Liebe Kolleg:innen,

vom Journalismus-Festival in Perugia mit der Bahn nach Hause zu fahren, hat gleich mehrere Vorteile: Neben dem ersparten Flug hat man Zeit, sich dem Aprilwetter langsam anzunähern und all die Gespräche, Panels und Workshops noch einmal Revue passieren zu lassen. Mit rund 220 offiziellen Sessions und mehr als 600 Referent:innen gehört das Festival zu den größten Medienkonferenzen in Europa. Und mit jedem Jahr kommen mehr Besucher:innen hinzu; entsprechend lang sind die Schlangen vor vielen Veranstaltungen. Wie viele insgesamt dabei waren? Da sich Teilnehmende nicht anmelden müssen, weiß das niemand so genau.

Die Konferenz lohnt sich schon wegen ihrer inhaltlichen Breite: In diesem Jahr befassten sich jeweils einige Sessions mit Wahlen und Künstlicher Intelligenz, Investigation und Businessmodellen, Kriegsberichterstattung und Desinformation. Besonders spannend wurde es an den Berührungspunkten dieser Schwerpunkte – unten drei Empfehlungen mit aktuellem Bezug zum investigativen Journalismus. Mich haben auf den Panels vor allem die Kolleg:innen beeindruckt, die an ihren Recherchen festhalten, obwohl sie damit große Risiken eingehen – etwa in Ungarn, Iran oder Hong Kong. Und bei aller Kritik an derartigen Zuständen ist das Festival erfreulich konstruktiv, wenn es um den Journalismus von übermorgen geht.

Was nach den intensiven Tagen in Perugia bleibt, sind die Videoaufzeichnungen der Panels. Bis auf wenige Ausnahmen ist alles online und auch die Referent:innen sind nicht aus der Welt, nur eben nicht mehr an einem Ort, der auch spontane persönliche Gespräche ermöglicht. Diese Begegnungen sind es am Ende auch, die das Festival auszeichnen – ebenso wie die Jahreskonferenz in Hamburg oder die SciCAR in Dortmund. Wir freuen uns schon sehr darauf, Euch dort zu treffen!

 

Eure
Christina Elmer

 

 

Christinas Tipps aus Perugia

Whistleblower und KI

Das Panel „How to prepare for the AI whistleblowers?“ mit Frances Haugen (Ex-Facebook) und Tyler Schultz (Ex-Theranos) diskutierte, wie Journalist:innen die fortschreitende KI-Transformation kritisch begleiten können. Da es kaum möglich sei, die oftmals komplexen KI-Systeme von außen zu analysieren, seien direkte Kontakte zu beteiligten Entwickler:innen enorm wichtig – die müsse man aber frühzeitig aufbauen und pflegen. Natürlich stand auch die Frage im Fokus, wie Redaktionen Whistleblower unterstützen können, die traumatisiert sind oder während der Berichterstattung über ihren Fall belastende Erfahrungen machen.

Impact und Investigation

Wie kann man den Erfolg investigativer Recherchen messen? Dieser Frage gingen Anette Dowideit (Correctiv) und Steffi Dobmeier (Stern) in ihrer Session nach: „KPIs for investigative journalism: an absolute no-go?“ Schließlich sei jedes Projekt anders gelagert und die Auswahl der Themen dürfe sich nicht allein daran ausrichten, was zuletzt gut funktioniert hat. Die Diskussion zeigte, dass sich Differenzierung lohnt. Ob Aufmerksamkeit oder Zitate, Aboverkäufe, Preise oder Gesetzesänderungen: Welche Ziele eine Enthüllung potenziell erreichen könne, unterscheide sich von Fall zu Fall und sollte vorher besprochen werden – idealerweise mit dem gesamten Team.

Deepfakes und Wahlen

Die dritte Empfehlung ist ein internationales Panel, das die Gefahren von KI-Technologien für demokratische Gesellschaften thematisierte: „The AI elections“. Beispiele von Deepfakes und Desinformationskampagnen im Umfeld von Wahlen belegten die Risiken und illustrierten, wie durch Falschinformationen die Glaubwürdigkeit seriöser Quellen untergraben wird. Was können Journalist:innen dem entgegensetzen? Das Panel um Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa (Rappler) war sich einig, dass Kooperationen enorm wichtig seien, ebenso wie die Stärkung der Medien- und Digitalkompetenz. Dieses Thema wird uns sicher 2024 noch intensiver beschäftigen, global wie regional, auf Konferenzen und natürlich auch in den Redaktionen.

