Politische Entwicklungen dürfen Informationsfreiheitsgesetz nicht gefährden

Gemeinsame Pressemitteilung von Netzwerk Recherche (nr), Deutscher Journalisten- Verband (DJV), Deutsche Journalistinnen und Journalisten-Union (dju) in ver.di, Humanistische Union e.V., Transparency International Deutsches Chapter e.V., Berlin, den 24. Mai 2005

Politische Entwicklungen dürfen Informationsfreiheitsgesetz nicht gefährden

„Der jahrelange Kampf um die Informationsfreiheit darf nicht umsonst gewesen sein. Deutschland braucht ein Informationsfreiheitsgesetz – unabhängig davon, wie sich das politische Geschehen in den nächsten Monaten entwickelt.“ Mit diesen Worten appellierte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken am heutigen Mittwoch im Namen der Initiative zur Einführung eines Informationsfreiheitsgesetzes an die Bundestagsfraktionen. Die Mitglieder der Initiative reagierten entsetzt auf die Möglichkeit, dass das Gesetz vor dem Hintergrund der von Bundeskanzler Gerhard Schröder angekündigten Vertrauensfrage und einer möglichen Bundestagsneuwahl im September nicht mehr verabschiedet werden könnte. „In solchen Situationen werden Gesetzesvorhaben schnell zugunsten des Wahlkampfs auf Eis gelegt“, warnte Dr. Hansjörg Elshorst von Transparency International. „Das Informationsfreiheitsgesetz ist intensiv – unter anderem in einer Sachverständigenanhörung – vorbereitet worden. Es jetzt nicht in Kraft zu setzen, wäre eine vergebene Chance.“ Weiterlesen

Internationaler Tag der Pressefreiheit: Informationsblockaden und rechtliche Restriktionen schränken die Pressefreiheit ein

Netzwerk Recherche veröffentlicht Dokumentation zum „Presserecht in der Praxis“

Auskunftsverweigerung und Informationsblockaden von Behörden und Unternehmen, sowie die Androhung von juristischen Restriktionen schränken nach Einschätzung der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche zunehmend die Pressefreiheit in Deutschland ein.

Immer häufiger versuchen Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Interessenverbänden „unliebsame und kritische Artikel und Beiträge oft schon vor der Veröffentlichung zu behindern, einzuschränken oder zu unterbinden,“ sagte der Vorsitzende des Netzwerk Recherche, Thomas Leif. „Pressefreiheit ist aber ohne Informationsfreiheit nicht denkbar. Bei der Gewährung von Informationsfreiheit und Transparenz ist Deutschland im europäischen Vergleich ein Entwicklungsland“, kritisierte Leif. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 21, 25.04.2005

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 20, 06.04.2005

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 19, 21.02.2005

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 18, 09.01.2005

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aktuelle Studie: Mangelware Recherche – untersucht die Rahmenbedingungen von Qualitäts-Journalismus

Sven Preger: Mangelware Recherche.
Band 1 der Reihe: Recherche-Journalismus und kritische Medienpolitik
Herausgeber: Netzwerk Recherche. Münster 2004. 176 Seiten. ISBN 3-8258-8254-3.

Die journalistische Recherche müsste eigentlich auf die Liste der „aussterbenden Disziplinen“ gesetzt werden; denn Recherche ist eine Seltenheit in deutschen Redaktionen. Das zeigt die jetzt vorgelegte Studie von Sven Preger, die unter dem Titel „Mangelware Recherche“ erschienen ist. Die Untersuchung ist der erste Band der neuen Serie „Recherche-Journalismus und kritische Medienpolitik“, die vom Netzwerk Recherche im Münsteraner Lit-Verlag herausgegeben wird. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 17, 09.12.2004

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 16, 19.10.2004

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nr-Stipendienbroschüre (2004)

nr-stipendienbroschuere_2004_CoverDie nr-Stipendienbroschüre “Die Wahrheit dahinter : Recherche Stipendien” mit Hinweisen zum Stipendium und veröffentlichten Beiträgen:

Die Wahrheit dahinter : Recherche Stipendien (18 S., 593 KB) [PDF]

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 15, 15.09.2004

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 14, 09.08.2004

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 13, 07.06.2004

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“Medien zwischen Anspruch und Realität” – Johannes Rau (2004)

Rede von Bundespräsident Johannes Rau beim Jahrestreffen des Netzwerk Recherche am 05. Juni 2004 im NDR-Konferenzzentrum in Hamburg

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie haben mich eingeladen, über die Entwicklung der Medien in Deutschland zu sprechen. Ich habe spontan zugesagt – und will die Gelegenheit gerne nutzen, Ihnen einmal ausführlich darzustellen, welche Artikel mich in den vergangenen 46 Jahren, so lange habe ich jetzt politische Mandate inne, geärgert haben. Ich hoffe, Sie haben genug Zeit mitgebracht …

Nein, im Ernst: Ich habe zum einen zugesagt, weil mich dieses Thema seit langem bewegt, und weil es eine ganze Reihe von Entwicklungen gibt, die mir Sorgen machen. Zum anderen, weil ich viele Journalisten seit langem kenne und schätze, die hier im Netzwerk Recherche zusammengeschlossen sind.

Damit bin ich aber auch schon beim ersten Problem angekommen. Normalerweise freuen sich Menschen ja über Lob. Wenn aber Politiker Journalisten loben, dann fürchten die Gelobten nicht selten eine besonders perfide Form von Rufmord. Das liegt daran, dass Journalisten generell völlig uneitel sind und deshalb gut auf Lob verzichten können – da gleichen sie ja den Politikern.

Der andere Grund für dies Misstrauen liegt in der professionellen Distanz zwischen Politik und Journalismus. Erst diese Distanz macht ein unabhängiges und objektives Urteil möglich. Nichts belegt diese Distanz angeblich eindrucksvoller als harte Kritik. Wer also gelobt wird, war möglicherweise nicht kritisch und damit auch nicht distanziert genug. Wer will sich das schon – selbst in ein Lob verpackt – vorwerfen lassen?

Damit bin ich beim zweiten Problem. Wenn Politiker über Journalisten sprechen, werden sie schnell verdächtigt, Beschwerdeführer in eigener Sache zu sein. Politiker fühlen sich falsch verstanden, fehlinterpretiert oder – schlimmer noch – ignoriert. Schnell ist heute von Kampagnen die Rede. Auch die Debatte um die Autorisierung von Interviews hat gezeigt, wie aufgeladen die Atmosphäre ist. Ich kenne solche gegenseitigen Schuldzuweisungen seit vielen Jahren und auch ich selber hatte in fast fünf Jahrzehnten politischer Arbeit Anlass zu mancher Beschwerde.

Damit wären wir aber wieder in der klassischen Gesprächssituation: Journalisten schimpfen über Politiker, Politiker schimpfen über Journalisten. Das ist manchmal vielleicht ganz unterhaltsam, aber in der Sache bringt uns das nicht weiter.

Ich sehe reichlich Anlass zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme. Die Medienlandschaft hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert und mit ihr auch der Journalismus. Die Politik hat sich verändert, und das hat auch mit den Medien zu tun. Und schließlich hat sich unsere Gesellschaft verändert und das politische Klima in unserem Land. Das wiederum hat mit beidem zu tun.

Ich will hier also nicht lamentieren über die Frage, ob der Journalismus zu schlecht ist, um eine gute Politik zu vermitteln oder ob die Politik so schlecht ist, dass sie den hohen Anforderungen der Journalisten nicht genügt. Ich verzichte heute auch darauf, über manche Klischees und Etiketten zu sprechen, die mir Journalisten in all den Jahren so angehängt haben – und ich hoffe, dass Sie mir diesen Akt der Selbstzensur zugute halten!

Ich möchte Ihnen vielmehr sagen, was ich für guten Journalismus halte. Das mag ein wenig schlicht klingen, aber mir scheint es dringend notwendig zu sein, an das vermeintlich Selbstverständliche zu erinnern, bevor wir in der Diskussion nachher zu intellektuellen Höhenflügen aufbrechen. Um diese Diskussion zu erleichtern, habe ich einige Sätze formuliert, die ich näher erläutern will. Ich wollte nicht von “Thesen” sprechen, weil das doch sehr gewaltig klingt, und ich mir nicht anmaße, den Journalismus neu erfinden zu wollen. Zehn Sätze sind es aber trotzdem geworden.

Mein erster Satz lautet:
Gute Journalisten brauchen eine gute Ausbildung.

