Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 208, 22.04.2022

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Fake News boomen in jeder Krise – sei es eine Pandemie oder ein Krieg, wie wir ihn gerade in Europa erleben. Aber wie können wir die junge Generation, die gerade zur Schule geht, vor Manipulation und Desinformation schützen? Sie sind noch auf der Suche nach Orientierung und deshalb verwundbar.

Das war nur eine der Fragen, die Anfang April auf einer für unser Netzwerk sehr wichtigen Konferenz diskutiert wurde: Journalimus macht Schule. Das Projekt setzt sich dafür ein, dass Nachrichten- und Medienkompetenz stärker in deutschen Schulen unterrichtet wird. Die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger räumte auf der sehr gut besuchten Veranstaltung ein, dass Deutschland bei der Vermittlung digitaler Kompentenzen aufholen muss.

Bei uns nehmen die Vorbereitung für die NR-Jahreskonferenz im Herbst jetzt Fahrt auf. Wir gestalten gerade das Programm und hoffen sehr, dass sie nach der Unterbrechung durch die Corona-Pandemie wieder in gewohntem Umfang in Hamburg stattfinden kann. Die Anmeldung ist ab heute freigeschaltet. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 207, 22.03.2022

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

am 21.2. erschien unser letzter Newsletter, drei Tage danach begann der Überfall Russlands auf die Ukraine. Seitdem ist die Welt eine andere, auf so vielen Ebenen. Für uns heißt das sehr konkret: Unsere ukrainischen Kolleginnen und Kollegen berichten unter Lebensgefahr aus diesem entsetzlichen Krieg. Sie brauchen unsere Unterstützung. Wenn sie bleiben wollen, um zu dokumentieren, was in der Ukraine passiert. Und wenn Sie fliehen wollen, benötigen sie ebenfalls Hilfe, um ihre Arbeit aus dem Exil fortsetzen zu können.

Netzwerk Recherche hat zusammen mit seinen Partnern n-ost, FragDenStaat, Reporter ohne Grenzen und der taz Panter Stiftung eine Spendenaktion gestartet. Von diesem Geld werden Schutzausrüstungen für die Reporterinnen und Reporter gekauft, Unterkünfte bezahlt und eine psychologische Unterstützung organisiert. Es ist wichtig, die Kolleginnen und Kollegen sofort und unkompliziert zu unterstützen. Hier können Sie spenden:
https://www.betterplace.org/de/projects/106590-unterstuetzung-fuer-journalist-innen-in-der-ukraine

Aber die Hilfe darf dort nicht zu Ende sein. Verlage, Sender und Stiftungen müssen diesen Kolleginnen und Kollegen helfen, ihre Recherchen und ihre Arbeit sind von unschätzbarem Wert. Nicht zuletzt, weil sie diejenigen sind, die am ehesten in der Lage sind, ein realistisches Bild zu vermitteln, was in der Ukraine passiert. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 206, 21.02.2022

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

endlich!

In diesem Jahr soll es wieder eine echte Jahreskonferenz des Netzwerk Recherche geben. Wir als Vorstand haben gemeinsam mit der Geschäftsstelle beschlossen, alles dafür zu tun, damit wir uns im Sommer wieder persönlich treffen können.

Wir haben nun auch einen Termin: Wir laden Euch am 30. September und 1. Oktober wie gewohnt nach Hamburg zum NDR ein (vielen Dank an den NDR für die fortdauernde Unterstützung!).

Und jetzt seid Ihr dran. Wir wollen von Euch hören, worüber wir reden sollten. Welche Workshops wollt Ihr geben oder wollt Ihr andere Menschen geben sehen? Welche Panels dürfen auf keinen Fall fehlen? Was müssen wir für gute Recherchen unbedingt miteinander ausdiskutieren?

Hier geht’s zum Call for Ideas:
https://netzwerkrecherche.org/termine/konferenzen/jahreskonferenzen/nr-jahreskonferenz-2022/nr22-call-for-ideas/ Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 205, 20.01.2022

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

ein neues Jahr hat begonnen. Wie es wird, weiß niemand. Aber einige Fragen werden uns ganz sicher auch im neuen Jahr beschäftigen. Es sind leider die gleichen wie im letzten.

