„Erst Mensch, dann Journalist“ – Michael Obert

Panel „Im Reich des Todes” – Die Recherchen des Leuchtturm-Preisträgers 2013 mit Michael Obert und Moderatorin Katharina Finke (Foto: Sebastian Stahlke)

Michael Obert hat mit Folterern in Ägypten und Terroristen von Boko Haram in Nigeria gesprochen. Seine Reportagen sind preisgekrönt, vor kurzem feierte er sein Regiedebüt. Ein Porträt über einen Mann, der schon komplett in einer anderen Welt eingetaucht war und erst spät seine wahre Profession gefunden hat.

Es ist ein Schlag ins Gesicht gewesen und ein harter Bruch. So beschreibt Michael Obert das Aufwachen eines Morgens in Paris im Jahr 1993.

Er hatte das, wovon viele Betriebswirte träumen: einen gutbezahlten Job, Dienstwohnung und Dienstwagen – das Leben eines erfolgreichen Managers. Doch dann kam die traumatische Erfahrung, in der Michael Obert realisierte, dass er ein interessenloser Mensch war, der mehr in seinen Beruf rein gerutscht war, als ihn zu wählen. Statt wieder jeden Tag ins Büro zu fahren, buchte er sich ein Flugticket nach Südamerika. Zwei Jahre lang tourte er durch den Kontinent und erkannte dort, was er wirklich wollte: Geschichten erzählen. Weiterlesen

You’ll never walk alone – Recherchekooperationen

Altes Prinzip im neuen Gewand: Das „Experiment“ Recherchekooperation – Redaktionsübergreifende Recherche ist derzeit en vogue. Aber ist sie wirklich journalistisches Neuland? Bericht aus zwei Veranstaltungen

Podium: „Mafia-in-Deutschland.de -eine Recherchekooperation von Spiegel, WAZ, WDR und IRPI“

Panel „Mafia-in-Deutschland.de – Eine Recherchekooperation von Spiegel, WDR, WAZ & IRPI“ mit Anna Maria Neifer, Cecilia Anesi, Jörg Diehl, David Schraven und Moderator Jochen Becker (v.l.n.r., Foto: Wulf Rohwedder)

Stellen zwei Journalisten unterschiedlicher Medien bei ihrer Recherche fest, dass sie am selben Thema dran sind, haben sie zwei Möglichkeiten: gegeneinander arbeiten, oder miteinander. Jörg Diehl und David Schraven haben sich entschlossen, die Geschichte „Mafia in Deutschland“ miteinander zu machen – „weil wir uns so gut kannten“, sagt Jörg Diehl, Chefreporter bei Spiegel Online. Beide Journalisten waren in der Recherche schon weit fortgeschritten. Gemeinsam mit WDR-Volontärin Anna Neifer hat Schraven im Recherchepool der Funke-Mediengruppe ein Dokument mit Mitgliedern und Kontakten der Mafia in Deutschland zusammengestellt. Diese Datenbank hat der Spiegel ausgewertet. Gemeinsam mit dem WDR-Format „die story“ konnten Neifer, Schraven und Diehl ihre Geschichte um die Mafia in Deutschland auf allen Kanälen streuen – im Internet, im Spiegel, im WDR. Als sich die Recherchen nach Italien ausweiteten, holte man Cecilia Arnesi von „Investigative Reporting Project Italy“ (IPRI) dazu.
„Mafia in Deutschland“ ist das Ergebnis einer einmaligen Kooperation zwischen befreundeten Journalisten, die zufällig am gleichen Thema dran waren. Die Komplexität der Geschichte forderte mehrere Köpfe, die exklusive Geschichte sollte multimedial aufbereitet werden. Weiterlesen

Die undankbare Arbeit der Stringer

Panel „Handlanger und Lebensretter – Über die gefährliche Arbeit von Stringern in Krisengebieten“ mit Ahmed Jimale, Moderator Lutz Mükke und Joanna Itzek (v.l.n.r., Foto: Raphael Hünerfauth)

Mogadischu, 1992 – In Somalia herrscht Ausnahmezustand: Ein Großteilteil der Bevölkerung ist vom Hungertod bedroht, während sich die verfeindeten Clans erbitterte Kämpfe liefern und sich das Scheitern der UN-Mission abzeichnet. In einem solchen Chaos kann sich ein ausländischer Journalist nur mit der Unterstützung eines Einheimischen zurecht finden – den Stringern. Ahmed Jimale war einer von ihnen.

Sein erster Kontakt zur westlichen Medienwelt kam durch einen Zufall zustande: Albrecht Reinhardt, damaliger Leiter des ARD-Studios Nairobi war vor Ort und auf der Suche nach Mietwagen für sich und sein Filmteam. Ein Freund Jimales war Autovermieter, sprach allerdings kein Englisch. Also bat er Jimale, für ihn als Dolmetscher in den Verhandlungen mit den ARD-Journalisten auszuhelfen. Nach Abschluss des Autogeschäfts fragte ihn Reinhardt, ob er nicht noch bleiben und für ihn arbeiten wolle. Nachdem sich Jimale als vertrauenswürdiger Ortskundiger erwiesen hatte, wollte er  selbst filmen – und bekam spontan eine Kamera in die Hand gedrückt. „Dabei wusste ich leider überhaupt nicht, wie man so ein Ding bedient“, sagt er und lacht. Nur Wochen später sollte sein Filmmaterial von den Kämpfen in Mogadischu um die Welt gehen. Weiterlesen

Die Quotenfrau

Panel „Jung, weiblich, digital – Bestimmen Frauen die Online-Zukunft?“ mit Frauke Böger, Barbara Hans, Anita Zielina (v.l.n.r., Foto: Franziska Senkel)

Ginge es nach Frauke Böger von taz.de, hieße das Arbeitsmotto der deutschen Redaktionen: „Qualität statt Quote“. Fragt man dagegen Annette Bruhns von „ProQuote“, gäbe es schon lange eine verbindliche Frauenquote in deutschen Redaktionen.

