Die große Schwester der Krautreporter

Monika Bäuerlein (Foto: Wulf Rohwedder)

Journalistin aus Leidenschaft: Die Münchenerin Monika Bäuerlein steht an der Spitze von „Mother Jones“. Das US-Magazin ist seit 1976 das, wovon viele deutsche Journalisten noch träumen: ein gemeinnütziges Print- und Online-Journal auf solider finanzieller Basis. Wird so auch in Deutschland die Zukunft des Journalismus aussehen?

Die Beerdigungsglocken haben geläutet, der Grabstein war in Arbeit. Als in den vergangenen Jahren eine Zeitung nach der anderen starb, schien der Journalismus am Ende. Doch die Nachrufe auf den Recherche-Journalismus wurden zu früh geschrieben, da ist sich Monika Bäuerlein sicher. Die Chefredakteurin des US-Magazins „Mother Jones“ (www.motherjones.com) glaubt an die Wiedergeburt der Recherche. Weiterlesen

Der Cybersoldat im Cyberkrieg

Panel „Was hat Snowden mit uns gemacht? – Und was machen wir mit Snowden?“ mit Luke Harding, Katja Gloger, Elmar Theveßen, Georg Mascolo und Moderatorin Annette Dittert (v.l.n.r., Foto: Raphael Hünerfauth)

Ein gutes Jahr ist nach Edward Snowdens Enthüllungen vergangen, ein Jahr in dem das Thema die Berichterstattung so bestimmt hat wie kein anderes. Unter Leitung von Moderatorin Annette Dittert diskutieren Journalisten zum Thema „Was hat Snowden mit uns gemacht? – Und was machen wir mit Snowden?

Georg Mascolo, Leiter des Rechecherverbundes von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, sagt: Journalisten haben durch Snowdens Enthüllungen festgestellt, dass „jede Email, jeder Anruf ein Risiko ist“. Dies sei ein „Zustand, der untragbar ist“. Das System der NSA sei kein Einzelfall, denn es „ist ein Prinzip, dass alle Staaten anwenden – nicht nur die USA“.

Für die USA ist Snowden kein Whistleblower. Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF sagt: „Aus Sicht der USA ist Snowden ein Fahnenflüchtiger“. Fahnenflüchtiger? Das klingt nach Krieg: „Edward Snowden ist ein Cybersoldat im Cyberkrieg der USA, ein Munitionssammler im Netz“, fügt Georg Mascolo hinzu. Weiterlesen

„Wir glauben zu sehr an die Worte alter Männer“

Panel „Streitfall Ukraine – Was läuft schief in der Berichterstattung?“ mit Natascha Fiebrig, Uwe Klußmann, Jörg Eigendorf, Katja Gloger und Moderator Volker Weichsel (v.l.n.r., Foto: Sebastian Stahlke)

Was ist schief gelaufen an der Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt? Über diese Frage wurde im Panel heftig diskutiert. Natascha Fiebrig (1+1, ukrainischer TV-Sender), Uwe Klußmann (Spiegel), Jörg Eigendorf (Welt) und Katja Gloger (Stern) offenbarten in der Runde vor allem eins: Dass man schlecht gemeinsam über die Berichterstattung sprechen kann, wenn die Interpretation der Ereignisse ganz Unterschiedliche sind.„Wir werden Fakten diskutieren müssen“, begann Moderater Volker Weichsel (Herausgeber von „Osteuropa“) die Debatte. Doch genau hier lag das Problem: Die Faktenlage ist offenkundig alles andere als eindeutig. Das labile Machtgefüge zwischen der schwachen Zentralgewalt in Kiew und den pro-russischen Gebieten im Osten lässt eine Vielzahl von Interpretationen zu. Und so wurden zunächst vier Sichtweisen auf den Konflikt vorgestellt.

„Auf dem Maidan fand eine Revolution der Würde statt“, begann Natascha Fiebrig. Dann habe Russland die Krim annektiert und heize seitdem den Konflikt an. Fiebrig kritisierte die mangelnde Unterstützung der Belange der Ukraine von Seiten der EU.

