Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 35, 22.08.2006

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 34, 20.07.2006

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 33, 19.06.2006

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Rede von Frank A. Meyer (2006)

Diese Rede hielt Frank A. Meyer, Chefpublizist des Ringier-Verlages, auf der Jahrestagung des Netzwerks Recherche am 20. Mai 2006

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Die Einladung von Netzwerk Recherche, vor Ihnen eine kurze Rede zu halten, findet ihre Begründung auch darin, dass ich von aussen komme: aus der Schweiz, die für Sie, die Deutschen, politisch zwar fremd, aber kulturell doch nahe ist, also vertraut.

Ich habe bei der Verfertigung dieser Rede gemerkt, dass ich nicht nur von aussen komme, weil ich Schweizer bin. Auch was meine journalistische Tradition und meine Vorstellungen von unserem Beruf betrifft, komme ich irgendwie von aussen.

Darf ich Ihnen dazu zwei Beispiele vortragen:

Das erste Beispiel: Im Hamburger Schauspielhaus wurde vor einer Woche der Henri- Nannen-Preis vergeben. Einen Journalistenpreis! Ein Preis für journalistische Leistung! Die Feier wurde, wie ich lesen durfte, inszeniert als glamouröses gesellschaftliches Ereignis, mit abgesperrten Strassen zur Vorfahrt der Limousinen, mit rotem Teppich, mit Hostessen, mit Showeffekten. Das Programm versprach übrigens, es werde Qualitätsjournalismus erlebbar gemacht.

Die geehrten Kollegen nahmen die Preise zum Teil im Smoking entgegen. Sie hatten über Sterbehilfe und Arbeitslosigkeit, über Kriegsversehrte und Mord und Globalisierungsopfer geschrieben. Sie strahlten, die Henri Nannen-Büste in den Händen.

Aus einem journalistischen Monument meiner Generation hat man ein Bambi gemacht. Die Auszeichnung von Journalismus als ballähnliche Veranstaltung? Eine Gala für Gala. Das irritiert mich. Das macht mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, doch irgendwie ratlos. Gehören wir jetzt alle dazu? Müssen wir dazugehören wollen? Zur Gesellschaft der Erfolgreichen und Reichen, der Schönen und Prominenten? Also zu einer Gesellschaft, der wir doch so lange Zeit skeptisch und mit ätzender Kritik gegenüberstanden? Ich frage ja nur.

Und nun das zweite Beispiel: In der Tageszeitung “Die Welt” las ich, ebenfalls vor einer Woche, wie sehr die Medien unzufrieden seien über die Grosse Koalition von CDU/CSU und SPD. Ich zitiere aus dem Artikel folgenden Satz: “Die Grosse Koalition stellt in der Tat für die Medien ein grosses Dilemma dar.”

Das Klagelied über die medial so unergiebige Grosse Koalition erklingt seit einiger Zeit auch in andern Zeitungen und Zeitschriften. Man ist ganz offensichtlich ungehalten unter den Kollegen über diese Regierung, die den Anforderungen und Wünschen der Medien so ganz und gar nicht gerecht wird.

Die Medien als selbstbezogene gesellschaftliche Kraft, die es zu befriedigen gilt, neben, ja sogar vor allen anderen Kräften wie Wirtschaft und Kultur – und Volk. Noch nie habe ich dieses neue journalistische Selbstverständnis so unverhüllt erlebt wie jetzt gerade in Deutschland.

Vierzig Jahre lang, liebe Kolleginnen und Kollegen, betrieb ich meinen Beruf im Bemühen, als politischer Journalist dem Begriff Medium gerecht zu werden. Das heisst: vermittelndes Element zu sein, also Vermittler zu sein von Meinungen und Stimmungen und Nöten und Freuden. Auch betrieb ich mein Metier im Bewusstsein, nur eine Stimme zu sein unter vielen Stimmen.

Schliesslich war ich stolz darauf, dass mein Berufsstand mit all den eigensinnigen und eigenständigen Kolleginnen und Kollegen die Vermittlerrolle wahrnahm zwischen den verschiedenen Kräften der Gesellschaft, zwischen den verschiedenen Strömungen der Gesellschaft, vor allem zwischen den Bürgern unterschiedlichster kultureller und sozialer Herkunft.

Auch hier bin ich irritiert, sogar befremdet: Die deutschen Medien betrachten sich offenbar als eigenständige Macht, noch vor dem Volk bestimmend für die Politik, insbesondere für die Regierungspolitik.

Da diese neu erwachte Medienmacht gegenwärtig ungehalten ist, überlegt sie sich – anders kann ich es nicht lesen -, ob sie der gewählten Regierung ihre Gunst entziehen will oder nicht. Wie ich es verstehe, kann sich die Regierung auch bessern, indem sie den Medien liefert, was diese fordern, nämlich Hauskrach und Spektakel.

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das neue Rollenverständnis der Medien bringt, wie könnte es anders sein, die Bild-Zeitung auf den Punkt. Im April habe ich dort die folgende Titelzeile gelesen: „Bild-Verhör mit dem früheren Arbeitsminister.“

Sie haben richtig gehört: „Bild-Verhör“ – Bild verhörte Norbert Blüm. Die Zeitung als Staatsanwaltschaft. Solch mediale Anmassung ist mir noch nicht vorgekommen. Hybris ist das. Bei der Auflage-Macht von Bild gefährliche Hybris.

Ich betrachtete die bizzare deutsche Szenerie allerdings bereits während des letzten Wahlkampfes ratlos von aussen. Ich war verwundert über die gleichförmig vorgetragene Entschlossenheit praktisch aller bedeutenden Medien, die damalige Regierung abzuwählen: abzuwählen gewissermassen durch die Medien selbst! Natürlich – leider – durch Mitwirkung der im Grundgesetz immer noch vorgesehenen Wählerinnen und Wähler.

Es hat mich erschreckt. Es hat mich mehr erschreckt, als Berlusconi mich erschreckt hat. In Italien missbrauchte ein Medienmogul seine politische Macht. In Deutschland spielten die Journalisten ganz von selbst konzertierte Macht aus, mit politisch subtiler Bildwahl, mit politisch gezielter Wortwahl, mit der ganzen Kunst des Handwerks. Es war eine Machtdemonstration sondergleichen. Sie stiess, gottlob, auf den demokratischen Widerstand der Bürger.

Lassen Sie mich einige Gedanken – wie gesagt, sehr persönliche Gedanken – vortragen über dieses neue Selbstgefühl der Medien. Und wenn ich Medien sage, meine ich Journalistinnen und Journalisten. Also uns hier:

Neben der Finanzwirtschaft bilden die Medien die einzige Branche, die tatsächlich vollständig globalisiert ist. Die Medien haben ihr Netz über den Erdball geworfen. Niemand entgeht ihnen. Sie sind immer schon da. Rund um den Globus und rund um die Uhr. Sie sind omnipräsent.

Oh, ich weiss! Wir sind nicht schuld daran, wir nutzen nur die Technik, und wir wären pflichtvergessen, täten wir es nicht. Auch sind wir zurückhaltend, geradezu kleinlaut, wenn man uns fragt, wie wir es denn mit dieser Omnipräsenz ethisch und moralisch halten. Wir tun unsern Job. Nach bestem Wissen und Gewissen. Was sollen wir sonst tun?

Für die Konsumenten, wie ja heute Leser, Zuhörer und Zuschauer genannt werden, wirkt unsere Omnipräsenz – glauben Sie mir! – wie Omnipotenz. Und es ist auch so, dass Quantität in eine neue Qualität umschlagen kann. In der Wahrnehmung der Menschen, die sich den Medien, die sich uns Journalistinnen und Journalisten ausgeliefert fühlen, ist dies bereits geschehen.

Ich möchte auch dazu ein Beispiel anführen: Die mächtige, die unbeirrbare, die dogmatisch immer noch so gefestigte katholische Kirche hat erfahren müssen, dass die Medien die grössere Macht sind als der Vatikan.

Sie erinnern sich an das quälend langsame Sterben des Papstes Johannes-Paul II. Sie haben das Bild noch vor Augen, wie er moribund am Fenster sitzt, einen Ölzweig hilflos in der zitternden Hand, den Mund aufgerissen, das Gesicht verzweifelt, der Stimme beraubt. Showtime mit einem Sterbenden.

Fanden wir diese Bilder unwürdig, schamlos, impertinent? Ich habe sie auch hingenommen als Magic moment im Fernsehen, in den Zeitungen und Zeitschriften. Wann hat man schon einen solch dramatischen Augenblick vor der Kamera?