Im vergangenen November habe ich in Marbach die so genannte “Schiller-Rede” gehalten. Darin ging es unter anderem um die Entstehung von Kultfiguren und um die Wechselbeziehung von Medienwirkung und Wirklichkeit. “Bildung,” so habe ich damals gesagt “hat in dieser von den visuellen Medien geprägten Gesellschaft eine besondere, nämlich eine kritische Funktion. Und ich bin fest davon überzeugt, dass zu einem solchen Begriff von Bildung die Bildung des sprachlichen Vermögens und die literarische Bildung unverzichtbar sind.” So weit mein eigenes Zitat. Nach dieser Rede kam eine junge Reporterin auf mich zu, hielt mir das Mikrofon hin und fragt unvermittelt: “Herr Rau, was war das Wichtigste in Ihrer Rede?” Ich habe ihr geantwortet: “Die Einleitung, der Hauptteil und der Schluss.”

Man mag über die junge Frau schmunzeln. Sie ist aber leider kein Einzelfall. Sie kennen alle die Geschichte von dem jungen Kollegen, der ein kritisches Interview in der Bundestagslobby führt und sich anschließend nach dem Namen des befragten Politikers erkundigt. Selbst wenn sie nicht stimmt, ist sie zumindest gut erfunden und sie illustriert ein durchaus verbreitetes Problem. Ich halte es jedenfalls noch nicht für einen Ausdruck von emanzipiertem Journalismus, wenn das Selbstbewusstsein eines Journalisten seiner Kompetenz weit voraus ist. Auch Unhöflichkeit kann nur vorübergehend verbergen, dass man von einer Sache möglicherweise keine Ahnung hat. Forschheit und Kritikfähigkeit sind noch lange nicht dasselbe.

Deshalb plädiere ich für eine solide und umfassende Ausbildung von Journalisten. Dazu gehört zum einen das Handwerk: Das beginnt mit der Sprache und endet noch nicht mit der Kenntnis journalistischer Darstellungsformen. Es gibt eben einen Unterschied zwischen Nachricht und Kommentar, und nicht alles, was mit einem Witz endet, ist deshalb schon ein Feature.

Der Journalismus lebt – wie die Politik – von der Glaubwürdigkeit. Darum muss eine Information, die glaubwürdig sein will, auch einen sauberen handwerklichen Rahmen haben. Da mag man noch so modische Fachbegriffe benutzen: Wer Objektivität verspricht und die Fakten der Meinung unterordnet, der manipuliert. Und wer ein Interview erfindet, betreibt keinen Borderline-Journalismus, wie das neudeutsch heißt, sondern hat ein Interview erfunden. Das ist das eine: Junge Journalisten müssen ihr Handwerk beherrschen.

Das andere ist: Journalisten brauchen auch Bildung, jenseits der Berufsausbildung. Ich erwarte von politischen Journalisten, dass sie die Grundlagen unseres politischen Systems und die in ihm handelnden Hauptpersonen kennen. Der Bundespräsident heißt eben nicht Johannes Rau – SPD, weil der Bundespräsident nun mal keiner Partei angehört. Ich kann das verschmerzen. Blamabel wird es aber, wenn die Berichterstattung über zentrale politische Themen eklatante Wissensmängel über das Gesetzgebungsverfahren oder über die Zuständigkeit von Verfassungsorganen offenbart. Wie wollen Journalisten ihre Leser informieren, wenn sie selbst nicht verstehen, was passiert? Ich sage das aus Erfahrung: Als Leser, als Zuhörer und Zuschauer habe ich den Eindruck, dass sich die Kompetenz der Berichterstattung vielerorts deutlich verschlechtert hat.

Damit bin ich bei meinem zweiten Satz:
Guter Journalismus kostet Geld.

Wir wissen alle, wie sehr die schlechte Wirtschaftslage viele Verlage und Sender getroffen hat. Die Anzeigen- und Werbeerlöse sind erheblich zurückgegangen, die hohe Arbeitslosigkeit führt in vielen Städten zu sinkenden Auflagen. Zugleich ist mit dem Internet eine starke Konkurrenz vor allem im traditionellen Geschäft der Rubrikenmärkte entstanden. Die Folgen sind unübersehbar. In den Redaktionen wurden in den vergangenen Jahren massiv Stellen abgebaut, der Umfang von Zeitungen und Zeitschriften wurde reduziert, und wo es geht, arbeiten Verlage zusammen – mit gemeinsamen Korrespondenten oder mit gemeinsamen Beilagen.

Natürlich sind auch Medienunternehmen in erster Linie Unternehmen und müssen auf eine solide Ertragslage achten. Aber wir müssen uns klarmachen, wohin diese Entwicklung führt. Wenn immer weniger Journalisten immer mehr Themen bearbeiten müssen, nimmt das Fachwissen zwangsläufig ab. Flexibilität allein macht aber noch keinen guten Journalismus.

In einer globalisierten Welt werden auch die Sachverhalte immer komplexer. Wer im Lokalteil über Umweltschutz berichtet, wird sich zwangsläufig auch mit dem EU-Recht beschäftigen müssen. Wer über Gesundheits- oder Rentenreformen schreibt, hat mit einer hochkomplizierten Gesetzesmaterie zu tun. Journalisten brauchen Zeit, um sich solches Wissen anzueignen, und sie brauchen Platz, um ihre Erkenntnisse darstellen zu können. Wenn beides fehlt, sind Journalisten in einer schwachen Position – gegenüber ihren Gesprächspartnern, gegenüber den Einflüsterungen einer immer mächtiger werdenden PR-Industrie und damit letztlich auch gegenüber ihren Zuschauern und Lesern.

Das führt mich zu meinem dritten Satz:
Journalisten müssen unabhängig von ökonomischen Interessen sein

Ich spreche jetzt gar nicht von kriminellen Insider-Tips oder davon, dass Journalisten unbestechlich sein sollten – diesen Anspruch halte ich immer noch für selbstverständlich. Schwieriger wird es schon, wenn Motor- oder Reisejournalisten ihre Arbeit nur noch tun können, wenn sie von den Unternehmen dazu eingeladen werden. Es gibt heute aber andere Anfechtungen, die für das Publikum viel schwerer zu durchschauen sind.

Wenn Medien über neue Trends berichten, beeinflussen sie damit natürlich auch das Kaufverhalten ihrer Leser oder Zuschauer. Ich frage mich inzwischen immer öfter, an welchen Kriterien sich eine solche Berichterstattung orientiert. Ist ein Trend wirklich ein Trend? Oder stellt sich die Publizistik in den Dienst einer umfassenden Verwertungskette der beteiligten Medienkonzerne? Ist ein Superstar wirklich ein Talent? Oder werden Menschen aus ökonomischem Interesse mit journalistischen Mitteln zum Medienereignis gemacht?

Wie entstehen eigentlich Themen, die uns wochen-, manchmal auch monatelang beschäftigen? Natürlich durch aktuelle Ereignisse. Immer öfter aber stellt sich doch die Frage, was der eigentliche Anlass großer Debatten in unserem Land ist. Auch das hat mit Unabhängigkeit zu tun, allerdings nicht mit ökonomischer, sondern mit geistiger Unabhängigkeit.

Mein vierter Satz lautet deshalb:
Gute Journalisten brauchen einen eigenen Kopf.

Das sagt sich leicht dahin, und selbstverständlich ließe sich kein Journalist vorwerfen, er sei leicht zu beeinflussen. Aber wie kommt es dann, dass manche Themen wie aus dem Nichts auftauchen und nach einer Phase hektischer Betriebsamkeit ebenso plötzlich wieder im Nichts verschwinden? Hat das vielleicht nicht doch etwas zu tun mit dem neu entstandenen Berufsbild des Spin-Doctors, dessen Aufgabe ja darin besteht, im Sinne seines Auftraggebers Themen zu setzen und Meinung zu beeinflussen? Wenn spekulative Exklusivmeldungen zu harten Nachrichten gemacht werden – hat das vielleicht auch etwas mit fehlender Recherche zu tun?

Ich höre gelegentlich von Chefredakteuren, dass man an diesem oder jenem Thema nicht vorbeigekommen sei, obwohl es nicht wirklich relevant war oder gar den Tatsachen widersprach. Warum eigentlich? Weil eine große Zeitung es zu ihrem Thema gemacht hat? Natürlich gab es immer Medien, die Meinungsführer waren. Aber es ist schon bemerkenswert, wenn der “journalist”, die Zeitschrift des Deutschen Journalistenverbandes, schreibt: “,Bild’ gilt der erstaunten Branche inzwischen als ,Leitmedium’.” Ich habe nichts gegen den Boulevard. Aber kann es wirklich sein, dass ein Boulevardblatt zum “Leitmedium” der deutschen Presse wird?

Es gibt viele Möglichkeiten, ein Thema zu betrachten – unter politischen, weltanschaulichen oder auch nur unter regionalen Aspekten. Ich wünsche mir, dass Journalisten sich ihren eigenen Kopf darüber machen, dass sie Themen setzen, weil sie dies aus eigener Erkenntnis, geprüft durch eigene Recherche, für sinnvoll halten. Sie kennen die berühmte Antwort des Bergsteigers auf die Frage, warum er einen Berg besteigen will: “Weil er da ist”. Das gilt nach meiner Auffassung nicht zwangsläufig auch für Journalisten. Man muss nicht jeder Ente hinterherjagen, nur weil sie jemand in die Welt gesetzt hat.