Der Exot unter den Anwesenden war Uwe Klußmann – zumindest, was seine Einschätzung der Situation anbelangt. Klußmann ist Historiker, schreibt für den „Spiegel“ und war für das Nachrichtenmagazin zehn Jahre lang Korrespondent in Moskau. Seine These: „Der ukrainische Staat wurde von den Nationalisten auf dem Maidan außergerichtlich hingerichtet.“ Für Aussagen wie diese steckte er eine Menge Kritik ein. Aber es störte ihn nicht. „Damit kann ich leben.“ Weiterlesen

Tausche Couchplatz gegen Kontakte – hostwriter.org

Panel „Hostwriter – Weltweit kooperieren“ (Foto: Raphael Hünerfauth)

Die junge Plattform hostwriter.org will weltweit Journalisten vernetzen und so Rechercheallianzen ermöglichen.

Freie Journalisten haben heute viele Probleme, aber auch eine große Chance. Wie diese aussehen könnte, erläuterten Sandra Zistl, Tabea Grzesyk und Tamara Anthony, Journalistinnen und Gründerinnen von hostwriter.org auf ihrer Info-Veranstaltung. Auf der Internetplattform möchten sie Journalisten dazu ermutigen, miteinander zu kooperieren – und dabei nicht nur Schlafplätze für Recherchereisen zur Verfügung zu stellen. Wenn es nach den drei Gründerinnen geht, dann könnte in Zukunft ein großes globales Netz entstehen. In diesem greifen Journalisten bei ihren Recherche-Projekten auf Wissen und Kontakte lokal ansässiger Kollegen zurück und helfen sich bei Fragen gegenseitig weiter – gewinnen sollen dabei alle. Kooperation statt Konkurrenz lautet die Maxime hinter der stiftungsgeförderten Plattform. Weiterlesen

„Natürlich scanne ich alles“ – Sonja Peteranderl

Panel „Social Criminals – Dealer, Gangs und Kartelle im Internet“ mit Moderator Albrecht Ude und Sonja Peteranderl (Foto: Wulf Rohwedder)

Die Journalistinnen Sonja Peteranderl und Julia Jaroschewski haben mit ihrem Projekt BuzzingCities.net die Favelas von Rio in den Fokus genommen. Auch in ihrer sonstigen journalistischen Arbeit stehen für sie meistens genau die Orte auf dem Plan, die andere wohl eher meiden – wie zum Beispiel die als „gefährlichste Stadt der Welt“ in die Schlagzeilen gekommene Ciudad Juarez in Mexiko. Deren Kartellbosse sind genau wie die Bewohner der Favela immer öfter auch im Internet zu finden. Im Gespräch berichtet Peteranderl von der Sicherheit im Netz und auf den Straßen der Favelas. Jaroschewski liegt mit akutem Jetlag im Bett, erst am Vortag sind die beiden in Deutschland angekommen.

Frau Peteranderl, Sie wohnen zusammen mit Frau Jaroschewski in Rocinha, dem größten Favela in Rio de Janeiro. Außerdem recherchieren Sie online, wie Kriminelle im Internet kommunizieren, Drogengeschäfte abwickeln oder mit Waffen posieren. Haben Sie keine Angst? Weiterlesen

„Erst Mensch, dann Journalist“ – Michael Obert

Panel „Im Reich des Todes” – Die Recherchen des Leuchtturm-Preisträgers 2013 mit Michael Obert und Moderatorin Katharina Finke (Foto: Sebastian Stahlke)

Michael Obert hat mit Folterern in Ägypten und Terroristen von Boko Haram in Nigeria gesprochen. Seine Reportagen sind preisgekrönt, vor kurzem feierte er sein Regiedebüt. Ein Porträt über einen Mann, der schon komplett in einer anderen Welt eingetaucht war und erst spät seine wahre Profession gefunden hat.

Es ist ein Schlag ins Gesicht gewesen und ein harter Bruch. So beschreibt Michael Obert das Aufwachen eines Morgens in Paris im Jahr 1993.

