Zwi­schen Sonn­tags­reden und Spar­pro­grammen – oder: Die aus­ge­stopfte Leserin

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 21. Januar 2015 | Lese­zeit ca. 18 Min.

Franziska Augstein (Foto: „Franziska-augstein-2012-roemerberggespraeche-ffm-103“ von Dontworry - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons - https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Franziska-augstein-2012-roemerberggespraeche-ffm-103.jpg#mediaviewer/File:Franziska-augstein-2012-roemerberggespraeche-ffm-103.jpg

Fran­ziska Aug­stein (Foto: Dont­worry. Lizen­ziert unter CC BY-SA 3.0 über Wiki­media Com­mons)

Doku­men­ta­tion der Rede von nr-​Vor­stands­mit­glied Fran­ziska Aug­stein auf dem Deut­schen Medi­en­kon­gress 2015 — 20. Januar 2015, Alte Oper — Frank­furt am Main

Lesen und lesen lassen: Jene, die lesen lassen, sind der Mei­nung, daß jene, die lesen sollen, nicht mehr lesen wollen – und wenn, dann nur auf Smart­phones, Tablets und so weiter. Das wirft die Frage auf: Wie ist das Ver­hältnis zwi­schen dem gedrucktem Jour­na­lismus und den Ver­lags­an­ge­boten im Internet?

Am Ende meiner kleinen Rede werde ich mich dieser Frage ernst­haft widmen.

Alles was ich bis dahin sage, können Sie ernst nehmen, sie müssen es aber auch nicht. Wenn ich den Zustand, wenn ich die Lage der Zei­tungen und Zeit­schriften in Deutsch­land iro­nisch, ja sar­kas­tisch beschreibe, tue ich das mit einer Anein­an­der­rei­hung und Kom­pri­mie­rung von Zitaten aus der Branche, die aber gar nicht iro­nisch oder sar­kas­tisch gemeint waren. Viel­leicht erkennen Sie die Zitate da und dort wieder, womög­lich ist das eine oder andere sogar von Ihnen. Ich über­zeichne, ja kari­kiere also mit­hilfe der Rea­lität. Voilà.

Meine Rede, die ich hier heute halten darf, dient dazu, den Lei­tern von Pres­se­un­ter­nehmen wert­volle Hin­weise zu geben.

Zual­ler­erst müssen die Chefs und Anteils­eigner eines Pres­se­un­ter­neh­mens sich abge­wöhnen, von Zei­tungen und Zeit­schriften zu reden. Das heu­tige Wort dafür ist „Print“.  Landauf, landab gilt es nun, öffent­lich zu erklären: Print ist out, Print ist am Ende, Print hat keine Zukunft. Wer Meta­phern nicht scheut, der bezeichnet Print als einen „Eis­berg“. In der Zeit des Kli­ma­wan­dels sehen Eis­berge bekannt­lich ganz alt aus – min­des­tens so alt wie Print .

Nicht müde werden darf man, darauf hin­zu­weisen, dass junge Leute sich für Druckerzeug­nisse nicht mehr inter­es­sieren, son­dern ihre Infor­ma­tion den digi­talen Medien ent­nehmen. Je zuver­läs­siger das eigene Unter­nehmen an Zei­tungen und Zeit­schriften ver­dient, desto drin­gender – ja, wie ein Appell – muss das State­ment in die Welt gehen: „Die Gold­grä­ber­zeiten sind vorbei.“ Bei Pres­se­me­dien handle es sich um schmel­zende Eis­berge oder abster­bende Äste oder ein dem Unter­gang geweihtes Geschäfts­mo­dell. Medi­en­un­ter­nehmen, die flo­rie­rende Zei­tungen besitzen, die guten Profit erwirt­schaften, sollten ihre Zei­tungen sofort ohne Wenn und Aber abstoßen.