Können wir uns darauf hinaus reden, dass der Vatikan diese Inszenierung seinerseits betrieben habe? Der Vatikan hat sich den Anforderungen des Medienzeitalters angepasst. Er hat sogar Rituale angepasst. Das Beispiel: Seit Jahrhunderten pflegt der Vatikan, die Tore zu schliessen, wenn der Papst tot ist. Auch diesmal wurde das Tor geschlossen. Doch durch die Hintertür bat die Kurie eilfertig das Fernsehen an den Sarg. Auch der tote Papst hatte dem Anspruch der medial total vernetzten Welt-Gesellschaft zu genügen. Darf ich zum Begriff “total” eine ganz böse Provokation hinzufügen: Total und totalitär liegen sehr nahe beieinander. Hat nicht das totale mediale Erfassen von allem und jedem, das totale Entblössen von allem und jedem, das totale Beschwatzen von allem und jedem – hat das nicht etwas Totalitäres?

Die Menschen zappeln in unserem Netz. Das beängstigt sie. Wir Journalisten waren einst die besten Verbündeten Machtloser im Kampf gegen Mächtige, gegen Mächte, vor allem gegen Herrschaftswissen, das die Mächtigen für sich nutzten.

Heute sind wir selbst Mächtige: Wir wissen, wie wir unsere Macht umsetzen und einsetzen. Und unsere Medienmacht ist dem einfachen Bürger ganz und gar nicht transparent. Wir verfügen über Herrschaftswissen. Wir sind zu Machtträgern von eigenen Gnaden geworden.

So hat sich der Beruf verändert, den ich in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts erlernte. Es war damals ein Laufberuf. Ich fuhr zu den Politikern, von denen ich etwas wissen wollte, zu den Beamten, Unternehmern, Künstlern, Forschern.

Ich lebte journalistisch von Begegnungen, von sinnlichen Eindrücken, von Gesichtern, die meine Recherchenarbeit begleiteten. Ich eilte zu Versammlungen und Protestmärschen. Es war ein ununterbrochenes Kennenlernen anderer Menschen.

Wie gestaltet sich der journalistische Alltag heute bei meinen jungen Kolleginnen und Kollegen? Ich sehe sie gebannt am Laptop sitzen. Sie rufen ab, was andere schon formuliert haben. Sie schreiben Geschichten, die sie aus anderen, vorgeformten Geschichten im Netz verfertigen.

Sie zeichnen Portraits aus biographischen Versatzstücken und Gerüchten, wie sie auf dem Internet in Unzahl vorzufinden sind. So werden Vorurteile und Falschurteile, Unwahrheiten und Unterstellungen über Menschen im System nicht nur konserviert, sondern auch regelmässig neu aufbereitet.

Oft sind es vernichtende Bilder, die so gezeichnet werden, in der Regel sind es Bilder voller Häme. Häme hat sich ja mittlerweile durchgesetzt als Stilersatz – Muckefuck statt Kaffee.

Am Bildschirm lässt es sich sehr bequem über Politiker oder Unternehmer journalistisch zu Gericht sitzen. Man begegnet den Opfern nur noch selten.

Richter sollten für einige Monate ins Gefängnis gesteckt werden, bevor sie richten dürfen. Dann wüssten sie, was sie tun. Auch Journalisten sollten einer Kampagne von Kollegen ausgesetzt werden. Dann wüssten sie, was sie anrichten können.

Mehr und mehr lebt unser Berufsstand vom Copy-&-Paste. Sie kopiert sich fortwährend selbst. Seit Jahren schon. Und wie es aussieht, auch in Zukunft.

Ja, so viele – allzuviele – Journalistinnen und Journalisten verlernen es, fiebernd vor Spannung hinauszugehen und nachzusehen, bevor sie schreiben.

Könnte es damit zu tun haben, dass – um ein deutsches Beispiel anzuführen – die Resultate der CDU/CSU und, vor allem, der SPD bei den letzten deutschen Wahlen so viele Kollegen so gewaltig überraschten?

Lasen sie womöglich, vom Laptop hypnotisiert, allzu ausschliesslich die Meinungsumfragen? Und die Meinungen der Kollegen?

Vergassen sie womöglich, an die Wahlveranstaltungen zu eilen, wo sie die Wählerinnen und Wähler hätten erleben können? Wo sie hätten spüren können, was die Menschen begeistert, wen sie mögen, zu wem sie hinstreben?

Auch das nur die Frage eines verwunderten und etwas ratlosen Schweizers.

Erfahren wir noch genügend sinnliches, wirkliches Leben in unserem Beruf?

Küssen Sie einmal einen Bildschirm, dann wissen Sie, woran uns mangelt.

Doch es gibt noch ein weiteres Netz, das uns gefangen hält. Ein intimeres: Wir bewegen uns mehr und mehr und am liebsten untereinander. Neben dem Arbeits-Bildschirm ist die Medienszene unsere engere, unsere enge Heimat geworden. Wir sind auf dem besten Weg, eine Kaste zu werden. Und die eherne Regel jeder Kaste heisst: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Ja, man kennt sich in unserem Beruf. Man verhilft sich zu Prominenz: Man interviewt sich gegenseitig, man lädt zu Talkshows ein, der eine den andern, der andere den einen, reihum, man lanciert die Bücher von guten Kollegen, man ignoriert die Bücher von Kollegen, die aus der Reihe tanzen.

Was ist gegen so wunderbare Kollegialität einzuwenden? Nichts. Nirgends eine Verschwörung.

Und dennoch ergeben sich ob so vieler verständlicher Gemeinsamkeiten auch fatale Gemeinsamkeiten: Zum Beispiel ganz plötzlich und ganz ohne böse Absicht ein Mainstream in der Einschätzung von Politik oder Wirtschaft, von Politikern und Unternehmern, von Parteien und Verbänden und Gewerkschaften.

Gesellschaftliche Entwicklungen werden plötzlich, ohne böse Absicht, von den führenden Medien, von den Stimmungs- und Meinungsmachern unter den Journalisten sehr, sehr ähnlich gesehen – fatal ähnlich.

Erliege ich einer Sinnestäuschung, wenn ich mich beim Lesen deutscher Zeitungen und Zeitschriften, beim Konsum deutscher Fernseh- und Radioprogramme des Eindrucks frappierender Gleichförmigkeit nicht erwehren kann?

Die Kanzlerin gestern hui, morgen pfui? Bereits zeichnet sich der neuste Mainstream ab. Wer wagt es noch auszubrechen, andersherum zu denken, neu zu denken? Wer wagt noch den Konflikt, den Schlagabtausch – mit Florett oder mit Schwert – von Blatt zu Blatt, von Journalist zu Journalist?

Und wer wagt noch Kritik an einem Kollegen?

Jüngst sah ich die ganzseitigen Annoncen, auf denen Gross-Talkmaster Kerner für die Aktien von Air Berlin warb. Ich will nicht davon reden, was aus diesen Aktien nach dem Börsengang wurde. Ich will auch nicht reden vom Schicksal der einfachen Kerner6 Zuschauer, die sich auf die Empfehlung ihres Idols eingelassen haben und Air Berlin- Aktien kauften.

Ich frage mich nur, wie ein Journalist – notabene des öffentlich-rechtlichen Programms – dazu kommt, sich für kommerzielle Werbung kaufen zu lassen. Eigentlich hätte ihn die Anfrage von Herrn Hunold in der journalistischen Ehre treffen müssen.

Er hätte das Angebot mit der Frage beantworten müssen: Wofür halten Sie mich, Herr Hunold, dass Sie es wagen, mir, einem Journalisten, ein solch sittenwidriges Angebot zu machen?

Nicht anders hätte Beckmann, der andere Gross-Talkmaster, reagieren müssen, als man ihn als Werbe-Model entdeckte. Als Journalist hätte er reagieren müssen!

Oder kollidieren solche Angebote gar nicht mehr mit den journalistischen Sitten, mit dem Ehrgefühl der Journalisten?

Jedenfalls gab es in der Kaste keinen Aufschrei, nur Nachfragen, ob so etwas denn nicht doch eventuell und überhaupt anrüchig sein könnte. Man wird ja noch fragen dürfen.

Was hätte der deutsche Journalismus mit der geballten Kraft des Mainstreams aus einem Politiker gemacht, der auf ähnliche Weise amts- und funktionsvergessen dem leichten Geldverdienen erlegen wäre? Ja, was macht der deutsche Journalismus mit Ministern, die nur mal auf offiziellem Papier einen Chip für Einkaufswagen empfehlen oder sich von einer PR-Agentur modisch ausstaffieren lassen?

Doch Kerner und Beckmann sind die Szene. Unsere Szene. Kerner und Beckmann sind prominent, sind überaus erfolgreich. Mit Prominenten und Erfolgreichen ist gut dabei sein – und schlecht Kirschen essen.