Er hatte das, wovon viele Betriebswirte träumen: einen gutbezahlten Job, Dienstwohnung und Dienstwagen – das Leben eines erfolgreichen Managers. Doch dann kam die traumatische Erfahrung, in der Michael Obert realisierte, dass er ein interessenloser Mensch war, der mehr in seinen Beruf rein gerutscht war, als ihn zu wählen. Statt wieder jeden Tag ins Büro zu fahren, buchte er sich ein Flugticket nach Südamerika. Zwei Jahre lang tourte er durch den Kontinent und erkannte dort, was er wirklich wollte: Geschichten erzählen. Weiterlesen

Die undankbare Arbeit der Stringer

Panel „Handlanger und Lebensretter – Über die gefährliche Arbeit von Stringern in Krisengebieten“ mit Ahmed Jimale, Moderator Lutz Mükke und Joanna Itzek (v.l.n.r., Foto: Raphael Hünerfauth)

Mogadischu, 1992 – In Somalia herrscht Ausnahmezustand: Ein Großteilteil der Bevölkerung ist vom Hungertod bedroht, während sich die verfeindeten Clans erbitterte Kämpfe liefern und sich das Scheitern der UN-Mission abzeichnet. In einem solchen Chaos kann sich ein ausländischer Journalist nur mit der Unterstützung eines Einheimischen zurecht finden – den Stringern. Ahmed Jimale war einer von ihnen.

Sein erster Kontakt zur westlichen Medienwelt kam durch einen Zufall zustande: Albrecht Reinhardt, damaliger Leiter des ARD-Studios Nairobi war vor Ort und auf der Suche nach Mietwagen für sich und sein Filmteam. Ein Freund Jimales war Autovermieter, sprach allerdings kein Englisch. Also bat er Jimale, für ihn als Dolmetscher in den Verhandlungen mit den ARD-Journalisten auszuhelfen. Nach Abschluss des Autogeschäfts fragte ihn Reinhardt, ob er nicht noch bleiben und für ihn arbeiten wolle. Nachdem sich Jimale als vertrauenswürdiger Ortskundiger erwiesen hatte, wollte er  selbst filmen – und bekam spontan eine Kamera in die Hand gedrückt. „Dabei wusste ich leider überhaupt nicht, wie man so ein Ding bedient“, sagt er und lacht. Nur Wochen später sollte sein Filmmaterial von den Kämpfen in Mogadischu um die Welt gehen. Weiterlesen

Grüße aus Sotschi

Arnold van Bruggen (Foto: Raphael Hünerfauth)

Zwei Niederländer berichten seit fünf Jahren über Sotschi und die angrenzenden Länder. Anstatt nur auf Spenden zu setzen, konzipierten sie Bücher und Fotoalben, um ihr Projekt nachhaltig zu finanzieren. Ihren treuen Lesern schickten sie Postkarten.

Arnold van Bruggen und Rob Hornstra kamen gerade aus Abchasien zurück, da verkündete Vladimir Putin, in Sotschi würden 2014 die Olympischen Winterspiele ausgetragen. Die beiden Reporter konnten sich nur wundern. Sotschi? Ein Bezirk in unmittelbarer Nähe zu Abchasien und Georgien, einer Pulverfassregion, geringer Lebensstandard, kaum Industrie.   Inmitten in einer umstrittenen Region. Das wollten die beiden Niederländer weiterverfolgen. Das war 2007. Es war der Startschuss für „The Sochi Project“, dem ersten Crowdfunding Projekt in den Niederlanden, das 2009 begann und noch nicht beendet ist. Weiterlesen

Was ist uns Recherche wert? USA und Deutschland im Vergleich

Vor einigen Jahren bereits wurde in den USA und in Deutschland der Tod des Investigativjournalismus‘ vorhergesagt. Bis Wikileaks und die Snowden-Dokumente veröffentlicht wurden. Heute liegt im Investigativen Journalismus die große Hoffnung der Journalismus. Vier Größen beider Länder blicken zurück und nach vorn.