Wichtig ist dabei – das erfor­dert ein wenig Vor­aus­sicht -, dass man der Beleg­schaft kurz zuvor noch ver­si­chert hat, man stehe zu Print. Wurde dieser Schritt ver­ab­säumt, lässt sich das Ver­säumnis wett­ma­chen: Man gibt ein Inter­view. Die Kol­legen aus den Medi­en­re­dak­tionen werden dazu gern bereit sein, weil sie sehr oft mehr zu tun als Zeit haben und Inter­views nicht so arbeits­au­wendig sind wie Hin­ter­grund­re­cher­chen: Im Inter­view also muss der Ver­kauf mit dem Argu­ment begründet werden, er diene dazu, die Arbeits­plätze der in den Zei­tungen tätigen Jour­na­listen zu erhalten. Erlaubt ist es, anzu­fügen, dass – ich zitiere – die „vir­tu­elle und ent­ma­te­ria­li­sierte Medi­en­welt“ gewisse Anpas­sungs­leis­tungen erfor­dere.

Unnötig ist es, sich nach der Ver­trags­un­ter­zeich­nung von den Redak­teuren per­sön­lich zu ver­ab­schieden. Wer es den­noch tut, sollte beachten: Kro­ko­dils­tränen kommen nicht gut an. Freund­liche Scherze – von der Art: Sie sind doch immer für die SPD und Kanzler Schröder gewesen, da werden Sie Hartz IV sicher gern ent­ge­gen­nehmen – sind bei sol­chen Gele­gen­heiten zu unter­lassen. Bei den meisten Män­nern genügt ein fester Blick. Manche Frauen nehmen einen ver­ständ­nis­hei­schenden Augen­auf­schlag auf­ge­schlossen auf.

Wer halb­herzig ist, den bestraft das Leben. Trotzdem gibt es immer noch Medi­en­häuser, die an dem Besitz von Zeit­schriften fest­halten. Völlig abge­hängt, also sozu­sagen das digi­tale Pre­ka­riat, sind die aber auch nicht: Da kommt es darauf an, dass man die Zeit­schriften, die man besitzt, von innen aus­höhlt. Wer seine Zeit­schriften behält, sollte alle Redak­teure ent­lassen – und ihnen mit­teilen, dass es ihnen frei stehe, künftig als Freie für den alten Arbeit­geber Artikel zu schreiben. Das spornt an, das macht Mut.

Wer – ich frage Sie, ver­ehrtes Publikum – will hint­an­stehen, wenn ein – ich zitiere –  „agiles, krea­tives und fle­xi­bles Kom­pe­tenz­team“ eine Zeit­schrift gestaltet?

Machen wir uns nichts vor: In Wahr­heit freuen sich die Leute, wenn man ihnen sagt, dass sie die Chance haben, an einem „agilen, krea­tiven und fle­xi­blen“ neuen Kom­pe­tenz­team mit­zu­wirken. Der Begriff „freier“ Jour­na­list greift zu kurz. In unserer heu­tigen Zeit sollten wir diesen Begriff um ein paar Silben ver­län­gern: frei­ge­setzter Jour­na­list. Frei­ge­setzt sind sie – wie Kana­ri­en­vögel, die man end­lich aus ihren Käfigen ent­lassen hat.

Der eine oder andere unter Ihnen, ver­ehrte Zuhörer, mag gefeu­erte Jour­na­listen getroffen haben, die behaupten, sich schlecht zu fühlen und weniger moti­viert zu sein als früher. Glauben Sie denen nicht. Die Betref­fenden scheuen sich ver­mut­lich nur aus berufs­ethi­schen Gründen oder aus alter Anhäng­lich­keit an ihre Gewerk­schaft, ihre Begeis­te­rung über die neuen Chancen und die neue Her­aus­for­de­rung ehr­lich preis­zu­geben.