Man möchte doch so gerne dabei sein, dazugehören, bei Wahlen zu den Siegern, am Wahlabend in der richtigen Parteizentrale. Wehe man steht in der falschen! Ich habe Ihnen gesagt, dass ich hier ganz persönliche Eindrücke vortrage. Hunderte von Artikeln, zahlreiche Sendungen der deutschen Medien haben mir diese Eindrücke vermittelt.

Ich habe noch die Zeit erlebt, da fochten Münchner Journalisten gegen Hamburger Journalisten gegen Berliner Journalisten. Da war der deutsche journalistische Pluralismus fester Bestandteil der demokratischen Kultur.

Es war die grosse Zeit der Krokodile im Tempelweiher der deutschen Medien: Bucerius, Nannen, Augstein, Springer. Ihre vielen Schreiber und Denker und sogar Pamphletisten dazugezählt: von Doenhoff bis Boenisch.

Sie haben sich durchaus immer mal wieder am Hamburger Leinpfad oder auf Sylt zum Butterbrot getroffen – aber sie schenkten sich nichts.

Wie steht es heute mit der gegenseitigen Kritik? Mit der kritischen Berichterstattung der Medien über die Medien? Wir bestehen doch sonst berufsstolz darauf, dass wir keine tabuisierten Bereiche der Gesellschaft kennen.

Das aber würde doch heissen, dass auch wir uns selbst kein Tabu sind. Gerade angesichts der anschwellenden Medien-Macht dürften wir uns selbst kein Tabu sein! Liebe Kolleginnen und Kollegen, während Monaten war der Versuch des Hauses Springer, ProSieben-Sat.1 zu übernehmen, das grosse, auch das spannende politische, wirtschaftliche und kulturelle Thema Deutschlands. Sogar im Ausland wurde darüber berichtet.

Weshalb fand dieses Thema im Spiegel – meinem Blatt, das ich seit 40 Jahren lese, dessen Gründer und Verleger ich verehrte! – warum fand dieses Thema im Spiegel keinen Niederschlag als Titelgeschichte? Natürlich wurde berichtet, gerade so, dass die wohltemperierte Tonalität dem mit journalistischen Usanzen unvertrauten Leser nicht auffiel – also ohne Biss, Dienst nach Vorschrift sozusagen.

Wie ist das zu erklären? Vielleicht wissen Sie mir die Antwort? Meine Ratlosigkeit ist gross.

Wenn die Journalisten sich zur Kaste formieren, wenn die Medienwelt eine in sich geschlossene Welt wird, wenn die journalistischen Chefs und ihre Ideologen sich informell immer stärker vernetzen, dann kommt jemand zu kurz: Der Bürger! Und damit die lebendige Demokratie!

Der Chefredaktor des Stern hat im vergangenen März über einen Kommentar den Titel gesetzt: “Eine kranke Gesellschaft.” Darauf haben sich die deutschen Medien offenbar geeinigt: Die deutsche Gesellschaft ist krank. Ist in der Krise: die Politik ganz grundsätzlich, die Parteien im besonderen, schlimm befallen natürlich die Wirtschaft, aber auch das Theater, der Fussball, die Familie, die Schule, die Universität – alles in kritischem Zustand, bettlägerig, auf der Notfallstation oder bereits im Koma.

Nur die Medien werden von den Medien nicht krank gemeldet, erfreuen sich also in den Augen der Journalisten allerbester Gesundheit! Kann das sein?

Vielleicht kann das sein. Aber ich glaub’s nicht.

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss noch auf eine Erscheinung zu sprechen, die viel zu tun hat mit der künftigen Entwicklung unseres Berufes, nicht nur in Deutschland, auch, zum Beispiel, in der Schweiz:

Welcher Weg führt junge Menschen heute in den Journalismus?

Einst führten ganz verschiedenartige Wege in den Journalismus: verschlungene, mühselige, sozusagen ungepflasterte. Junge und mitunter sogar ältere Menschen ganz und gar unterschiedlicher Herkunft fanden durch ihr Talent, ihre Intelligenz und ihr „feu sacré“ in unseren Beruf.

Es fanden sich darunter gescheiterte Dichter, erschöpfte Weltenbummler, engagierte Weltverbesserer, geläuterte Knastbrüder, bildungshungrige Autodidakten, Menschen mit Berufsabschluss und ohne Berufsabschluss.

Sie alle verkörperten mit ihren divergierenden und konträren Lebenserfahrungen in den Redaktionen den sozialen und kulturellen Pluralismus unserer Gesellschaft – Multikulti im bestem Sinne. Sie garantierten dadurch auch die ganz unterschiedliche Sicht auf das gesellschaftliche Leben, auf Politik und Wirtschaft und Kultur.

Sie hatten das wirkliche Leben schon einmal geschmeckt.

Wie ist das heute? Heute lautet die Herkunft in der Regel so: Studium, allenfalls abgebrochenes Studium, Journalistenschule – also Lebenserfahrung in Form von fünf Paar Markenjeans, die auf Schulbänken durchgescheuert wurden.

Oh ja, ich drücke mich drastisch aus. Aber das werden Sie mir ja wohl als Journalisten nicht ankreiden.

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden täglich und mit Lust über die Probleme, am liebsten über die Katastrophen anderer.

Es ist Zeit, dass wir über uns reden. Kritisch. Am besten sehr kritisch. Und schonungslos. So schonungslos und unpfleglich, wie wir mit den Andern umzugehen pflegen. Ich danke den Veranstaltern, dass sie mir hier vor Ihnen genau dazu eine Gelegenheit eingeräumt haben.

Es ist keine Gala, es gibt keinen Preis, schon gar nicht für meine böse Rede; nirgends liegt ein roter Teppich, ich sehe keine Smokings. Wunderbar. Ich atme Journalismus.

Ich bin glücklich, dass ich meine Sorgen kritischen Kollegen mitteilen durfte. Danke.

Studie dokumentiert wachsenden PR-Einfluss im Journalismus

Die Grenzen zwischen dem unabhängigen Journalismus und der interessengeleiteten Auftragskommunikation, der Public Relations (PR), verschwimmen mehr und mehr in der täglichen redaktionellen Praxis, in der Ausbildung des journalistischen Nachwuchses und in der Definition des Berufsbildes der Journalisten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche. „Die PR-Industrie kolonialisiert den Journalismus zunehmend. Sie agiert immer geschickter und drängt mit ihren Botschaften in den redaktionellen Teil, um von der Glaubwürdigkeit der journalistischen Produkte zu profitieren“, sagte der Vorsitzende des Netzwerks Recherche, Dr. Thomas Leif, bei der Vorlage der Dokumentation am Donnerstag in Hamburg. Weiterlesen

„Recherche-Förderung als Erfolgsfaktor für Medienunternehmen“

Netzwerk Recherche fordert mehr Recherche-Ausbildung in Deutschland und startet eine Aus- und Weiterbildungsinitiative

Das Netzwerk Recherche will mit einer Aus- und Weiterbildungsinitiative die Recherche-Ausbildung in Deutschland stärken, die nach Ansicht des Netzwerks immer noch große Defizite aufweist. Nach wie vor gibt es einen gravierenden Mangel an Kursen, in denen systematisch Wissen über Recherche-Quellen vermittelt, ethische Konfliktfälle diskutiert und größere Recherche-Projekte unter Anleitung erfahrener Journalisten umgesetzt werden. Intensiv-Seminare, die, wie es beispielsweise in den USA üblich ist, jenseits der Recherche-Basiskurse „Investigative Reporting“ trainieren, kann man in Deutschland an einer Hand abzählen. Weiterlesen

Weblogs können den Journalismus bereichern, aber niemals ersetzen

Netzwerk Recherche veröffentlicht Studie zu Blogs und Journalismus

Weblogs können den Journalismus anspornen und bereichern, aber niemals ersetzen. Das ist ein Ergebnis der aktuellen Studie, die in der Schriftenreihe des Netzwerkes Recherche erscheint. Sie zeigt, dass es für Journalisten zahlreiche Gründe gibt, Blogger als Konkurrenten, Kritiker oder sogar als die Kopfjäger des Internet einzuschätzen. Außerdem kosten Blogger lieber die Freiheiten des Internet aus, als sich mit den Qualitätsansprüchen des Journalismus aufzuhalten. Auf der anderen Seite stellt der Autor Matthias Armborst unter Beweis, dass es ein Fehler ist, wenn Medien-Profis die so genannten „Netz-Tagebücher“ reflexartig ablehnen oder sogar als „Klowände des Internet“ diffamieren. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 32, 10.05.2006