Panel „Was ist uns Recherche wert? – USA und Deutschland im Vergleich“ mit Georg Mascolo, Seymour Hersh, Moderatorin Brigitte Alfter, Monika Bäuerlein und Andrew Lehren (Foto: Wulf Rohwedder)

Deutsche Investigativjournalisten haben einen guten Ruf als die ‚vierte Macht‘, sind untereinander aber gnadenlos. Dagegen heisst es von den US-Amerikanern, sie wühlten im Dreck und hinterließen verbrannte Erde – allerdings würden sie untereinander stärker zusammenhalten. So weit die Vorurteile.

Trotz der verschiedenen Kulturen war die Tendenz in beiden Ländern lange Zeit eindeutig: Wer investigativ arbeiten wollte, musste es entweder in seiner Freizeit tun oder seine Arbeit im Hamsterrad verringern, um recherchieren zu können. Wegen Geldmangels und großer Orientierungslosigkeit verblasste der Recherchejournalismus neben vermeintlich ertragreicheren Gattungen. Sowohl in Deutschland, als auch in den USA lagen die Grabreden für den „research journalism“ bereits in den Schubladen. Weiterlesen

Syrien: „Die Anteilnahme in Deutschland ist wirklich enttäuschend“

Panel „Syrien: Berichten unter Lebensgefahr – Die Lage der Journalisten in Syrien“ mit Majid al-Bunni und Christoph Reuter (v.l.n.r., Foto: Wulf Rohwedder)

Statt Werbepausen sendet der syrische Exilsender Baladna FM praktische Tipps: Die Hörer lernen, wie man Wunden versorgt oder mit knappen Vorräten eine ganze Familie versorgt. Majid al-Bunni moderiert für das Programm eine Radioshow direkt aus Berlin.

Herr al-Bunni, sie berichten für die Menschen in Syrien, leben aber in Berlin. Wie bekommen Sie da überhaupt zuverlässige Informationen aus dem Kriegsgebiet?

Das kommt darauf an, wie ich die Menschen am besten erreichen kann: Über Skype, Facebook oder Telefon. Manchmal kann man sie auch persönlich treffen, zum Beispiel an der Grenze zur Türkei. So erfährt man die neuesten Nachrichten. Es hängt also mehr von ihnen als von uns ab. Wir machen viermal pro Woche ein Liveprogramm für je eine Stunde. Trotzdem habe ich manchmal schon am Wochenende bis nach Mitternacht im Studio gesessen, nur weil ich auf einen Anruf gewartet habe. Aber ich brauchte halt das Interview oder die Informationen, und anders bekomme ich sie nicht.

Ist das für ihre Interviewpartner nicht gefährlich? Weiterlesen

„Journalismus ist kein Verbrechen“

Antonia Rados: Von der Quotenfrau zur Kriegsreporterin

Eröffnungsrede „Von der Quotenfrau zur Kriegsreporterin“ mit Antonia Rados (Foto: Wulf Rohwedder)

„Stellen Sie sich vor, Sie wären jetzt rund 3.000 Kilometer südlich von hier,“ so die RTL-Auslandskorrespondentin in ihrer Eröffnungsrede. „Sie wären in Kairo. Die Polizei sammelt alle unsere Handys ein, wir werden alle verhaftet und sehen uns im Gefängnis wieder. Denn wir, Sie alle und ich, wir sind die ‘Terrorzelle NDR/nr’.“ So geschehen mit den Kollegen von Al Jazeera, die nichts anderes gemacht haben, als zu recherchieren und zu berichten, von der ägyptischen Justiz aber als „Terrorzelle Marriott“, benannt nach dem Kairoer Hotel, in dem sie arbeiteten, zu Gefängnisstrafen zwischen sieben und zehn Jahren verurteilt wurden. Journalismus als Verbrechen. Aber, so Antonia Rados: „Journalismus ist kein Verbrechen.“