Die Rolle der Chef­re­dak­teu­rinnen und Chef­re­dak­teure in dem heu­tigen medialen Trans­for­ma­ti­ons­pro­zess ist nicht zu unter­schätzen: Die müssen, zumal wenn sie bei einem Kon­zern ange­stellt sind, sehr schnell lernen, zu reden wie ein Chief Exe­cu­tive Officer. Wer da nicht Begriffe wie „Inno­va­tion“, „Zukunft“, „gut auf­ge­stellt“ unter­bringt, hat einen schlechten Stand. Über diese Anfor­de­rung hinaus vor­bild­lich agierte ein Chef­re­dak­teur, der gefragt wurde, wie guter Jour­na­lismus über­leben könne. Er ant­wor­tete näm­lich: Man müsse dru­cken, was noch nie gelesen und vor allem – ich zitiere – „noch nie gedacht“ wurde. Dieser Mann, ver­ehrte Damen und Herren, dieser Mann hat Zukunft. Die Leute, die ihn bezahlen, wissen ja schon alles. Wenn da aber einer kommt und ver­spricht, zu dru­cken, was „noch nie gedacht“ wurde, dann rettet ihm das seinen Ver­trag – zumin­dest auf noch einige Monate.

Mitt­ler­weile haben wir – Sie als Zuhörer, ich als Red­nerin – fest­ge­stellt, dass deut­sche Kon­zerne ihren Print-​Pro­dukten heute ten­den­tiell skep­tisch gegen­über­stehen: also unge­fähr so, wie man eine ange­bro­chene Streich­wurst betrachtet, die schon seit einem halben Jahr im Kühl­schrank liegt. Gleich­falls haben wir fest­ge­stellt, dass fri­scher Mut im Hin­blick auf das Inter­net­ge­schäft ent­faltet wird.

An diesem Punkt ange­kommen, muss ich auf ein Dilemma hin­weisen, mit dem Kon­zern­ma­nager und Medi­en­st­ra­tegen kon­fron­tiert sind, die auf den Online-​Jour­na­lismus setzen: Spä­tes­tens wenn die Leute die Quar­tals­zahlen auf dem Schreib­tisch haben, müssen sie kon­sta­tieren: Den Zahlen nach sieht es für den Digital-​Jour­na­lismus der­zeit nicht beson­ders gut aus. Die digi­talen Ableger von Zei­tungen und Zeit­schriften spielen viel weniger ein als die gedruckten Titel.

Das ist lästig. Print ist doch so gut wie tot! Dem kann aber abge­holfen werden. Was für den Zau­berer das Sim­sa­labim, das ist in diesem Fall die Pro­gnose. So wie ein Zau­berer per Sim­sa­labim ein Huhn in ein Ei ver­wan­delt, so macht eine Pro­gnose aus einem flo­rie­renden Unter­nehmen eine lahme Ente.  Anders gesagt: So wie manche Unter­neh­mens­be­rater die Bör­sen­ent­wick­lung eines Unter­neh­mens im Sinn ihrer Kunden hoch­schreiben, so kann man natür­lich auch die Ent­wick­lung der eigenen Zei­tungen und Zeit­schriften nie­der­reden. Und dafür braucht man nicht einmal einen kost­spie­ligen Unter­neh­mens­be­rater.

Auf dem Pro­gramm steht nicht, ertrag­reiche Zei­tungen und Zeit­schriften ordent­lich wei­ter­zu­führen, son­dern es gilt, den Jour­na­lismus im digi­talen Jour­na­lismus auf­gehen zu lassen.

Die Frage, die sich nun stellt: Wie über­führt man Medi­en­kon­zerne ins Internet? Ganz wichtig ist natür­lich aus PR-​Gründen die Wort­wahl. Das moderne Wort „con­tent“ bietet sich an für alles, was im Internet steht. So wie man in einen Schiffs-​Con­tainer alles rein­pa­cken kann, von Kaf­fee­sä­cken über Opium bis zu Flücht­lingen, kann man auch ins Internet alles rein­pa­cken – was ja auch gemacht wird. Und wenn man die Con­tainer öffnet, bietet sich mit­unter eine unschöne Über­ra­schung. Zart­füh­lende Geister in Deutsch­land meinten daher, man solle doch besser von „Inhalten“ reden. Das war eine vor­züg­liche Idee. Denn das Wort „Inhalt“ klingt für die meisten deut­schen Ohren ver­trauter als das Wort „con­tent“, gleich­zeitig aber lässt sich unter dem Rubrum „Inhalt“ auch alles, wirk­lich alles ver­kaufen. Wer immer sich aus­ge­dacht hat, nicht von „con­tent“, son­dern von „Inhalt“ zu reden, ver­dient einen Platz in der Ersten Klasse beim ersten Pas­sa­gier-​Raum­schiff, das Rich­tung Mars auf­bricht.