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Aus dem Netzwerk Recherche

Neue Runde: Förderkosmos Journalismus 2024 ab 28. Mai

Die Medienlandschaft wandelt sich: Traditionelle Finanzierungsmodelle bröckeln, während Mediengründungen boomen. Doch für die Umsetzung journalistischer Ideen braucht es vor allem eins: Geld. Außerdem kann die Förderlandschaft unübersichtlich sein. Unausgereifte Förderanträge bedeuten verpasste Chancen. In unserer digitalen Fortbildung „Förderkosmos Journalismus“ zeigen wie in vier Modulen, wie man passende Förderprogramme findet, überzeugende Anträge schreibt und nachhaltige Förderbeziehungen aufbaut. Die Fortbildung bietet Impulsvorträge mit Praxistipps, Gespräche mit Branchenexpert:innen sowie Austausch und Diskussionen mit Kolleg:innen. Ideal für freie Journalist:innen und angehende Mediengründer:innen.
Der neue Kurs läuft vom 28. Mai bis zum 19. Juni 2024 und kostet 300 Euro. Mitglieder von Netzwerk Recherche können vergünstigt teilnehmen (200 Euro). Werde jetzt schnell Mitglied! Kursanmeldungen sind bis zum 21. Mai möglich.

Independence Play: Greenhouse Report Nr. 2 veröffentlicht

Im zweiten Greenhouse Report geht Maximilian Fischer der Frage nach, wie unabhängig der Games-Journalismus berichten kann. Er zeigt auf, wie Unternehmen versuchen, Recherchen zu beeinflussen und die Berichterstattung zu steuern. Für alle Gründer:innen im Journalismus lohnt sich ein Blick auf die Erkenntnisse, die der Report über kleine, publikumsfinanzierte Indie-Medien in diesem Segment gewinnt. Diese grenzen sich bewusst von den reichweitenstarken Kiosk-Magazinen ab und betonen den Wert der unabhängigen, communitybasierten Berichterstattung. Den Report gibt es als PDF-Version, in einer Zusammenfassung auf der Website und als Podcast.

NR unterstützt Online-Petition für ein Bundes-Transparenzgesetz

Bei der Weiterentwicklung des sehr schwachen Informationsfreiheitsgesetzes zu einem echten Transparenzgesetz geht derzeit leider nichts voran. Dabei ist dieses Reformprojekt Teil des Koalitionsvertrags. Damit vor Ende der Legislaturperiode doch noch Schwung in die Debatte kommt, unterstützt Netzwerk Recherche gemeinsam mit neun weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen eine Online-Petition für ein fortschrittliches Transparenzgesetz. Einen eigenen Gesetzesvorschlag, der vor allem automatische Veröffentlichungspflichten einführt, hat das Bündnis bereits vor eineinhalb Jahren an das zuständige Bundesinnenministerium übergeben. Die Petition wurde am 16. April gestartet und läuft als Eilappell noch bis Ende Mai. Wir freuen uns über persönliche Untterstützung.

Recherchestipendium: Überbevölkerung auf den Malediven

Inmitten der Malediven, wo eine halbe Million Menschen leben, kämpft die Hauptstadt Male mit Überbevölkerung. Ein Drittel der Bevölkerung quetscht sich auf zwei Quadratkilometern. Die engen Häuser, verstopften Straßen und schlechte Luftqualität belasten das Leben. Um dem Wohnungsnotstand zu begegnen und den steigenden Meeresspiegel zu bekämpfen, werden künstliche Inseln aus Ozeansand geschaffen. Doch diese Landgewinnung, oft durch niederländische Baggerfirmen durchgeführt, bedroht das Ökosystem und die Korallenriffe, die als natürlicher Schutz gegen den steigenden Meeresspiegel dienen und auf die die Fischer angewiesen sind. Die Recherche von Christina zur Nedden und Natalie Mayrot wurde gefördert und unterstützt von Netzwerk Recherche und der gemeinnützigen Umwelt-Förderorganisation Olin gGmbH. Sie ist bei NZZ erschienen.