Die Kriminalisierung von Journalisten findet überall auf der Welt statt. In demokratischen Staaten zwar weniger, aber auch hier werden Maulkörbe erteilt, auch hier findet eine Diskriminierung statt. Und es seien nicht nur Menschen wie Edward Snowden, die verfolgt und angeklagt werden, sondern eben auch die berichtenden Journalisten und ihre Angehörigen. Beispiel: Die Verhaftung des Lebensgefährten vom Guardian-Journalisten Glenn Greenwald auf dem Londoner Flughafen. Weiterlesen

Syrien: Reporter an der Grenze

Panel „Syrien: Berichten unter Lebensgefahr – Die Lage der Journalisten in Syrien” mit Antonia Rados, Houssam Aldeen, Moderatorin Astrid Frohloff, Majid al-Bunni und Christoph Reuter (v.l.n.r., Foto: Wulf Rohwedder)

Kriegsberichterstattung im 21. Jahrhundert ist ebenso wichtig wie fordernd. Im Gespräch berichteten erfahrene Reporter von Problemen und Chancen der Berichterstattung aus Syrien und dem Irak.

“Wir sind gereist wie im 17. Jahrhundert, zu Zeiten des 30-jährigen Krieges. Für die 300 Kilometer nach Hula haben wir 10 Tage gebraucht, es war ein kurviger Weg.” Ein Weg auf dem Rücken von Eseln, vermummt, auf verschlungenen Pfaden, von Checkpoint zu Checkpoint – Spiegel-Korrespondent Christoph Reuter schildert seinen Weg nach Hula. Hier richtete der syrische Diktator Baschar Al-Assad vor mittlerweile zwei Jahren ein grausames Massaker mit chemischen Waffen an, mehr als tausend Menschen starben. Im Gespräch mit seiner Kollegin Antonia Rados (Kriegsreporterin RTL), dem politischen Aktivisten und Radiojournalisten Majid al-Bunni (Baladna FM) und dem Produzent und Stringer Houssam Aldeen (beide aus Syrien) diskutierte Reuter über die Berichterstattung unter Lebensgefahr. Moderiert von Astrid Frohloff (Reporter ohne Grenzen) boten die vier JournalistInnen einen eindrucksvollen Einblick in die Arbeit von Kriegsberichterstattern. Weiterlesen

Die „Stadt in der Stadt“ geht online

Julia Jaroschewski und Sonja Peteranderl im Panel „Favelas Online – Digitaler Wandel der Armenviertel“ (v.l.n.r., Foto: Wulf Rohwedder)

Lange waren die brasilianischen Favelas von der Außenwelt abgeschottet. Mit der wachsenden Nutzung von sozialen Medien bekommen nun auch die Bewohner der Armenviertel eine mediale Stimme. Mittendrin: Die beiden deutschen Journalistinnen Julia Jaroschewski und Sonja Peteranderl.

Sie nennen es die „größten Start-Ups von Lateinamerika“ – die Favelas. In den Armensiedlungen hat sich fernab von staatlicher Kontrolle eine eigene Welt entwickelt, die sich täglich neu erfindet – in einem Lebensalltag, der hauptsächlich durch Improvisation bestritten wird. Die Holzhütten wachsen zu Ziegelhäusern, Schicht um Schicht stapeln sich die Stockwerke bis zur Einsturzgefahr, der Strom wird aus den riesigen Kabelknäueln illegal angezapft. Bürgermeister der Favela sind die Drogengangs, die den Einwohnern zwar diktatorisch ihr eigenes Gesetz aufzwingen, aber nicht selten auch eine soziale Agenda verfolgen, zum Beispiel indem sie Medikamente zur Verfügung stellen. Weiterlesen

Alexa O’Brien über Chelsea Manning

Alexa O’Brien (Foto: Raphael Hünerfauth)

Du bist der Whistleblowerin Chelsea Manning in Deiner Arbeit rund um ihren Prozess so nahe gekommen wie sonst kaum jemand. Wer ist Chelsea Manning? 