Fest­zu­halten ist: Wir reden von Medi­en­un­ter­nehmen, die an Drucker­zeu­ge­nissen, ja an Jour­na­lismus nicht mehr recht inter­es­siert sind, son­dern auf Internet-​Kom­merz setzen. Da passt das Wort „Inhalt“ per­fekt. Inhalt ist näm­lich, wie gesagt, im Grunde alles. Große Ver­lags­un­ter­nehmen nutzen ihren Mar­ken­namen, um alles mög­liche zu ver­hö­kern. Jour­na­lismus spielt dabei bes­ten­falls noch eine unter­ge­ord­nete Rolle. Die Namen ein­ge­ses­sener Zei­tungen dienen als Ver­kaufs-​Vehikel. Ange­boten werden allerlei Com­merce-​ und Lizenz­ge­schäfte: Da kann man über Ver­lags-​Web­sites zum Bei­spiel Tier­futter und Klei­dung für Babys erwerben. Dazu kommen Immo­bi­li­en­por­tale, eine soge­nannte „Kar­riere-​Platt­form“, Preis­ver­gleichs­por­tale und vieles andere. Der Ver­trieb dieser Dinge läuft im Namen von Ver­lagen.

Ver­lage ver­kaufen aber nicht nur Tier­futter im Internet. Sie ver­kaufen auch Anzeigen: Die werden zuneh­mend so gestaltet, dass der Nutzer oder „user“ größte Mühe hat, die Wer­bung zu erkennen. Von „Lesern“ wird übri­gens ungern geredet: Leser sind out, ebenso wie „Print“. Allzu viele Nutzer geben sich nun aller­dings spiel­ver­der­be­risch und instal­lieren auf ihren Com­pu­tern Pro­gramme, die ein­ge­spielte Wer­bung auto­ma­tisch unter­drü­cken. Das ist schlecht fürs Geschäft und muss unter­laufen werden. Das Mittel der Zukunft wurde in der Presse als „Jour­na­lis­ti­sche U-​Boote“ bezeichnet. Das kann so weit gehen, dass Wer­bung als Artikel kaschiert daher­kommt. Da wird dann ein Pro­dukt in einem scheinbar objek­tiven Bericht als vor­züg­lich ange­priesen, und nur wer sehr genau hin­schaut, kann erkennen, dass es sich nicht um einen redak­tio­nellen Bei­trag han­delt, son­dern um Wer­bung. Wer nun diesen Trend kri­ti­siert, sollte sich an die eigene Nase fassen: Genau diese Kri­tiker sind näm­lich im Zwei­fels­fall die ersten gewesen, die das dau­ernde Auf­ploppen ehr­li­cher, klarer und ent­spre­chend läs­tiger Wer­bung auf ihren Bild­schirmen aus­ge­blendet haben.

Die Abon­nenten von Zei­tungen und Zeit­schriften werden von den für das Internet-​Geschäft Zustän­digen schon des­halb als quantité négligeable wahr­ge­nommen, weil viele dieser Abon­nenten ihre Daten nicht digital zur Ver­fü­gung gestellt haben: Denen kann man also keine auf sie indi­vi­duell zuge­schnit­tene Wer­bung auf ihren Com­puter-​Account schi­cken. Schade ist das. Ande­rer­seits gelten diese Leser ohne­dies als eine aus­ster­bende Spe­zies, was sie – unter dem Druck der in dieser Rede bisher geschil­derten geschickten Ver­lags­po­litik – nolens volens selbst ein­sehen werden. Von einigen Wider­stands­nes­tern abge­sehen, wird es sie bald nicht mehr geben. Ver­mut­lich wird in naher Zukunft ein renom­miertes Museum eine Zei­tungs­le­serin in seine Samm­lung auf­nehmen. Die Ein­wei­hung wird von großen Medi­en­kon­zernen gespon­sort werden. Unbe­stä­tigten Angaben zufolge wird jetzt schon dar­über dis­ku­tiert, wie die Leserin prä­sen­tiert werden soll. Vieles spricht für: aus­ge­stopft.

