24. Mai 2003 beim Jahrestreffen des Netzwerk Recherche im NDR-Konferenzzentrum in Hamburg
Podiumsteilnehmer:
Gerhard Schröder, Bundeskanzler
Jürgen Leinemann, Der Spiegel
Michael Jürgs, Ex-Stern-Chefredakteur
Leinemann: Herr Bundeskanzler, lassen Sie uns gleich anfangen, Sie heißen allgemein der Medienkanzler. Was sagt Ihnen dieser Begriff und was glauben Sie, was die, die Sie so nennen, damit verbinden?
Schröder: Also zunächst ist das so, ich habe den Begriff nicht geprägt, aber er wird ja benutzt als eine abträgliche Bezeichnung, ein bisschen seltsam für Journalisten, denn was er eigentlich ausdrückt, ist eine gewisse Offenheit gegenüber denen, die beobachten und das Beobachtete zu beschreiben haben oder zu senden, darüber sollten Sie eigentlich nicht enttäuscht sein, sondern eher im Gegenteil. Aber ganz offenkundig gebären solche Begriffe so ganz eigene Eigentümlichkeiten. Und das ist ja so, ich habe einfach versucht, auch als ich in dieses Amt gewählt worden bin, mein Informationsverhalten nicht zu verändern. Und die Tatsache, dass da Medienkanzler gesagt worden ist, mit so einem leicht abträglichen Nebengeschmack, hat mich immer wirklich überrascht, muss ich sagen. Was dann dazu geführt hat, ich weiß nicht, was die einzelnen damit verbunden haben, aber jedenfalls nicht nur den Respekt vor einer Offenheit, was Informationen angeht, sondern auch das Gegenteil dessen. Und die Konsequenz dessen ist, dass man darüber nachdenkt, ob man sich richtig verhält und vielleicht verschlossener wird, das kann schon sein.
Jürgs: Hat sich das geändert in den letzten fünf Jahren? Hat sich geändert, dass die Nähe zur Medienmacht zur Distanz geworden ist in letzter Zeit?
Schröder: Ich glaube das Verhalten der Öffentlichkeit gegenüber – und Öffentlichkeit wird ja hergestellt nicht nur durch den politischen Prozess – nicht nur durch Entscheidungen derer, die unmittelbar am politischen Prozess beteiligt sind, sondern Öffentlichkeit wird ja nicht zuletzt durch Sie hergestellt. Klar ändert sich das. Und zwar kann man sehr viel unbefangener mit Öffentlichkeit umgehen, wenn man beispielsweise Vorsitzender der Jungsozialisten in Deutschland ist oder einer Arbeitsgemeinschaft der SPD angehört oder auch „einfacher Bundestagsabgeordneter“, weil die Wirkungen dessen, was man sagt, begrenzter sind als die Wirkungen dessen, was ich so sage. Das hat weniger mit der Person als mit dem Amt zu tun und insofern verändert sich das Informationsverhalten und natürlich auch die Beziehungen zum Journalismus insgesamt, aber auch zu Journalisten als einzelne, je nachdem welche Wirkung eine mitgeteilte Information hat oder nicht. Das versucht man natürlich abzuschätzen, fällt häufiger dabei rein, aber aus diesem Reinfallen lernt man eine Menge, kann ich Ihnen sagen.
Jürgs: Von wem könnte dann der Satz sein: „Es ist mir egal, wer unter mir Bundeskanzler ist?“ Welcher Medienmächtige könnte diesen Satz gesagt haben? Was glauben Sie wohl? Stefan Aust, Kai Dieckmann?
Schröder: Ich will hier niemanden in Schwierigkeiten bringen, aber ich würde sagen, diejenigen, die das behaupten, die überschätzen die Wirkung ihres Berufes und meistens auch sich selbst und soweit würde ich jedenfalls nicht gehen, das ist mir egal, wer unter mir Chefredakteur ist.
Leinemann: Sie haben gesagt, das Amt hat den Begriff verändert oder die Bedeutung dieses Begriffes und den Stellenwert. Was ist eigentlich anders geworden in Bonn als es in Hannover war? Sie hatten ja auch ein öffentliches Amt und das, was Sie Informationspolitik und Umgang mit Journalisten nennen, das haben Sie ja alles schon vorgedruckt.
Schröder: Also sagen wir mal, was sich geändert hat, ist zunächst einmal die eigene Sichtweise. Damals hatte ich noch jemanden, den ich kritisieren konnte, heute ist das fast überhaupt nicht mehr so.
Leinemann: Sie haben doch ihre Partei! (Gelächter)
Schröder: Da haben Sie ja ganz Recht (wieder Gelächter), nur die Frage ist ja, in welcher Funktion? Aber jetzt mal ganz im Ernst. Es ist natürlich anders, wenn man als jemand, der sicher als Ministerpräsident auch gehört wird, auch ein Stück politische Verantwortung mit hat, wenn da immer noch eine Instanz ist oder eine Institution, die man gelegentlich auch mal kritisieren kann, und sagen, das haben die aber vielleicht doch etwas besser hätten machen können. In dem Stil habe ich das ja getan, wie man weiß, also immer positiv (Gelächter).
Leinemann: Das ist rübergekommen.
Schröder: Aber das ist wirklich ein Unterschied, und jetzt sind Sie fast ausschließlich Kritik ausgesetzt. Das ist eine andere Befindlichkeit, in der man dann ist. Und was hat sich geändert? Das hat sich geändert. Aber es hat sich noch mehr geändert, weil, sagen wir mal, die politischen Fragen, mit denen man konfrontiert ist und über die oder die dann, also wenn sie in Entscheidungen umgesetzt werden, kritisiert werden, die sind natürlich vielfältiger in Bonn bzw. in Berlin. Und dann ist da etwas, das wissen sie besser als ich, ich glaube, dass sich in den Medien eine ganze Menge verändert hat. Das ist alles sehr viel wettbewerbsorientierter geworden und deswegen vermutlich auch schnelllebiger, mehr orientiert auf kurze Quotes, die, zu geben sind und weniger auf ein Gespräch, das aufklärt über Hintergründe des eigenen Denkens und man wird jeden Tag konfrontiert mit Fragen, wie eben auch „Was sagen Sie zu dem, was sagen Sie zu jenem?“
Jürgs: Dahin kommen wir noch!
Schröder: Das ist wirklich ein Unterschied verglichen zu früher. Die klarsten Vertreter dieser neuen Art, in den Medien zu arbeiten, sind diejenigen, die morgens kommen, wenn man irgendwo hingeht, es ist auch am einfachsten und die halten einem das Mikrofon vor die Nase und sagen: „Herr Bundeskanzler und ….?“. Dann können Sie gleichermaßen zu wichtigen Fragen der Außenpolitik wie zu der Tatsache antworten, dass Hannover 96 natürlich nicht abgestiegen ist, alles ist möglich.
Leinemann: Ist das eigentlich in Berlin anders geworden oder schlimmer geworden oder war das etwas, was Sie in Bonn auch schon erlebt hatten?
