­chen und die Bürger und Dienste einem erhöhten Risiko von Angriffen durch Hacker und aus­län­di­sche Geheim­dienste aus­setzen, selbst wenn die vor­ge­schla­gene Lösung „den Prin­zi­pien der Lega­lität, Trans­pa­renz, Not­wen­dig­keit und Ver­hält­nis­mä­ßig­keit“ ent­spre­chen würde.

Es ist zu befürchten, dass der im Reso­lu­ti­ons­ent­wurf vor­ge­se­hene Zugang zu Daten die Schaf­fung eines Nach­schlüs­sels für „zustän­dige Behörden“ bedeuten würde, mit Hilfe dessen die Behörden auf die Kom­mu­ni­ka­tion der Bürger zugreifen könnten. Mit „zustän­digen Behörden“ sind nicht nur Straf­er­mittler gemeint, son­dern offenbar auch die Nach­rich­ten­dienste. Eine Hin­tertür gäbe diesen Diensten die Mög­lich­keit, nicht nur auf ein­zelne Chats einiger weniger Per­sonen zuzu­greifen und diese zu spei­chern, son­dern den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­strom aller Nut­ze­rinnen und Nutzer von Mes­sen­ger­diensten aus­zu­for­schen.

Sollte dies umge­setzt werden, würde die Ver­trau­lich­keit der Kom­mu­ni­ka­tion von Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen gefährdet, ebenso wie der Schutz der Iden­tität ihrer Quellen. Ende-​zu-​Ende-​ver­schlüs­selte Mes­sen­ger­dienste sind für Medi­en­schaf­fende im digi­talen Zeit­alter ein wesent­li­ches Recherche-​ und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­in­stru­ment, das nicht in Frage gestellt werden darf. Die wich­tige Kon­troll­funk­tion des Jour­na­lismus als unab­hän­gige vierte Gewalt in einer Demo­kratie hängt von der Fähig­keit ab, sicher und in voller Ver­trau­lich­keit zu kom­mu­ni­zieren.

Wie mitt­ler­weile bekannt ist, konnte der Anschlag nur pas­sieren, weil der Ver­fas­sungs­schutz in Öster­reich durchaus vor­han­dene Infor­ma­tionen über den Atten­täter nicht ver­wendet hat. Nicht mehr Über­wa­chungs­be­fug­nisse, son­dern bes­sere Arbeit der Behörden hätten den Anschlag ver­hin­dern können. Eben die Behörden, deren Ver­sagen den Anschlag erst mög­lich machte, sollen jetzt noch wei­tere Kom­pe­tenzen erhalten.

Wir for­dern daher den Rat der Euro­päi­schen Union, das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rium und das Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­rium auf, keine Anstren­gungen zu unter­nehmen, die das Grund­recht auf Pri­vat­sphäre gefährden könnten. Die Bei­be­hal­tung der Ende-​zu-​Ende-​Ver­schlüs­se­lung ist für den Schutz der Pres­se­frei­heit von ent­schei­dender Bedeu­tung. Alle wei­teren Dis­kus­sionen sollten in trans­pa­renter und offener Weise geführt werden und die Zivil­ge­sell­schaft mit ein­be­ziehen.

Mit freund­li­chen Grüßen

i.A.

Chris­tian Mihr, Reporter ohne Grenzen

Julia Stein, Netz­werk Recherche

Wei­ter­füh­rende News-​Artikel

Infos
Menu