* * *

Und wo bleibt bei all dem der Jour­na­lismus? In der Tat: Der ist bisher in meiner Rede zu kurz gekommen. Bisher war ich ja eher damit beschäf­tigt, zu zeigen, wie die medialen Obrig­keiten den Jour­na­lismus behin­dern. Kommen wir also zu dem, was mich angeht und was auch vielen unter Ihnen, ver­ehrtes Publikum, am Herzen liegt. Kommen wir zum nicht iro­ni­schen, nicht sar­kas­ti­schen Teil meiner Rede.

Trotz aller Wid­rig­keiten ist der deut­sche Jour­na­lismus immer noch sehr gut, sowohl in der gedruckten Form als auch Online. Teils ist er sogar besser als früher. Das gilt im beson­deren für den inves­ti­ga­tiven Jour­na­lismus. Noch vor fünf Jahren hatte man den Ein­druck, allzu viele Jour­na­listen meinten, inves­ti­gativ zu arbeiten, wenn sie zum Telefon greifen und eine Nummer wählen. Das hängt zusammen mit der neuen Nei­gung, alles Nötige im Internet zu recher­chieren.

Wer die Internet-​Recherche beherrscht, kann da Wich­tiges, ja kaum Glaub­li­ches finden, was Internet-​Dilet­tanten vor­ent­halten bleibt. Aber alles kann man eben nicht finden. Ein Miss­stand in einer kleinen Stadt zum Bei­spiel twit­tert sich nicht von selbst in die Welt hinaus: Um davon Kenntnis zu bekommen, müssen Jour­na­listen respek­tiert sein und in ihrem fach­li­chen Umfeld bekannt, so dass Infor­manten sich ihnen anver­trauen. Das Internet bietet eine neue Recherche-​Mög­lich­keit, nicht mehr, nicht weniger. Inves­ti­ga­tive Jour­na­listen wissen sie zu nutzen. Sie wissen aber auch: Sie müssen mit Leuten reden. Die Kom­bi­na­tion der beiden Her­an­ge­hens­weisen hat dem hie­sigen Jour­na­lismus jün­gerer Zeit sehr gut getan: Im Internet recher­chieren und dazu Kon­takt zu den Men­schen haben, die aus eigener Anschauung erzählen, was im Argen liegt: Das hat zu etli­chen wich­tigen Auf­de­ckungen geführt. Und das hat unserem Gemein­wesen, der Bun­des­re­pu­blik, gut getan.

Etwas, sagen wir, bizarr war eine Fest­stel­lung des Bran­chen­blatts „jour­na­list“, die da lautet: „Im inves­ti­ga­tiven Jour­na­lismus geht es längst nicht mehr nur um Fakten, son­dern auch darum, eine Geschichte so zu erzählen, dass sie die Men­schen begeis­tert.“ Wie soll man das ver­stehen: Haben Jour­na­listen bisher sich nicht auf ihr Hand­werk ver­standen, waren inves­ti­ga­tive Berichte frü­herer Jahre lang­weilig geschrieben? Oder: Sollen Leser „begeis­tert“ sein, wenn sie zum Bei­spiel von der Miss­ach­tung der Men­schen­rechte oder von Kor­rup­tion im großen Stil erfahren? Auch einem ange­sehen Blatt wie „jour­na­list“ kann einmal ein Satz miss­lingen. Ich zitiere diesen nur, weil er einen relativ neuen Trend offen­bart: Das ist der Hang zu soge­nannten „wei­chen“ zum Nach­teil der soge­nannten „harten“ Geschichten.