Schröder: In Berlin ist das, glaube ich, auf die Spitze getrieben worden bzw. hat sich so entwickelt. Es ist einfach viel viel schneller. In Berlin ist das deshalb noch ein bisschen anders, weil in Bonn war man so eng aufeinander geworfen, sozusagen, wo immer man hinging, in welches Restaurant, in welche Kneipe auch immer, irgendwann stieß man auf Journalisten und umgekehrt und ich glaube, in Berlin verläuft sich das natürlich mehr, obwohl es auch da Orte gibt, wo man immer sicher sein kann, dass man was abgenommen kriegt. Ich natürlich nicht mehr, weil ich ja diese Orte inzwischen meiden muss. Früher bin ich da auch hingegangen, das gebe ich zu.
Jürgs: Wo ist eigentlich inzwischen die Grenze, wann attackieren Sie, wann schweigen Sie einfach, wann sagen Sie, ach lasst sie kritisieren, ich kenn die auch lang genug und weiß woher das kommt und wann schlagen Sie dann zurück? Oder hat man dazu inzwischen eine zu dicke Haut gekriegt?
Schröder: Dicke Haut ist falsch. Aber ich glaube niemand, dass würde ich auch von den Kollegen behaupten, aber ich soll ja über mich reden. Ich habe keine dicke Haut in dem Sinne, dass ich mich über schlechte Berichterstattung, nach meiner Meinung schlechte Berichterstattung, nicht ärgerte. Und wenn sie besonders verletzend ist, dann tut das auch noch weh, so ist das ja nicht, man soll ja nicht glauben, dass Politiker und Politikerinnen so Leute wären, die, wenn es gelegentlich weit in die Bewertung intellektueller Qualitäten geht, dass nicht auch für ungerecht hielten auch für schmerzlich ansehen. Dann kuckt man, und dann werd’ ich mal wieder als nicht ganz zureichend qualifiziert bezeichnet und überlegt dann, wenn man festgestellt hat, wer es war, ob man es so ganz ernst nimmt. Aber es ist immer, dass muss man sagen, immer noch ein Stück Empfindsamkeit da, auch gegenüber einer als ungerechtfertigt begriffenen Kritik und erst Recht, wenn sie weit ins Persönliche geht und vor Fragen dann, die die Familie betreffen, auch keinen Halt macht. Das ist dann besonders misslich. Ansonsten will ich nicht sagen dickes Fell, aber diese Schnelllebigkeit, von der ich geredet habe, hat natürlich eine Kehrseite, dass man das, was an einem Tag oder in wenigen Stunden gesendet, gesagt wird, auch nicht mehr als Ehernes und für die Ewigkeit gleichsam in Stein Gemeißeltes Gesetz nimmt. Und dann sagt man ja morgen kommen die ja schon mal wieder auf was anderes.
Leinemann: Also das finde ich jetzt schon interessant, denn da bekomme ich so ein neues Mediengefühl, als wenn wir immer hinter Ihnen her sind und Sie treiben, während Sie so das Opfer sind, das sich dem ausgeliefert fühlt.
Schröder: Nein, das wäre ja ganz falsch. Was ist ein politischer Prozess? Ein politischer Prozess definiert sich durch Entscheidungen, die ich zu treffen habe, die das Parlament zu treffen hat, die die Opposition zu treffen hat. Aber Teil des politischen Prozesses ist doch auch die Vermittlung dessen, und Vermittlung heißt ja nicht einfach, Leuten zu sagen, das ist ja alles prima was die machen, sondern intendiert Kritik ja auch. Insofern fühl ich mich nicht als Opfer, aber ich bin ja gefragt worden, ob die nicht geringe Kritik sozusagen abprallt oder nicht abprallt. Ich will einfach sagen, ohne dass ich mich als Opfer begriffe, prallt es nicht ab, das will ich nur deutlich machen. Aber das hat nichts mit Jammern zu tun. Ich habe immer nach dem Prinzip gearbeitet: „Wem es in der Küche zu heiß ist, der soll nicht Koch werden.“
Jürgs: Dann nehme ich ja gleich diesen Zusammenhang auf, denn in der letzten Woche stand in der Newsweek eine wunderbare kleine Meldung, … schreibt, den Sie ja auch ganz gut kennen, dass der Kanzler Schröder, so lange er Kanzler ist, auf diesem Stuhl im Weißen Haus nicht mehr erwünscht ist. Wie reagiert man auf solche Meldungen oder nimmt man die gar nicht zur Kenntnis?
Schröder: Die habe ich gar nicht gelesen. Jetzt haben Sie mir’s erzählt und wie soll ich darauf reagieren? Gar nicht. Weil, wenn ich da begänne, darauf zu reagieren, da wird jetzt ja viel geheimnist. Da werden Offizielle zitiert und alles so etwas, da habe ich mir wirklich zu Prinzip gemacht, gar nicht darauf zu reagieren.
Jürgs: Was lesen Sie eigentlich selbst, was wird Ihnen vorgelegt? Gibt es einen Pressespiegel oder lesen Sie selbst ganz bewusst?
Schröder: Ich lese einen Packen Zeitungen jeden Morgen. Ich sollte jetzt nicht die einzelnen Titel nennen, weil diejenigen, die nicht genannt sind, sich dann vielleicht beleidigt fühlen, aber das sind so 6 oder 8 Zeitungen. Und dann gibt es natürlich jeden Morgen so eine Auswahl von Presseberichterstattungen gedruckter Medien. Was gesendet wird, wird sicher auch mitgeschrieben, aber das ist so wenig direkt dann, dass, wenn man es ließt, man sich überhaupt fragt, warum es gesendet worden ist (Gelächter). Das ist wirklich ein Unterschied. Wenn Sie ein Hörfunkinterview oder ein Fernsehstatement nachlesen, ist das völlig anders, als wenn Sie es selber hören oder gar selber sprechen. Insofern, das wollte ich damit sagen, lese ich nicht Interviews, es sei denn, da ist ein Bolzen drin, den ich zur Kenntnis nehmen muss, den krieg ich dann vorgelegt.
Leinemann: Ergibt sich die Reihenfolge ihrer Lektüre aus der Größe der Buchstaben?
Schröder: Nee, soll ich mal sagen, was oben liegt? Das ist Financial Times Deutschland (Gelächter). Jetzt gibt es schon eine Schlagzeile.
Jürgs: Davon lebt die eine Woche jetzt.
Schröder: Darum habe ich das ja gesagt.
Jürgs: Und die berühmte Zeitung, die Sie früher nannten, das ist wichtig, Bildung, BAMS und Glotze. Ist die BILD-Zeitung etwas, was Sie täglich ärgert, ist die BILD-Zeitung etwas …
Leinemann: Lassen Sie ihn ruhig konkret werden!
Jürgs: … was Sie montags besonders ärgert, wenn dort bestimmte Kolumnisten schreiben?
Schröder: Nein, das wäre ganz falsch. Ich lese das, ich überfliege das. Das muss man ja auch nicht lesen. Wenn man das überfliegt, dann weiß man ja, welche Tendenz das hat und mit einzelnen Formulierungen muss man sich ja nicht auseinandersetzen. Natürlich lese ich dieses Blatt, das ist doch gar keine Frage. Muss man lesen. Was heißt lesen? Zur Kenntnis nehmen. Und das gehört zu dem selbstverständlichen Packen, den man sich da jeden Morgen auflädt.