Netzwerk Recherche tritt ACOS Alliance bei

Netzwerk Recherche ist jetzt offiziell Mitglied der ACOS Alliance (ACOS steht für „A Culture Of Safety“). Das internationale Bündnis aus Redaktionen und Medienorganisationen setzt sich für den Schutz und die Sicherheit von Journalist:innen ein – mit besonderem Fokus auf Freie. Die brutalen Morde an den beiden Freelancern James Foley und Steven Sotloff in Syrien waren der Ausgangspunkt für Überlegungen, wie man Freie, die oft ohne Sicherheitsnetz arbeiten, besser schützen kann. Daraus entstanden die Freelance Journalist Safety Principles, denen sich auch Netzwerk Recherche mit dem Beitritt zu dem Bündnis verpflichtet hat. Zur vollständigen Meldung geht es hier.

GIJN Investigativ Check: Undercover Recherche mit Manka Heise

Undercover-Recherchen gehören zu den schwierigsten im Investigativjournalismus. Es braucht nicht nur gute Vorbereitung, sondern auch juristische Absicherung und detaillierte Nachsorge. Eine herausragende Undercover-Recherche war das multimediale Projekt „Inside Tesla“ von Stern und RTL zum Elektroauto-Riesen Tesla. Manka Heise war Teil des Reporter:innen-Teams, das die Missstände bei dem Autobauer aufgedeckt hat. GIJN Deutsch hat mit ihr gesprochen und gefragt: Wie geht das eigentlich, eine gute Undercover-Recherche? Was braucht man dafür? Und was sollte man auf gar keinen Fall tun? Welche Tipps sie noch hat, erfahrt ihr im neuen Video des GIJN Investigativ Check.

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Nachrichten

„Feindbild Journalist:in 8 – Angst vor der Selbstzensur“

Die Studie „Feindbild Journalist:in 8” des European Centre for Press & Media Freedom (ECPMF) beleuchtet die Zunahme tätlicher Angriffe auf Journalist:innen in Deutschland. Laut Studie befindet sich die jährliche Zahl von Angriffen auf Journalist:innen seit vier Jahren auf hohem Niveau, verglichen mit dem Aufkommen vor Corona: „Die Annahme, dass mit der Marginalisierung der Querdenker:innen-Bewegung und dem damit gekoppelten abnehmenden Versammlungsaufkommen auch die Zahl der Angriffe auf Journalist:innen in Deutschland sinkt, hat sich nicht bestätigt.” Als positive Gegenmaßnahme auf die gestiegene Bedrohungslage für Medienschaffende wird u. a. die Helpline hervorgehoben.

Urteil über Informationsfreiheitsgesetz

Über FragDenStaat können anonym Anträge an Behörden gestellt werden – eigentlich. Am 21. März entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass anonyme Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) unzulässig sind. Behörden können dadurch jetzt bei jedem Antrag Name und Postadresse von Antragsteller:innen verlangen. Damit können sie ihre Antworten übrigens per Post senden, auch wenn man ausdrücklich um digitalen Schriftverkehr bittet. FragDenStaat sagt dazu: „Das Urteil mutet an wie aus der Zeit gefallen”, und weiter: „Die neue Regelung dürfte zahlreiche Menschen davon abschrecken, Anfragen an Behörden zu richten. Gerade marginalisierte Gruppen möchten verständlicherweise nicht für Anfragen nach Informationen ihre privaten Adressen herausgeben.“

Veranstaltungen, Preise & Stipendien

GIJN-Webinar: Recherchieren zum Krieg im Nahen Osten

Am 30. April diskutieren Sarah El-Deeb (Associated Press), Peter Polack (Forensic Architecture) und Phil Rees (Al Jazeera) zum Thema Investigating the Israel-Hamas Conflict und teilen ihre Tipps. Die aktuellen Webinare gibt es auch zum Nachschauen auf YouTube, beispielsweise Digital Threats in 2024 Elections oder Threat from AI Audio Deepfakes.

Erinnerung: Preise und Stipendien für behinderte Journalist:innen

Die Otto Brenner Stiftung hat Preise und Stipendien für behinderte Journalist:innen ausgeschrieben. Bewerben können sich alle behinderten Menschen, die journalistisch tätig sind, unabhängig vom Ausbildungs- oder Berufsweg. Die Bewerbungsphase endet am 30. April 2024.