Die beiden Frauen, jung, weiblich und digital unterwegs, bilden Gegenpositionen in einer Debatte, die seit über zwei Jahren Deutschland polarisiert: die Frage nach der Quotenfrau. Die auch vor dem Journalismus nicht Halt macht. Nicht vor Print-Redaktionen. Nicht vor Online-Redaktionen.

„Die Debatte um die Frauenquote an sich ist wichtig“, sagt Barbara Hans. „Man muss sich heutzutage rechtfertigen, wenn man keine Frauen beschäftigt.“

Trotzdem sind Frauke Böger (taz.de), Barbara Hans (Spiegel Online) und Anita Zielina (stern.de) gegen eine Frauenquote nach Bruhns‘ Vorstellungen. Mehr Frauen in Führungspositionen, das ja, aber bitte ohne „Alibi-Quote“, wie Anita Zielina sie nennt. Stattdessen müssten bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es Frauen ermöglichen, Beruf und Familie zu vereinen. Weiterlesen

Grüße aus Sotschi

Arnold van Bruggen (Foto: Raphael Hünerfauth)

Zwei Niederländer berichten seit fünf Jahren über Sotschi und die angrenzenden Länder. Anstatt nur auf Spenden zu setzen, konzipierten sie Bücher und Fotoalben, um ihr Projekt nachhaltig zu finanzieren. Ihren treuen Lesern schickten sie Postkarten.

Arnold van Bruggen und Rob Hornstra kamen gerade aus Abchasien zurück, da verkündete Vladimir Putin, in Sotschi würden 2014 die Olympischen Winterspiele ausgetragen. Die beiden Reporter konnten sich nur wundern. Sotschi? Ein Bezirk in unmittelbarer Nähe zu Abchasien und Georgien, einer Pulverfassregion, geringer Lebensstandard, kaum Industrie.   Inmitten in einer umstrittenen Region. Das wollten die beiden Niederländer weiterverfolgen. Das war 2007. Es war der Startschuss für „The Sochi Project“, dem ersten Crowdfunding Projekt in den Niederlanden, das 2009 begann und noch nicht beendet ist. Weiterlesen

Rechtsschutz vor dem Ruin

Panel „David gegen Goliath – Welchen Schutz brauchen Blogger und freie Journalisten?“ mit Mats Schönauer, Stephan Zimprich, Moderator Benno Stieber und Hubert J. Denk (v.l.n.r., Foto: Raphael Hünerfauth)

Blogger und freie Journalisten haben keine Rechtsabteilung eines Verlages im Rücken, um sich gegen aggressive Anwälte und deren Klagen zu schützen. Das kann in Extremfällen zum finanziellen Untergang führen – doch es gibt Wege, sich zu wehren.

Die journalistische Nahtoderfahrung des Hubert Denk begann mit dem Brief einer Anwaltskanzlei. Betreff: Unterlassungsklage. Ein bayerischer Unternehmer wollte Denk juristisch dazu verdonnern, dass sein Artikel über eine Parteispende nicht mehr verbreitet wird. Der freie Journalist aus Passau bat die Redaktion einer bayrischen Zeitung um Hilfe, die den Text veröffentlicht hatte. „Doch die unterschrieben die Unterlassungserklärung einfach und damit war das Thema für die erledigt“, erinnert sich Denk. Rechtliche oder finanzielle Unterstützung für den langjährigen freien Mitarbeiter? Fehlanzeige. Denk musste sich selbst einen Anwalt nehmen und verlor den ersten Rechtsstreit. Doch er wollte es darauf ankommen lassen, ging in die Revision – und riskierte seinen Ruin. „Ich hatte kein Geld für ein Hauptverfahren, das waren Kosten von über 8000 Euro.“ Nur dank der Hilfe von einigen betuchten Passauern konnte Denk um sein Recht kämpfen. „Wenn das nicht geklappt hätte, wäre ich existenziell vernichtet.“ Das Gericht gab ihm am Ende recht, der Unternehmer verlor und musste die Kosten tragen. Weiterlesen

Verschlossene Auster

Laudator Alfons Kifmann, ehemalige ADAC-Sprecher (Foto: Sebastian Stahlke)

Die „Verschlossene Auster“, der traditionellen Preis für den Informations­blockierer des Jahres, geht 2014 an den ADAC. Die Journalistenorganisation Netzwerk Recherche würdigt damit das Verhalten des Automobilclubs nach den Enthüllungen über Manipulationen beim „Gelben Engel“, dem vom ADAC ausgelobten Autopreis.

„Selten hat ein Preisträger so ‚überzeugend‘ auf kritische Berichterstattung reagiert wie der ADAC nach den ersten Berichten über Missstände beim ‚Gelben Engel‘“, so Netzwerk Recherche in der Begründung. Anstatt aufzuklären, habe der ADAC nach den ersten Enthüllungen in der „Süddeutschen Zeitung“ die Medien pauschal diffamiert. Bei der Preisverleihung des „Gelben Engels“ im Januar 2014 hatte der damalige ADAC-Geschäftsführer Karl Obermair die Recherchen eine „Schande für den Journalismus“ genannt.

„Als solche robusten Dementi nicht länger haltbar waren, hat sich die ADAC-Führung zwar entschuldigt, Fehler und Defizite wurden aber weiterhin nur scheibchenweise eingestanden“, heißt es in der Begründung weiter: „Bis heute ist von der angekündigten Transparenz bei Deutschlands größtem Verein noch nicht viel zu spüren.“ Weiterlesen

„Glauben Sie nie dem Archivar“

Panel „Recherchen im Gestern – Wie man historische Themen anpackt“ mit Henning Sietz, Moderator Egmont R. Koch, Rosalia Romaniec und Ingolf Gritschneder (v.l.n.r., Foto: Sebastian Stahlke)

Wie wühlt man sich durch unsauber archivierte Akten, wie kommt man an Zeitzeugen? „Recherche im Gestern“ ist kein angestaubtes Thema, sondern aktuell und gefragt wie nie. Die freien Journalisten Ingolf Gritschneder, Rosalia Romaniec und Henning Sietz berichteten von ihren Recherchen zur Zeitgeschichte.