Jürgs: Kann eine Kampagne in BILD etwas ändern an Machtverhältnissen oder muss man das hinnehmen?
Schröder: Also jetzt, ich glaube, dass diese Art von Journalismus Einstellungen verstärken kann. Aber ich glaube, es ist ein Irrtum, wenn man dort glaubt, dass man welche schaffen könnte. Wann immer man das versucht, muss man ganz besonders auf die Auflagenkurven kucken.
Leinemann: Ist denn für Sie die Lektüre von Zeitungen oder das Gewicht von Pressemeldungen wichtiger als das Fernsehen oder kann man das überhaupt nicht vergleichen?
Schröder: Das kann man nicht sagen. Also zunächst einmal ist ja klar, das Fernsehen ist ein Medium, das gut ist und gefährlich in gleicher Weise. Gut deswegen, weil man sehr direkt und sehr als individuelle Person faktisch ins Wohnzimmer der Menschen kommt. Diese Chance haben Sie ja sonst überhaupt nicht und Sie sind im Fernsehen kaum zu manipulieren, wenn Sie sozusagen direkt interviewt werden. Weil die Direktheit, mit der Sie zu den Menschen kommen, ist ja kaum zu überbieten. Das ist ja bei gedruckten Medien anders, das ist ja viel vermittelter als im Fernsehen. Die Gefahr beim Fernsehen ist, dass Sie sich natürlich auch sehr viel schneller vergaloppieren können, Falsches sagen können. Sie werden im Fernsehen ja nicht nur nach dem, was Sie sagen, bewertet, sondern vielleicht sogar noch mehr, wie Sie’s sagen und wie das Erscheinungsbild ist, das Sie abgeben. Und das hat ein Problem im Fernsehen, das, glaube ich, ist so eine Leitlinie, wenn ich bei einer Politikerinnen- oder einer Politikerschule zu referieren hätte, wenn es so etwas gäbe, es gibt ja Journalistenschulen bei uns, bei uns gibt es ja so was nicht.
Leinemann: Das merkt man übrigens. (Gelächter)
Schröder: Die unterschiedliche Qualität von Journalistenschulen auch, Herr Leinemann. Ins Fernsehen können Sie eigentlich nur gehen, wenn Sie einer Sache völlig sicher sind. Wenn Sie nicht so ganz sicher wissen, was Sie da eigentlich rüberbringen wollen, empfiehlt es sich, das nicht zu tun, weil, das ist das direkteste und deswegen in diesem Sinne unbestechlichste Medium, das es gibt. Sie können nichts zurückholen, jedenfalls nicht in Live-Sendungen und wenn sie kommen und sagen: „Lassen Sie uns die Aufzeichnungen noch mal machen“, wirkt das auch komisch. Das ist sicher der schwierigste Weg.
Jürgs: Wenn Sie nun dieses Spiel durchschaut haben, Journalismus und Politik und Symbiose, und mehr und mehr dazu gelernt haben, dann benutzt man es ja auch. Also ich erinnere mich an einen „Spiegel“-Titel „Blauhelme“, das kam im richtigen Moment zur richtigen Zeit.
Schröder: Das ist unterschiedlich wahrgenommen worden.
Jürgs: Ich nehme mal an, ich würde es so wahrnehmen, dass man den „Spiegel“ benutzt hat, um am Montag eine Geschichte zu haben, die man sonst nicht gehabt hätte, um von anderen Dingen abzulenken. Das müssen Sie jetzt weder dementieren noch bestätigen, aber ich wollte nur hinaus darauf, das Spiel ist ein wechselseitiges Spiel.
Schröder: Ich will jetzt nicht über den konkreten Fall reden, der hat viele Facetten. Wirklich wahr. (Gelächter)
Leinemann: Glaube ich auch. (Gelächter)
Schröder: Aber gut. Dahinter steht ja die Frage, versucht man als politischer Mensch, als jemand der ein Amt hat, die Medien zu instrumentalisieren, für was auch immer? Das will ich nicht ausschließen, dass das geschieht, nur das geht nicht lange gut. Darüber muss man sich im Klaren sein.
Jürgs: Das geht nicht immer gut.
Schröder: Ja, es geht nicht immer gut und es geht nicht lange gut, wenn man es macht. So etwas spricht sich rum. Man kann ein Ergebnis erzielen wollen, das ist, glaube ich, auch zulässig mit einer bestimmten Information. Aber die Information muss richtig sein. Manipulation ist weniger, eine Berichterstattung hervorzurufen mit einer richtigen Information. Das ist ja eher Pflicht von Ihnen, wenn Sie sie kriegen umso besser. Ich halte es für erlaubt, mit einer Information die richtig ist, so umzugehen, dass man sie zur richtigen Zeit gibt, und zwar zu der Zeit, wie es einem selber vernünftig erscheint. Aber den Versuch zu machen, eine Berichterstattung mit einer falschen Information zu erzielen, das macht man einmal, glaube ich, oder auch zweimal, aber dann ist Schluss, weil das spricht sich rum, bei Ihnen, bei Ihren Kollegen. Zu Recht im Übrigen und das beendet dann das, was Sie Spiel nennen, was ich nicht als Spiel begreife. Da gibt es auf beiden Seiten eine gewisse Verantwortung für das, was wir demokratischen politischen Prozess nennen, und den muss ich genau so im Auge haben wie Sie übrigens auch.
Leinemann: Spiel ist doch nur so ein Begriff, um einen geregelten Ablauf zu beschreiben. Wie würden Sie denn die Beziehung zwischen Politikern und Journalisten bezeichnen?