Es geht nicht zuletzt um den Hang zum Ich-​Jour­na­lismus und zur von näheren Kennt­nissen oder stich­hal­tigen Argu­menten nicht unbe­dingt befrach­teten Mei­nungs­äu­ße­rung. Beides wird sicher­lich dadurch beför­dert, dass im Internet so viel Mei­nungs­aus­tausch jen­seits der pro­fes­sio­nellen Infor­ma­ti­ons­me­dien statt­findet. Viele Por­tale des Inter­nets geben Lesern die Mög­lich­keit, ihre Mei­nung zu äußern. Die Gele­gen­heit nutzen sehr viele sehr gern, und viele dieser Kom­men­ta­toren wissen auch, wovon sie reden.

Der pro­fes­sio­nelle Jour­na­lismus sollte danach streben, infor­mierter und besser zu sein als die pri­vaten Kom­men­tare im Internet. Leider gibt es heute zu viele dürftig argu­men­tie­rende Mei­nungs­stücke. Ein guter Kom­mentar, ein fun­dierter Leit­ar­tikel ist etwas ganz anderes als ein flo­ckig for­mu­liertes Mei­nungs-​ und Befind­lich­keits­stück, in dem der Autor oder die Autorin von seinen oder ihren jüngsten Erleb­nissen erzählt. Und ein poli­ti­scher Kom­mentar, dessen Autor sich nur in der Tages­presse sowie Wiki­pedia schlau gemacht hat, bringt auch nicht viel. Ein ego­ma­ni­scher und ego­zen­tri­scher Jour­na­lismus, wie er seit einiger Zeit um sich greift, nimmt sich selbst am wich­tigsten: Das wird auf die Dauer nicht hin­rei­chen, das weckt vor allem Ver­druss.

Dies zumal, da Jour­na­listen der­zeit ohne­dies keinen beson­ders guten Ruf haben. Die Medi­en­be­richt­erstat­tung über ein­zelne Ereig­nisse wurde nicht gut auf­ge­nommen: Die von Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tuten befragten Leser und Fern­seh­zu­schauer ver­missten sach­liche Infor­ma­tion. Das galt für die Bericht­erstat­tung über den ehe­ma­ligen Bun­des­prä­si­denten Chris­tian Wulff, das gilt jetzt noch viel mehr für die Bericht­erstat­tung über den Kon­flikt in der Ukraine. Was Jour­na­lismus leisten kann: objektiv berichten, alle Seiten zur Sprache kommen lassen, auf dieser Grund­lage Ana­lysen ver­fassen: darauf muss mehr Sorg­falt ver­wendet werden. Jour­na­listen müssen die rus­si­sche Regie­rung nicht mögen, wenn sie aber gar keine Mühe darauf ver­wenden, die Beweg­gründe von Putins Politik her­aus­zu­finden und zu erklären, dann geben sie damit all jenen recht, die sagen, dass sie sich lieber auf irgend­wel­chen sites im World Wide Web infor­mieren.

Wir befinden uns der­zeit in einer enormen Umbruch­phase: Das Internet ist eta­bliert. Die Anzeigen bre­chen weg, die Leser auch. Also ver­su­chen die Zei­tungs-​ und Zeit­schrif­ten­ver­lage sich dem anzu­passen, was in den Ver­lagen für den Geschmack der neuen Zeit gehalten wird. Wie der aus­sieht, schaut man sich den Dis­kus­si­ons­seiten im Internet ab oder – viel über­zeu­gender – man achtet darauf, wie die eigenen Kinder mit Medien umgehen: Kinder die in Haus­halten auf­ge­wachsen sind, wo mit Zei­tungen und Zeit­schriften bis heute gelebt wird. Viele Mütter und Väter stellen des­il­lu­sio­niert fest: Selbst mit Mitte zwanzig meinen ihre Kinder, aus­rei­chend infor­miert zu sein, wenn sie diverse Online-​Por­tale gele­gent­lich am Tag kon­sul­tieren, um die jeweils aktu­ellen Haupt­nach­richten zu erfahren. Daher kommt man als Ver­lags­mensch schnell auf die Idee: Ein lukra­tives Geschäft gebe es auf die Dauer nur, wenn man aufs Internet setze.