Ich wünsche mir da manches Mal auch in den Chefredaktionen größeres Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit. Dabei sein ist nicht immer alles, und von Zeitungen, von Radio- und Fernsehprogrammen erwarte ich mehr als hohen Unterhaltungswert.

Das ist der Kern meines fünften Satzes:
Journalisten müssen Zusammenhänge erkennen.

Jürgen Leinemann hat das vor einigen Jahren einmal ziemlich polemisch formuliert. Er hat vorausgesagt, dass die ärgerliche Neigung der Journalisten abnehmen werde, Dinge aus dem Zusammenhang zu reißen – “denn Zusammenhänge, aus denen man etwas reißen könnte, sind den wenigsten Journalisten bekannt”. So weit will ich nun nicht gehen. Aber haben Sie nicht auch manchmal, in stillen Momenten, das Gefühl, dass es in der Politik eigentlich nicht nur und nicht ausschließlich um die Frage geht, ob nun Gerhard Schröder, Angela Merkel oder Edmund Stoiber im Politbarometer oben stehen?

Ich lese es doch auch regelmäßig in Leitartikeln und höre es in Kommentaren: Politik müsse sich den Sachproblemen zuwenden, der dauernde Streit verstelle den Blick aufs Wesentliche und die Bürger wollten konkrete Antworten und keine Wahlkampf-Slogans. Wenn ich dann aber weiterblättere oder weiterhöre, erfahre ich oft genug ausschließlich das: Wer streitet mit wem, und wer liegt vorn? Manchmal erfährt man auch noch, worüber gestritten wird. Aber den Kern der Auseinandersetzung erreicht die Berichterstattung immer seltener.

Ich räume sofort ein, dass die Politik selber einen großen Anteil an dieser Entwicklung hat.

Medien erwarten ja zu Recht, dass Politiker in verständlichen Worten erklären, was sie tun. Aber Politiker sind dabei auf die Vermittlung durch Medien angewiesen. Man kann die Probleme der Sozialversicherung nicht sinnvoll in einem Statement von einer Minute erklären. Und es ist inzwischen eher die Regel als die Ausnahme, wenn bei der Kürzung von Interviews in den Sachaussagen gestrichen wird und nicht bei den Aussagen über Personen.

Ich halte es für eine der wichtigsten Aufgaben von Journalismus, den Menschen komplexe Zusammenhänge verständlich zu vermitteln. Es mag zwar bequemer sein, Konflikte zu personalisieren und sie damit auf die Frage “Wer-gegen-wen?” zu reduzieren. Das Ergebnis ist aber auf Dauer verheerend für unsere Demokratie. Wenn Menschen Zusammenhänge nicht begreifen, wenn Transparenz fehlt, dann wird es umso schwieriger, Zustimmung für politische Lösungsvorschläge zu gewinnen. Das ist eines der Probleme, vor denen wir derzeit im Zusammenhang mit der Reformdebatte stehen. Ich habe gelegentlich den Eindruck, dass durch diesen Hang zur Boulevardisierung die Medien selbst zu der Reformblockade beitragen, die sie selber häufig in ihren Kommentaren beklagen.

Deshalb ist mein sechster Satz:
Journalisten sollten einen Standpunkt haben.

Ich meine das wahrlich nicht im parteipolitischen Sinne. Natürlich haben auch Journalisten ihre politischen Präferenzen und solange sie das nicht daran hindert, die Dinge nüchtern und unvoreingenommen einzuschätzen, ist dagegen nichts einzuwenden. Ich meine das vielmehr ganz wörtlich: Es wäre hilfreich, wenn mehr Journalisten in ihrer eigenen Arbeit so standfest wären, wie sie das von Politikern häufig fordern.

Ich glaube, es ist gibt einen Zusammenhang zwischen dem vielfach beklagten Populismus in der Politik und dem Populismus in manchen Medien. Beides wiederum hat gewiss mit zu der Situation geführt, die seit Jahren unter der Überschrift “Reformstau” beschrieben wird.

Es gehört fast schon zur Standardforderung in Leitartikeln und Kommentaren, dass die Politik angesichts der Haushaltsnöte sparen müsse. Werden aber konkrete Sparvorschläge vorgelegt, rollt eine publizistische “Wut-Welle” durchs Land. Überall ist vom notwendigen Subventionsabbau die Rede – darüber, was Subventionen sind, ließe sich übrigens trefflich streiten. Werden aber Subventionen gestrichen, erhebt sich auch in vielen Redaktionen genau darüber vielfach großes Klagen.

Ich höre und lese ständig, dass die Steuern sinken müssen, aber in der gleichen Sendung oder in der gleichen Zeitung wird mehr Geld vom Staat für dieses oder jenes gefordert. Neuerdings verteilt die “Bild”-Zeitung sogar Aufkleber, mit denen gegen den hohen Benzinpreis und die Ökosteuer protestiert werden soll. Nun will ich mich nicht zur Ökosteuer äußern. Aber wissen die Menschen, die solche Aufkleber tragen, dass ihre Ökosteuer in die Rentenkasse fließt? Und kommt dann auch konsequenterweise die nächste Aktion – Aufkleber für höhere Rentenbeiträge oder gar für Rentenkürzungen?

Jeder kennt die Wechselwirkung von Medienberichterstattung und Wahlentscheidungen. Wenn Journalisten also von Politikern unpopuläre Maßnahmen verlangen, können sie nicht am nächsten Tag die gleichen Politiker dafür kritisieren, dass sie Unpopuläres tun. Das ist zumindest gedankenlos. Meistens ist es populistisch. Beides schafft weder Glaubwürdigkeit noch Vertrauen.

Mein siebter Satz hängt damit eng zusammen:
Journalisten sind Beobachter, nicht Handelnde.

Ich habe diese Aufkleber-Aktion gerade erwähnt. Man mag das für eine Spielart des Boulevard halten und nicht weiter wichtig nehmen. Aber ich stelle doch fest, dass Medien und Journalisten immer häufiger selbst zu Handelnden werden wollen. Täuscht mein Eindruck, dass selbst in großen Magazinen die modische Trendgeschichte heute mehr gilt als die profunde Analyse? Dabei werden Fakten, die der Überschrift entgegenstünden, ganz bewusst ignoriert, um den Effekt der These zu verstärken und immer öfter kann man auch den Eindruck gewinnen, der Weltuntergang stehe unmittelbar bevor.

Ich spreche hier nicht über kritische Berichterstattung, die Missstände enthüllt und Skandale aufdeckt und damit natürlich auch Einfluss nimmt auf politische Entwicklungen. Das ist eine geradezu klassische Aufgabe des Journalismus und deshalb empfinden sich die Medien zu Recht auch als Kontrollinstanz im demokratischen System.

Gefährlich wird es da, wo Journalisten politische Prozesse oder gar Wahlentscheidungen durch aktives, von anderen Interessen geleitetes Handeln beeinflussen. Gefährlich wird es da, wo durch Zuspitzung oder Halbwahrheiten Stimmungen absichtlich verstärkt oder sogar erst gemacht werden.

In einem demokratischen System unterwerfen sich die gewählten Repräsentanten der Kontrolle durch den Bürger – sie übernehmen für eine begrenzte Zeit Verantwortung und sie können bei Wahlen abgewählt werden. Medien und Journalisten unterliegen einer solchen demokratischen Kontrolle nicht. Warum auch? Sie machen ja keine Gesetze, sie wählen keine Regierungen, sie berufen keine Minister. Was aber geschieht, wenn sie doch Einfluss nehmen? Wer kontrolliert, ob und auf welchem Wege sie das tun? Wer prüft, welche ökonomischen Interessen die beteiligten Medienunternehmen dabei möglicherweise haben? Wo verläuft die Grenze zwischen Aufklärung, Meinung und Manipulation?

Vor diesem Hintergrund muss man sehr vorsichtig umgehen mit Begriffen wie “Kampagne”. Wird dieser Vorwurf aber erhoben, dann muss man ihn umso ernster nehmen. Es geht dabei um mehr als nur um die Auseinandersetzung zwischen Politikern und Journalisten. Es geht letztlich um die Transparenz von politischen Entscheidungsprozessen und diese Transparenz ist ein Grundpfeiler unseres demokratischen Systems.

Manipulation kann auf unterschiedliche Weise stattfinden. Eine halbe Wahrheit ist oft schlimmer als eine ganze Lüge, habe ich in meiner letzten “Berliner Rede” gesagt.

Deshalb ist mir der nächste Satz so wichtig:
Journalisten sollen die Wirklichkeit abbilden.