Zum Beispiel: Werden viele von uns nicht nur bei “Spaziergängen” von sogenannten Freiheitskämpfern auch weiterhin als willfährige Unterstützer einer “korrupten Machtelite” attackiert? Werden einige von uns auch weiterhin mit Morddrohungen im Netz konfrontiert? Wird die Beschimpfung als “Lügenpresse” für immer mehr Demonstranten zur gängigen, sie verbindenden Parole?

Unser Respekt, unsere Solidarität gilt all den Kollegen:innen, die dennoch “weitermachen”, sich nicht einschüchtern lassen. Die vor Ort sind, diese “Spaziergänge” beobachten und darüber berichten. Die weiterhin über die Verbindungen zu rechtsradikalen Gruppierungen recherchieren und damit Vernetzungen und Strukturen entlarven. Die kompetent und seriös aufzeigen, wie krude und absurd vieles vom dem ist, was da auf den Straßen gebrüllt und behauptet wird.

Doch viel zu wenig erfährt – abseits von Medienblogs wie Bildblog, Übermedien u.a. – eine breite Öffentlichkeit über ein Thema, was uns eigentlich alle beschäftigen sollte:

Was einige aus unserer Branche zur Vergiftung dieses Klimas beisteuern. Zum Beispiel Kai Wiese. Der BILD-Reporter analysiert in BILD TV die Corona-Maßnahmen so: „[Die Bundesregierung] arbeitet sich ab mit einem ungehörigen Spaß, die Leute zu knechten, bei denen sie vorher das Vertrauen zerstört hat.“ Und der damalige BILD-Chef Julian Reichelt: “Der Staat behandelt uns wie Verfügungsmasse.“ Und deren oberster Chef vom Springer-Verlag schreibt, wie er betont ganz “privat”, in einer SMS: „Er [Reichelt] ist halt wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufbegehrt.“ Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 204, 21.12.2021

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

unsere Vorstandsklausur vor wenigen Tagen war allein der Frage gewidmet, wohin sich das Netzwerk Recherche weiterentwickeln soll. Welche Aktivitäten stärken wir zukünftig und wie beteiligen wir unsere Mitglieder auf dem Weg dorthin? Darüber hätten wir gern ein ganzes Wochenende diskutiert; letztlich ließen die Umstände immerhin einen virtuellen Klausurtag zu. Einen konzentrierten Workshop also, mit Kaffee aus der eigenen Küche, digitalen Whiteboards und viel Abstand zum Tagesgeschehen – dachten wir.

Denn wie so oft kamen die Nachrichten dazwischen. Am Vormittag wurde einmal mehr deutlich: Die Pressefreiheit steht akut unter Druck, auch in westlichen Demokratien. In London hatte der britische Gerichtshof entschieden: Julian Assange darf an die USA ausgeliefert werden, wo ihm bis zu 175 Jahre Haft drohen. Weltweit arbeiten Journalist:innen zunehmend vernetzt und stützen ihre Recherchen auf internationale Quellen. Für sie, für uns alle ist das Urteil ein gefährliches Signal – und zugleich ein Antrieb für unsere Arbeit im Netzwerk Recherche. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 203, 25.11.2021

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

in dieser Ausgabe des Newsletters geht es um Sie, die Leser des Newsletter Netzwerk Recherche.

Wir möchten wissen, wie Ihnen unser Newsletter gefällt. Welche Anregungen Sie haben und welche Kritik. Damit wir den Newsletter verbessern können und ihn so gestalten, dass er Ihnen hilft.

Dazu laden wir Sie zu einer Umfrage ein. Die Beantwortung der Fragen dauert nur wenige Minuten. Wir vom Netzwerk Recherche würden uns sehr freuen, wenn Sie sich diese Zeit für uns nehmen.

Zur Umfrage:
https://forms.gle/tatGgeVnJyV8uTFr5

Es grüßen

Frederik Richter,
Albrecht Ude Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 202, 28.10.2021

Liebe Kolleg:innen,

nichts ist wichtiger für den Journalismus als seine Unabhängigkeit. Wir als Netzwerk Recherche wollen diese Unabhängigkeit stärken. Wir wollen Kolleg:innen unterstützen, die für ihre konkreten Recherchen kämpfen. Und wir wollen dabei helfen, die Strukturen für Recherche ganz grundsätzlich zu verbessern.