Viele Leute wissen es nicht, aber tatsächlich habe ich noch nie direkt mit Chelsea gesprochen. Nur mit ihrem Anwalt. Es gab einen Briefwechsel zwischen uns. Aber so etwas wie eine Beziehung zwischen uns besteht nicht. Und trotzdem kann ich sagen, dass Chelsea in meinen Augen eine ernsthafte, junge amerikanische Soldatin war, die aus tiefer innerer Überzeugung heraus gehandelt hat. Jetzt, da das Militärtribunal zu Ende ist, darf sie sich wieder öffentlich äußern und ich bin sicher, wir werden noch viel von ihr hören.

Du hast vier Jahre lang 14 Stunden täglich an dem Fall gearbeitet. Außerdem bist Du während Deiner Arbeit an dem Prozess selbst in den Fokus der Geheimdienste geraten. Woher hast Du die Kraft für all das genommen?   Weiterlesen

Paul Myers: “I’m a researcher for the BBC”

Paul Myers (Foto: Raphael Hünerfauth)

Paul Myers Arbeit beginnt mit dem immer gleichen Satz: „Finde jemanden für uns.“ Wenn die Recherche für die meisten Journalisten beendet ist, zu schwierig, zu wenig Hinweise, dann fängt sie für Myers erst an. 

Myers ist Internetexperte, Rechercheur und Trainer bei der BBC. Früher wäre er ein klassischer Mann der zweiten Reihe gewesen. Jemand, der im Archiv wühlt, während die Journalisten die großen Geschichten schreiben und den Ruhm ernten. Aber heute hält jemand wie Myers Vorträge in Deutschland, Großbritannien, Norwegen und den Niederlanden, mit hunderten Zuhörern.

Auch an diesem Freitagnachmittag steht Myers auf einer Bühne, die Sitze vor ihm sind bis auf den letzten besetzt. Myers trägt ein St.-Pauli-Trikot, am Bauch spannt es ein wenig. Ein Zuschauer hat Bedenken: Müsse Myers denn nicht erwähnen, dass jedes Mal, wenn jemand mit Hilfe von google recherchiert, die NSA mithöre? Stimmt, sagt Myers. Einmal habe er eine Geschichte über britische Verteidigungspolitik recherchiert. Er war der IP-Adresse des Verteidigungsministeriums auf der Spur, als sein Handy anfing zu klingeln. Eine halbe Minute klingelte es, bis er auf Google ging und in die Tastatur tippte: „I’m a researcher at the BBC.“ Myers grinst: „Dann ging das Telefon aus.“ Ungläubige Pause. Das Publikum lacht. Weiterlesen

„Man muss die eigene Expertise breiter vermarkten”

Panel „Lasst uns über Geld reden – Neue Modelle für Freie im Ausland“ mit Sonja Volkmann-Schluck, Sandra Zistl, Birgit Svensson, Ulrich Krökel und Moderatorin Gemma Pörzgen (v.l.n.r., Foto: Benjamin Richter)

Es ist hart, als freier Auslandsjournalist von der Arbeit leben zu können. Im Panel „Lasst uns über Geld reden – Neue Modelle für Freie im Ausland“ diskutierten freie Reporter und Gründer zum Thema. Klar wurde dabei: Nicht jedes Modell kommt bei jedem gut an.

Falls noch jemand im Raum Illusionen gehabt haben sollte – Ulrich Krökel räumte sie aus dem Weg. „Dass es bei mir klappt, ist ein glücklicher Einzelfall“, stellte der Journalist klar, der seit vier Jahren in Warschau als freier Osteuropa-Korrespondent arbeitet. Krökel hat einen großen Pool an Redaktionen, die seine Artikel regelmäßig kaufen, darunter Zeit Online, Spiegel Online und etwa 20 Regionalzeitungen. Als er nach Warschau kam, war Staatspräsident Lech Kaczynski gerade bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen – ein tragisches Unglück, das sich für Krökel zynischerweise als berufliches Glück herausstellte: Die Folgeberichterstattung erleichterte ihm den Einstieg. Weiterlesen

„Seien Sie lästig!“

Es gibt zu wenige fest angestellte Auslandskorrespondentinnen. Doch sind dafür verkrustete, männliche Machtstrukturen verantwortlich? Oder müssen die Frauen lauter Wort ergreifen, wenn sie ins Ausland möchten? 