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Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche (nr) am 19. und 20. Mai 2006 im NDR in Hamburg

Treffen von mehr als 600 Journalisten gilt als Seismograph der Medien-Szene

Unter dem Motto „Mehr Qualität durch Recherche – Von der Kür zur Pflicht“ veranstaltet die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche (nr) am 19. und 20. Mai 2006 ihre große Medienkonferenz, die ehrenamtlich von Journalisten für Journalisten organisiert wird und bewusst die kontroversen Medienthemen aufgreift. Weiterlesen

Justiz in Deutschland offenbar mit der Verfolgung von Korruptionsstraftaten überfordert

nr-Dokumentation zum Thema „Dunkelfeld Korruption – Herausforderungen für den Recherche-Journalismus“ belegt die Defizite bei der Bekämpfung der Korruption in Deutschland

Wiesbaden – Die juristische Bekämpfung und publizistische Untersuchung der Korruption in Deutschland weist erhebliche Defizite auf. Dies ist die Bilanz der Analysen von renommierten Juristen, Korruptions-Experten und Journalisten, die Korruptionsfälle offengelegt haben. Die Ergebnisse und Belege für diese Lageeinschätzung veröffentlicht die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche (nr) heute in einer 162-seitigen Dokumentation mit dem Titel „Dunkelfeld Korruption – Herausforderungen für den Recherche-Journalismus“. „Justiz, Politik und Medien sollten den Wachstumsmarkt Korruption stärker unter die Lupe nehmen und wie vom Bundesgerichtshof empfohlen, konsequenter verfolgen“, sagte der Vorsitzende der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche, Dr. Thomas Leif, bei der Vorlage der Dokumentation. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 31, 23.03.2006

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 30, 23.02.2006

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Netzwerk Recherche stellt neuen Medienkodex als journalistisches Leitbild vor

10 Leitlinien sollen Orientierung für die journalistische Praxis geben

Die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche hat heute einen 10 Punkte umfassenden „Medienkodex“ vorgelegt, der Journalisten aller Medien Orientierung in der beruflichen Praxis geben soll. Nach Einschätzung von Netzwerk Recherche gefährden neue Technologien und zunehmender ökonomischer Druck den seriösen Journalismus. Um seine Qualität und Unabhängigkeit zu sichern, setzt sich das Netzwerk für das neue Leitbild ein, das anspruchsvolle Qualitäts-Standards und Selbstverpflichtungen der Journalisten fordert. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 29, 27.01.2006

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 28, 12.01.2006

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Informationsfreiheitsgesetz: Bürger dürfen nicht mit Gebührenkeule auf Distanz gehalten werden

Die Journalistenorganisation Netzwerk Recherche kritisiert die heute veröffentliche Gebührenverordnung zum Informationsfreiheitsgesetz. Der zulässige Kostenrahmen lädt nach Auffassung des Verbandes dazu ein, dass kooperationsunwillige Behörden die Bürger von der Wahrnehmung ihrer neuen Rechte abschrecken: „Ein Bürgerrecht darf nicht zur Sanierung der öffentlichen Kassen missbraucht werden“, forderte Dr. Manfred Redelfs, der Informationsfreiheitsexperte des Netzwerk Recherche. „Wir werden daher sehr genau beobachten, wie die Behörden das neue Gesetz anwenden, ob zum Beispiel die Gebührenobergrenze von 500 Euro wirklich nur in Ausnahmefällen ausgeschöpft wird.“ Weiterlesen

„Zukunft des Journalismus – Neue Wege für alte Werte“

Fachkonferenz des Netzwerk Recherche am 21. Januar zu aktuellen, kontroversen Medienthemen

Debatte um Krise des Sportjournalismus und zum Verhältnis PR und Journalismus – Entwurf für neuen Medienkodex geplant

Der geplante Austritt einer Reihe von renommierten Sportjournalisten aus dem Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS) und die Gründung des „Sportnetzwerks“ beschäftigt das diesjährige, offene Mitgliedertreffen des Netzwerks Recherche, zu dem die Journalistenvereinigung am 21. Januar 2006 auch interessierte Journalistinnen und Journalisten aus ganz Deutschland einlädt. Jens Weinreich, Sportchef der Berliner Zeitung und Mitinitiator des „Sportnetzwerks“, wird auf der Veranstaltung die Gründe für den Austritt darlegen. Anschließend diskutiert er zusammen mit Evi Simeoni (FAZ), Herbert Fischer-Solms (Deutschlandfunk) und Michael Gernandt (ehem. SZ) über die Qualität des Sportjournalismus und neue Netzwerke vor dem Hintergrund des Starts in ein ereignisreiches Sportjahr 2006. Der Sportjournalismus steht am Scheideweg zwischen Nähe oder Distanz, Quote oder Recherche, Präsentation oder Berichterstattung, Stimmungsmache oder Analyse. Das „Sportnetzwerk“ will alternativ zum VDS qualitative anspruchsvolle Projekte ins Leben rufen. Eine Webseite ist bereits erreichbar (www.sportnetzwerk.org). Geplant sind Workshops zu wichtigen sportjournalistischen Fragen und eine Anti-Doping- Konferenz im Herbst 2006. Der Vorsitzende des Netzwerk Recherche, Dr. Thomas Leif, begrüßte die längst überfällige Initiative der Sportjournalisten zur Neuorganisation. „Der seriöse und hintergründige Sportjournalismus droht in Deutschland im Sog einer ungebremsten Kommerzialisierung und unter dem Diktat der Unterhaltung zu einer aussterbenden Disziplin zu werden. Das Signal zur Rückbesinnung auf journalistische Tugenden ist längst überfällig,“ sagte Leif zur aktuellen Debatte.

Neben der Debatte um den Sportjournalismus wird das offene Mitgliedertreffen, das unter dem Titel „Zukunft des Journalismus – Neue Wege für alte Werte“ steht, Fragen der journalistischen Ethik thematisieren. So wird das Netzwerk Recherche einen ersten Entwurf für einen neuen Medienkodex als Alternative zum Pressekodex vorstellen und diskutieren. Vor dem Hintergrund eines im Sommer 2005 vom Netzwerk Recherche vorgelegten Diskussionspapiers diskutieren zudem nach einem Impulsreferat von Prof. Michael Haller (Universität Leipzig) der Präsident des Bundesverbandes der Pressesprecher, Lars Großkurth, Ulrich Nies (Vors. DPRG), Michael Behrent (Script-PR Agentur), Hans Leyendecker (NR) und Tom Schimmeck (Autor) zum Thema „Teufel und Weihwasser? Zum Verhältnis von Journalismus und PR“.

Das Mitgliedertreffen des Netzwerk Recherche steht bewusst auch interessierten Journalistinnen und Journalisten offen, die nicht NR-Mitglied sind.

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 27, 15.12.2005

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 26, 27.10.2005

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Pressefreiheit ist nicht die Freiheit von Finanzjongleuren, mit Zeitungen zu zocken.

Aufruf

Der Investor David Montgomery hat in Großbritannien keinen Ruf mehr zu verlieren. Ein von ihm angeführtes Konsortium will den profitablen Berliner Verlag kaufen. Aus der Sicht von Finanzabenteurern ein normales Geschäft, aber deren Raffgier kann den publizistischen Ruin bedeuten. Berliner Zeitung und Berliner Kurier sind keine der üblichen Renditeobjekte. Der respektable Holtzbrinck-Verlag, der Montgomery trotz des Angebots eines ernsthaften deutschen Verlegers den Zuschlag geben will, sollte sich daran erinnern und sein publizistisches Ansehen bewahren. Weiterlesen

nr warnt vor Einstieg Montgomerys bei der Berliner Zeitung

Innere Pressefreiheit gefährdet/Anschlag auf die Zeitungskultur

Die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche warnt vor dem Einstieg des britischen Kahlschlag-Sanierers David Montgomery bei der Berliner Zeitung. Die Übernahme eines Verlages durch renditewütige europäische Finanzjongleure gefährdet nach Beobachtung des Netzwerks die innere Pressefreiheit in Deutschland und stellt einen Anschlag auf die Zeitungskultur dar. Der hierzulande weitgehend unbekannte Montgomery, der an der Spitze des britischen Beteiligungsunternehmens Mecom stehe, sei in seiner Heimat als rücksichtsloser Zeitungsmanager aufgefallen, für den Rendite wichtiger sei als die Einhaltung journalistischer Standards.