Schröder: Es gibt ja weder den Journalisten noch den Politiker. Insofern glaube ich, gibt es keine allgemeinen Grundsätze. Aber ich habe Zweifel. Ich glaube, das Tempo, das heute so extrem zugenommen hat, legt nahe, dass man mehr an Informationen zu verarbeiten hat und mehr mitbekommt. Aber es hat auch zu allen Zeiten, glaube ich, sehr enge Beziehungen zwischen handelnden Politikern und einzelnen Journalisten gegeben. Und wenn mal die Geschichte, in Teilen ist ja geschrieben, des Entstehens der Ostverträge sozusagen unter diesem Aspekt berichtet würde, dann würde man sicher, und zwar speziell unter diesem Aspekt, dann würde man sicher feststellen, dass ein Teil der seinerzeit so klaren und auch so historisch notwendigen Unterstützung von Spiegel und Stern beispielsweise, auch was mit Nähe der handelnden Personen zu tun gehabt hat, ich glaube das kann man nicht ernsthaft bestreiten, wenn man sich mal überlegt, wie diese gesellschaftliche Unterstützung, die so notwendig und richtig war, zustande gekommen ist. Also das gibt es glaube ich immer wieder, und ich würde mein Verhältnis zu Journalismus als ein Arbeitsverhältnis beschreiben, bei dem jede Seite weiß, dass man aufeinander angewiesen ist. Gleichwohl entwickeln sich in einem langen politischen Leben zwischen Politikern und Journalisten auch Freundschaften, das ist doch ganz klar. Man soll doch jetzt nicht so tun, als sei das Amt unabhängig zu sehen vom Menschen, und zwar auf beiden Seiten. Es kann so etwas sich entwickeln, und dann soll man das auch zulassen. Nur muss man dann eine Konsequenz daraus ziehen. Also wenn man über einen gewissen Zeitraum enger miteinander ist, als es dieses Arbeitsverhältnis ausdrücken kann und soll, dann kann man immer noch Informationen verwerten. Man muss besonders sensibel sein, wenn man sie aus Freundschaft und wegen der Freundschaft erlangt. Es muss klare Verhältnisse zwischen denen geben, um die es da geht, aber man sollte nicht mehr schreiben müssen oder senden müssen, oder Porträts machen müssen über denjenigen, dem man besonders freundschaftlich verbunden ist. Das geht schief, und zwar immer zu Lasten des Politikers. Weil derjenige, der das als Freund schreibt, natürlich besonders kritisch schreibt, weil er sich von den Kollegen ja nicht dem Verdacht aussetzen will, er sei sozusagen vereinnahmt. Und deswegen geht es immer schief, wenn Leute, die man seit langem kennt, denen man freundschaftlich verbunden ist, womöglich noch psychologisierend über einen schreiben.
Leinemann: Ich denke, wir sollten dieses ein bisschen konkretisieren. (Gelächter)
Leinemann: Wir kennen uns jetzt 25 Jahre und in den Anfangszeiten sind wir uns in der Tat ziemlich nahe gewesen, die Folge ist davon genau, das haben Sie so erkannt wie ich das auch erkannt habe, dass ich 10 Jahre über Sie überhaupt nicht geschrieben habe.
Jürgs: Das heißt aber, wenn ich das aufnehmen darf, als einer, der ein bisschen weiter außen steht und Sie nicht so lange kennt (Gelächter), dass man von zwei Seiten angegriffen werden könnte: a) die, die gegen Sie politisch sind in der Presse und b) die anderen, die zeigen müssen, dass Sie ganz kritisch sind.
Schröder: Ja, das erlebe ich ja gerade.
Jürgs: Aber jetzt ernsthaft zurück. Kampagnenjournalismus hieß ja auch früher die Kampagne gegen die Ostpolitik, die ja von der BILD-Zeitung gefahren wurde, und die Kampagne, die heute gefahren wird, von anderen Blättern. Wo ist eigentlich nach Ihrer Wahrnehmung der Unterschied? Wird die SPD in Kampagnen genau so behandelt wie die Konservativen, oder gibt es da gewisse Tabus, die man bei der SPD eher verletzt als bei den Konservativen. Was fiel Ihnen da so auf in letzter Zeit?
Schröder: Also wenn ich mir das so anschaue, dann gibt es Unterschiede. Die haben sicher auch was mit einer Grundausrichtung der jeweiligen Medien zu tun. Die sind sehr deutlich und ich glaube, dass die SPD in alldem, was sie tut – auch die Grünen im Übrigen – kritischer beobachtet werden als konservative Parteien und Politiker, das könnte ich an vielen Beispielen der jüngsten Vergangenheit festmachen. Also ich glaube zum Beispiel, dass die Berichterstattung über bestimmtes persönliches Verhalten im einen wie im anderen Fall anders ist. Wenn Sie mal sehen, beispielsweise über die Frage, was ist da eigentlich gewesen, beim Untergang und bei dem, was sich mit dem Kirchmedium verbindet. Ich denke mir mal, wenn die Zahlungen, die offenbar, ich muss ja zurückhaltend sein, an Sozialdemokraten geleistet worden wären, die an konservative Politiker geleistet worden sind, hätte das eine andere Rolle gespielt in den Blättern, über die wir hier geredet haben. Ich bin da ganz sicher, dass das so gewesen wäre, aber das bringt ja nichts, wir müssen ja mit dem Umfeld umgehen, das es gibt und nicht das, das Sie sich wünschen, und in insofern habe ich nicht zu denen gehört, die sozusagen gegreint haben deswegen. Ich weiß das und ich stell mich darauf ein. Aber es ist nicht so, dass man sagen könnte, dass es eine Gleichbehandlung gäbe, das, glaube ich, wäre wirklich beschönend, wenn man das so sehen würde.
Jürgs: Ist es auch ein Reiz zu sagen, jetzt erst recht, auch wenn sozusagen „Viel Feind viel Ehr“, nun kämpfe ich erst richtig.
Schröder: Man hätte ja manchmal lieber weniger Feind und dann, wenn das ein Zusammenhang ist, der kausal ist, dann auch meinetwegen weniger Ehr. Es ist schon so, dass die, die glauben, mit einer bestimmten Qualität von Berichterstattung, die bis weit ins persönliche hineingeht, könnten sie sozusagen destabilisierende Wirkungen erzielen bei der Person, gar bei mir, die irren gründlich, das ist nicht zu machen. Das hat man natürlich auch gelernt in langen Jahren politischer Arbeit, so eine gewisse innere Stabilität gegenüber Angriffen, zumal auch dann, wenn man sie als nicht gerechtfertigt empfindet. Die braucht man schon, die muss vorhanden sein. Wenn die nicht vorhanden ist, sollte man sich besser nicht um Ämter in dieser Qualität mit dem, was dranhängt an Beobachtung und auch an Kritik bewerben.
Leinemann: Hat eigentlich die Tatsache, dass Sie mit einer ehemaligen Kollegin von uns verheiratet sind, Ihr Bild vom Journalismus und Journalisten verändert?
Jürgs: Oder nur von einer?
Schröder: Also das ist, nee, das hat mein Bild nicht verändert, glaub ich. Aber natürlich ist es hilfreich, wenn jemand, der 16 Jahre in ihrem Beruf gearbeitet hat, in unterschiedlichsten Bereichen der Kommunalpolitik, einer Regionalzeitung ebenso wie in Boulevard und Magazinjournalismus, wie Sie wissen. Darüber redet man, das ist doch klar. Und das erschließt einem auch neue Erkenntnisse und Möglichkeiten, das ist doch gar keine Frage.