Anfang Oktober haben die Mitglieder des Netzwerk Recherche einen neuen Vorstand gewählt. Ich freue mich sehr, dass ich nicht nur der neue erste Vorsitzende dieses wunderbaren Vereins sein darf, sondern dass ich diese Arbeit auch noch gemeinsam mit einem großartigen Team angehen darf [siehe Punkt 02].

Noch nie war Recherche so wichtig wie heutzutage, noch nie hatte Recherche so viele Möglichkeiten, noch nie war Recherche aber auch so unter Druck. Wir wollen mit dem Netzwerk Recherche weiterhin unsere Kernaufgaben wahrnehmen und dabei unsere Stärken ausspielen. Als Knotenpunkt, der Kolleg:innen vernetzt – nicht nur über unsere Jahreskonferenz. Als Lobbyverein für bessere Recherchebedingungen. Als Förderer von vielversprechenden Stipendiat:innen. Als Mahner und Kritiker, wenn wir die Investigation in Gefahr sehen. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 201, 23.09.2021

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

heute schreibe ich zum letzten Mal an dieser Stelle – denn bei unserer nächsten Mitgliederversammlung werde ich nicht mehr zur Wahl antreten. Sechs Jahre lang war ich Erste Vorsitzende des Netzwerk Recherche, zwei Jahre davor zweite. Nun ist meine Zeit vorbei – wenn ich mich auch immer wieder mit ganzem Herzen fürs Netzwerk engagieren werde.

Wenn ich zurückschaue, kommen mir sogleich unendlich viele Bilder und Begegnungen in den Sinn. Von Kolleginnen und Kollegen, die für ihre Arbeit brennen. Vor allem aber hat sich ein ganz bestimmtes Gefühl eingeschrieben und wird für mich immer mit dem Netzwerk verbunden sein: der Drang und die Lust, etwas gemeinsam hinzubekommen.

Ich denke an meine ersten Jahrestagungen vor mehr als 15 Jahren, die ich damals aufgesogen habe wie ein Schwamm. Die Recherchen der anderen, die eigenen Themen, das Ringen um Positionen und die Freude, viele Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen und wiederzusehen – das hat mich begeistert. Ich habe alle Jahre wieder mitorganisiert. Es waren Extremsituationen und dennoch war es nicht zehrend, sondern am Ende immer inspirierend und kraftspendend. Danke, lieber Kuno Haberbusch und danke an alle, die Kolleginnen und Kollegen vom NDR, an alle in unserer Geschäftsstelle, die uns immer wieder aufs Neue fantastische Erlebnisse beschert haben. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 200, 25.08.2021

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

es sind verstörende Bilder, die uns täglich die unerträgliche Situation am Flughafen in Kabul vor Augen führen: Wir sehen das Chaos und die Verzweiflung, fühlen die Ohnmacht und die Panik, hören die Schüsse, erfahren von Toten. Und das inmitten von weinenden Kindern und mitfühlenden, aber offenbar überforderten Soldaten. Wir sind weit weg vom Geschehen, aber – wegen der Wucht der Schreckensbilder – gefühlt doch ganz nah dabei.

Doch was wissen wir eigentlich tatsächlich? Die Emotionen sind gewaltig, die überprüfbaren Fakten sehr gering. Das beginnt schon mit den Bildern: Wer hat sie gedreht, wer hat sie bearbeitet, wer hat entschieden, was uns gezeigt werden soll – und was nicht? Quellenangaben (z.B. US-Armee oder Bundeswehr) gibt es nur ganz selten. Die Einordnung der Bilder, die Kommentierung der Lage (nicht nur) für das deutsche Fernsehen erfolgt in aller Regel durch Journalisten, die sich in Taschkent, Dehli oder Istanbul aufhalten. Und auch die Printkollegen sind weit weg. Dies ist kein Vorwurf, sondern lediglich eine Feststellung. Aber führt dennoch zur Frage: Sind wir wirklich ganz nah dabei? Stimmt das alles, was wir sehen, lesen und hören? Oder – noch nachdenkenswerter – was sehen, lesen und hören wir nicht?