Über die in Deutschland verbreitete Lust zur Schwarzmalerei habe ich ja vor einigen Wochen gesprochen. Es gibt aber noch ein anderes Phänomen, das mich beunruhigt. Es gehört ja inzwischen zum guten Ton, dass Medien ständig Exklusives melden und damit in eigener Sache werben. Daran ist nichts auszusetzen, wenn die Meldung denn auch stimmt. Inzwischen hat sich aber ein verhängnisvoller Medien-Mechanismus entwickelt, der die Politik und das Land in einen atemlosen Zustand Art permanenter Dauererregung versetzt.

Ich will versuchen, diesen Mechanismus an einem Beispiel ganz plastisch zu erläutern. Vor drei Wochen erklärte der Bundesverkehrsminister in einem Interview mit einer Sonntagszeitung, was seit Jahren die Rechtslage in Deutschland ist: Privatunternehmen, die ein neues Verkehrsprojekt privat finanzieren und betreiben, können eine Mautgebühr für dieses Projekt erheben. “Allerdings”, so sagte Manfred Stolpe, “ist diese Variante auf Grund europäischer Rahmenbedingungen beschränkt auf Tunnel, Brücken oder Gebirgspässe und einige wenige Bundesstrassen und Autobahnen.” So weit der Originalton.

Die Zeitung macht daraus die Überschrift “Stolpe will Maut für Pkw” und gibt eine Vorabmeldung an die Nachrichtenagenturen. Am Samstag meldet die erste Agentur: “Stolpe – Maut auch für Pkw denkbar”. Die nächste spitzt schon weiter zu: “Stolpe plant Maut auch für Pkw”. Am Abend, das Interview ist noch immer nicht erschienen, beliefert eine andere Zeitung die Agenturen vorab mit einer exklusiven Stellungnahme des ADAC, der “mit allen Mitteln gegen die Pkw-Maut kämpfen” wolle.

Am Sonntag, das Interview ist endlich erschienen, stellt das Ministerium klar, dass keine Maut geplant sei. Wenige Stunden später weist ein Grüner die Pläne Stolpes zurück, der CSU-Generalsekretär spricht von “hemmungsloser Abzockerei”, die CDU kritisiert die “neue Schröpfkur”.

Am Montag ist die offenbar unmittelbar bevorstehende Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland das Thema aller Kommentare, es gibt Sonderberichte im Fernsehen, Experten werden befragt, die Opposition beschimpft die Regierung und umgekehrt.

So geht das noch drei, vier Tage. Danach kehrt langsam wieder Ruhe ein. Der Nebel lichtet sich. Es gibt keine allgemeine Pkw-Maut, das hat auch niemand geplant. Der Verkehrsminister sei “lädiert”, schreibt eine Zeitung, und nicht nur die Bürger sind verunsichert und fragen sich: “Sind denn alle verrückt geworden?”

Es gibt inzwischen leider viele Beispiele dieser Art. Virtuelle Debatten, deren Ursprung keinerlei Aufregung rechtfertigen würde, beschäftigen Journalisten und Politiker tagelang, manchmal wochenlang. Aus Referentenentwürfen werden in den Nachrichten Gesetzesvorhaben, aus Interviewäußerungen werden in der flotten Moderation gleich Pläne. Das Ergebnis ist immer dasselbe: Die Bürger verstehen immer weniger, was wirklich und was wirklich wichtig ist. Sie wenden sich ab und beschließen, vorsichtshalber gar nichts mehr zu glauben. Dafür tragen Journalisten eine erhebliche Mitverantwortung.

Das führt mich zu meinen beiden letzten Sätzen. Der eine lautet:
Journalisten tragen Verantwortung für das, was sie tun.

Es ist in den vergangenen Wochen viel von Ethik in Politik und Wirtschaft die Rede gewesen. Auch ich habe mich dazu ja häufig geäußert. Die Medien verweisen gern darauf, dass es solche Richtlinien dort längst gibt und auch Kontrollinstanzen wie den Presserat. Aber sind Sie sicher, dass das, was sich in Jahren bewährt hat, auch heute noch zuverlässig wirkt? Im Kampf um Quoten, und damit um den lukrativen Werbemarkt, geht es heute um viel Geld. Ich fürchte, dass immer mehr Verantwortliche in der Medienbranche bereit sind, dafür auch einen hohen Preis zu zahlen.

Ich finde es nicht akzeptabel, wenn Fotos von toten deutschen Polizeibeamten im Irak veröffentlicht werden. Ich finde es abstoßend, wenn Menschen zur Belustigung anderer im Dschungel oder in heimischen Talkshows in demütigenden Situationen vorgeführt werden. Auch der Einwand, dass dies doch freiwillig geschehe, überzeugt mich nicht. Ich bezweifle, dass die Betroffenen immer richtig einzuschätzen können, was mit ihnen geschieht.

Die Würde des Menschen ist unantastbar, steht im Grundgesetz. Und dennoch wird die Menschenwürde in Medien immer öfter angetastet – nicht selten unter dem Vorwand journalistischer Kritik. Persönliche Angriffe auf Menschen sind aber etwas anderes als sachliche Kritik. Ich weiß, dass der Grat zwischen beidem manchmal schmal ist. Aber kein journalistisches Interesse kann die gezielte Verletzung von Menschen rechtfertigen. Übrigens: auch Politiker sind Menschen. Und eine Schlagzeile wie “Frau Minister, Sie machen uns krank”, ist kein Kommentar zur Gesundheitspolitik. Das ist schlicht und einfach eine Entgleisung.

Wer im Privatleben anderer Menschen wühlt, kann sich nicht einfach auf ein öffentliches Interesse berufen und die Tragödien ignorieren, die sich aus solchen Berichten nicht selten ergeben. Wer einem Menschen, der den Bundeskanzler tätlich angreift, über mehrere Seiten Raum zur unreflektierten Selbstdarstellung gibt, muss sich der Folgen einer solchen Berichterstattung bewusst sein. Wer grausame Gewaltverbrechen oder Kriegsgräuel um des Schockeffektes willen detailreich ausbreitet, muss wissen, was er damit anrichtet.

Das häufigste Argument zur Verteidigung solcher journalistischen Grenzverletzungen ist für mich zugleich das armseligste: Die Zuschauer oder die Leser, so heißt es, wollten das so. Selbst wenn es so wäre – was ich in vielen Fällen bezweifle: Ist es nicht ein Armutszeugnis, wenn sich Blattmacher oder Programmplaner damit aus der eigenen Verantwortung für ihr Blatt oder ihr Programm stehlen?

Mein letzter Satz ist letztlich nur eine Erweiterung dieses Themas:
Journalisten tragen Verantwortung für unser Gemeinwesen.

Ich weiß, dass da mancher zusammenzuckt, denn Journalisten wollen ja gerade nicht staatstragend daherkommen. Aber sollten Sie das nicht gelegentlich doch? Bei aller gebotenen Distanz: Es ist auch Ihr Staat, über den Sie berichten, dessen Bild Sie durch Ihre Arbeit prägen. Es kann Ihnen eigentlich nicht gleichgültig sein, wie es um diesen Staat bestellt ist.

Wenn Sie erlauben, will ich mich ein zweites mal selber zitieren: : “Vieles in unserer Gesellschaft, vieles in Politik und Wirtschaft gibt wahrlich Anlass zu Kritik. Die kritische Auseinandersetzung mit Fehlern und Mängeln kann das Vertrauen stärken. Es gibt aber auch in den Medien eine fatale Lust an Schwarzmalerei und klischeehafter Übertreibung. Diese Lust fördert die Entfremdung der Bürger von Politik und Staat.” Das habe ich vor wenigen Wochen in der “Berliner Rede” gesagt.

Noch einmal: Natürlich tragen Politiker eine erhebliche Verantwortung dafür, wenn durch Missmanagement oder das Fehlverhalten einzelner die Politik insgesamt in Misskredit gerät. Das habe ich ja vor kurzem nochmals sehr deutlich kritisiert.

Die häufig zu beobachtende Politikverdrossenheit wird aber auch durch ein undifferenziertes Bild gefördert, das Medien von Politik vermitteln. Häme und Zynismus können ein Gemeinwesen ebenfalls in Gefahr bringen.

Kritik an Politik darf sein, ja sie muss sein. Die Grenze verläuft aber da, wo Politik und Politiker insgesamt verächtlich gemacht werden. Das Bild vom Parlament als “Quasselbude” hat eine traurige Tradition in Deutschland.

Wer Politiker unter Pauschalverdacht stellt, zerstört ebenso Vertrauen wie jene Politiker, die den Verdacht im einzelnen Fall bestätigen. Übrigens: Auch Journalisten können gelegentlich irren. Allerdings erfahren die Leser und Zuschauer davon bemerkenswert selten. Dabei könnte die Glaubwürdigkeit der Medien sogar zunehmen, wenn sie falsche Meldungen bei besserem Wissen revidierten. Allzu häufig bleibt es aber bestenfalls bei einer verschämten Kurzmeldung, wenn sich ein zunächst groß aufgemachter Vorwurf hernach als falsch erweist.