Jürgs: Ist es denn so, dass die Politiker manchmal nicht selbst dran Schuld sind, wenn sie sich als Popstars gerieren in Wahlkämpfen und sich dann wundern, dass plötzlich alles, was sie selbst machen …
Schröder: Das stimmt. Wer zulässt – und ich bin auch nicht frei davon gewesen, muss man auch sagen, daraus habe ich gelernt – wer zulässt, dass es Homestories gibt, wer zulässt, dass Privatleben sozusagen feilgeboten wird zur Berichterstattung, der darf sich nicht beschweren, wenn das genutzt wird, das ist wahr. Aber wer genau hinschaut, der wird finden, dass es das bei uns nicht gibt, zu uns kommt niemand ins Haus, nicht weil keiner will, sondern weil wir keinen reinlassen. Und da ist wieder so ein Punkt. Diejenigen, die Journalisten sind und als Gäste eingeladen werden, die sind da als Freunde und nicht als Journalisten und halten sich auch daran. Da bin ich auch noch nie enttäuscht worden. Der Punkt ist richtig, aber genau umgekehrt muss gelten, wenn man das nicht tut, erwirbt man auch ein bestimmtes Recht, geschützt zu bleiben in dem Bereich. Ich würde sogar weiter gehen, was die Rechte der Presse angeht. Wer öffentliche Ämter ab einer gewissen Stufe bekleidet, der muss damit rechnen, dass nicht nur das, was er in seinem Berufstag tut, beobachtet wird, sondern natürlich auch sein Umfeld, das muss er akzeptieren. Aber je mehr die Berichterstattung weggeht von den beruflichen Dingen, also von den politischen Entscheidungen, desto sorgfältiger muss sie sein. Und ein Recht, Lügen zu verbreiten, das kann niemand für sich in Anspruch nehmen. Ich hoffe, dass das auch hier so gesehen wird, denn dann muss man sich mal fragen, was mit einem selber passiert, wenn solche erfundenen Geschichten, die das Persönliche betreffen und die ja dann nicht immer die eine Figur betreffen, sondern das ganze Umfeld, das sich überhaupt nicht wehren kann, das familiäre Umfeld, ich glaube, das ist die Grenze, die muss eingehalten werden. Ist manchmal schwierig. Das hat auch ein bisschen was zu tun mit dem Beruf, mit dem was man Intus seines Berufes nennt, was heute gelegentlich weniger ernst genommen wird. Das sind meine Beobachtungen, also in der Vergangenheit, aber vielleicht kriegt man ja wieder was …
Leinemann: Können Sie was mit dem Begriff „Herdenjournalismus“ anfangen?
Schröder: Ja gut, das hat ja nun ein Journalist geschrieben oder ein Herausgeber, wenn ich das richtig sehe. Ich nehme an, dass er sich da auf Erfahrungen stützt. Aber sagen wir mal so. Dass bestimmte Trends gesetzt werden, die man dann nachvollzieht, denen man dann die eine oder andere Arabeske hinzufügt, ich glaube das ist eine Beobachtung, die man nicht völlig von der Hand weisen kann. Ob man das mit dem Begriff belegen sollte, das würde ich auch erst tun, wenn ich das Amt hinter mir hätte. (Gelächter)
Jürgs: Wie gezielt setzen Sie denn Trends? Gibt es da richtige Strategien, dass man sagt, dieses wollen wir jetzt rüberbringen?
Schröder: Es gibt die mehr oder minder geglückten Versuche einer politischen Entscheidung, zumal wenn sie wichtig ist, einen Kommunikationsprozess vorausgehen zu lassen und natürlich die Entscheidung, selber geeignet zu kommunizieren. Also nehmen Sie mal so eine Rede wie am 14.3. mit der Agenda 2010. Da kam es darauf an, deutlich zu machen, von diesem Zeitpunkt an ändert sich was. Dann gibt es aber immer eine Gefahr. Wenn sich der Zeitpunkt zu sehr ins Auge fassen lässt und dabei auch noch hilfreich ist, wird man leicht überfordert mit dem
Leinemann: Sie produzieren Enttäuschung.
Schröder: Ja, produzieren Enttäuschung, aber ich bin ja nicht Herrscher der Kommunikation allein. Ich kann Anlass setzen und dann geht das ganze ja los, ohne das ich das noch in der Hand hätte. Aber das ist ja dann Ihre Geschichte, das ist die eine Gefahr und die andere Gefahr ist natürlich, dass etwas, was Sie tun und nicht tun wollen, nicht hinreichend wahrgenommen wird. Einmal Sie produzieren Überforderung mit einer Kommunikationsstrategie, wenn die ernst genommen wird und richtig dann noch weiter getrieben wird und das ist ja Sache von Journalisten. Und die andere Gefahr ist, es verpufft. Weil Sie eine solche Kommunikationsstrategie nicht hatten und im nachhinein, etwas, was nicht richtig zur Kenntnis genommen worden ist, zur Kenntnis zu bringen. Das ist ein sehr schwieriges Stück von Kommunikation, glaube ich überhaupt, was es gibt, gelingt fast nie, es sei denn, Sie kriegen es hin, eine solche Entscheidung zum zweiten Mal zu dramatisieren, über irgendwelche Personalquerelen, die damit verbunden wären, über bestimmte andere Ereignisse, auf die man kommen könnte, aber das ist das schwierigste. Was vergessen ist, wieder vorzuholen, ist, glaube ich, der schwierigste Teil einer Kommunikationsstrategie. Leichter ist es, zu einem Punkt Aufmerksamkeit zu lenken, an dem Sie das wollen.
Leinemann: Sie haben gesagt, es muss eine Situation wirklich für alle ganz katastrophal sein, bevor sich in diesem Lande etwas ändern lässt, so sinngemäß.
Schröder: Ja, sehr sinngemäß.
Leinemann: Also ich habe das so verstanden.
Schröder: Darf ich mal sagen, Herr Leinemann, genau das ist auch einer der Geschichten, über die man mal reden muss (Gelächter). Also da gibt es ein Zitat, das so, wie er es jetzt gesagt hat, nie gefallen ist. Wenn ich das unwidersprochen ließe, dann wäre es eins.
Leinemann: Ich habe das aber nicht als Zitat gesagt.
Schröder: Verstehen Sie, was ich damit ausdrücken will, ist Folgendes. Man sagt, was den Reformprozess in Deutschland angeht und das halte ich für richtig, wir sind unbeweglicher als wir sein dürften, weil wir ein reiches Land und nicht ein armes Land sind. Wir sind, und das hat damit zu tun, dass die Menschen in einem reichen Land – natürlich abgestufte Formen von Möglichkeiten wirtschaftlicher Art da sind und das soll ja auch so bleiben -, dass dort viel mehr als in anderen Ländern etwas zu verlieren haben. Und also jeder meint, das halte ich jetzt fest, was wir vielleicht zum ersten Mal in der deutschen Geschichte machen, Wohlstand dieser Art gibt, will jeder das, was erreicht worden ist, festhalten, muss man verstehen, muss nur das argumentieren, muss es nur behalten können, wenn du dich der Veränderung, die notwendig ist, nicht entgegenstellst. Das ist aber ein anderes Thema, bezogen ist hier drauf, ich hab das immer so gesagt, wie hier, so wie Sie’s jetzt wiedergegeben haben, sehr verkürzt, ich halte das für zulässig, habe ich sozusagen gesagt, es muss erst eine Katastrophe kommen, bevor wir Politik machen können. Das ist aber gar nicht meine Auffassung, übrigens erst recht nicht meine Aufgabe.
Leinemann: Das war Strauß. Das war Franz Josef Strauß, der hat das so gemacht.
Jürgs: Aber es heißt doch, dass in solchen Momenten eine Presse hilfreich wäre die sagt, ja es ist Zeit für eine Reform.