“THE WORLD NEEDS JOURNALISTS” – das stand für alle sichtbar auf dem Shirt von Clarissa Ward. Diese mutige Kollegin blieb auch nach dem Sturm der Taliban in Kabul, berichtete mit ihrem Team unerschrocken über all das, was sich außerhalb des Flughafens ereignete. Ihre Bilder zeigten Straßenszenen, wo es praktisch keine Frauen mehr gab. Schaufenster, die von eventuell zu freizügigen Motiven “gereinigt” wurden. Einwohner, die aus Angst nicht mehr reden wollten. Alles kontrolliert von schwer bewaffneten Milizen der Taliban. Doch dann wurde es ihrem Haussender CNN zu gefährlich, er zog sie ab. Also verließ wohl die letzte Journalistin aus dem Westen das Land. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 199, 27.07.2021

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

vielleicht gehörten Sie bis vor kurzem zu jenen Menschen, die meinten, sie seien ausreichend geschützt vor Cyberangriffen. Eine SMS oder eine E-Mail versehen mit einem Link versendet von einer vermeintlich bekannten Absenderin würden Sie vermutlich nicht mehr ungeprüft öffnen. Doch gegen gezielte, lautlose Angriffe – sogenannte Zero-Click-Software – können sich Betroffene kaum wehren. Diese Malware lässt sich auf Mobiltelefonen installieren, allein, weil sich die Person mit einem Netzwerk verbindet.

Vorvergangene Woche machten mehrere Reporter bekannt, dass weltweit Regierungsvertreter und Menschenrechtsaktivisten durch die Überwachungssoftware Pegasus ausgespäht werden. Die zugespielten Daten – 50.000 Telefonnummern aus rund 50 Ländern – die Journalisten koordiniert von dem Verein Forbidden Stories und Mitarbeitern von Amnesty International auswerten konnten, stammen zu großen Teilen aus Staaten wie Aserbaidschan, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Indien, Marokko, Mexiko – und dem EU-Mitgliedsland Ungarn. Unter den potenziellen Zielen der Malware befanden sich auch Journalisten. Pegasus kann mithören, mitgucken und selbst vermeintlich sichere Messengerdienste auslesen. Pegasus ist, wie mein Kollege Albrecht Ude in einer E-Mail formulierte: “ein privatwirtschaftlich betriebener Trojaner im Staatsauftrag”. Die Spyware zeigt: Wir, die Mobiltelefone nutzen, sind schutzlos. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 198 vom 24.6.2021

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Freier Recherchejournalismus ist Selbstausbeutung. Und weil dem so ist, ist die Investigation in Deutschland schlechter, als sie sein könnte. Was kann man dagegen tun? Und welche Rolle könnte das Netzwerk Recherche dabei spielen?

„Hab eben die Buchhaltung für ein Projekt zu Ende gemacht & es ist wie oft: Reise- und Übersetzungskosten fressen das komplette Stipendium, Arbeitszeit ist nicht eingerechnet, vorab Support von Redaktionen gibt es keinen. D.h. wir haben de facto 4 Monate für umsonst gearbeitet“, schrieb die freie Reporterin Pascale Müller vor wenigen Tagen auf Twitter. Und weiter: „Alle wollen die großen Recherchen. Niemand will sie bezahlen.“

Beim Netzwerk Recherche machen meine Kollegin Annelie Naumann und ich immer wieder ganz ähnliche Beobachtungen. Wir haben die Aufgabe, alle Bewerbungen für Recherchestipendien des nr zu sichten, bevor der Vorstand über deren Förderung entscheidet. In fast jeder Bewerbung heißt es, dass große Redaktionen zwar Interesse bekunden würden, aber keine Reise- und keine Recherchekosten zahlen.