Ich will hier gar nicht von eigenen Erfahrungen sprechen. Ich nenne Ihnen als Beispiel den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl. Über lange Zeit hinweg wurde der ungeheuerliche Verdacht erhoben und immer wieder publiziert, er und seine Bundesregierung seien im Zusammenhang mit dem Thema Leuna bestochen worden. Dieser Verdacht hat sich als haltlos erwiesen. Ich habe nicht wahrgenommen, dass Helmut Kohl in dieser Frage mit großen Aufmachern rehabilitiert worden wäre – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Dafür ist beispielsweise Hans Leyendecker zu danken. Die Mehrheit ist dagegen irgendwann zur Tagesordnung übergegangen und die alte Weisheit könnte sich einmal mehr bestätigen: Irgendwas bleibt immer hängen.

Was da hängen bleibt, beschädigt nicht nur den Ruf von Personen. Es beschädigt den Ruf und die Glaubwürdigkeit von Institutionen und zerstört so Vertrauen. Wir brauchen aber dringend neues Vertrauen, gerade in schwierigen Zeiten. Wir brauchen aktive Bürger, die sich in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen und Verantwortung übernehmen. Die Demokratie lebt nicht von Gesetzen, sondern von leidenschaftlichen Demokraten.

Meine Damen und Herren,

wir brauchen in dieser Demokratie auch leidenschaftliche Journalisten, die sich einmischen und Verantwortung übernehmen. Ich habe manche Sorge geäußert, aber ich sehe auch viel Positives. Wir haben noch immer eine bemerkenswert vielfältige Medienlandschaft. Es gibt viele Journalisten, bekannte und unbekannte, die in ihrem Beruf weit mehr leisten, als der Tarifvertrag von ihnen fordert. Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zu unserem Gemeinwesen, auch indem sie Missstände aufdecken und Fehlentwicklungen aufzeigen. Viele von ihnen sind heute hier, und ich freue mich darüber, dass Sie bei dieser Jahrestagung des netzwerks recherche Ihre eigene Arbeit so kritisch hinterfragen.

Politiker, und seien sie Bundespräsidenten, sind nur bedingt als Medienkritiker geeignet – ich habe das am Anfang erwähnt. Unsere Gesellschaft braucht eine selbstkritische Debatte innerhalb der Medien. Wir brauchen eine Diskussion über die Rolle und über das Verhalten von Medien aber nicht nur bei Treffen wie diesem, bei Gewerkschaftsversammlungen, auf Medientagen oder im Rundfunkrat. Ich wünsche mir, dass im Alltag, in Redaktionskonferenzen, aber auch bei Vorstandstreffen, kritisch über die eigene Arbeit und ihre Folgen und Wirkungen gesprochen wird.

Deutschlands Presse hat noch immer einen guten Ruf. Aber das ist keine Selbstverständlichkeit, und das ist auch nicht für immer gesichert. Die Medien vermitteln ein Bild der Wirklichkeit, aber sie vermitteln damit gleichzeitig auch ein Bild von sich selbst. Beides erscheint mir reformbedürftig.

Rede von Erwin Bixler (2004)

Rede  – von Erwin Bixler

Rede von Erwin Bixler beim Jahrestreffen des Netzwerk Recherche am 05.06.2004 im NDR-Konferenzzentrum in Hamburg

Sehr geehrte Damen und Herren,

einer der heute stattfindenden Workshops wird das Thema “Whistleblower – Quellen ohne Schutz” bearbeiten. Deshalb wurde ich eingeladen.

Dafür danke ich dem “Netzwerk Recherche” ganz herzlich. Seiner Bitte, Ihnen über meine Entwicklung zum so genannten Whistleblower und meine einschlägigen Erfahrungen zu berichten, werde ich während der nächsten Minuten gerne nachkommen.

Gestatten Sie mir einige Bemerkungen zur Vorgeschichte:

Seit 1986 arbeitete ich in verschiedenen Funktionen in der Abteilung Arbeitsvermittlung eines Arbeitsamtes. Dabei bekam ich mit, wie das Geld der Beitrags- und Steuerzahler auch für viele unsinnige Aktivitäten ausgegeben wurde: marktferne Umschulungen und Fortbildungen, ineffektive Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und dergleichen. An die Stelle von echten Erfolgen traten zunehmend mehr oder weniger systematisch geschönte Statistiken.
Anfang der 90er Jahre war ich es Leid geworden, meinen Lebensunterhalt überwiegend durch das Mitwirken am Bau und bei der Pflege der >Potemkinschen Dörfer< der Bundesanstalt für Arbeit und durch das weitgehend wirkungslose Ausgeben uns anvertrauten Geldes bestreiten zu sollen. Ich wollte mein Gehalt für eine sinnvolle Arbeit erhalten.

Damals verfasste ich gemeinsam mit einem damaligen Vorgesetzten für eine Fachzeitschrift einen Artikel über die Probleme der öffentlichen Arbeitsvermittlung.

Ich war schon so weit, mich damit abzufinden, dass das Schreiben von Artikeln und Leserbriefen zwar das eigene Gewissen zeitweise zu beruhigen vermag, aber ansonsten gar nichts bringt. Da bot sich mir 1997 die Chance, mein Anliegen intensiver verfolgen zu können:

Der Gesetzgeber hatte der Bundesanstalt nach bald 50 Jahren ihres Bestehens eine Innenrevision verordnet. Aus meiner Führungsposition in einem Arbeitsamt bewarb ich mich als Prüfer in der gerade im Aufbau befindlichen Innenrevision der BA, obwohl das für mich finanzielle Einbußen und wesentlich längere Fahrtzeiten bedeutete.

Dafür durfte ich fortan von Amts wegen tun, was ich bis dato gewissermaßen nebenbei getan hatte: recherchieren, analysieren, bewerten, Verbesserungen vorschlagen … Aber vor allem musste – und durfte – ich meinen Vorgesetzten jetzt ganz offiziell berichten, was wir von der Innenrevision bei unseren sehr gründlichen Recherchen vorgefunden und entdeckt hatten.

Aber auch diese ganz offizielle Kritik wurde systematisch ignoriert. (Dasselbe Schicksal erlitt übrigens ein “Panorama”-Bericht, der im September 98 gesendet wurde. Dieser Beitrag beschäftigte sich – völlig unabhängig von meinen unmittelbar zuvor durchgeführten Untersuchungen – ebenfalls mit der Erzeugung >virtueller Arbeitsvermittlungen<. – Als es allerdings gut zwei Jahre später darum ging, bestimmte Leute von der Substanz meiner Vorhaltungen zu überzeugen, sollte sich dieser “Panorama”-Bericht doch noch als sehr hilfreich erweisen. Deshalb an dieser Stelle: Herzlichen Dank an die Redaktion von “Panorama”!)

Nachdem die oberste Anstaltsleitung meine Berichte “so nicht” hinnehmen wollte, war ich zeitweise gewillt, diesen aussichtslos erscheinenden Kampf aufgeben.
Als es mir dann aber doch wieder zu bunt wurde, raffte ich mich noch mal auf: Am 5. Oktober 2000 schrieb ich meinem damaligen Referatsleiter einen Vermerk. In diesem Schriftstück wies ich darauf hin, dass unser Controlling “auf die Beteiligung am Bau ‚Potemkinscher Dörfer’ hinaus” laufe.

Wieder keine für mich erkennbare Reaktion.

Als nächstes veröffentlichte ich in der Mai/Juni-Ausgabe 2001 der Mitarbeiterzeitschrift “DIALOG” einen weiteren Leserbrief. Darin stellte ich geschäftspolitische Schwerpunkte, Praktiken und Zahlen in Frage, die vom damaligen Präsidenten hoch geschätzt und eingefordert wurden.

Erneut keine erkennbare Reaktion.
(Ein gutes Jahr später, genau am 11. Juli 2002, erfuhr ich aber, dass mein letzter Vermerk und mein letzter Leserbrief wenigstens nicht ganz folgenlos geblieben waren: Am 29. Oktober 2001 unterschrieben nämlich die damalige Präsidentin meiner Dienststelle und mein Referatsleiter eine neue Beurteilung meiner dienstlichen Leistungen und meines Potenzials. Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich Ihnen sage, dass diese Beurteilung wesentlich schlechter ausfiel, als alle Beurteilungen in den davor liegenden 25 Jahren.)

In diesen Monaten nach meinem Vermerk und der Veröffentlichung meines Leserbriefes war mir aber auch ohne das Wissen um diese insgeheim erfolgte neue Beurteilung völlig klar geworden, dass es mir demnächst an den Kragen gehen wird. Dafür hatte ich mehrere Anzeichen.