Schröder: Nein, nein, das geschieht ja auch. Und sagen wir mal, das, was dort an teilweise auch zu weitgehender Unterstützung sehr abstrakt häufig ausgedrückt worden ist und deswegen für die konkreten politischen Entscheidungen nicht immer hilfreich ist, ist aber generell nicht zu beklagen, weil eingefordert worden ist, von den Journalisten, also von einer der geliebten dieser Gesellschaft in Übereinstimmung
Jürgs: Das gilt aber auch für Politiker.
Schröder: Das gilt auch für Politiker, in der Tat. Und wenn dann so ein Veränderungsprozess eingefordert wird, ist dagegen nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil, das kann man als kommunikative Unterstützung begreifen, wenn man es hinbekommt, das, was sozusagen dort so radikal ohne konkret zu sagen, wo und wer denn betroffen worden ist, eingefordert wird, wenn man es schafft, sozusagen, die konkreten Einscheidungen, die nötig und möglich und unter den Machtstrukturen dieser Republik durchsetzbar sind, in etwa in einem Kontext zu halten, mit dem, was abstrakt an Veränderung eingefordert wird, das ist ja dann die Kunst, die wir zu leisten haben. Das man das, was es an Stimmung für einen Veränderungsprozess gibt, auffängt in den konkreten Entscheidungen, hier in Agenda 2010, ohne dass der Veränderungswille, der abstrakt sichtbar geworden ist, Enttäuschung findet, in den konkreten Umsetzungen die man macht. Denn dann kriegt man wieder das Problem, dass man eine allgemeine Unterstützung hat, aber an konkreten Dingen rumgenörgelt wird.
Jürgs: Dazu wäre es natürlich sinnvoll, wenn man jeden Tag eine Regel abschafft und die der BILD-Zeitung exklusiv gibt, dass man immer dieses Echo hat.
Schröder: Irgendwie, Herr Jürgs, müssen Sie ein gebrochenes Verhältnis zur BILD-Zeitung haben.
Jürgs: Wir hatten, Herr Schröder, um wieder ganz ernsthaft zu werden, davon gesprochen, dass natürlich früher es andere Tabu-Grenzen gab, dass manches einfach nicht berichtet worden ist, und zwar diese Symbiose von Journalisten und Politik, die sich gemeinsam an gewisse Grenzen hielt, die nicht überschritten worden sind. Wann hat sich das eigentlich geändert nach Ihrer Wahl?
Schröder: Ich glaube, das hat sich in Deutschland langsam geändert. Ich erinnere an Berichterstattung, die ins Persönliche ging, die mich nicht betroffen hat, die ich aber amüsiert zur Kenntnis genommen habe seinerzeit. Da gab es die einen, die schon länger, meistens Boulevard-Presse – es ist auch schwieriger für die, was zu verschweigen, weil sie sehr stark von solchen Ereignissen natürlich auch leben, auch wirtschaftlich leben – da gab es die, die das berichteten und dann gab es die anderen, die schrieben Artikel, „was wir nie wieder lesen wollen“. Und dann wurde die ganze Chose in dem Artikel berichtet, das war nur eine andere Überschrift, und das hat sich inzwischen bedauerlicherweise angeglichen, aber nicht in Richtung, was wir nie wieder lesen wollen, sondern in die andere Richtung. Das muss zu tun haben – aber das können Sie besser beurteilen als ich – mit der doch härter gewordenen Konkurrenz. Was mir jedenfalls riesige Sorgen macht, ist die wirtschaftliche Situation von Zeitungen, und zwar allen Zeitungen, unabhängig davon, ob mir die Leitartikel passen oder nicht. Ich denke, man wird in der nächsten Zeit, wir haben ja in Deutschland eine Zeitungslandschaft, die so vielfältig ist, wie es sie in keinem europäischen und auch in keinem außereuropäischen Land gibt. Ich halte das für ein Stück Kultur in Deutschland, wir werden drüber reden müssen, wie kriegen wir hin, dass angesichts des Entzugs von Einnahmemöglichkeiten, etwa in der Werbung, die strukturellen Veränderungen von Anzeigen in Zeitungen und der Weg zum Internet sind sichtbar und werden wahrscheinlich vollständig auch nie wieder sich ändern und wir müssen uns einfach darüber unterhalten, welche politischen Rahmenbedingungen müssen gesetzt werden, um das Überleben einer möglichst vielfältigen Zeitungslandschaft, auch wirtschaftliches Überleben – daran müssen auch Journalisten Interesse haben – zu ermöglichen. Ich hoffe, dass wir eine solche Diskussion, mit denen, die nicht nur Zeitung machen, also mit Ihnen, sondern auch mit denen, die sie verlegen, in Gang setzen. Wir sind jedenfalls dazu bereit. Wenn man sich mal die Schwierigkeiten in den Zeitungen unterschiedlichster Couleur anschaut, dann ist das ein strukturelles Problem. Es mag bei dem einen oder anderen Fall auch Missmanagement dazukommen, das kann man nicht bestreiten, soll man auch nicht, aber ich glaube die strukturellen Probleme überwiegen und da müssen wir dann ran, ohne dass wir Subventionstöpfe aufmachen könnten und wollten. Dass wollen ja auch diejenigen, die unabhängig bleiben, sicher nicht. Aber ich glaube, wir haben in Deutschland einen Nachholbedarf, was die Klärung dieser Frage angeht und ich hoffe, dass wir möglichst bald, mit denen, die da verantwortlich sind, ins Gespräch kommen. Und so ein Gespräch sollte auch nicht zwischen Politik und Verlegern allein geführt werden, sondern es sollten die Journalisten genauso beteiligt sein. Ich habe jedenfalls ein großes Interesse daran, dass das möglichst schnell in Gang kommt. Ich will jetzt keine weitergehenden Ankündigungen machen, man wird auch überprüfen müssen, ob die spezifischen Rechtsvorschriften, die wir zum Schutze einzelner Titel gemacht haben, der gewandelten Wirklichkeit, was die wirtschaftlichen Fragen angeht, noch standhalten. Ich hab da meine Zweifel, aber wie gesagt, dass wäre zu klären im Rahmen einer solchen Diskussion, zu der wir einladen werden.
Leinemann: Haben wir jetzt so Undercover über die Situation in Berlin geredet?
Schröder: Nein, überhaupt nicht. Das wäre auch wirklich töricht, wenn ich darüber redete. Dass ist einer jener Fälle, wo es eine politische Richtlinienkompetenz nicht gibt und von daher ich auch aus guten Gründen nicht darüber reden muss und auch nicht darf. Denn Entscheidungen, die beantragt sind, sind Entscheidungen des Wirtschaftsministers als Behörde und nicht Entscheidungen etwa, die im Kabinett zu erörtern oder zu treffen wären oder wo ich eine Richtlinienkompetenz in Anspruch nehmen könnte. Täte ich das, würde ich den Anwälten auf allen Seiten wunderbare Munition liefern. Deswegen haben wir heute über alles geredet, nur darüber nicht.
Leinemann: Sehen Sie eigentlich eine ähnlich Besorgnis erregende Entwicklung auf dem Fernsehmarkt?