Wer als freie:r Journalist:in ähnlich verdienen und leben möchte, wie fest angestellte Kolleg:innen (inklusive Urlaub und der Möglichkeit, auch mal krank zu sein), braucht Tagessätze von mindestens 300 Euro, eigentlich sogar mehr. Für jeden Tag, auch für Tage, an denen Vorrecherchen stattfinden. Das ist angesichts der Honorare, die mir erzählt werden (und die ich früher als freier Journalist erhalten habe) viel zu häufig völlig illusorisch. Eine Ausnahme sind vielleicht einige fest-freie Konstellationen, vor allem beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Es gibt nur wenige Redaktionen in Deutschland, die für Recherchen überhaupt vierstellige Honorare anbieten. Und selbst mittlere, vierstellige Honorare lassen aufwändigere Recherchen nur zu, wenn umfassende Vorrecherchen in der Freizeit gelaufen sind. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 197 vom 25.5.2021

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

was am Pfingstsonntag an Bord eines Ryanair-Fluges im Luftraum über Belarus geschah, betrifft nicht nur das Schicksal eines Journalisten und Bloggers. Es ist ein Schlag gegen die Pressefreiheit in ganz Europa. Ein belarussisches Kampfflugzeug zwang die Ryanair-Piloten ihren Kurs zu ändern und nötigte sie, in Minsk zu landen. Offenbar unter dem Vorwand einer Bombendrohung und auf direkte Anweisung des Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko. Ziel dieser Operation war Roman Protasewitsch, 26 Jahre alt, der seit zwei Jahren im Exil lebte. Er befindet sich in einem belarussischen Gefängnis, wie es ihm derzeit geht, ist bei Redaktionsschluss des Newsletters unklar, die Lage ist unübersichtlich und verändert sich schnell.

Protasewitsch hatte in seiner Heimat als Journalist gearbeitet und den Telegram-Kanal Nexta mitgegründet. Nexta berichtet über Polizeigewalt gegen Demonstranten und Oppositionelle, dokumentiert Misshandlungen, zeigte mit Drohnenaufnahmen, wie viele Menschen in Belarus gegen ihre Regierung protestierten. Der Kanal half auch, Proteste gegen das Regime von Alexander Lukaschenko zu organisieren, indem er Orte bekannt gab, an denen Versammlungen stattfinden sollten. Inzwischen arbeitet Protasewitsch für einen anderen regierungskritischen Telegramkanal.

Dass ein Journalist, der bereits im Exil lebt, aus einem Flug zwischen zwei europäischen Hauptstädten entführt und ins Gefängnis gebracht wird, ist ungeheuerlich. Lukaschenko will damit offenbar nicht nur Protasewitsch zum Schweigen bringen. Er sendet auch ein Signal an alle seine Gegner, an Oppositionelle und an kritische Journalisten, dass diese sich nirgends mehr sicher fühlen sollen. Dagegen muss der Westen, die EU, Deutschland und die Zivilgesellschaft ein noch deutlicheres Signal setzen. Nämlich, dass sie ein solches Verhalten von Belarus nicht tolerieren. Und dass sie nicht hinnehmen, dass ein Reporter, der in einem EU-Staat lebt, auf diese Weise eingeschüchtert wird. Protasewitsch muss sofort freigelassen werden. Denn sein Fall betrifft eben nicht nur die Pressefreiheit in Belarus, ein Land, das auf der Rangliste von Reporter ohne Grenzen auf Platz 158 von 180 steht. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 196 vom 22.4.2021

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

wir haben uns in unserem 20. Jubiläumsjahr auf die Suche nach uns selbst begeben – mit einer kleinen Rechercheübung: Wer sind wir eigentlich und wer sind unsere Mitglieder? Sehr viele kennen wir seit Jahren persönlich, weil sie sich immer wieder zu Wort melden mit ihren starken Recherchen und sich gemeinsam mit uns engagieren, bei unseren Tagungen und unseren Projekten. Jedes Jahr kommen neue hinzu. Aber einige kennen wir nur namentlich, aus unserem Mitgliederverzeichnis.

Unsere Vorstandskollegen Christina Elmer und David Hilzendegen haben unsere Kartei geplündert und jede Menge Erkenntnisse gewonnen. Zum Beispiel, dass wir maximal viele Andreas‘ bei uns haben. Genauso wie Michaels und Christians. Ziemlich banal, natürlich, aber es entsteht ein bestimmter Eindruck und er trügt nicht. Wir sind tatsächlich mehr Männer als Frauen. Fast sechzig Prozent unserer Mitglieder sind Männer, rund vierzig Prozent sind Frauen. Tendenz: Der Anteil der Frauen wächst, auch wenn die Männer noch eine ganze Weile in der Mehrheit sein dürften. Natürlich ist das nicht schlimm. Eigentlich ist es sogar gar keine schlechte Quote, wenn man bedenkt, wie gering der Anteil der Frauen in den Rechercheressorts doch immer noch ist. In jedem Fall haben wir uns in den letzten Jahren ziemlich verändert. Denn in den Anfängen waren 75 Prozent unserer Mitglieder Männer und nur 25 Prozent Frauen.