Da Montgomery von Beobachtern in Großbritannien wegen seiner rüden Methoden sogar mit dem Medientycoon Rupert Murdoch verglichen werde, nimmt das Netzwerk Recherche erstmals in seiner Geschichte kritisch zu Verkaufsplänen eines deutschen Verlages Stellung. „Wenn die Heuschrecken drohen,“ sagte der Vorsitzende des Netzwerks Recherche, Dr. Thomas Leif, „müssen sich Journalisten, die mehr Qualität verlangen, gegen die Plage wehren.“

Völlig unverständlich sei, so das Netzwerk Recherche, dass der renommierte Holtzbrinck-Verlag, der wegen seiner Blätter hohes internationales Ansehen genieße, eine seiner besten Zeitungen an eine Beteiligungsgesellschaft verkaufen wolle. Bislang sei es, so das Netzwerk, eine Art Ehrenkodex unter deutschen Verlegern gewesen, internationalen Private-Equity-Firmen keinen Zugang auf dem Pressemarkt zu ermöglichen. Beispiele in Europa zeigten, dass solche Finanzgesellschaften Zeitungen wie Schraubenfabriken behandelten, die man nach Profitgesichtspunkten zerlegen und deren Tafelsilber man versilbern kann. Wer, wie Montgomery, kurzfristigen Profit anstrebe, habe keinen Respekt vor Qualitätsjournalismus, für den sich das Netzwerk Recherche einsetze.

Vor diesem Hintergrund appelliert das Netzwerk Recherche an die Manager des Holtzbrinck-Verlages, ihre Verhandlungen mit Montgomery und den mit ihm verbündeten Gesellschaften abzubrechen und andere Käufer zu suchen, die an der langfristigen Sicherung einer kerngesunden Qualitätszeitung wie der Berliner Zeitung interessiert seien. „Im Gegensatz zu Montgomery hat Holtzbrinck noch einen Ruf zu verlieren“, so Thomas Leif.

Informantenschutz ist das Herzstück für einen seriösen Journalismus

Informantenschutz wird durch Razzien und Ausspähen von Telefonverbindungsdaten immer mehr untergraben Anhörung Schilys vor dem Innenausschuss als klärendes Signal für die Notwendigkeit einer uneingeschränkten Pressefreiheit

Die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche begrüßt die heutige Anhörung von Bundesinnenminister Otto Schily vor dem Innenausschuss des Bundestages im Fall Cicero. „Die Anhörung des Bundesinnenministers ist ein wichtiges Signal, dass Pressefreiheit in unserem Land nicht zur persönlichen Verfügungsmasse von Politikern und Beamten werden darf“, sagte der Vorsitzende des Netzwerk Recherche, Dr. Thomas Leif, anlässlich der Sitzung des Innenausschusses. „Razzien wie im Fall Cicero untergraben den Informantenschutz und gefährden damit die Pressefreiheit in ihrem Kern,“ so Leif. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 25, 21.09.2005

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Journalisten beschäftigen sich mit aktuellen Trends der Korruption

Fachtagung vom 28. bis 30. Oktober in Wiesbaden
Wiesbaden – In einer Fachtagung des Netzwerks Recherche (NR) werden sich von Freitag bis Sonntag, 28. bis 30. Oktober 2005, Experten und Journalisten mit aktuellen Trends der Korruption beschäftigen. So wird das Bundeskriminalamt seinen aktuellen «Lagebericht Korruption» aus 2004 präsentieren und die Strafrechtlerin Britta Bannenberg eine aktuelle wissenschaftliche Analyse liefern. Themenkomplexe der mehrtägigen Tagung in der ZfP sind etwa der Schleichwerbe-Skandal, die jüngsten Entwicklungen des Abrechnungsbetrugs im Gesundheitswesen sowie die Nähe von Politik und Industrie als Grundlage für korruptes Verhalten. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 24, 25.08.2005

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Verantwortliche für Schleichwerbung zur Rechenschaft ziehen

Harte Kontrollmaßnahmen ergreifen Grauzonen durch Neu-Definition von Schleichwerbung eingrenzen

Der Skandal um Schleichwerbung bei öffentlich-rechtlichen Sendern gefährdet nach Auffassung der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche die Integrität des deutschen Journalismus. Das Netzwerk Recherche fordert nachdrücklich die vollständige Aufklärung aller illegalen Praktiken und Vereinbarungen in diesem Zusammenhang. Die Ergebnisse dieser Aufklärungsarbeit müssen der Öffentlichkeit in vollem Umfang zugänglich gemacht werden. Die Verantwortlichen für die massiven Verstöße gegen Recht und Gesetz, aber auch gegen die ethischen Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Dies hat in den zuständigen Programmbereichen und –direktionen der Anstalten selbst mit der gleichen Konsequenz zu geschehen wie in den Produktions- und Tochterfirmen, wo es zum Teil bereits entschlossen praktiziert wurde. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 23, 12.07.2005

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Medien im Höhenrausch – von Jürgen Leinemann (2005)

Zum Spannungsverhältnis von Journalisten und Politikern

Rede von Jürgen Leinemann (DER SPIEGEL) auf der Jahrestagung des Netzwerk Recherche am 4. Juni 2005 beim NDR in Hamburg

 

“Wir jagen sie” – In ihrem spannungsgeladenen Verhältnis zu den Politikern geraten auch die Medien in Gefahr, die Bodenhaftung zu verlieren.

Vor zwei Wochen ist Carl Bernstein hier in Hamburg gewesen, der berühmte Kollege von der Washington Post, der zwischen 1972 und 1974 zusammen mit Bob Woodward die Watergate-Affäre aufdeckte, die den Präsidenten Richard Nixon schließlich sein Amt kostete. Ich war damals Korrespondent in Washington, zunächst bei der dpa, später beim SPIEGEL, und ich verfolgte geradezu fiebrig die Ergebnisse der beharrlichen Recherchen dieser beiden Kollegen, die noch jünger waren als ich.

Ja, so müsste eine freie Presse funktionieren, die sich als vierte Macht im Staat verstand. Mein Respekt, ach, meine Bewunderung für die investigative Leistung der beiden Reporter und die aufrechte Haltung der Washington Post hatte fast schwärmerisches Format.

Und nun kommt derselbe Carl Bernstein her und redet vom “Triumph der Idiotenkultur”, wenn er den Zustand der US-Medien beschreibt. Nicht mehr Wahrheitssuche sei häufig der Antrieb für die Berichterstattung im amerikanischen Journalismus, sagt er, sondern Gerüchte, Prominente und Sensationen. Viel zu oft berichte die Presse ohne gesellschaftlichen Kontext, setze auf Klatsch und Tratsch und widme sich aufgeblasenen Debatten. Bernstein wundert es nicht, dass 45 Prozent der Amerikaner nichts oder nur noch wenig von dem glauben, was in der Zeitung stehe.

Was sind wir doch fein raus. In Deutschland halten – Umfragen zufolge – immerhin noch 80 Prozent der Menschen wenigstens die Zeitungen für glaubwürdig. Und Stern-Chefredakteur Andreas Petzold wird mit dem triumpfierend klingenden Satz zitiert “Wir können hier in einer offeneren Atmosphäre arbeiten, und das deutsche Publikum goutiert die Wahrheitsfindung”.

Das mag so sein. Wer könnte auch was gegen Wahrheitsfindung haben? Allerdings bezweifele ich, dass tatsächlich noch allzu viele unserer geneigten Leser die Wahrheit ausgerechnet in den Medien zu finden hoffen.

Seit Monaten tingele ich nun mit meinem Buch “Höhenrausch” zu Lesungen und Diskussionen durch die Lande. Und ob in Trier oder Weimar, Lüneburg, Bottrop oder Regensburg – immer sind sich die Zuhörer ganz schnell darüber einig, dass es zwei Schurken gibt im politischen Spiel – die Politiker und die Medienmenschen. Die Bürger, die zu solchen Veranstaltungen kommen, ältere zumeist, sind politisch interessiert, informationshungrig, ziemlich gebildet – und absolut verunsichert

Nein, sie trauen uns nicht wirklich mehr, glaube ich.

Und haben sie nicht Gründe genug? Es ist ja nicht nur der Bundeskanzler, der auch im deutschen Journalismus “einen Trend in Richtung Boulevardisierung, Personalisierung und auch Skandalisierung” feststellt. Dass auch in der Bundesrepublik die Medien in der Krise stecken, wird seit Jahren überall beklagt und diskutiert, nicht zuletzt von uns selbst.

Über die strukturellen Ursachen – den technischen Wandel, die Abhängigkeit von Auflagen und Quoten, von Anzeigen und Werbespots und der daraus resultierende Kostendruck – will ich heute nicht reden. Darüber wissen andere hier besser Bescheid. Ich möchte mich stattdessen auf uns beschränken – auf uns Journalisten – und auf die Frage, wieviel wir wohlmöglich als Personen zum dramatischen Qualitätsverfall im Journalismus beitragen, über den sich beispielsweise die Politiker parteiübergreifend einig sind.