Fast wäre seine Recherche schon am Archivar gescheitert. „Alle zwei Jahre kommt ein Journalist und fragt danach. Haben wir aber nicht“, hieß es beim Staatsarchiv in München, in dem eigentlich Akten über ein Attentat auf Adenauer im Jahr 1952 lagern sollten. Henning Sietz, als freier Journalist vor allem für die FAZ und DIE ZEIT unterwegs, war in einer Jahreschronik auf eine Notiz über das Attentat gestolpert. „Man wusste nichts darüber und das hat natürlich mein Interesse geweckt“, erzählt Sietz.

Er wälzte alte Zeitungen. Die Berichterstattung über die für Adenauer bestimmte Paketbombe, die im Polizeipräsidium München beim Versuch der Entschärfung explodierte und den Sprengmeister in den Tod riss, war nur kurz ein Thema. Sietz suchte nach den Ermittlungsakten zum Fall. Doch im Staatsarchiv München konnte man ihm nicht helfen, auch aus dem Adenauer-Haus in Bonn kam zunächst nichts Verwertbares. Doch nachträglich trudelte ein Brief ein mit einem Dokument, auf dem der Name des damaligen Ermittlungsleiters stand. Sietz machte ihn ausfindig – und der wiederum wusste noch genau, wie er die Akte damals beschriftet hatte: nicht mit „Attentat auf Adenauer“, sondern mit „Vergehen gegen das Sprengstoffgesetz“. So kam Sietz doch noch an die Polizeiakte und machte aus dem Fall ein Buch. „Glauben Sie dem Archivar nie, wenn er sagt, dass er die Akte nicht hat“, resümiert Sietz. Im Staatsarchiv München treffe an manchem Tag gern mal ein ganzer Möbelwagen neuer Akten ein. „Die meisten Archivare können gar keinen Überblick über ihre riesigen Bestände haben.“ Weiterlesen

Was ist uns Recherche wert? USA und Deutschland im Vergleich

Vor einigen Jahren bereits wurde in den USA und in Deutschland der Tod des Investigativjournalismus‘ vorhergesagt. Bis Wikileaks und die Snowden-Dokumente veröffentlicht wurden. Heute liegt im Investigativen Journalismus die große Hoffnung der Journalismus. Vier Größen beider Länder blicken zurück und nach vorn.

Panel „Was ist uns Recherche wert? – USA und Deutschland im Vergleich“ mit Georg Mascolo, Seymour Hersh, Moderatorin Brigitte Alfter, Monika Bäuerlein und Andrew Lehren (Foto: Wulf Rohwedder)

Deutsche Investigativjournalisten haben einen guten Ruf als die ‚vierte Macht‘, sind untereinander aber gnadenlos. Dagegen heisst es von den US-Amerikanern, sie wühlten im Dreck und hinterließen verbrannte Erde – allerdings würden sie untereinander stärker zusammenhalten. So weit die Vorurteile.

Trotz der verschiedenen Kulturen war die Tendenz in beiden Ländern lange Zeit eindeutig: Wer investigativ arbeiten wollte, musste es entweder in seiner Freizeit tun oder seine Arbeit im Hamsterrad verringern, um recherchieren zu können. Wegen Geldmangels und großer Orientierungslosigkeit verblasste der Recherchejournalismus neben vermeintlich ertragreicheren Gattungen. Sowohl in Deutschland, als auch in den USA lagen die Grabreden für den „research journalism“ bereits in den Schubladen. Weiterlesen

„Verschlossene Auster“ 2014 geht an den ADAC

Die „Verschlossene Auster“, der traditionellen Preis für den Informations­blockierer des Jahres, geht 2014 an den ADAC. Die Journalistenorganisation Netzwerk Recherche würdigt damit das Verhalten des Automobilclubs nach den Enthüllungen über Manipulationen beim „Gelben Engel“, dem vom ADAC ausgelobten Autopreis. „Selten hat ein Preisträger so ‚überzeugend‘ auf kritische Berichterstattung reagiert wie der ADAC nach den ersten Berichten über Missstände beim ‚Gelben Engel‘“, so Netzwerk Recherche in der Begründung. Anstatt aufzuklären, habe der ADAC nach den ersten Enthüllungen in der „Süddeutschen Zeitung“ die Medien pauschal diffamiert. Bei der Preisverleihung des „Gelben Engels“ im Januar 2014 hatte der damalige ADAC-Geschäftsführer Karl Obermair die Recherchen eine „Schande für den Journalismus“ genannt. Weiterlesen

Dienstleister oder Newsmaker

Panel „Datenfeuerwerke: So gelingen Weltklasse-Visualisierungen“ mit Gregor Aisch, Moritz Stefaner, Sylke Gruhnwald und Benjamin Wiederkehr (v.l.n.r., Foto: Benjamin Richter)

Geht es nach Gregor Aisch, sind Grafiker nicht länger Dienstleister: Früher ließen sich Redakteure Infografiken für ihre fertigen Geschichten bauen, heute entstehen aus Infografiken Geschichten. „Das ist anders als bei einem Fotografen, der vielleicht doch primär die Aufgabe hat, ein Foto zum Text zu liefern“, sagt Aisch. Grafikredakteure wie Gregor Aisch sind selbstständiger und kreieren eigene Stories. Anders als der klassische Journalist starten sie nicht immer mit einer Recherchehypothese: Sie finden ihre Geschichten in den Daten. Weiterlesen

Was machen wir hier eigentlich?