Als ich dann Mitte Dezember 2001 davon hörte, dass der Bundesrechnungshof auf einem von ihm untersuchten Teilgebiet ähnliche Feststellungen getroffen haben soll wie ich drei Jahre zuvor, wagte ich endlich den mir bis dahin unvorstellbar großen Schritt. Es war eine Mischung aus Verzweiflung, Trotz, Hoffnung und >fatalistischen Anwandlungen<, die mich etwa folgendes denken ließ: Wenn schon, denn schon! Jetzt gilt’s! Kaltstellen und versenken werden sie dich ohnehin – also muss ich auch diese Gelegenheit noch nutzen!

Wenige Tage später, nämlich am frühen Morgen des Heiligen Abends 2001, schrieb ich dem damaligen Staatsminister beim Bundeskanzler Hans Martin Bury einen eineinhalbseitigen Brief. In diesem Schreiben teilte ich Bury unter anderem mit, dass ich über eine “durchaus skandalträchtige Sache” informiert bin, dass der Bundesrechnungshof in der gleichen Sache auch schon unterwegs sei und so weiter. Ich bat um ein Gespräch.
Trotz mehrmaligen Nachfragens reagierte weder Bury noch einer seiner Mitarbeiter. Deshalb schrieb ich vier Wochen später an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, aber direkt an den damaligen Arbeitsminister Walter Riester. Dieser Brief an Riester fiel wesentlich ausführlicher aus als das Schreiben an Bury.
(Am Vormittag des 23. Januar 2002, ich saß noch am Schreiben an den Arbeitsminister, erhielt ich einen Anruf. Man unterrichtete mich darüber, dass in der Hauptstelle in Nürnberg eine heillose Aufregung herrsche. Vor ein, zwei Wochen sei dort eine Prüfungsbeanstandung des Bundesrechnungshofes eingetroffen, in der die Validität der Vermittlungszahlen erheblich in Zweifel gezogen werde. Nun habe der Präsident die Innenrevision beauftragt, die Beanstandung des Rechnungshofes durch eigene Untersuchungen zu entkräften.
Ach, du meine Güte! dachte ich, in Nürnberg bereitet man bereits die Widerlegung des Bundesrechnungshofes vor – und ich schreib’ hier noch rum. Dann rief ich kurzerhand im Ministerium in Berlin an, ließ mich mit dem Ministerbüro verbinden, erklärte einer Dame den Grund meines Anrufes, bat sie um Ihre E-Mail-Adresse und avisierte ihr bereits für die nächsten Minuten eine E-Mail mit dem noch nicht ganz fertigen Schreiben an den Minister.
Am nächsten Tag, dem 24. Januar 2002, gab ich dann mein – um eine Passage zu dem einen Tag zuvor erhaltenen Anruf ergänztes und mit etlichen Anlagen versehenes – Schreiben zur Post.)

Plötzlich ging alles rasend schnell: Bereits am 28. Januar wurde ich telefonisch für den 30. Januar nach Berlin ins Ministerium eingeladen.

(In diesen für mich unvergesslichen Tagen erwies sich ein weiterer Fernseh-Beitrag als hilfreich. Er hieß “Die sinnlose Milliarden-Schlacht” und wurde an eben diesem Montag, dem 28. Januar 2002, gesendet. Sein Gegenstand war die >Sinnhaftigkeit< von Umschulungsmaßnahmen. Auch zu dieser Thematik hatte ich dem Schreiben an den Arbeitsminister als Anlage einen umfangreichen Revisionsbericht beigelegt. Der Fernseh-Beitrag erschien mir dermaßen authentisch, dass mir schon peinlich zumute wurde. Ich dachte, die im Ministerium werden wohl denken, dass ich … Aber ich hatte mit dem Beitrag nichts zu tun. Gleichwohl ein Kompliment und ebenfalls ein herzliches Dankeschön an die Redaktion von “Report Mainz” für “Die sinnlose Milliarden-Schlacht”!)

Am Mittwoch, dem 30. Januar 2002, saß ich einigen leitenden Beamten des Arbeitsministeriums sechs Stunden lang Rede und Antwort. Man gab sich wider Erwarten freundlich.

Nach diesem Gespräch war “Feuer unterm Dach”. So ein Vertrauter Riesters laut “Spiegel”.

Noch am selben Tag wurden der ebenfalls einbestellte Präsident Jagoda und sein Tross mit meiner Eingabe konfrontiert und aufgefordert, dazu bis zum nächsten Tag Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme fiel, so Riester in verschiedenen Interviews, nicht befriedigend aus.

Am 4. Februar rief mich dann doch noch ein leitender Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes an und bedankte sich für das Schreiben an Bury. Später erfuhr ich aus der “Tagesschau”, dass die “Süddeutsche Zeitung” am selben Tag gemeldet hatte, dass der Bundesrechnungshof die Vermittlungszahlen der Bundesanstalt beanstandet habe. Die “Süddeutsche” verfügte plötzlich über eine Kopie der bereits Wochen zuvor bei der BA und im Ministerium eingetroffenen Prüfungsbeanstandung des Bundesrechnungshofs.

Jetzt überschlugen sich die Ereignisse: Mittwochs, 6. Februar, gab Riester eine Pressekonferenz. Dabei erwähnte er, dass nicht nur der Bundesrechnungshof Beanstandungen getroffen habe, sondern auch ein Revisor der BA bei ihm vorstellig geworden sei, der viel weiter gehende Vorwürfe mache.

Einer der Arbeitsmarktexperten aus seinem Ministerium teilte mir das noch am frühen Nachmittag desselben Tages telefonisch mit. Der Anrufer gab deutlich zu erkennen, dass ihm das Vorpreschen des Ministers gar nicht gelegen kam. Ich müsse nun damit rechnen, dass mich Journalisten ausfindig machen würden. Die “Journaille” sei in diesen Dingen sehr hartnäckig. Ich solle gar nichts sagen. “Notfalls”, stellte er mir in Aussicht, würde man mich für einige Tage “aus dem Verkehr ziehen.”
Da ich mich ungern aus dem Verkehr ziehen lasse, versuchte ich, ihn mit dem Hinweis zu besänftigen, dass es wohl nicht so einfach sein dürfte, einen einzelnen Mitarbeiter der Anstalt ausfindig zu machen.

Tags darauf rief die erste Journalistin an. Freitags stand mein Name im Berliner “Tagesspiegel” und das Telefon nicht mehr still. Das “Handelsblatt” und die “Financel Times Deutschland” zitierten bereits aus meinem Schreiben an Riester. Das Kanzleramt geriet unter Beschuss, und ich in die “Tagesschau”.
Zu alledem meldete sich noch die saarländische Kripo bei mir. Man hatte ihr gesteckt, dass der an diesem Freitag verübte Selbstmord eines Arbeitsamtsdirektors mit meiner Aktion zusammenhängen könne.
Inzwischen war ein Hausbesuch meines Arztes dringend angesagt. Dass mich der “Bericht aus Berlin” an diesem Abend schließlich noch als den “Mann” vorstellte, “der heute die Regierung ins Wanken brachte”, nahm ich dann schon relativ gleichmütig hin.
Samstags fand ich auch mein Schreiben an Bury in der Bild-Zeitung abgedruckt.

Diese Indiskretionen brachten mir zwar einige anstrengende Tage und eine beträchtliche Gewichtsreduzierung ein. Aber die Veröffentlichung meines Namens und meiner Schreiben hat mir darüber hinaus nicht geschadet. Ganz im Gegenteil: Zuerst war ich ja einigermaßen sauer auf die unbekannten Informanten der Journalisten, die meinen Namen und meine Schreiben veröffentlichten.
Aber schon wenig später sah ich mich diesen Informanten und den Journalisten zu großem Dank veranlasst. Was hätte man später mit mir angestellt, wenn meine Rolle in dieser Sache und meine Identität allein einigen Führungskräften des ehemaligen Arbeitsministeriums und der Bundesanstalt für Arbeit bekannt geblieben wären?

Mit der Öffentlichkeit und mit Journalisten hatte ich in diesen Wochen also keine nachhaltigen Probleme. Sorgen bereiteten mir weiterhin ausschließlich einige Leute in der Bundesanstalt:
Auf regionaler Ebene überzog man mich mit einem öffentlich geführten Streit um die Frage, ob ich berechtigt gewesen sei, den Dienstweg abzukürzen. Während die Hauptstelle nach anfänglichem Abstreiten einräumte, 1998 aus Saarbrücken einschlägige Hinweise erhalten zu haben, wollte in Saarbrücken niemand etwas von meinen Revisionsberichten, Artikeln, Leserbriefen und Vermerken gewusst haben.
Indessen versuchte die Hauptstelle, sich unter anderem mit der selbst gestrickten Kompliziertheit der Weisungen zur Statistik herauszureden. Und zu allem Elend traten auch noch die beharrlichen Verteidiger des >Sozialstaates< auf den Plan, um die BA, diese Säule der sozialen Sicherung, gegen >widerliche Vorwürfe< in Schutz zu nehmen.