Und ich frage mich, ob es uns wirklich soviel anders ergeht als denen, über deren Gefährdung durch die Macht ich mich in meinem Buch ausgelassen habe.

Drei Gründe hat der ehemalige tschechische Staatspräsident Vaclav Havel einmal für die Sehnsucht eines Menschen nach politischer Macht aufgeführt: die Vorstellung von einer besseren Gesellschaftsordnung, Selbstbestätigung und Privilegien. Sollten diese Kategorien nicht auch in unserem beruflichen Selbstverständnis eine Rolle spielen?

Sind es denn wirklich nur die Politiker, die ihre enormen Möglichkeiten auskosten, sich selbst zu bestätigen , indem sie – wie Havel sagt – “weithin sichtbare Abdrücke der eigenen Existenz” hinterlassen? Und behaupten nur sie, dass die vielen Privilegien, die notwendiger- und erfreulicherweise ihr Berufsleben begleiten, nichts anderes seien, als quasi unvermeidliche Zugaben zur hehren Gemeinwohl-Aufgabe?

Es gehörte für mich zu den unerwünschten Folgen und Nebenwirkungen der Watergate- Affäre vor mehr als dreißig Jahren, dass Richard Nixons verzweifelter und erbarmungsloser Kampf um sein Amt mich zum ersten Mal auf solche Parallelen aufmerksam machte. O ja, ich vermochte mich so gut einzufühlen in die Lebenslügen des gehetzt wirkenden amerikanischen Präsidenten, dass ich sein Scheitern früh voraussagte. Aber warum? Heute weiß ich, was ich damals verdrängte – ich tickte wie er und die meisten politischen Karrieristen.

Ich teilte ihren unersättlichen Hunger nach Anerkennung und Bestätigung. Wie sie sah auch ich mich bald nicht nur auf der Erfolgsleiter, sondern zugleich auf der Flucht vor der immer unangenehmer werdenden Realität aus Selbstzweifeln, Furcht vor dem Scheitern und quälenden Fragen nach dem persönlichen Preis für die Karriere. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend war ich schnell weit gekommen. Mit 34 Jahren wurde ich Büroleiter des SPIEGEL in der amerikanischen Hauptstadt.

Da war damals zwar noch nicht viel zu leiten, aber zu viel für mich: ich begann zu ahnen, dass ich meinem Aufstieg nur unzureichend gewachsen war. Zwar hatte ich gelernt, die Erwartungen meiner Umwelt zu erkennen, und ich war auch talentiert und fleißig genug, sie zu erfüllen. Doch meinem äußeren Aufstieg fehlte das innere Gegengewicht. Ich brauchte Erfolg, um meine Selbstzweifel zu kompensieren. Ich war hungrig nach Lob und Zustimmung, um meine Ängste zu ersticken. Und ich arbeitete bis zur Bewusstlosigkeit, um meinen Aufstieg zu rechtfertigen und meinem Leben einen Sinn zu geben.

Dabei half mir zunächst, dass ich – ohne je ein Journalismusseminar besucht zu haben – eine ziemlich verlässliche Vorstellung von den Erfordernissen und Regeln meines Berufes zu haben glaubte. In meinen Phantasien sah ich mich auf der Tribüne des Weltgeschehens sitzen, aufmerksam und objektiv die Ereignisse protokollieren und diese Informationen an urteilsfähige, mündige Bürger weitergeben. Keiner sollte mich manipulieren können, strikt wollte ich der Wahrheit dienen – kurz, ich hatte ein so kitschig edles Selbstbild von mir und meinem Beruf, dass ich eigentlich nur scheitern konnte. Und das passierte ja auch.

Ich versackte in Depressionen, quälte mich beim Schreiben und versuchte, meine Ängste mit Alkohol zu betäuben. Erst nach einer intensiven und schmerzhaften Therapie, mit deren Hilfe ich mein Leben – und meine Arbeit – anders zu gestalten lernte, konnte ich neu anfangen.

Das ist jetzt fast drei Jahrzehnte her. Ich bin noch immer Journalist, aber die Medienlandschaft, zu der ich gehöre, ist eine völlig andere. Sie ist bunt geworden, vielfältig, voller Trallala und Albernheiten, der Werbung nahe und dem Showgeschäft und immer auf Rendite bedacht. Wenn ich heute Publizistikstudenten frage, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen, sagt kaum noch einer, dass er Journalist werden möchte. Die meisten wollen “irgendwas mit Medien” machen. Und das reicht dann vom Sportmoderator bis zum Pressesprecher von Attac oder der Dresdner Bank, vom Filmemacher bis zum Werbetexter. Und viele schwärmen von Medienjobs im Internet, von denen ich noch nie gehört habe.

Gewiss, auch den guten alten klassischen Journalisten gibt es noch, sonst wären wir heute nicht hier. Aber in der Familie der Medienberufe stellen wir – die politisch interessierten, für öffentliche Angelegenheiten engagierten Kolleginnen und Kollegen, die melden, erklären, recherchieren und kommentieren, ob auf Papier , im Radio, im Fernsehen oder online – eine Minderheit dar.

Die coolen Smarties aus der Spasskultur-Branche des Feuilletons und der Frohsinns-Wellen halten uns – Sie werden es erfahren haben, meine Damen und Herren – für ziemlich angestaubt, obwohl es kaum noch ideologische Missionare und Menscheitsbeglücker unter uns gibt. Im Gegenteil, die Neigung , auch Politik vor allem nach ihrem Unterhaltungswert zu beurteilen, wächst auch in seriösen Redaktionen.

Und so ist es wohl kein Wunder, dass selbst die etwas altbackene Minderheit der klassischen Journalisten dort, wo sie Mehrheit ist und als “Meute” auftritt – in Berlin etwa, in den Landeshauptstädten und wo sonst noch Politik gemacht wird – im Vergleich zu früher ein ziemlich exotischer, bunter, modebewusster Haufen geworden ist. Stil wird nicht nur geschrieben sondern auch getragen.

Wir Journalisten verkaufen uns – nicht einmal immer bewußt – selbst als Ware im Medium, gegelte Frisuren und unübersehbare Dekolletee’s, Designer Anzüge und kunstvoll dekorierte Schlampigkeit sind Markenzeichen von Akteuren, die sich im Promi-Wettbewerb mit den Showstars der Politik erleben.

Sind wir ihnen nicht auch sonst bis zur Austauschbarkeit ähnlich? Ich habe in meinem Buch darzustellen versucht, wie die Wahrscheinlichkeit, dem Suchtsog des Politikbetriebs zu verfallen und damit die Wirklichkeit neben der Karriere aus den Augen zu verlieren, im Nachkriegsdeutschland von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gewachsen ist. Hatten die Alten noch noch ein ereignisreiches Leben vor dem Eintritt in die Politik, kennen die Jungen nur noch ihren Weg nach oben.

Im Medienbetrieb ist es nicht sehr viel anders. Die derzeit in Regierung und Opposition tonangebende Politikergeneration von Erfolgs-Junkies hat es in den Führungsetagen der Redaktionen, Sendern und Fernsehanstalten mit Gleichaltrigen zu tun, die der Mode-Guru Wolfgang Joop – Jahrgang 44, so alt wie Gerhard Schröder und nur ein Jahr älter als Ex-Stern-Chefredakteur und Erfolgs-Buchautor Michael Jürgs – einmal so beschrieben hat: “Ohne Verankerung in Vergangenheit oder Zukunft passen wir uns der Chance des Augenblicks an. Unser Ego hat Priorität vor Parteien, Politik und den Parolen von gestern”.

Auch bei den Jüngeren sehe ich keine markanten Unterschiede zwischen Politikern und gleichaltrigen Journalisten. Noch haben die zwischen 1960 und 1980 geborenen Deutschen – ob Ost oder West – keine gemeinsame Physiognomie, allenfalls in ihrer ironisch-larmoyanten Selbstbespiegelung ähneln sie einander. Florian Illies machte diesen Mangel an generationeller Originalität, das fehlende Schicksal, selbst zum zentralen Merkmal der Beschreibung. “Wir sind”, schreibt er, “wahrscheinlich die erste Generation, die ihr Leben nicht mehr als authentisch empfindet, sondern als ein einziges Zitat“. Der Soziologe Heinz Bude äußerte sogar die Sorge, dass diese Generation am Ende einfach wegzudenken sein könnte. Ich zitiere: „Sie ist ganz geschickt, ganz reflexiv, gar nicht blöd – aber spurlos“.