Die Kol­le­ginnen und Kol­legen, die Online-​Jour­na­lismus betreiben, machen viel­fach wun­derbar enga­gierte Arbeit – die leider nicht selten von den Arbeit­ge­bern nicht adäquat bezahlt wird. Ob das Ausmaß ihres Enga­ge­ments, ob ihre Arbeit von den Lesern ange­messen hono­riert wird, wenn die Leser für die Online-​Lek­türe zahlen müssen, ist noch nicht abzu­sehen.

Wie bei allen großen Erfin­dungen, ist auch im Hin­blick auf das Internet zu befürchten, dass der­zeit übers Ziel hin­aus­ge­schossen wird. Ein Bei­spiel: Die Atom­in­dus­trie schien eine ein­fache Ver­sor­gung mit Energie sicher­zu­stellen. Jahre später musste man sich von dieser Idee ver­ab­schieden. Der­zeit sagen etliche Ver­lage, die jour­na­lis­ti­sche Zukunft liege im Internet. Das bleibt abzu­warten. Dem Online-​Jour­na­lismus wird der­zeit wahr­schein­lich mehr poten­ti­elle Lukra­ti­vität unter­stellt, als er mit­tel­fristig wird ein­lösen können.

Kurz­fristig ist ohne­dies wenig zu gewinnen. Nicht ohne Grund wird ein jour­na­lis­ti­sches deut­sches Internet-​Portal von Mäzenen gespon­sort. Die Ver­lage machen mit ihren Internet-​Auf­tritten wenig Profit – sofern sie nicht, wie gesagt, Tier­futter ver­kaufen. Gegen letz­teres ist nichts ein­zu­wenden, es hat halt nur mit Jour­na­lismus nichts zu tun. Ob sich das ändern wird: Man wird sehen.

So, und wie macht man sonst Profit? Da gibt es eine ganz ein­fache Lösung: Man sollte sich viel­leicht ein biss­chen mehr für die vielen Mil­lionen Leser inter­es­sieren, die nach wie vor ein Magazin, eine oder meh­rere Zei­tungen abon­niert haben. Man sollte, auch wenn man es nicht schön findet, selbst mitt­ler­weile mehr als fünfzig Jahre alt zu sein, diese Leser nicht in stra­te­gi­schen Ver­lags-​Reden mit dem Hin­weis darauf abtun, dass die Leser­schaft ver­alte. Die Lebens­aus­sichten der heu­tigen Deut­schen sind so gut, dass es voll­kommen unver­ständ­lich ist, mit wel­cher Hektik die jour­na­lis­ti­sche Umstel­lung aufs Internet betrieben wird: Diese Hektik ist über­flüssig, sie ist kon­tra­pro­duktiv. Und sie geht mit Miss­ach­tung der Leser einher.

Sehr viele Leser, die für Zei­tungen und Zeit­schriften Geld aus­geben, sind in aller Regel jene, die nicht das Bedürfnis und nicht die Zeit haben, Stunden am Tag zu bloggen oder auf Face­book und Twitter unter­wegs zu sein, weil sie näm­lich in der Zeit ihrem Beruf nach­gehen und Geld ver­dienen. Sie wollen eine ordent­liche Zei­tung haben, ein ordent­li­ches Magazin. Und, nebenbei, diese Leser sind bei den Anzei­gen­kunden beson­ders beliebt: viele von ihnen haben näm­lich das Geld für die ange­prie­senen Waren.

Grund­sätz­lich kann man wohl sagen: Wer heute eine seriöse Zeit­schrift oder eine seriöse Zei­tung liest, möchte nicht, dass diese nur für Leute gemacht werden, die so alt sind wie die eigenen Kinder. Diese Leser  wün­schen sich, je nachdem, mal solide, knappe, mal aus­führ­liche Infor­ma­tion oder kluge Unter­hal­tung oder seriöse Ana­lyse und Kom­men­tie­rung, wie sie sie seit jeher bekommen haben. Und wer weiß, ob nicht heute 25-​Jäh­rige, wenn sie ihr Leben auf­ge­baut haben, das nicht auch so sehen werden: ob sie nicht gute Infor­ma­tion über ihre Stadt, ihre Region, ihr Land und mehr wün­schen, die sie kon­ti­nu­ier­lich über alles, was ansteht, unter­richtet. Ob sie das dann Online lesen oder auf gedruckten Papier: diese Frage ist zweit­rangig. Solange Online-​Jour­na­lismus aber weniger erwirt­schaftet als Zei­tungen und Zeit­schriften, sollte man letz­tere nicht – salopp gesagt – in die Tonne treten: die Alt­pa­pier­tonne.