Dennoch: Keine drei Wochen nach dem plötzlichen Ausbruch des “Arbeitsamt-Skandals” mussten Präsident Jagoda und der für die Bundesanstalt über Jahrzehnte hinweg verantwortliche Staatssekretär ihren Hut nehmen. Einen Tag später, am 22. Februar 2002, verkündeten der Bundeskanzler und sein damaliger Arbeitsminister vor der Bundespressekonferenz die vollständige Erneuerung der Bundesanstalt für Arbeit.

Bei mir war inzwischen wieder einigermaßen Ruhe eingekehrt. Aber die Anstrengungen und Anfeindungen der zurückliegenden Wochen und Monate hatten deutliche Spuren hinterlassen. Trotzdem meinte ich nach zweieinhalbmonatiger Erkrankung, dass ich für den vorzeitigen Ruhestand noch zu jung sei. Deshalb begab ich mich im April 2002 wieder unter die Fittiche der angeblich bereits in der Erneuerung begriffenen Anstalt.

Es folgten 18 Monate, in denen ich mich einem eher subtilen Mobbing ausgesetzt sah:
Am Tag meiner Rückkehr wurde ich zu meiner Überraschung in ein “Back-Office” versetzt. Die personelle Konstellation war unverkennbar so angelegt worden, dass ich Probleme mit den dortigen Kollegen bekommen sollte. Aber diese miese Rechnung der Strategen ging nicht auf. In meinem neuen Referat begegneten mir ausgezeichnete Kolleginnen und Kollegen. Wir arbeiteten bis zuletzt gut und messbar erfolgreich zusammen.
Wenig später ließ man sich etwas ganz Neues einfallen: Unter dem Vorwand, etwas für mich tun zu wollen, wollte mich der damalige Personalchef dazu bewegen, mich auf eine höher dotierte Stelle im 700 Kilometer entfernten Chemnitz zu bewerben. Angeblich sollte ich schon bald wieder heimatnäher eingesetzt werden. Ich lehnte ab, und einige Monate später wurde das “Vorprüfungsamt” der Bundesanstalt, in dessen Dienst ich treten sollte, gänzlich abgeschafft …
Von der Welt außerhalb der Anstalt wurde ich so gut das ging abgeschottet. Dazu verfüge ich über einen aufschlussreichen Schriftwechsel.
Schließlich vollstreckte man die bereits erwähnte Beurteilung meiner dienstlichen Leistungen und meines Potenzials. Damit schuf man sich eine formal-juristisch schwerlich angreifbare Grundlage für weitere Formen subtilen und weniger subtilen Mobbings.

Nach drei erfolglosen Versuchen, gegen diese Beurteilung vorzugehen und einigen weiteren Blicken in eine trostlose Zukunft, fühlte ich mich endlich alt genug. Ich folgte dem dringenden Rat meines Arztes, mich dieser auf Dauer enervierenden Situation keinesfalls länger auszusetzen. Seit dem 1. Juni befinde ich mich im vorzeitigen Ruhestand.

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielleicht wurde es nicht deutlich – aber ich habe Ihnen gerade die Geschichte eines grandiosen Erfolges erzählt.

Sehen Sie: Manche Menschen sollen ja davon träumen, einmal in ihrem Leben einen bestimmten Berg zu erklimmen und auf seinem Gipfel zu stehen. Diese Menschen sind unter Umständen bereit, für die Verwirklichung ihres Traumes ihre Gesundheit und manchmal sogar ihr Leben aufs Spiel zu setzen.

Mein >Gipfeltraum< war, es eines Tages zu erreichen, dass sich genügend einflussreiche Kreise bestimmter Probleme und Verhältnisse annehmen.

Mein Traum ging in Erfüllung! Ich stand auf dem Gipfel >meines Berges Der Erfolg ist mir auch und gerade aus heutiger Sicht den gezahlten Preis wert. Ich hoffe, dass er sich eines Tages dergestalt auszahlen wird, dass es mehr und mehr Menschen wagen können, politische und sonstige Entscheidungsträger über gravierende Fehlentwicklungen zu informieren. Denn Reformen können am besten gelingen, wenn man mit dem Reformieren an den Stellen beginnt, an denen es wirklich brennt. Aber eben diese Stellen sollten den Entscheidungsträgern unseres Landes benannt werden dürfen, ohne dass der >Bote< Gefahr läuft, sich anschließend ziemlich schutzlos dem Zorn bloßgestellter Bürokraten ausgesetzt zu sehen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Grußwort von Maria von Welser (2004)

Grußwort  – von Maria von Welser

Dieses Grußwort hielt Maria von Welser, NDR-Landesfunkhausdirektorin, auf der Jahrestagung des netzwerks recherche am 05.06.2004 im NDR-Konferenzzentrum in Hamburg:

Meine Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen…ich möchte Sie sehr herzlich hier im Fernsehzentrum des NDR in Hamburg Lokstedt zu Ihrem Jahrestreffen im Namen des gastgebenden NDR begrüssen. Unser Intendant wäre gerne bei uns, es ist etwas dringendes dazwischen gekommen. So widerfährt mit die Ehre….

Wenn Sie sich seit gestern in dieser enormen Zahl hier im Norden der Republik einfinden, um sich dem Luxusgut Recherche zu nähern. Denn sind wir auch ein wenig Stolz, hier beim NDR. Denn Sie wären nicht hier, würden Sie nicht zu recht vermuten, dass Recherche und klassisch guter Journalismus auch hier zuhause sind.

Dass dies aber Ihrer aller Thema ist, liegt sicher auch an der schwierigen wirtschaftlichen Situation bei den Print-Medien und in den privaten Sendern. Kann man sich die Wahrheit noch leisten? Lange genug recherchieren, richtig men- oder womenpower einsetzen, den Dingen und Sachverhalten auf die Spur zu kommen?

Kein ganz neues Thema, hat doch der im vergangenen Jahr verstorbene und oft zitierte Neil Postman beim Thema Wahrheit schon einiges pessimistische zur Papier gebracht:

„Das Fernsehen, so schreibt er, verändert die Bedeutung von Informiertsein, indem es eine neue Spielart von Information hervorbringt, die man richtiger als Desinformation bezeichnen sollte. Desinformation aber bedeutet irreführende Information- unangebrachte, irrelevante, bruchstückhafte oder oberflächliche Information, die vortäuscht, man wisse etwas während sie einen in Wirklichkeit vom Wissen weglockt.
Neil Postman kommt zu dem Schluss:„ ich will damit sagen, dass dies, wenn die Nachrichten als Unterhaltung präsentiert werden, das unvermeidliche Ergebnis ist….„

Das würde bedeuten, dass sich zwischen Fernsehen und so etwas wie Wahrheit kaum noch eine Brücke bauen lässt. Was wir hier alle vehement verneinen würden, das sehe ich doch richtig.? Aber: natürlich müssen wir uns nicht erst seit dem Debakel bei der BBC nach dem Irakkrieg und dem Selbstmord des Waffenkontrolleurs Kelly fragen: wie halten wir es wirklich mit der Wahrheit? Denn die Affäre in Großbritannien wurde ausgelöst durch einen nicht in jeder Hinsicht wahrhaftigen Bericht eines Reporters. Wie es ausging wissen Sie: der Reporter musste gehen, die BBC-Spitze auch, ein Lord leitete einen Untersuchungsausschuss zur Frage: ob hier ein Parlamentsbericht aufgebläht worden sei, to sexy it up, heißt es seitdem, wenn an der Wahrheit vorbei geschrieben wird. Und der Premierminister Tony Blair kam mit mehr als einem blauen Auge, nein mit einem fast weißen Hemd davon.

Was verführt einen Journalisten, eine Journalistin, nicht die Wahrheit zu schreiben, zu sagen, zu zeigen? Drei Gründe können es sein:

  • Die Medien wollen die Wahrheit nicht zeigen, weil die Realität ihnen zu grausam, zu brutal erscheint, weil die Bilder zu furchtbar sind.
  • Die Medien können die Wahrheit nicht zeigen, weil sie die Wahrheit nicht kennen- oder aber gezielt getäuscht werden.
  • Oder die Medien zeigen die Wahrheit nicht, obwohl sie es gekonnt hätten….

Was sind die Gründe, wenn die Wahrheit zuerst stirbt? Einen Satz , den wir immer zu Beginn von Kriegen und Krisen besonders oft lesen und hören.

  • Das Problem ist da zum Beispiel mangelndes handwerkliches Können.
  • Oder: fehlender Mut oder der klare Wille, die Unwahrheit zu beschreiben, auch das sollten wir hier nicht außen vor lassen
  • Oder: mangelnde Recherche, und darum geht es Ihnen, meine Damen und Herren, heute vor allem.