Wir haben nun auch unsere Foto-Archive geplündert und dank unserer Kollegen Manfred Redelfs, Günter Bartsch und Franziska Senkel Schätze gehoben. Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit stand allen Teilnehmern ins Gesicht geschrieben, als damals das Netzwerk Recherche in Simmerath-Erkensruhr gegründet wurde. In einem sagenhaft schmucklosen Ambiente. Gemeinsam richtete man den Blick auf ein damals visionäres Ziel. Denn erstmals schlossen sich Journalisten zu einem Netzwerk zusammen, um gemeinsam die eigenen Interessen durchzusetzen: bessere Rahmenbedingungen für Recherchen, eine Klärung, welchen Stellenwert Recherche hat, ein Verständnis des Handwerks und eine Verabredung darüber, es zu vermitteln und gemeinsam strukturiert zu recherchieren. Von Beginn an spielte Selbstkritik der eigenen Arbeit und Zunft eine große Rolle. Die Ziele von damals, sie gelten bis heute. Auch wenn sich so vieles verändert hat – auch wir uns, das Netzwerk Recherche. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 195 vom 24.3.2021

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

wir alle kennen die “Medienmetropolen” – also z.B. Berlin, Köln, München, Leipzig oder Hamburg. Doch kaum jemand kennt Simmerath-Erkensruhr. Aber eben dort, also in der tiefen Provinz, trafen sich vor 20 Jahren Journalistinnen und Journalisten aus der gesamten Republik und gründeten das “Netzwerk Recherche”. Spötter behaupten, das Auffinden dieser Gemeinde – damals war das “Navi” noch keine Selbstverständlichkeit – sei der Beweis, dass all jene, die es geschafft hatten, ernsthaft an Recherche interessiert waren.

Natürlich gab es schon vor der Gründung von “Netzwerk Recherche” Kollegen, die durch hartnäckiges Nachfragen, durch gutes Handwerk und mit viel Leidenschaft Missstände und Skandale enthüllten, die der “Wächterfunktion” der Presse durch ihre Arbeit gerecht wurden. Und die, das kann man in Zeiten wie diesen nicht oft genug betonen, unverzichtbar waren und sind für eine lebendige Demokratie.

Diese Lust und Leidenschaft an Recherche noch mehr zu fördern, den Austausch zu pflegen, die Vernetzung zu ermöglichen – das waren die Motive all jener, die sich Ende März 2001 in Simmerath-Erkensruhr trafen. Und es ist spannend zu lesen, wie damals über den Stellenwert der Recherche in den Redaktionen diskutiert wurde. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 194 vom 23.2.2021

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

vergangene Woche haben wir in gemütlicher Runde über lokale Recherche gesprochen. Bei unserer neuen Reihe „nr-insights“ gaben vier Lokaljournalist:innen Auskunft, wie sie für die Heidenheimer Zeitung, für die Aachener Zeitung und für die Sächsische Zeitung aufwändige Recherchen möglich machen.

Im Gespräch berichteten die vier von Unternehmern und Behördenchefs, die sich bei Chefredaktion und Verlag beschweren; von Drohungen; von Rechtsanwaltsschreiben. Und von Zerreißproben für persönliche Freundschaften. Denn wer seinen Protagonisten im Alltag immer wieder über die Füße läuft, sie aus der Schule oder dem Fußballverein kennt, der hat es sehr viel schwieriger als diejenigen, die über ferne DAX-Unternehmen oder Bundespolitiker berichten.

Alle vier waren sich einig, dass es für lokale Recherchen vor allem zwei Dinge braucht: Zeit. Und eine Verlagsleitung mit Rückgrat. Wer keine Zeit hat, Akten zu lesen und Protagonisten zur Not auch fünf-, sechs- oder siebenmal zu treffen, der kann keinen Machtmissbrauch aufdecken. Und wer keine Manager und Juristen hinter sich hat, denen bewusst ist, wie zentral gute Recherchen für ein lokales Medium sind, steht beim ersten Gegenwind schnell alleine da.