IJ4EU Impact Award

Investigative Journalism for Europe (IJ4EU) zeichnet mit dem Impact Award den besten cross-border Journalismus aus. Journalist:innen und Redaktionen können sich selbst nominieren. An der Recherche müssen Medienschaffende aus mindestens zwei europäischen Ländern beteiligt sein und die eingereichten Beiträge (egal, ob Print, Online, Rundfunk oder Multimedia) müssen zwischen dem 1. Oktober 2022 und dem 31. Dezember 2023 veröffentlicht worden sein. Insgesamt werden drei Projekte mit jeweils 5.000 Euro ausgezeichnet. Mehr Infos zu den Kriterien gibt es hier. Die Bewerbungsfrist endet am 2. Mai 2024.

Stipendien der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit

Journalist:innen, die über die Herausforderungen deutsch-polnischer Zusammenarbeit, die europäische Zivilgesellschaft, Zusammenarbeit in Grenzgebieten oder ökologisches Bewusstsein in Europa berichten, können sich um ein Stipendium der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit (SdpZ) bewerben. Das Stipendium beträgt maximal 2.500 Euro und deckt Recherchekosten. Bewerben können sich Journalist:innen mit Berufserfahrung, die ihren festen Wohnsitz in Deutschland oder Polen haben. Die Bewerbungsfrist endet am 10. Mai 2024.

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European Journalism Fellowship

Journalist:innen aus Ost- und West-Europa, dem arabischen Raum und den USA können sich um ein European Journalism Fellowship (EJF) bewerben. Das Programm fokussiert sich auf die aktuelle Journalismusforschung in Deutschland und die Landschaft von Journalismus und Medien in Berlin. Während des Programmjahres verbringen die Stipendiat:innen ein Studienjahr in Berlin und können ein Studienvorhaben oder eine größere Recherche umsetzen. Ihnen steht dafür das Lehr- und Ressourcen-Angebot der Berliner Hochschulen offen. Außerdem sind wöchentliche Gesprächsrunden, kulturelle Veranstaltungen, Exkursionen und eine Informationsreise durch Deutschland im Programm enthalten. Die Bewerbungsphase endet am 15. Mai 2024.

Workshop: Depolarizing Public Debates

Ob Heizungsdebatte, Letzte Generation oder Agrardiesel – öffentliche Debatten über ökologische Fragen enden oft in Eskalation. Das „Depolarizing Public Debates“-Projekt des New Institute zielt darauf ab, die komplexen Dynamiken von Polarisierung am Beispiel des Klimadiskurses besser verständlich zu machen und Schlussfolgerungen für den Journalismus herauszuarbeiten. Beim Workshop am 29. Mai sind u. a. Luisa Neubauer, Friedemann Schulz van Thun und Ricarda Lang zu Gast. Journalist:innen und Community-Manager:innen können sich um die Teilnahme bewerben, die Übernachtungs-, Reise- und Verpflegungskosten werden getragen. Dafür ist eine E-Mail mit Affiliation, Lebenslauf und einem kurzen Absatz (maximal 150 Wörter) über die Motivation an der Workshopteilnahme an louisa.proeschel@thenew.institute zu schicken.

Journalismus als Liveshow

Von den Macher:innen des Roperter Slams gibt es ein neues Unterhaltungsformat: JIVE, die Journalismus-Show. Dabei erzählen sechs Reporter:innen dem Publikum ihre Geschichte, begleitet vom Improvisationsorchester Stegreif. Die erste Ausgabe des Formats findet in Berlin statt, am 30. und 31. Mai 2024.

Media Founders Program

Die neue Förderrunde des Medieninnovationszentrums (MIZ) Babelsberg unterstützt Gründer:innen und Journalist:innen mit bis zu 40.000 Euro bei der Umsetzung ihrer technisch innovativen Ideen. Das Media Founders Program richtet sich an Projekte in Berlin oder Brandenburg und ist eine Kooperation des MIZ Babelsberg mit dem MediaTech Hub Accelerator Babelsberg. Bewerbungsschluss ist am 9. Juni 2024.

Fortbildungen

Zum Schluss

Fotos: Choni Flöther, Christina Elmer 

Grüße aus Perugia

Tolle Atmosphäre in den Konferenzsälen und auf den Plätzen Perugias, Gastgeber des Journalismus-Festivals. Von Netzwerk Recherche waren Christina Elmer, Barbara Junge, Manfred Redelfs und Choni Flöther vor Ort.