Über die wirtschaftlich schwierigen Zeiten berichten, schreiben Sie, wir alle fast täglich. Wir müssen allesamt sparen. Aber: Recherche kostet Geld. Und Zeit. Arbeitszeit von Journalistinnen und Journalisten. Die Anzeigenerlöse sinken dramatisch, es wir immer mehr gespart. Dies zeitigt Folgen. Für die „Wahrhaftigkeit„.
Ich spreche hier jetzt über Tendenzen, nicht über schwarz und weiß sondern über eine Grauzone.

  1. Interviews sind billiger zu produzieren, als aufwändige Beiträge. Sie kosten oft nur einen Telefonanruf. Bei chronisch unterfinanzierten Programmen also eine beliebte Art Programm zu machen. Diese O-Töne füllen dann auch leicht die Nachrichten. Die Prüfung ihrer Relevanz allerdings bleibt häufig aus. Die Folge sind Worthülsen, gestanzte Sprache und Debatten in ausgetretenen Pfaden. Vom wahrhaftigen Bild der Realität weit entfernt. Interviews sind schnell verfügbar, und leichter finanzierbar.
  2. Einige wenige Medien, die sich Recherche leisten können, dominieren die Themen in unserem Land. Andere, aus Mangel an selbst recherchierten Themen , springen auf. Ganze Kampagnen durchziehen das Land. Ich erinnere nur an die Flugmeilenaffäre. Dann die Debatte um die Beraterverträge der Bundesagentur für Arbeit, und nicht nur dort. Die Beraterverträge des Leo Kirch haben es bisher dagegen kaum über Spiegel und Panorama hinaus geschafft. Da fehlt wohl an einigen Stellen der Mut, oder der Wille den Finger drauf zu legen.

Dabei geht es nicht um das Versagen einzelner Journalistinnen und Journalisten. Wir wissen, dass sie stark abhängen von den sozialen Bezugsrahmen ihrer Redaktionen und den Erwartungen ihrer Arbeitgeber. In der Krise spürt man das dann ganz besonders. Wahrhaftigkeit ist damit nicht nur eine Frage individueller Moral. Wahrhaftigkeit ist auch eine Frage der Qualität diese Systems. Das bedeutet: ein Mediensystem muss sich Wahrhaftigkeit leisten.Wenn Neil Postman sagt: das Fernsehen fördere die Desinformation, dann erscheint dies in der aktuellen Krise in einem noch anderen Licht. Zeitungen entlassen zu Hunderten Journalisten, in vielen Landkreisen berichtet nur noch eine einzige Zeitung, ein Monopol – und die Bundesregierung denkt über eine Reform der Pressefusionsgesetze nach — die, so fürchten viele, weitere Konzentrationen nach sich ziehen könnte.
In solchen Zeiten ist es sicher nicht schlecht, wenn Magazine wie Panorama, Monitor oder Report heute mehr denn je zur „Wahrheitsfindung„ beitragen. Krisensicherer Journalismus muss also einen hohen Stellenwert besitzen in einer funktionierenden Demokratie.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine Damen und Herren.
Wenn sich ein Mediensystem „Wahrhaftigkeit„ leisten muss, dann hat dies natürlich auch etwas mit Finanzierung zu tun. In unserem Fall bei den öffentlich-rechtlichen mit der Rundfunkgebühr. Sie ist eben auch ein Garant für krisensicheren Journalismus, eine Qualitätssicherung für das gesamte System.

Lassen sie mich nochmals auf die Vorgänge um die britische BBC zurückkommen. Die übrigens Vorbild war für den Aufbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland, ganz besonders hier im Norden bei der Gründung von „Radio Hamburg„ und später des NWDR.

Die Kelly-Affäre ist auch durch handwerkliche Fehler des BBC-Journalisten Andrew Gilligan verursacht worden. Am Ende hat jedoch sogar der Generaldirektor Greg Dyke seinen Hut nehmen müssen. Ihm waren weniger die Fehler seines Mitarbeiters vorgeworfen worden, sondern vor allem mangelnde Aufarbeitung nach der Eskalation des Skandals und Kellys Selbstmord.
Seinen Rücktritt aber nur auf diese Fragen allein zu reduzieren ist nicht die Wahrheit. Es ging und geht immer um mehr – um politischen Druck und um Abhängigkeiten. Aber es ging und geht auch um die Glaubwürdigkeit der BBC. Obwohl bis zum heutigen Tage die meisten Briten vor allem Tony Blair misstrauen und nicht der guten Tante Auntie The Beep…..

Ich denke, wir sind uns alle einig: Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit sind zentrale Unternehmenswerte für ein Medienhaus. Wir sehen das jedenfalls so für den NDR und für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland.

Wenn es nach den Umfragen geht, dann steht das ERSTE bei den Bürgern in diesem Lande auf Platz eins, in Punkto Glaubwürdigkeit. Und Wahrhaftigkeit.

Wir alle, davon bin ich überzeugt, fühlen uns diesen Werten verpflichtet. Ich wünsche Ihnen spannende Diskussionen und Gespräche.
Vielen Dank.

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 12, 27.05.2004

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Luxusgut Recherche – wie teuer darf Wahrheit sein?

Bundespräsident Johannes Rau spricht zum Auftakt des Jahrestreffens von Netzwerk Recherche am 5. Juni 2004 im NDR-Konferenzzentrum in Hamburg

Luxusgut Recherche – wie teuer darf Wahrheit sein?“. Diese Frage steht im Zenturm der diesjährigen Medienkonferenz der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche am 5. Juni in Hamburg. Im NDR-Konferenzzentrum werden rund 500 Vertreter aus den Medien, der Politik und anderen gesellschaftlichen Gruppen kontroverse Medien-Themen mit prominenten Referenten diskutieren. Ein Höhepunkt der Veranstaltung ist die Rede von Bundespräsident Johannes Rau, der eine kritische Bilanz seiner Erfahrungen im Umgang mit den Medien ziehen wird. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 10, 07.04.2004

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 9, 10.03.2004

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Top Ten der vernachlässigten Themen 2003

Initiative Nachrichtenaufklärung und Netzwerk Recherche stellen die Liste der am meisten vernachlässigten Nachrichten und Themen des vergangenen Jahres vor

Im Jahr 2003 gab es eine Fülle wichtiger Themen, über die in den Medien unzureichend berichtet wurde. Die Initiative Nachrichtenaufklärung und das Netzwerk Recherche haben am 7. Februar 2004 die Top Ten der vernachlässigten Themen 2003 vorgelegt.
Die Untersuchung und Analyse der Themen wurde von Journalisten, Wissenschaftlern und Studierenden der Journalistik vorgenommen. Auf Platz 1 der Liste setzte die Jury das Thema “Korruption: Deutsche Unternehmen schmieren im Ausland”. Auch die Machtverschiebung nach Brüssel ist wenig transparent. Ebenfalls unzureichend berichteten die Medien über die mangelnde Hochwassersicherheit von Chemieanlagen. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 8, 26.01.2004

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 7, 16.12.2003

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 6, 10.11.2003

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nr-Infobroschüre (2003)

nr-infobroschuere_2003Die Infobroschüre des nr “Recherche fordern und fördern” informiert über die konkreten Ziele des Netzwerk Recherche, das Stipendienprogramm und zieht (zwei Jahre nach der Gründung) eine erste Bilanz der Projekte:

  • die Jahrestreffen – Reflexion und Impuls für neue Ideen,
  • die “Verschlossene Auster” – Negativpreis für Auskunftsverweigerer in Politik und Wirtschaft,
  • der “Leuchtturm” – ein Medienpreis für besondere pubizistische Leistungen.

Infobroschüre “Recherche fordern und fördern” des Netzwerk Recherche (29 S., 647 KB) [PDF]

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 5, 08.10.2003

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 4, 14.08.2003

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 3, 06.08.2003

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 2, 05.06.2003

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Informationsfreiheitsgesetz muss zügig verabschiedet werden

Gemeinsame Presseerklärung der Organisationen Netzwerk Recherche, Transparency International und Humanistische Union, 27. Mai 2003

Aktionsbündnis macht sich für mehr Behördentransparenz stark

Die Einführung eines allgemeinen Akteneinsichtsrechts in Deutschland ist überfällig, nachdem es über zwei Legislaturperioden hinweg verschleppt wurde. Deshalb haben mehrere Organisationen beschlossen, sich künftig gemeinsam für diese Reform stark zu machen. Der Journalistenverband „Netzwerk Recherche“, die Bürgerrechtsorganisation „Humanistische Union“, und „Transparency International“, die Koalition gegen Korruption, wollen sich nachdrücklich dafür einsetzen, dass das im Koalitionsvertrag angekündigte Informationsfreiheitsgesetz auf jeden Fall in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Am Ende der vorigen Legislaturperiode war ein Entwurf des Innenministeriums am Widerstand der Ministerialbürokratie gescheitert. Weiterlesen

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