Schröder: Nein, dass kann ich nicht finden. Ich denke, dass wir in Deutschland ganz gut dran sind mit der Tatsache, dass wir zwei öffentlich-rechtliche Programme haben. Ich überschaue nicht die betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten dort, ich will jetzt keine Gebührendebatten führen oder so, dafür bin ich auch völlig ungeeignet, weil ich überhaupt nicht zuständig für den ganzen Bereich bin, aber ich finde die Situation ist ganz glücklich. Und dann gibt’s zwei private Programme, die sind zufrieden. Dem einen geht’s ja wirklich gut, wenn ich die Zahlen zur Kenntnis nehme. Also RTL, denen geht’s ja glänzend. Das zeigt, dass neben dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen in zwei Programmen Privates über Werbung finanziert möglich und erfolgreich sein kann und meine Hoffnung ist, dass die andere sog. Senderfamilie unter den neuen Eignern ähnlich erfolgreich ist . Prinzipiell muss das möglich sein. Ich glaube auch nicht, dass diese Art von Wettbewerb dem öffentlich-rechtlichen Bereich schadet. Im Gegenteil.
Jürgs: Gehen wir mal zurück zu Macht und Medien. Was glauben Sie eigentlich, welche Macht Medienmächtige haben. Natürlich eine verlierende, weil Chefredakteure fliegen etwa so raus wie Bundesliga-Trainer oder verlieren ihr Amt wie Politiker. Welche Macht haben die? Wo ist die Macht für Sie so spürbar, dass Sie praktisch sagen, bei allem was ich glaube, machen zu müssen, ich glaube, ich muss das und das ändern, weil die sind zu starr. Gibt es da konkrete Beispiele?
Schröder: Also das mag es geben, dass, wenn man bestimmte Widerstände, die aufgebaut werden, sich so anschaut, dass man unterbewusst darauf reagiert. Aber ich würde keinem raten, eine Entscheidung zu korrigieren, die er innerlich für richtig hält zu korrigieren, nur weil sie uno sono oder in Berlin auf ein schlechtes Echo trifft. Wenn das angefangen wird, dass man sagt, also da macht einer eine Mut- oder Wutkampagne, was auch immer gerade da ist, und man sagt, oh, dass kann aber schief gehen und da streich ich die Segel, das macht keinen Sinn, es sei denn, man kommt durch einen öffentlichen Diskurs zu der Auffassung, die Entscheidung, die man getroffen hat, ist deswegen zu korrigieren, weil sie falsch ist, also das muss möglich sein. Aber dann ist es nicht ein Ergebnis einer Kampagne, sondern Ergebnis eines Prozesses des Nachdenkens in einem öffentlichen Diskurs und das hat dann was mit diesem Begriff zu tun, der so ein bisschen höhnisch wie zynisch benutzt wurde, den der Nachbesserung. Ich selber glaube ja, dass man noch sehen wird, dass Gesetze, die zu tun haben mir der Reaktion von Politik auf eine sich rasant verändernde ökonomische Basis unserer Gesellschaft, dass solche Gesetze kürzere Lebensdauer haben und haben müssen, als das in der Vergangenheit der Fall war. Insofern glaube ich übrigens auch, dass dieser Prozess, dass Politik sehr viel mehr Prozesscharakter auch sichtbar haben wird in Zukunft als jemals zuvor. Denn wenn die Zyklen an der ökonomischen Basis einer Gesellschaft Produktzyklen, Entwicklungszyklen, sich sehr viel schneller verändern als je zuvor in unserer Geschichte und das eher zunehmen als abnehmen wird, dann besteht die Aufgabe, die politischen Subsysteme entlang dieser Veränderung jedenfalls zu überprüfen, permanent. Und dann kann es sein, muss nicht sein, aber dann kann es sein, dass die Anpassungsvorgänge auch schneller ablaufen müssen, als das je zuvor notwendig gewesen ist. Und dann wird man natürlich mehr und mehr Gesetze machen mit Verfallsfristen, weil man sie einfach auslaufen lassen muss, wenn sie diese Funktion nicht mehr haben oder die Nachbesserung von Gesetzen kriegt dann eine neue und dann positive Qualität, weil das objektiv notwendig ist, nicht nachzubessern, aber auf immer rascher eintretende neue Konstellationen zu reagieren.
Jürgs: Das würde aber bedeuten, dass Sie unentwegt tätig sein müssten, um Aufklärung in diese Richtung zu leisten.
Schröder: Ja, das bedeutet zunächst einmal, dass es die Sicherheiten, die man früher als selbstverständlich angesehen hat, über Jahre und Jahrzehnte, dass es die nicht mehr gibt. Das ist ja auch das Problem, das wir gegenwärtig haben, dass die Menschen in Deutschland spüren, die Gewissheiten kommen ins Wanken und man spürt, dass sich was verändern muss. Man will sich auf der anderen Seite auf den Prozess der Veränderung deshalb nicht einlassen, weil man genau nicht weiß, ob es besser oder schlechter wird, und das was gut ist, gern festhalten möchte. Insofern, Herr Leinemann, ist dieser Prozess der Veränderung in der Tat dauerhafter und damit der Prozess der Aufklärung.
Leinemann: Also mir scheint im Augenblick ja eine Hauptschwierigkeit auch im Umgang zwischen Medien und Politik darin zu bestehen, dass die Wahrnehmungen der Wirklichkeit ganz weit auseinandergehen, dass die Medien in allen Medien eigentlich ist es immer fünf vor zwölf. Bei ihnen ist es zwar schlimm, aber das kriegen die schon hin. Und bei den Leuten ist die Tatsache, dass sich überhaupt was bewegt, schon Besorgnis erregend. Und zwischen diesen drei Ebenen – alle reagieren auf ihrer Ebene – kommt es immer mehr zur Diskrepanz.
Schröder: Das würde ich als zutreffende Beschreibung ansehen. Aber die Frage ist ja, man kann ja nicht bei der Beschreibung stehen bleiben. Es ist richtig, was Sie kritisieren, dass in der Berichterstattung all zu sehr dramatisiert wird. Das ist natürlich auch eine, wie soll ich sagen, Zuspitzung, ist Teil des Berufes denke ich, während bei uns Zuspitzung gelegentlich Teil des Berufes ist, aber natürlich nicht immer, das ist auch ein Stück Vertrauen und Hoffnung in die Lösbarkeit von Problemen deutlich werden lassen. Und sie sind ja auch lösbar, und das Dritte ist, ich glaube, es gibt die Menschen, die Informationen bekommen und denen Sie bei der Verarbeitung helfen, wissen schon genauer zu unterscheiden, sonst würden ja alle Kampagnen „erfolgreich“ sein. Sie sind es ja nicht, insofern gibt es schon ein Differenzierungsgebot. Aber das Grundproblem ist in der Tat, dass wir zumal in Deutschland die Neigung haben, eine Veränderung nicht nachdrücklich und klar einzufordern, sondern sie zu verbinden mit einer Weltuntergangsstimmung und da finde ich im Moment die Kritik an dieser Kritik berechtigt. Das war sehr hilfreich, dass mal gesagt worden ist, verdammt noch mal, in welchem Land leben wir eigentlich. Wir beklagen Wachstumsraten zu Recht, wir beklagen hohe Arbeitslosigkeit noch mehr zu Recht. Aber verglichen mit dem, was dem zugrunde liegt, z. B. dass wir seit zwölf Jahren, ohne zu murren vier Prozent unseren Bruttoinlandproduktes von West nach Ost transferieren, dabei parallel ein Viertel des europäischen Haushaltes zu finanzieren, ohne dass die deutsche Wirtschaft auf den Märkten der Welt etwa Terrain verloren hätte, im Gegenteil, alle haben ja damit gerechnet, dass das der Fall sein würde. Das Gegenteil ist eingetreten, das zeigt eine ungeheure Kraft, und gelegentlich wäre es natürlich hilfreich, wenn in der Kritik auf diese Kraft hingewiesen würde. Dann kann man ja immer noch sagen, das habt ihr nicht schnell genug und nicht entschieden genug gemacht. Also dieses Wechselspiel zwischen der Vermittlung, Lösbarkeit der Probleme und der Beschreibung der Probleme, das klappt noch nicht so bei uns.