Solche Generationsgemeinsamkeiten verstärken natürlich die Gefahr, dass Politiker und Journalisten einander ungebührlich nahe kommen. Bundeskanzler Schröder hat im vergangenen Jahr an dieser Stelle sein Verhältnis zu mir mit dem Satz beschrieben: “We had rocky times in our mariage”, und da kann ich ihm zustimmen, wenngleich der Ehebegriff mir als Bild nicht glücklich erscheint. Nicht, weil Gerd Schröder so oft verheiratet war, sondern weil er eine Intimität suggeriert, die wir beide – bei aller anfänglichen, fast noch jugendlichen Freundschaftlichkeit unserer Beziehung vor dreißig Jahren – nie empfunden haben. Wir haben uns einen vertrauensvollen Abstand erarbeitet.

Zwischen den beiden Flügeln der politischen Klasse hat immer schon ein symbiotisches Verhältnis bestanden, in Bonn wurde es durch die räumliche Nähe zusätzlich begünstigt. Der Kollege Peter Zudeick hat damals vor einem “Schmiergeld namens Nähe” gewarnt, wobei beide Seiten sowohl als Empfänger wie als Zahler auftreten können. Wer in dieser engen Beziehung wessen Parasit ist, entscheidet sich von Fall zu Fall. Für beide Seiten gilt die schöne amerikanische Faustregel: “If you can not beat them – join them”. Wobei es natürlich immer viel schöner ist, den anderen zu besiegen, als sich an ihn ranzuwanzen.

Nicht nur die Schröders, Fischers und Stoibers betrachten die Art ihrer Medienpräsenz als eine schiere Machtfrage. Auch Journalisten in verantwortlicher Position – und ich spreche jetzt natürlich über alle außer den SPIEGEL – bekennen sich heute ungenierter den je zu ihrem Anspruch, im politischen Geschäft als gleichberechtigter Macht-Mitstreiter agieren zu wollen, obwohl sie von niemanden gewählt und legitimiert sind.

Sie fühlen sich “im Zentrum der Macht”, wie der Leiter eines Berliner Zeitungsbüros einen Kollegen wissen ließ, der sich dessen Meinungsschelte verbat. Und sie leiten daraus Jagdrechte ab. Ein erfahrener Auslandskorrespondent, der seinen Bürochef um Genehmigung für ein Politiker-Porträt bat, erfuhr von dem herablassend, dass die Zeiten, in denen Reporter Politiker begleiteten, um sie beobachten, verstehen und beschreiben zu können, nun wirklich vorbei seien. Ach, sagte da der Berlin-Neuling, und was machen wir jetzt? Antwort: “Wir jagen sie”.

Der Herausgeber der New York Times, Arthur Sulzberger, hat als Rezept gegen solchen Hochmut vorgeschlagen, dass kein Nachwuchsjournalist das College verlassen sollte, ohne wenigstens einmal selbst von den Medien an den Pranger gestellt zu werden.

Politiker fürchten solche Treibjagd-Kampagnen nicht wirklich. Sechzehn Jahre lang hat uns Helmut Kohl ausgelacht, jetzt mopst sich Joschka Fischer: “Zwölfeinhalb Stunden Primetime-Fernsehen, der Traum jedes Politikers” .

Was ihnen die Stars der Medien inhaltlich entgegenzusetzen haben – detaillierte Kenntnisse von Sachverhalten und Personen, politische Urteilsfähigkeit und Erfahrung, schreckt die Schröders, Westerwelles , Pflügers und Co auch nicht. Ego-Gerangel sind sie gewohnt.

Aber dass die Medienfuzzis darüber hinaus mit Schlagzeilen, Bildschirmpräsenz und Sendezeiten locken, vergiftet das Klima. Denn damit sind sie nicht nur aufdringliche Konkurrenten beim Promi- Schaulaufen, sondern leider auch die Vertreiber der unverzichtbaren Wichtigkeitsdroge “öffentliche Aufmerksamkeit”. Dass sie davon abhängig sind, verzeihen die Politiprofis den Medienmenschen nie.

Nicht zuletzt deswegen ist in Berlin das Verhältnis zwischen den gewählten Amtsinhabern und der „plappernden Zunft“, wie Joschka Fischer die Journalisten abschätzig nennt, zunehmend gespannter geworden. Viele der eingespielten Selbstverständlichkeiten zwischen den beiden Flügeln der politischen Klasse haben sich verflüchtigt, der Ton wurde wechselseitig aggressiver, ja verächtlich.

Das unverkennbare Bedürfnis, es einander wenigstens einmal heimzahlen zu können, lässt nicht nur auf vergangene Kränkungen schließen. Es signalisiert einen Machtkampf. Denn die Medienleute verfügen einerseits über die Bühnen, die selbst Bundeskanzler zu ihrer öffentlichen Inszenierung brauchen. Sie inszenieren andererseits aber auch selbst politisches Geschehen, indem sie komplexe Sinnzusammenhänge in Mini-Dramen zerlegen, durch Personen verkörpern oder in symbolischen Schlüsselszenen gipfeln lassen. Damit geraten sie nahezu unausweichlich in Konflikte mit den Politikern um die Deutungshoheit. „So dürfen Sie das nicht sehen“ heißt deren Standart-Mahnung an Journalisten seit Genschers Zeiten.

Zunehmend wird die Kluft tiefer zwischen den Darstellungen, die Politiker – vor allem die jeweils verantwortlichen – von der Welt und den aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Problemen geben, und den Bildern, die Medienmenschen dagegensetzten. Es entstehen getrennte Welten mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. „Die Langsamkeit der Politik liefert wenig sichtbare Gestaltungskraft“, sagt Wolfgang Thierse. Im hektischen Tempo der Medienwelt nehmen die Bürger das selbst dann als Unfähigkeit war, wenn ihre eigene Erwartung oder die von den Medien suggerierte ganz und gar absurd ist.

Auf die Bildersturzbäche, die täglich über sie hereinbrechen, hochgejazzt zu Sensationen oder eingesülzt als Beiträge zur unterhaltenden Wissensbereicherung, auf die Wortlawinen und Papiermassen, die Internet-Ströme und die Bücherstapel reagieren die Bürger offenkundig mit einer wachsenden inneren Müdigkeit. Viele schalten ab. Oder sie lassen den Informationsstrom durch sich hindurchrauschen.

Das idealisierte “Prinzip Öffentlichkeit” – seit der Aufklärung gedacht als eine Art übergreifende Gesamtvernunft – funktioniert nicht mehr. Längst hat es seine diskursfördernde und sinnstiftende Funktion für Staat und Gesellschaft verloren und sich aufgelöst in eine neue Unverbindlichkeit unterschiedlicher Teil-Öffentlichkeiten. Das Publikum macht davon nach Belieben seinen eigenständigen Gebrauch.

Dem einzelnen Journalisten, der es nach wie vor ernst meint mit der Funktionsfähigkeit einer demokratischen und sozial gerechten Ordnung, verlangt diese Lage immer aufs Neue den öffentlichen Nachweis seiner professionellen Kompetenz und seiner intellektuellen Redlichkeit ab. Er trägt als Person Verantwortung für das Bild der Welt, das er dem Publikum anbietet. Auf einen etablierten verbindlichen Überbau kann er nicht mehr zurückgreifen. Wenn er im öffentlichen Diskurs mit seinen Informationen und Meinungen gehört oder gesehen werden will, muss er sich und seine Wert- und Zielvorstellungen zu erkennen geben.

Ich selbst bin – davon habe ich in meinem Buch erzählt – bei dem Versuch, meine journalistische Zuschauerposition zu verlassen und mich auch als Zeitgenosse und Bürger zu verstehen, der gegenüber dem Vietnamkrieg, der Rassendiskriminierung und der Watergate -Affäre keineswegs neutral war, in eine lebensbedrohliche Krise geraten. Ich wollte kenntlich werden, aber ich hatte Zivilcourage nie geübt, nur gefordert.

Deshalb rede aus eigener Erfahrung, aber ich spreche nicht nur von mir. Denn ich habe die persönliche Krise durchaus auch zugleich als eine politische und eine journalistische Krise erlebt habe. Und während ich gezwungen war, mich intensiv mit mir selbst, meinen Prägungen, Gefühlen und Erfahrungen zu befassen, habe ich auch viel über andere gelernt. Das hat nicht nur mein Schreiben verändert, sondern auch meinen Blick auf die Politik und auf meine Profession.