Unter den leitenden Auslandsreportern der ARD sind nur 20 Prozent Frauen, beim ZDF ist es gerade mal jede Sechste. Das ist problematisch, findet Spiegel-Redakteurin und ProQuote-Vorsitzende Annette Bruhns, würden doch gerade im Ausland „Karrieren gestartet und gemacht“. Antonia Rados kann das bestätigen. Als sie in den 1970er-Jahren beim ORF einstieg, seien für Frauen in den Medien Karrieren nicht vorgesehen gewesen. „Als ich jung war, musste man sich als Frau Lücken schaffen, seinen eigenen Job kreieren.“ Rados ging auf eigene Faust ins Ausland, wurde Korrespondentin in Südamerika, Afrika und im Nahen Osten. Dort wurde sie zur preisgekrönten Kriegsreporterin. Dass die Auslandspositionen im Journalismus auch heute noch eine Männerdomäne sind, hat für Rados eine klare Ursache: „Im Kreis der Macht“, wo Personalentscheidungen getroffen werden, seien noch immer hauptsächlich Männer vertreten. „Seilschaften spielen eine große Rolle“, sagt Rados. Weiterlesen

Enthüllungsjournalismus in der Ukraine

Kateryna Kapliuk (Journalistin, Mitbegründerin von Yanukovychleaks) im Panel „YanukovychLeaks – Die Spurensuche in den Akten des ukrainischen Ex-Präsidenten“ (Foto: Wulf Rohwedder)

22. Februar 2014: Hunderte Ukrainer stehen vor den schweren Eisentoren der Mezhyhirya, der privaten Residenz des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Am Morgen nach seiner Flucht wollen sie sehen, wie verschwenderisch ihr Präsident wirklich gelebt hat. Andere wollen es genauer wissen und nicht nur die Verschwendung, sondern auch die Intrigen Janukowitschs aufdecken. Yanukovychleaks wird die Ukrainer in Aufruhr versetzen.

Am Abend seiner Flucht lässt Janukowitsch tausende Dokumente in den See vor seinem Haus werfen, um seine Spuren zu verwischen. Taucher fischen die Unterlagen wieder heraus, Journalisten und freiwillige Helfer beginnen sofort, die Dokumente zu trocknen und einzuscannen. Schon zwei Tage später laden sie die ersten der insgesamt 25.000 Dokumente auf www.Yanukovychleaks.org. Die Journalisten werten die Dokumente aus, verschaffen sich langsam einen Überblick darüber, wie Janukowitsch sich seine Residenz finanziert hat — bei einem Jahresgehalt von 83.000 Euro.

Nach und nach enttarnen sie das Netz des Janukowitsch-Clans. Wöchentlich erscheinen neue Artikel auf der Website, vor allem über die Geschäftsbeziehungen der Familie zu ukrainischen Oligarchen. Bereits am ersten Tag hat die Website zwei Millionen Klicks. Und Yanukovychleaks beeinflusst die ukrainische Politik, genauso wie es den Journalismus verändert. Vor dem Projekt seien Medienkooperationen in der Ukraine kaum ein Thema gewesen, sagt Kateryna Kapliuk, Mitbegründerin von Yanukovychleaks (Foto). Durch das Projekt habe auch andernorts die Zusammenarbeit zugenommen. Den Journalisten sei bewusst geworden, dass einer alleine niemals 25.000 Dokumente auswerten kann. „It was a very good school.“

Mittlerweile setzt sogar die Staatsanwaltschaft auf die Hilfe von Journalisten bei der Auswertung der Daten. Und Politiker werden nervös. Sie wissen, dass auch sie in den Fokus geraten können, wenn sich die politische Situation verändert. „They all have something to hide. The politicians should be more transparent“, fordert Kapliuk deshalb.
Sie glaubt, dass die ukrainischen Journalisten mutiger und immer mehr zu Kontrolleuren der Politik werden.