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Aktivismus ist unter Journalisten offenbar nicht gerne gesehen. Trotzdem ist er für deren Arbeit vielleicht unerlässlich. Fünf Aktivisten diskutieren über Journalismus – oder umgekehrt.
Wer auf dem Netzwerk Recherche-Podium in der Mitte sitzt, ist der Journalist unter Journalisten. Derjenige, der moderiert und also moderat bleibt. Neutral. Für eine Moderatorin war Anja Reschke sehr engagiert. Fiel aus ihrer Rolle und hatte ja doch – übrigens! – auch noch etwas zu sagen, was eigentlich eher auf die andere Seite gepasst hätte, auf die der Diskutanten. Genau um dieses geht es ja auf dem Podium.
Denn ein Journalist ist nicht bloß Beobachter. Er hat als Berichterstatter etwas zu einem Thema zu sagen. Schließlich sollen Journalisten zur Meinungsbildung beitragen. Der Begriff „Aktivist“ ist jedoch eher verpönt, auf dem Podium wie im Plenum. Dafür sorgt Reschke mit einer klaren Einordnung zu Beginn, mit Hanns Joachim Friedrichs vielzitiertem Satz: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“
Wo Aktivismus beginnt, ist eine Frage der Definition. Reschke fängt an: „Aktivist bin ich, wenn ich eine Veränderung der Dinge als Ziel habe.“ Günter Wallraff muss es wissen: Wenn er Missstände aufdeckt, möchte er doch auch, dass sich etwas ändert. Wozu sonst die Mühe? „Wenn ich Menschen zu ihrem Recht verhelfe, ist das für mich Genugtuung“, sagt Wallraff. Betont aber: „Dann bin ich kein Journalist!“ Macht Leidenschaft also Aktivisten?
Diese Leidenschaft gehört für Stefan Niggemeier sogar unbedingt dazu: Ohne eigene Meinung zum Thema gehe ein Journalist doch gar nicht an die Arbeit.
War Wallraff stets neutral? „Ich weiß ja vorher auch nicht, was mich erwartet“, sagt er über seine Undercover- Einsätze. Aber ist das wirklich noch ergebnisoffene Berichterstattung?, fragt Reschke, und nicht, welcher Reporter geht ohne Hypothese an die Arbeit?
Journalistische Beiträge völlig frei von persönlichen Einschätzungen gibt es gar nicht, so der Tenor auf dem Podium. Wo denn nun die Grenze verläuft, zwischen dem, das ohnehin nicht neutral ist und dem, was Aktivisten machen, vermag aber niemand zu sagen. Annette Bruhns hat noch eine Definition: „Ein Aktivist kämpft für die eigene Sache.“ Was war dann der Spiegel-Titel, der fordert: „Asyl für Snowden“? Klarer Fall für Bruhns: „engagierter Journalismus“. Bruhns zeigt sich also als Aktivistin für den Spiegel.
Oliver Schröm meint: „Vielleicht sollten wir uns einfach alle Journalisten nennen und gut is.“ Leider ist es nicht das Schlusswort. Das bleibt die Moderatorin dem Plenum schuldig. Haben Aktivisten denn ein Schlusswort? Oder lassen die am Ende alles offen?

„Sie wissen bestimmt, worum es geht“

Panel „Überwachte Journalisten – Wenn Geheimdienste Pressefreiheit und Informantenschutz bedrohen“ mit Stefan Buchen, Andrea Röpke, Marie Delhaes und Moderatorin Julie Kurz (v.l.n.r., Foto: Raphael Hünerfauth)

Wenn Behörden Journalisten zum Zeugen machen wollen – abgehörte Reporter erzählen

Der Anruf kam im September und auf Rügen. Andrea Röpke stapfte gerade durch den Sand und suchte eigentlich den Museums-Eingang zum NS-Koloss Prora. Dann war da diese Nummer auf ihrem Display. Am anderen Ende der Leitung: Maren Brandenburger. Eine halbe Stunde redete sie, die Verfassungsschützerin aus Niedersachsen, mit ihr, der anerkannten Expertin für Neonazismus. Am Ende des Telefonats wusste die Journalistin Andrea Röpke, dass sie überwacht worden war. Eine Stunde blieb ihr da noch, um die richtigen Entscheidungen für ihre journalistische Zukunft zu treffen. Weiterlesen

Datenjournalismus – was ist das?

„Datenjournalist? – Soso.“ Wer sich mit diesem Beruf vorstellt, erntet leicht eine Mischung aus Skepsis und Bewunderung. „Die, die mit den Zahlen sprechen“ sind nicht nur manchen Feuilletonisten suspekt. Andere Kollegen wittern ein teures Modethema, das die letzten freien Ressourcen aus der Redaktion abziehen und sich dann von selbst erledigen könnte: Internetblase, Finanzblase – und nun die Datenblase?

Es spricht viel dafür, dass sich das Outing-Gefühl für Datenjournalisten tatsächlich bald erledigen wird, allerdings in einem anderen Sinne. Nicht, dass bald ein Heer von Gleichgesinnten an ihre Seite treten wird, die echte Liebe zum Zerlegen von Datensätzen für sich entdeckt haben. Sondern viel mehr, weil zumindest datenjournalistische Grundkenntnisse zur normalen Journalistenausbildung gehören werden. Weiterlesen

„Lasst euch nicht bange machen!“

Panel „Das Schweigen der Ämter II: Praxisberichte und Tipps zum Auskunftsrecht“ mit Hans-Wilhelm Saure, Stefan Wehrmeyer, Sebastian Mondial und Moderator Manfred Redelfs (v.l.n.r., Foto: Wulf Rohwedder)

Wie Journalisten Informationen bei Behörden einholen können: Drei Praxisbeispiele

Die Internetseite von Stefan Wehrmeyer raubt Ministerialbeamten vermutlich den Schlaf. Mit „Frag den Staat“ hat der freie Journalist eine Plattform geschaffen, die Bürgern ermöglicht Informationen zu bekommen. Wehrmeyer hilft ihnen beim Quengeln und Nachhaken. Und das lohnt sich. Über 3000 Anfragen stehen mittlerweile auf dem Portal. Auch jene, die nicht von offizieller Seite beantwortet wurden, können für Journalisten interessant sein. So kann „Frag den Staat“ zur Themen-Fundgrube werden.