In jedem Jahr sterben in vielen Teilen der Welt weit über hunderte Kollegen in Kriegen und Folterstätten, weil sie ernsthaft ihren Beruf ausüben, auch Deutsche. Viele werden getötet, weil sie irgendwelchen Machthabern kenntlich wurden als Beobachter der Weltöffentlichkeit. “Zensur durch Mord” hat Freimut Duve, der Medien-Ombudsmann der Osze, solche Verbrechen genannt – einer wird umgebracht, hunderte schweigen.

Hierzulande ist Kenntlichkeit eher ehrenvoll und einträglich für Journalisten als riskant oder gar lebensgefährlich. Der Medienstar gehört zu den Privilegierten der Gesellschaft.

Unbequem wird Kenntlichkeit bei uns weniger dann, wenn sich ein Journalist als Kritiker gegen die Mächtigen der Regierung hervortut als dann, wenn er den politischen und wirtschaftlichen Interessen seines Arbeitgebers und dessen Freunden schadet. Und unbequem kann es auch sein, die eigenen Freunde zu enttäuschen, von Gegnern Applaus zu bekommen, oder aus konkreten Gründen gegen allgemeine hehre Prinzipien zu verstoßen

Die Journalistische Freiheit wird in der Bundesrepublik heute – davon bin ich nach mehr als vierzig Jahren journalistischer Praxis überzeugt, auch wenn es immer Ausnahmen gibt – viel weniger durch obrigkeitsstaatliche Pressionen bedroht als durch die weiche Knechtschaft einer eitlen Selbstverliebtheit.

György Konrad, der vor dem Fall des Eisernen Vorhangs als ungarischer Dissident Jahrzehnte unter staatlicher Bevormundung gelitten hat und bis vor kurzem der Präsident der Akademie der Künste in Berlin war, behauptet: “Jetzt ist es nicht mehr die Geheimpolizei, die bei den Bürgern Gehirnwäsche betreibt, sondern die als Abfolgen von Moden dahinwogende Oberflächlichkeit”.

Es ist ja wahr, dass die Freiheit der Journalisten – wie der Kollege Siegfried von Kortzfleisch einmal geschrieben hat – “nicht schon dadurch angefochten ist, dass es Versuche gibt, auf sie Einfluss zu nehmen oder ihnen Informationen vorzuenthalten und so fort”. Solche Versuche sind sozusagen normal.

Angefochten wird die Freiheit erst wirklich, wenn Redaktionen oder Journalisten nicht den Anfängen wehren, wenn sie leichtfertig hinnehmen, was man mit ihnen macht oder wenn sie gar in vorauseilendem Gehorsam gegenüber irgendwem vorwegnehmen, was irgendwelche Mächtigen vielleicht tun könnten. Ist nicht die vielbeklagte “Schere im Kopf” oft eher ein Sofa im Kopf? Ausdruck von Bequemlichkeit und nicht von berechtigter Furcht vor Risiken ?

Ich weiß, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass ich nach 35 Jahren Festanstellung beim SPIEGEL leicht reden habe. Aber sie sollten mir auch abnehmen, dass ich nicht wie ein Blinder von der Farbe spreche. Dass Journalismus auch bei uns schon mal einfacher war, ist mir nicht verborgen geblieben. Die Angst um den Arbeitsplatz ermutigt nicht zu Mutproben.

Aber wie auch immer – ein bisschen Selbstbewusstsein sollte schon sein. Wenn wir unsere Arbeit als öffentlichen Auftrag verstehen – und davon gehe ich in diesem Kreis aus – dann kann eine aufrechte Haltung nicht schaden. Redlicher Journalismus ist auch eine Charakterfrage.

Wer sich den aufrechten Gang erhalten will, der braucht ein reflektiertes Verhältnis zu sich selbst und seinen Beruf, einen verantwortlichen, bewussten Umgang mit der eigenen Subjektivität. Sich dem Leben zu öffnen und Erfahrungen zu sammeln, wird nicht auf Universitäten und Journalistenschulen gelehrt, es wird aber auch nicht offiziell behindert.

Sachkenntnis, Wissen um Zusammenhänge und eine verlässliche Personen- und Institutionen-Kompetenz sind unverzichtbare Voraussetzung für eine gut recherchierte Geschichte. Um sie jedoch erzählerisch “rund” zu kriegen, sie richtig zu gewichten und einzuklinken in den Lebens- und Verständniskontext der Leser oder Zuschauer sollte noch eine ganz spezielle Fähigkeit zur Urteilskraft hinzukommen, wie sie der britische Philosoph Isaiah Berlin neben guten Reportern auch erfolgreichen Staatsmännern, Dompteuren, Dirigenten, Dichtern und Müttern zuschreibt. „Wirklichkeitssinn“ nennt er diese Gabe. Sie hat eher mit Verstehen zu tun als mit Wissen, und sie ist durch nichts zu ersetzen. Journalisten ermöglicht sie, bewusst oder halbbewusst die Grundmuster menschlicher oder historischer Situationen aufzunehmen und Fakten als Symptome vergangener und zukünftiger Möglichkeiten zu sehen.

Was er damit meint, beschreibt Berlin so: „Es handelt sich um eine gewisse Vertrautheit mit den relevanten Tatsachen, die sie erkennen lässt, was zu einander passt, was unter den gegeben Umständen getan werden könnte und was nicht, welche Mittel in welcher Situation und in welchem Umfang anzuwenden sind, ohne dass sie zwangsläufig erklären können, warum sie dies wissen, oder worin dieses Wissen überhaupt besteht.“ Diese Fähigkeit, die eher eine der Synthese als der Analyse ist, läßt sich nicht am Schreibtisch oder Computer erlernen, wohl aber im richtigen Leben ausbilden.

Und damit komme ich abschließend noch einmal zurück auf die Watergate-Affäre, die sich ja gerade wieder in unser aller Erinnerung zurückgemeldet hat, weil der geheimnisvolle Informant “Deep Throat” sich selbst enttarnt hat. Bei aller schon anfangs ausgedrückter Bewunderung für die Enthüller des Kriminal-Falls “Watergate” – dass es den amerikanischen Kollegen an Isaja Berlins Synthese-Fähigkeit gebrach, war mir schon damals aufgefallen. Denn den politischen Stellenwert der Affäre erkannten alle ausländischen Korrespondenten besser als die amerikanischen Kollegen. Die verzettelten sich in der Analyse von Analogien in Einzelaspekten zu früheren Präsidentschaften, alle Ausländer sahen Nixons kriminellen Verschleierungsversuch als eine Art verkappten Staatsstreich, als Versuch , von der Spitze aus die demokratischen Grundregeln außer Kraft zu setzen.

Ich nahm mir daher vor, in Bonn mit dem Abstand eines Auslandskorrespondenten auf das Geschehen zu blicken. Das misslang. Als einheimischer Beobachter muss man einfach dichter an die Akteure heranrücken, weil das Publikum mehr wissen will. Aber die Problematik von Nähe und Distanz habe ich seither verinnerlicht. Nur so konnte ich mich bei meinen Porträts emotional so dicht an die Akteure heranwagen, ohne Sorge zu haben, dass ich den Abstand völlig verlieren würde.

Das ist deshalb meine wichtigste Erfahrung, die ich zur Vervielfältigung anbiete; So wie jeder Mensch die Möglichkeit hat, so sollte es für jeden Journalisten selbst auferlegte Pflicht sein, sich durch reflektierte Erinnerung eine Haltung zu erwerben, eine für ihn ganz persönlich charakteristische bewegliche Beharrlichkeit im Umgang mit dem Leben.

In seiner Haltung hat die Freiheit des Journalisten ihren Rückhalt. Wie er auf Ereignisse und auf Menschen reagiert, wie er sich zur Macht und gegenüber Mächtigen verhält, das ist nicht nur individuell relevant, sondern das hat auch politische Folgen. Für mich sind dabei zwei Sätze leitmotivisch geworden. Der erste heisst: Wirklichkeit ist alles, wo man durch muss. Und der zweite ist eine Gedichtzeile von Peter Rühmkorff: “Bleib erschütterbar und widersteh”.

„Verschlossene Auster“ 2005 an Gerhard Mayer-Vorfelder

DFB-Präsident erhält „Auszeichnung“ des Netzwerks Recherche für seine restriktive Informationspolitik

Die „Verschlossene Auster“, der Kritik-Preis der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche für Info-Blocker, geht in diesem Jahr an den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Gerhard Mayer-Vorfelder. Er erhält den Preis für seine restriktive Informationspolitik bei der Bundestrainer-Suche und der DFB-Schiedsrichteraffäre sowie für seine sachlich unbegründete Klagefreudigkeit gegenüber dem Südwestrundfunk (SWR). Der Sender hatte sich in einer Satire mit dem Multifunktionär beschäftigt. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 22, 26.05.2005

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