Beitrag zur Jahreskonferenz 2010
Fr./Sa., 09./10. Juli 2010, Hamburg

von Holger Wormer, Professor für Wissenschaftsjournalismus an der TU Dortmund

1. Experten nehmen eine zentrale Rolle in der journalistischen Berichterstattung ein. Ebenso zentral ist daher die Fähigkeit, geeignete Experten zu finden, zu bewerten und kritisch zu hinterfragen.

2. Expertenurteile dienen häufig als Surrogat für eine echte Auseinandersetzung mit komplexen Themen. Tatsächlich entbinden Expertenurteile Journalisten nicht von der Pflicht, sich selber in ein Thema einzuarbeiten. Eigenrecherche senkt die Abhängigkeit von reinen Expertenaussagen.

3. Der Respekt vor Experten und der Gültigkeit ihrer Aussagen ist zu groß. Journalisten fehlt aber häufig das notwendige Wissen und die Fähigkeit, die Rolle von Experten einzuschätzen. Dabei bietet gerade das Internet Chancen, Experten schnell richtig einzuordnen, weitere geeignete Experten zur Überprüfung zu finden sowie umgekehrt Expertennetzwerke und Abhängigkeiten zu analysieren.

4. Der Anspruch an einen Experten hängt auch von der Tragweite seiner Aussagen ab. An den Fußballexperten oder den „Erklärbär” für physikalische Phänomene auf der Basis von Schulwissen sind andere Anforderungen zu stellen als an den Gesundheitsexperten, der weit reichende Empfehlungen gibt, die über Heilung und Krankheit, unter Umständen über Leben oder Tod entscheiden können.

5. Ist ein „Experte” einmal als solcher in den Medien präsent, kommt es schnell zum Recycling der immer gleichen Köpfe auf allen Kanälen. Nicht selten mutiert der Experte auf einem hochspeziellen Gebiet dabei zu einer Art „Universalexperten” für vieles.

6. Ein Experte muss nicht zwangsläufig Wissenschaftler sein; ein international erfahrener Fußballtrainer hat durchaus Expertenstatus auf seinem Gebiet. Für Zuschauer, Zuhörer und Leser muss aber jederzeit klar sein, worin die Kompetenzen und Grenzen eines präsentierten Experten liegen. Wird der Anschein von Wissenschaftlichkeit erweckt, so muss der Experte auch über eine wissenschaftliche Expertise auf dem entsprechenden Gebiet verfügen. Ein Unternehmensberater ist kein wissenschaftlicher Experte, auch wenn er gerne als solcher auftritt.

7. Journalistische Grundregeln wie das Einholen einer Gegenmeinung können im Falle von Expertenstatements zu Verzerrungen führen („balance as bias”). Ohne entsprechende Einordnung bekommen wissenschaftliche Außenseitermeinungen oft ein überproportionales Gewicht in der Berichterstattung: Es entsteht der Eindruck eines großen Expertenstreits, obwohl unter den eigentlichen Experten ein praktisch vollständiger Konsens herrscht (Beispiel Klimawandel).

8. Die Wissenschaft selbst hat formale Kriterien für die Bewertung von Experten entwickelt, die auch Journalisten für einen ersten „Experten-Check” unbedingt nutzen sollten. Dazu gehören Fachpublikationen (in angesehenen Verlagen und möglichst begutachteten („peer reviewed”) Fachzeitschriften), Zitierhäufigkeit in der jeweiligen scientific community, Ruf der Person und seiner Institution unter Fachkollegen, Drittmittel, Forschungspreise, Patente und Lehrerfahrung. Wenngleich diese Kriterien nur Anhaltspunkte geben und zum Teil ambivalent sind (z.B. Drittmittel), ließen sich damit bereits die meisten Scharlatane erkennen.

9. Der Staat gefährdet mit einer an ökonomischer Prinzipien ausgerichteten Forschungspolitik, einem mitunter absurden Wettbewerb bei gleichzeitig fortschreitender Unterfinanzierung der Hochschulen eine zumindest prinzipielle Unabhängigkeit wissenschaftlicher Experten. Die zunehmend nur zeitlich befristete Förderng von Projekten, die Forderung nach Medienpräsenz der Institution und der Zwang zur Verwertbarkeit möglichst vieler Forschungsergebnisse erhöht den Drittmitteldruck auf Wissenschaftler und zerstört ihre relative Unabhängigkeit. In Bereichen wie der Medizin gibt es kaum noch einen „unabhängigen Experten”.

10. Umgekehrt funktioniert der verbreitete journalistische Reflex „Wissenschaftler xy erhält auch Projektmittel von Unternehmen z und ist deshalb nicht glaubwürdig” in dieser einfachen Form nicht mehr. In vielen Fällen – etwa bei Ingenieuren – sind Drittmittel aus der Industrie sogar ein besonderes Zeichen für Expertise auf einem bestimmten Gebiet. Voraussetzung ist dabei ein transparenter Umgang des Experten mit solchen Finanzierungen und ggf. die Erklärung eines „conflict of interest”.