„Wir versuchen, ein offenes Archiv zu sein, und kämpfen dafür, Dokumente zu veröffentlichen“, sagt Wehrmeyer über seine Seite, die Nutzern hilft Zugang zu Informationen zu bekommen und Anfragen an Behörden zu stellen. Er erkennt aber auch ein Problem: „Oft fehlt Bürgern die Kraft auf Auskunftsanspruch zu klagen oder sich die Informationen auf anderen Wegen zu beschaffen.“ Weiterlesen

„Dann geht halt wat in die Binsen“

Panel „Finanzierungsmodelle – Geld für journalistische Projekte” mit David Schraven, Moderatorin Anna Marohn, Leonie Langer und Richard Gutjahr (v.l.n.r., Foto: Raphael Hünerfauth)

Guter Journalismus und damit Geld verdienen – wie man das online hinbekommt, darüber zerbrechen sich Verlagsmanager und Medienmacher seit Jahren die Köpfe. Bezahlschranken sind das Zauberwort – sie bedeuten auch im Netz für guten Journalismus zu bezahlen. Lösungen wie Mikrobezahlsysteme oder stiftungsfinanzierte Recherchen könnten neue Wege sein.

Man kann mit Journalismus im Netz Geld verdienen – Richard Gutjahr, Journalist und Blogger, will mit dem Münchner Startup-Unternehmen „LaterPay“ dafür den Beweis antreten. Erst nachdem Kunden eine bestimmte Menge an Artikeln konsumiert haben, rechnet die Software gebündelt ab. Grundsätzlich seien Leser nämlich bereit, für Inhalte im Netz zu zahlen – wenn die Qualität der Inhalte stimme. Weiterlesen

Was nun, Krautreporter?

Panel „Krautreporter – Erfolgreich finanziert – und jetzt?“ mit Eva-Maria Schnurr, Sebastian Esser und Moderator Boris Rosenkranz (v.l.n.r., Foto: Raphael Hünerfauth)

Sie wurden totgesagt, noch ehe die Deadline verstrichen war. Als sie es dann war, ist es doch gelungen: Die „Krautreporter“ gehen online. Sie wurden am Ende für fast alles kritisiert: für ein unschlüssiges Konzept, ein liebloses Design, sogar für den Namen. Herausgeber der Krautreporter Sebastian Esser versteht das, denn „wer den Hals aus dem Fenster steckt, muss damit rechnen, dass jemand mit Tomaten wirft“.

Einiges am Konzept ist tatsächlich revolutionär. Etwa, dass die Krautreporter auf Werbung verzichten, dass sie ein ausschließliches, eigenständiges Onlineprodukt erstellen. Und die Nähe zur Community: Jeder, der sich mit 60 Euro als Mitglied beteiligt hat oder es noch vorhat, ist Leser und potenzieller Ideengeber. Mit einem Fragebogen wird jedes Profil erfasst und analysiert – momentan etwa 17.500 – und so werden die Profile zu „einer riesigen Datenbank für uns“, sagt Esser. Der Arzt beispielsweise wird vom Leser zum Informanten und Vermittler von Kontakten zu Gesundheitsthemen. Die Bezahlschranke der Mitgliedschaft verschließt nur die Kommunikation zu den Krautreportern, nicht den Zugang zu den Inhalten. Die sind online frei zugänglich. Weiterlesen

Syrien: „Die Anteilnahme in Deutschland ist wirklich enttäuschend“

Panel „Syrien: Berichten unter Lebensgefahr – Die Lage der Journalisten in Syrien“ mit Majid al-Bunni und Christoph Reuter (v.l.n.r., Foto: Wulf Rohwedder)

Statt Werbepausen sendet der syrische Exilsender Baladna FM praktische Tipps: Die Hörer lernen, wie man Wunden versorgt oder mit knappen Vorräten eine ganze Familie versorgt. Majid al-Bunni moderiert für das Programm eine Radioshow direkt aus Berlin.

Herr al-Bunni, sie berichten für die Menschen in Syrien, leben aber in Berlin. Wie bekommen Sie da überhaupt zuverlässige Informationen aus dem Kriegsgebiet?

Das kommt darauf an, wie ich die Menschen am besten erreichen kann: Über Skype, Facebook oder Telefon. Manchmal kann man sie auch persönlich treffen, zum Beispiel an der Grenze zur Türkei. So erfährt man die neuesten Nachrichten. Es hängt also mehr von ihnen als von uns ab. Wir machen viermal pro Woche ein Liveprogramm für je eine Stunde. Trotzdem habe ich manchmal schon am Wochenende bis nach Mitternacht im Studio gesessen, nur weil ich auf einen Anruf gewartet habe. Aber ich brauchte halt das Interview oder die Informationen, und anders bekomme ich sie nicht.