Jürgs: Hätten Sie manchmal Lust, die Maßstäbe, die Journalisten, also wir, anlegen, an Politiker umgekehrt anzulegen?
Schröder: Ja, das werde ich machen, wenn ich, ja wann, kann ich Ihnen ja nicht sagen (Gelächter), das werde ich machen, wenn ich aufgehört habe, aktiv politisch zu arbeiten und dann so mit großer Freude.
Jürgs: Eine ganz persönliche Frage zum Schluss. Sie wirkten auf mich in manchen Monaten der letzten Zeit ausgebrannt. Nun habe ich nicht erst seit 14. März, seit der Agenda 2010, das Gefühl von Lust auf Kämpfen. Kann es also sein, dass Sie entweder sagen, ich ziehe die Karre nun aus dem Dreck und Ihr macht mit oder wenn Ihr nicht mit macht, mach ich mir einen schönen Sommer und bin weg.
Schröder: Das ist eine schöne Fangfrage.
Jürgs: So war das gedacht.
Schröder: Also erstens, was heißt ausgebrannt? Das Problem des letzten Wahlkampfes war, dass er in einer Weise personalisiert worden ist, und zwar mit allen Konsequenzen, wie wahrscheinlich nie einer zuvor.
Leinemann: Und zwar auch von Ihnen.
Schröder: Ja klar, was sollte ich aber auch machen? (Gelächter) Ich will das begründen. Wir hatten, und entgegen dem, was ich gelegentlich gelesen habe, wir hatten diese Wahl auf der Ebene der Parteienkonkurrenz faktisch verloren. So. Und wir haben sie dann auf der Ebene der Personenkonkurrenz gewonnen. Das war allerdings seit April, Mai im letzten Jahr ziemlich klar, dass man das auf der Ebene der Parteienkonkurrenz nur noch schwer würde drehen können. Aber auf der Ebene der Personenkonkurrenz schon. Und so ist es uns sehr häufig ergangen. Was bedeutet das? Das bedeutet natürlich, dass Sie nicht nur sich quälen müssen wie selten zuvor, dass müssen Sie in jedem Wahlkampf, dass Sie nicht nur im Fokus eine erhöhte Aufmerksamkeit als Person haben. Aber wer genau hinkuckt, der wird mitbekommen haben, dass die ganze Zeit über auch die Dinge begangen wurden, gegen die ich mich dann zu wehren hatte. Aus den Gründen, die ich Ihnen eingangs genannt habe. Das war eine neue Qualität, die sehr bewusst gesetzt worden ist, um auf der Ebene der Personenkonkurrenz eben nicht verlieren zu müssen. Das war schon sehr politisch gemacht und sehr infam. Dass kann man gar nicht bestreiten. Und dann kam etwas hinzu, was so früher auch nicht da war, es wurde immer auf meinen Zylinder gekuckt, den ich gar nicht habe.
Leinemann: Aber das ist kein Mittel.
Schröder: Das war auch nie so personalisiert. Ich habe immer verzweifelt nach Zylinder und Kaninchen gesucht.
Leinemann: Sie haben zu oft Hokuspokus gesagt (Gelächter).
Schröder: Wir reden ja über die Frage, wenn Sie so einen Wahlkampf hinter sich haben, dann möchte ich den mal sehen, der nicht – ausgebrannt ist das falsche Wort – aber der nicht auch erschöpft ist. Ist doch klar, wir sind doch auch keine Leute, die solchen ganz normalen Abnutzungserscheinungen nicht erlägen. Und dann war eigentlich der Rat, der mir da immer öffentlich gegeben wurde, machen Sie doch erst einmal zwei Wochen Urlaub statt Koalitionsgespräche, eigentlich ein richtiger Rat, im nachhinein ein ganz richtiger. Denn ich behaupte, wenn ich zwei Wochen weggewesen wäre, wäre das auch nicht schlechter geworden als die Koalitionsgespräche abgelaufen sind. Aber das wusste ich natürlich nicht, also konnte ich das auch nicht machen, gleichzeitig gab es, das können Sie nicht übersehen, diese sehr spannungsreiche internationale Situation, wo das Festhalten an einer bestimmten Position auch Kraft kostet, auch sehr sehr stark persönlich. Das hat sicher dazu beigetragen, dass bei dem einen oder anderen so ein Eindruck entstehen konnte, die Sache war nicht richtig, was mich persönlich angeht, aber richtig bleibt natürlich, dass der alte schöne Satz „Viel Feind viel Ehr“ schon eine Herausforderung im Grunde formuliert. Eine Herausforderung, die dazu führt, dass man sagt, das wollen wir doch mal sehen.
Jürgs: Also doch noch einmal zugespitzt, Karren aus dem Dreck ziehen gemeinsam oder macht Euren Dreck alleine, ich bleib dabei bei der Frage.
Schröder: Und ich bleib dabei, dass alles richtig war, was ich bisher geantwortet habe.
Ende der Podiumsdiskussion
Ein Reporter vom NDR (X) fragt den Bundeskanzler im Anschluss der Podimsdiskussion:
X: Herr Bundeskanzler, ein Heimspiel beim Norddeutschen Rundfunk, wie fanden Sie denn die Veranstaltung?
Schröder: Ich fand sie munter, und was die beiden Moderatoren angeht, auch auf den Punkt hin gefragt, ich hoffe, Sie waren mit den Antworten einigermaßen zufrieden.
X: Wie kann es passieren, dass Journalisten wie in diesen schwierigen Zeiten sich beschränken auf das Thema Kanzler und Medien und nicht das diskutieren, was die Bevölkerung interessiert?
Schröder: Also ich denke, dass war eine lange vorbereitete Debatte über ein bestimmtes Thema, das muss möglich sein. Die gleichen Journalisten fragen ja jeden Tag zu aktuellen Themen. Und ich glaube, wir kommen auch, so weit es geht, dem Informationsbedürfnis nach, so dass sich jeder, wie das ja sein soll, über Journalismus, aber auch über Politik ein eigenes Bild machen kann.