Es ist richtig, dass alle Zei­tungen und Zeit­schriften sich auf nied­ri­gere ver­kaufte Auf­lagen werden ein­richten müssen. Auch die Anzei­gen­ent­wick­lung ist nicht gut. Was folgt daraus? Das bedeutet, dass Pres­se­häuser ihre Ansprüche an die Ren­dite zurück­schrauben müssen. Mehr als zehn bis fünf­zehn Pro­zent Ren­dite werden künftig in aller Regel nicht mehr erwirt­schaftet werden können (Aus­nahmen gibt es natür­lich). Das ist wohl der Grund, warum einige Kon­zerne ihre Titel jetzt abstoßen. Dazu gebe ich Ihnen jetzt eine Ver­gleichs­zahl: Noch zu Zeiten der alten Bun­des­re­pu­blik – lange vor der Erfin­dung des Internet – wurde von Buch­ver­lagen gesagt: Mehr als acht Pro­zent Ren­dite seien bei dem Ver­kauf von guten Büchern nicht drin. Viele Buch­ver­lage wurden und werden genauso geführt. Von dem, was bei acht Pro­zent Ren­dite übrig bleibt, kann ein Unter­nehmen, können alle dort Beschäf­tigten, gut leben, jeden­falls dann, wenn das Unter­nehmen nicht an der Börse notiert ist. Ich gestehe, dass ich mich gefreut habe, als ein welt­weit bedeu­tender Medi­en­kon­zern im Jahr 2012 sich von der Börse zurück­ge­zogen und die bege­benen Aktien zurück­ge­kauft hat: Damit hat das Unter­nehmen mehr Hand­lungs­frei­heit. Diese Hand­lungs­frei­heit kann es nun nutzen: im Sinn des Jour­na­lismus, immerhin der „Vierten Gewalt“ – oder eben ledig­lich im Sinn der Pro­fit­ma­xi­mie­rung. Zu dieser Alter­na­tive, vor der das Unter­nehmen steht, nur ein Satz:

Ohne ein Gran Idea­lismus sollte man sich mit Jour­na­lismus besser nicht befassen.

* * *

In dieser Rede habe ich es ver­mieden, Namen zu nennen. Um einen Namen komme ich jetzt nicht herum: Thomas Mid­del­hoff. Als Thomas Mid­del­hoff der Chef von Ber­tels­mann war, hielt er einmal an der ame­ri­ka­ni­schen Ost­küste eine Rede, vor ganz großem Publikum. Am Ende seiner Rede, so wurde mir erzählt, habe Mid­del­hoff sein Jacket aus­ge­zogen. Er habe es in die Menge geworfen und gerufen: „I would die for Ber­tels­mann“.

Er würde für Ber­tels­mann sterben: So sollte man nicht reden, man sollte den Mund nicht so voll nehmen.

Es gibt manche Jour­na­listen, die nie gesagt haben, dass sie für ihr Unter­nehmen sterben würden. Aber sie sind gestorben, in Aus­übung ihres Berufes. Gestorben sind viele Jour­na­listen, die sich um gute Bericht­erstat­tung bemüht haben; in den jüngst ver­gan­genen Jahren sind beson­ders viele Jour­na­listen in ver­schie­denen Län­dern zu Tode gekommen, aus Ver­sehen oder absicht­lich wurden sie umge­bracht; oder schlicht vor lau­fenden Smart­phones exe­ku­tiert. Diese Jour­na­listen sind gestorben, nicht für ein Unter­nehmen, son­dern für ihre Pro­fes­sion: Sie wollten zeigen, schreiben oder sagen, was ist. An diese tap­feren und nun toten Leute denke ich manchmal und jetzt beson­ders: am Ende dieser Rede.

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