Ist das für ihre Interviewpartner nicht gefährlich? Weiterlesen

„Journalismus ist kein Verbrechen“

Antonia Rados: Von der Quotenfrau zur Kriegsreporterin

Eröffnungsrede „Von der Quotenfrau zur Kriegsreporterin“ mit Antonia Rados (Foto: Wulf Rohwedder)

„Stellen Sie sich vor, Sie wären jetzt rund 3.000 Kilometer südlich von hier,“ so die RTL-Auslandskorrespondentin in ihrer Eröffnungsrede. „Sie wären in Kairo. Die Polizei sammelt alle unsere Handys ein, wir werden alle verhaftet und sehen uns im Gefängnis wieder. Denn wir, Sie alle und ich, wir sind die ‘Terrorzelle NDR/nr’.“ So geschehen mit den Kollegen von Al Jazeera, die nichts anderes gemacht haben, als zu recherchieren und zu berichten, von der ägyptischen Justiz aber als „Terrorzelle Marriott“, benannt nach dem Kairoer Hotel, in dem sie arbeiteten, zu Gefängnisstrafen zwischen sieben und zehn Jahren verurteilt wurden. Journalismus als Verbrechen. Aber, so Antonia Rados: „Journalismus ist kein Verbrechen.“

Die Kriminalisierung von Journalisten findet überall auf der Welt statt. In demokratischen Staaten zwar weniger, aber auch hier werden Maulkörbe erteilt, auch hier findet eine Diskriminierung statt. Und es seien nicht nur Menschen wie Edward Snowden, die verfolgt und angeklagt werden, sondern eben auch die berichtenden Journalisten und ihre Angehörigen. Beispiel: Die Verhaftung des Lebensgefährten vom Guardian-Journalisten Glenn Greenwald auf dem Londoner Flughafen. Weiterlesen

Syrien: Reporter an der Grenze

Panel „Syrien: Berichten unter Lebensgefahr – Die Lage der Journalisten in Syrien” mit Antonia Rados, Houssam Aldeen, Moderatorin Astrid Frohloff, Majid al-Bunni und Christoph Reuter (v.l.n.r., Foto: Wulf Rohwedder)

Kriegsberichterstattung im 21. Jahrhundert ist ebenso wichtig wie fordernd. Im Gespräch berichteten erfahrene Reporter von Problemen und Chancen der Berichterstattung aus Syrien und dem Irak.

“Wir sind gereist wie im 17. Jahrhundert, zu Zeiten des 30-jährigen Krieges. Für die 300 Kilometer nach Hula haben wir 10 Tage gebraucht, es war ein kurviger Weg.” Ein Weg auf dem Rücken von Eseln, vermummt, auf verschlungenen Pfaden, von Checkpoint zu Checkpoint – Spiegel-Korrespondent Christoph Reuter schildert seinen Weg nach Hula. Hier richtete der syrische Diktator Baschar Al-Assad vor mittlerweile zwei Jahren ein grausames Massaker mit chemischen Waffen an, mehr als tausend Menschen starben. Im Gespräch mit seiner Kollegin Antonia Rados (Kriegsreporterin RTL), dem politischen Aktivisten und Radiojournalisten Majid al-Bunni (Baladna FM) und dem Produzent und Stringer Houssam Aldeen (beide aus Syrien) diskutierte Reuter über die Berichterstattung unter Lebensgefahr. Moderiert von Astrid Frohloff (Reporter ohne Grenzen) boten die vier JournalistInnen einen eindrucksvollen Einblick in die Arbeit von Kriegsberichterstattern. Weiterlesen

Der Investigative (Andrew Lehren)

Andrew Lehren (Foto: Wulf Rohwedder)

Von der lokalen Sportberichterstattung bis zu Recherchen in Sachen NSA war es für Andrew Lehren ein weiter Weg. In einem Interview spricht er von einem „Turning Point“, als er 1988 zum ersten Mal eine Tagung der „Investigative Reporters and Editors“ besuchte.

Sein Glaube an die Zuverlässigkeit von Quellen war gebrochen. Er begann zunehmend investigativ zu recherchieren und Interessekonflikte seiner Quellen stärker zu berücksichtigen. Sprachgeschicklichkeit reiche eben nicht aus, um systematischen und verantwortungsvollen Journalismus zu realisieren, meint er. Bei der New York Times stellte er sich Herausforderungen auch emotional aufgeladener Themen wie Afghanistan, dem Irakkrieg und Guantanamo. Zuletzt berichtete er, wie die NSA über scheinbar harmlose Apps wie „Angry Birds“ die persönlichen Daten der Nutzer ausspioniert. Außerdem beschrieb er anhand von NSA-Dokumenten, wie die der US-Geheimdienst Hilfsorganisationen und ausländische Energiekonzerne ausspionierte. Inzwischen gibt er sein Wissen auch an der New Yorker City University weiter – etwa darüber, wie Journalisten Behördeninformationen und Datenbanken nutzen können.

Von Lehrens Erfahrungen profitieren die nr14-Teilnehmer in der Veranstaltung „Crunching the numbers: the secrets behind big data journalism projects“.

Die Datenleserin (Nicola Kuhrt)

Nicola Kuhrt (Foto: privat)

Die Arbeit als Einzelkämpferin gehörte für Nicola Kuhrt lange Zeit zum Alltag: Ihre Karriere begann sie nach einem Volontariat als Allein-Redakteurin im Wissenschaftsressort der Westdeutschen Zeitung. Inzwischen arbeitet sie als stellvertretende Wissenschaftsressortleiterin bei Spiegel Online mit einem ganzen Team – und engagiert sich mit weiteren Medizin-Journalisten in Projekten wie medien-doktor.de, einem Qualitätsmonitoring der Medizinberichterstattung.