Ihre Rolle wollen die Gründer von Yanukovychleaks jetzt nutzen und ihre investigative Arbeit auf die aktuelle Politik ausweiten. Yanukovychleaks soll nur der Anfang sein.

Gülen-Bewegung: Wie recherchieren, wenn keiner reden will?

Panel „Gülen und die Medien – Mit Shitstorms und Seilschaften gegen kritische Journalisten” mit Cornelia Uebel, Moderator Steffen Grimberg und Volker Siefert (v.l.n.r., Foto: Wulf Rohwedder)

Die religiös ausgerichtete Fethullah-Gülen-Bewegung, die unter anderem eigene Schulen unterhält, klinge doch eigentlich ganz harmlos, eher liberal, sagt ein Mann im Publikum. Warum sich die Dokumentarfilmerin Cornelia Uebel und der Redakteur Volker Siefert vom Hessischen Rundfunk ausgerechnet auf dieses Thema gestürzt hätten?

Die beiden Journalisten sitzen in einer Gesprächsrunde mit dem Titel “Gülen und die Medien”. Cornelia Uebel antwortet: Die Gülen-Bewegung, die nach außen einen moderaten Eindruck mache, sei intransparent. “Bei einem katholischen Kindergarten steht im Namen oder in einer Unterzeile, dass er katholisch ist, und ich weiß, welche Werte dort vermittelt werden. Die Gülen-Schulen versuchen zu verschleiern, dass sie mit der Bewegung zu tun haben.” Das habe sie neugierig gemacht, denn immerhin seien es Kinder und Jugendliche der Bundesrepublik, die diese Schulen besuchten. Eigentlich wollte sie also nur wissen, was dort überhaupt geschehe. Mittlerweile beschäftigt sich die Journalistin seit zwei Jahren mit dem Thema. Weiterlesen

Massenüberwachung: Wissen ist Macht

Panel „Pressefreiheit in Zeiten der Massenüberwachung – Netzdissidenten im Exil berichten” mit Alexa O’Brien, Moderator Christian Mihr und Sarah Harrison (v.l.n.r., Foto: Raphael Hünerfauth)

Eine Veranstaltung, zwei Frauen, zwei Fragen und das Thema Pressefreiheit in Zeiten der Massenüberwachung. Alexa O’Brien und Sarah Harrison sind Expertinnen auf einem Gebiet, das zum Thema einer ganzen Generation geworden ist: Staatliche Massenüberwachung. Ihre Namen sind aufs Engste verbunden mit Wikileaks und den beiden prominentesten Whistleblowern unserer Zeit: Chelsea Manning und Edward Snowden.

Die Britin Harrison arbeitet für Wikileaks und begleitete Snowden mehrere Monate lang, bis er in Russland Asyl erhielt. Die US-Amerikanerin O’Brien machte sich unter anderem durch ihre Berichterstattung über den Gerichtsprozess gegen die Soldatin Manning einen Namen. Heute leben O’Brien und Harrison in Berlin. Weiterlesen

Yanukovych Leaks: „Wir wollen, dass die Ukraine die Fakten erfährt“

Kateryna Kapliuk (Foto: Wulf Rohwedder)

Als die Bürger Kiews zum ersten mal das Luxusanwesen ihres geflohenen Staatschefs Yanukovych besuchten, fanden Sie tausende brisante Dokumente. Die Aktenordner waren jedoch schwer beschädigt, offensichtlich sollten sie kurz vor der Flucht vernichtet werden. In mühevoller Kleinarbeit restaurierte Kateryna Kapliuk mit dutzenden Freiwilligen knapp 25.000 Dokumente. Damit ist die Arbeit von „YanukovychLeaks“ aber noch längst nicht vorbei.

Frau Kapliuk, wann haben Sie zum ersten Mal von Yanukovychs Dokumenten gehört?

Das war am ersten Tag, an dem die Tür zu Yanukovychs Residenz offen war. Also Ende Februar. Ich habe sofort beschlossen, dort hin zu gehen.

Wie lange hat die Aufbereitung der Dokumente gedauert? Weiterlesen