Und auch wenn es bei ihr (neben dem Schwerpunkt Medizin) um Datenjournalismus geht, ist die Zeit als Einzelkämpferin längst vorbei. Gemeinsam mit Kollegen von Spiegel Online trägt sie auf dem Blog #datenlese (fast) alles zum Thema Daten zusammen. Weiterlesen

Die Gerichtsfeste (Jennifer LaFleur)

Jennifer LaFleur mit Moderator Mirko Lorenz im Panel „Best of Data-Driven Journalism – Ten things every data journalist should know“ (Foto: Wulf Rohwedder)

Ärzte in den USA verschrieben Rezepte für Markenpräparate, obwohl günstigere Varianten des gleichen Medikaments verfügbar gewesen wären. Dass dieser Missbrauch der öffentlichen Krankenkasse „Medicare“ viele Milliarden US-Dollar kostete, machte erst eine Recherche der Datenjournalistin Jennifer LaFleur und ihres Teams transparent. Aber egal ob Zahlen zu den Kosten im Gesundheitssystem oder eine Statistik zum Einsatz von Gefängniswärtern mit kriminellem Hintergrund: Beharrlich und mit viel Ausdauer kämpfte sich Jennifer LaFleur schon mehr als ein Dutzend Mal durch alle Rechtsinstanzen, um zum Beispiel wertvolle Daten zu erstreiten – ohne sich während langjähriger Prozesse einschüchtern oder gar durch Niederlagen vor Gericht entmutigen zu lassen. Sie arbeitete u.a. für die „Dallas Morning News“, die „San Jose Mercury News“ und „ProPublica“. Als Senior Editor für Datenjournalismus am Centre for Investigative Reporting gibt sie ihre Erfahrungen auch an junge Journalisten weiter. Weiterlesen

Die „Stadt in der Stadt“ geht online

Julia Jaroschewski und Sonja Peteranderl im Panel „Favelas Online – Digitaler Wandel der Armenviertel“ (v.l.n.r., Foto: Wulf Rohwedder)

Lange waren die brasilianischen Favelas von der Außenwelt abgeschottet. Mit der wachsenden Nutzung von sozialen Medien bekommen nun auch die Bewohner der Armenviertel eine mediale Stimme. Mittendrin: Die beiden deutschen Journalistinnen Julia Jaroschewski und Sonja Peteranderl.

Sie nennen es die „größten Start-Ups von Lateinamerika“ – die Favelas. In den Armensiedlungen hat sich fernab von staatlicher Kontrolle eine eigene Welt entwickelt, die sich täglich neu erfindet – in einem Lebensalltag, der hauptsächlich durch Improvisation bestritten wird. Die Holzhütten wachsen zu Ziegelhäusern, Schicht um Schicht stapeln sich die Stockwerke bis zur Einsturzgefahr, der Strom wird aus den riesigen Kabelknäueln illegal angezapft. Bürgermeister der Favela sind die Drogengangs, die den Einwohnern zwar diktatorisch ihr eigenes Gesetz aufzwingen, aber nicht selten auch eine soziale Agenda verfolgen, zum Beispiel indem sie Medikamente zur Verfügung stellen. Weiterlesen

Alexa O’Brien über Chelsea Manning

Alexa O’Brien (Foto: Raphael Hünerfauth)

Du bist der Whistleblowerin Chelsea Manning in Deiner Arbeit rund um ihren Prozess so nahe gekommen wie sonst kaum jemand. Wer ist Chelsea Manning? 

Viele Leute wissen es nicht, aber tatsächlich habe ich noch nie direkt mit Chelsea gesprochen. Nur mit ihrem Anwalt. Es gab einen Briefwechsel zwischen uns. Aber so etwas wie eine Beziehung zwischen uns besteht nicht. Und trotzdem kann ich sagen, dass Chelsea in meinen Augen eine ernsthafte, junge amerikanische Soldatin war, die aus tiefer innerer Überzeugung heraus gehandelt hat. Jetzt, da das Militärtribunal zu Ende ist, darf sie sich wieder öffentlich äußern und ich bin sicher, wir werden noch viel von ihr hören.

Du hast vier Jahre lang 14 Stunden täglich an dem Fall gearbeitet. Außerdem bist Du während Deiner Arbeit an dem Prozess selbst in den Fokus der Geheimdienste geraten. Woher hast Du die Kraft für all das genommen?   Weiterlesen

Paul Myers: “I’m a researcher for the BBC”

Paul Myers (Foto: Raphael Hünerfauth)

Paul Myers Arbeit beginnt mit dem immer gleichen Satz: „Finde jemanden für uns.“ Wenn die Recherche für die meisten Journalisten beendet ist, zu schwierig, zu wenig Hinweise, dann fängt sie für Myers erst an. 

Myers ist Internetexperte, Rechercheur und Trainer bei der BBC. Früher wäre er ein klassischer Mann der zweiten Reihe gewesen. Jemand, der im Archiv wühlt, während die Journalisten die großen Geschichten schreiben und den Ruhm ernten. Aber heute hält jemand wie Myers Vorträge in Deutschland, Großbritannien, Norwegen und den Niederlanden, mit hunderten Zuhörern.

Auch an diesem Freitagnachmittag steht Myers auf einer Bühne, die Sitze vor ihm sind bis auf den letzten besetzt. Myers trägt ein St.-Pauli-Trikot, am Bauch spannt es ein wenig. Ein Zuschauer hat Bedenken: Müsse Myers denn nicht erwähnen, dass jedes Mal, wenn jemand mit Hilfe von google recherchiert, die NSA mithöre? Stimmt, sagt Myers. Einmal habe er eine Geschichte über britische Verteidigungspolitik recherchiert. Er war der IP-Adresse des Verteidigungsministeriums auf der Spur, als sein Handy anfing zu klingeln. Eine halbe Minute klingelte es, bis er auf Google ging und in die Tastatur tippte: „I’m a researcher at the BBC.“ Myers grinst: „Dann ging das Telefon aus.“ Ungläubige Pause. Das Publikum lacht. Weiterlesen

„Man muss die eigene Expertise breiter vermarkten”

Panel „Lasst uns über Geld reden – Neue Modelle für Freie im Ausland“ mit Sonja Volkmann-Schluck, Sandra Zistl, Birgit Svensson, Ulrich Krökel und Moderatorin Gemma Pörzgen (v.l.n.r., Foto: Benjamin Richter)

Es ist hart, als freier Auslandsjournalist von der Arbeit leben zu können. Im Panel „Lasst uns über Geld reden – Neue Modelle für Freie im Ausland“ diskutierten freie Reporter und Gründer zum Thema. Klar wurde dabei: Nicht jedes Modell kommt bei jedem gut an.

Falls noch jemand im Raum Illusionen gehabt haben sollte – Ulrich Krökel räumte sie aus dem Weg. „Dass es bei mir klappt, ist ein glücklicher Einzelfall“, stellte der Journalist klar, der seit vier Jahren in Warschau als freier Osteuropa-Korrespondent arbeitet. Krökel hat einen großen Pool an Redaktionen, die seine Artikel regelmäßig kaufen, darunter Zeit Online, Spiegel Online und etwa 20 Regionalzeitungen. Als er nach Warschau kam, war Staatspräsident Lech Kaczynski gerade bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen – ein tragisches Unglück, das sich für Krökel zynischerweise als berufliches Glück herausstellte: Die Folgeberichterstattung erleichterte ihm den Einstieg. Weiterlesen

Journalismus aus der Luft – lohnen Drohnen?

Live-Vorführung im Panel „Lohnen Drohnen? – Journalismus von oben“ (Foto: Raphael Hünerfauth)

Mit einem Piepsen startet der Motor, rote und blaue Lichter leuchten an den Rotoren auf. Mit einem lauten Brummen hebt die Maschine von  Fabian Werba ab: Sein Oktokopter – acht Rotoren, kreisförmig angeordnet, 20.000 Euro wert – steht in der Luft. Was die Kamera der Drohne 80 Meter über dem Boden einfängt, flimmert über den Bildschirm von Elke Thimm, Werbas Geschäftspartnerin. Sanft bewegt sich die Drohne über das NDR-Gelände. Von unten faszinierte Blicke: Schon viel haben Zuschauer von den unbemannten Flugobjekten gehört und auch darüber berichtet. Live und aus nächster Nähe betrachtet haben sie jedoch nur wenige. Die Vorführung beeindruckt die 15 Teilnehmer der Präsentation von Datenjournalist Lorenz Matzat, Blogger Max Ruppert und Drohnenpilot Fabian Werba sichtlich, stößt allerdings auch auf Skepsis.

„Lohnen Drohnen?“ – fragte Autor und Dozent Bernd Oswald in dem von ihm moderierten Panel. Die Vorführung zeigte: Technisch können die Drohnen viel. Mit Kameras ausgerüstet starten sie zu atemberaubenden Aufnahmeflügen, wie das jüngste Projekt Werbas und Thimms zeigt, bei dem sie ihre Drohne für eine Reportage über die Plattenbauten des Märkischen Viertels in Berlin ziehen ließen. Während die Aufnahmen problemlos liefen, waren innerhalb weniger Minuten mehrere Beschwerden bei der Polizei eingegangen. „Ich kann das verstehen, so ein Teil sieht ja schon bedrohlich aus“, sagt Werba. Weiterlesen

Die gefallenen Engel

Panel „Die Entlarvung des ADAC – Wie Journalisten einen Giganten stürzten“ mit Uwe Ritzer und Julia Stein (Foto: Benjamin Richter)

Sprach man in den letzten Jahren vom ADAC, so sprach man von einem Club mit 19 Millionen Mitgliedern. Knapp 25 Prozent der deutschen Bevölkerung also. Eine Marke, der man blind vertraute: Wenn der ADAC sagte, der Kindersitz sei sicher, dann war er das auch. Der Autoclub war wie Nivea, er brauchte keine Marketingstrategie. Wer mit dem Auto liegen blieb, konnte sicher sein, dass die Gelben Engel kommen und helfen.

Nach den Enthüllungen der letzten Monate ist dieses blinde Vertrauen in den ADAC deutlich erschüttert, sagen zwei Journalisten, die die Aufdeckungen ins Rollen gebracht haben. Auf der nr-Tagung in Hamburg erzählen Uwe Ritzer und Bastian Obermayer (beide Süddeutsche Zeitung) vom Beginn ihrer Recherchen, der Informantensuche und warum sie selbst mit der heftigen Reaktion der Medienöffentlichkeit nicht gerechnet haben. „Mit der ganzen Seite Drei der SZ war uns schon klar, dass die Geschichte Aufmerksamkeit bekommt. Aber es waren keine Breaking News, die dringend auf die erste Seite gehört hätten“, sagt Uwe Ritzer. Weiterlesen

„Seien Sie lästig!“

Es gibt zu wenige fest angestellte Auslandskorrespondentinnen. Doch sind dafür verkrustete, männliche Machtstrukturen verantwortlich? Oder müssen die Frauen lauter Wort ergreifen, wenn sie ins Ausland möchten? 

Unter den leitenden Auslandsreportern der ARD sind nur 20 Prozent Frauen, beim ZDF ist es gerade mal jede Sechste. Das ist problematisch, findet Spiegel-Redakteurin und ProQuote-Vorsitzende Annette Bruhns, würden doch gerade im Ausland „Karrieren gestartet und gemacht“. Antonia Rados kann das bestätigen. Als sie in den 1970er-Jahren beim ORF einstieg, seien für Frauen in den Medien Karrieren nicht vorgesehen gewesen. „Als ich jung war, musste man sich als Frau Lücken schaffen, seinen eigenen Job kreieren.“ Rados ging auf eigene Faust ins Ausland, wurde Korrespondentin in Südamerika, Afrika und im Nahen Osten. Dort wurde sie zur preisgekrönten Kriegsreporterin. Dass die Auslandspositionen im Journalismus auch heute noch eine Männerdomäne sind, hat für Rados eine klare Ursache: „Im Kreis der Macht“, wo Personalentscheidungen getroffen werden, seien noch immer hauptsächlich Männer vertreten. „Seilschaften spielen eine große Rolle“, sagt Rados. Weiterlesen

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