Die „nr-insights“ sind mein neues Lieblingsformat beim Netzwerk Recherche. Um der Vereinzelung während der Pandemie etwas entgegen zu setzen, organisieren meine Kollegen seit Januar ein monatliches Gespräch, für das sie kluge Reporter von ihrer Arbeit erzählen lassen. Durch den späten Beginn (immer 20:15 Uhr) kommt Wohnzimmer-Atmosphäre auf. Eine kleine Ersatzdroge für alle, die unsere Jahreskonferenz (die letzte ist jetzt schon 20 Monate her!) so vermissen wie ich. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 193 vom 27.1.2021

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

vergangene Woche kündigte der Verlag Gruner + Jahr an, die Politik- und Wirtschaftsredaktionen von Stern, Capital und Business Punk in Berlin zusammenzulegen. Die Redakteurinnen und Redakteure in Hamburg, die bislang in diesen Bereichen arbeiten, sollten andere Aufgaben übernehmen. Die Chefredaktion wird damit zitiert, man wolle die journalistische Kraft zweier befreundeter journalistischer Marken ballen. Es ist die neueste Spar-Nachricht nach einem Jahr voller solcher Ankündigungen. Und ihrer schnellen Umsetzung in großen und kleineren Verlagen und Sendern. Der Medienökonom Frank Lobigs von der TU Dortmund sagte im Deutschlandfunk sogar, er rechne damit, dass künftig auch „konzernübergreifend“ Zentralredaktionen gebildet werden würden. In denen unter dem Strich dann weniger Journalisten arbeiten werden.

Selbstverständlich funktioniert Journalismus nur, wenn er nachhaltig finanziert werden kann, das ist klar. Weltweit suchen Redaktionen und Verlage, aber auch Stiftungen und Gründer nach Wegen, um Qualitätsjournalismus zu finanzieren. Dass Abo-Modelle im Netz zunehmend besser funktionieren, ist ein Hoffnungsschimmer und zeugt auch von einem Umdenken der Leserinnen und Leser, denen offenbar bewusst wird, dass guter Journalismus nicht umsonst ist. Aber wird das reichen, um Qualitätsjournalismus auf eine hinreichend solide monetäre Basis zu stellen? Wieviele Kollegen werden überhaupt noch rechercheintensiv arbeiten können?

Seit knapp einem Jahr leben wir jetzt mit dem Coronavirus. Die durch die Pandemie ausgelöste Krise hat einen Widerspruch unserer Branche weiter zugespitzt. Die schon vorher angespannte finanzielle Lage der Medienhäuser hat sich durch das Wegbrechen von Anzeigenerlösen verschärft. Gleichzeitig wird noch deutlicher, wie wichtig vielfältiger, recherchierender Journalismus ist. Verlage wie Sender registrieren einerseits das gewaltige Interesse an einer seriösen, faktenbasierten und kritischen Corona-Berichterstattung. Es ist aber auch deutlich sichtbar, wie viele Bürger sich von einem evidenzbasierten Diskurs abgewendet haben, seien es Querdenker oder Anhänger des QAnon-Kultes. Und dass es eine nicht so kleine Gruppe gibt, die mit manchen Ansichten von Querdenkern liebäugelt, aber für Argumente noch erreichbar ist.

Wohin es führt, wenn sich eine Gesellschaft nicht mehr auf die grundlegendsten Fakten einigen kann, hat zuletzt der entsetzliche Sturm auf das US-Capitol gezeigt. Man kann davon ausgehen, dass etliche der Beteiligten ernsthaft davon überzeugt waren, Trump habe die Wahl gewonnen. Und das wiederum hängt auch damit zusammen, dass ein nicht kleiner Teil der US-Bevölkerung den in den Sozialen Netzwerken verbreiteten Lügen lieber glauben möchte als den Ergebnissen der Arbeit von Journalisten. Je weiter eine derartige Zersplitterung der Öffentlichkeit voranschreitet, umso stärker gefährdet sie auch die Demokratie.

Qualitätsjournalismus steht also unter einem enormen finanziellen Druck, während die Erkenntnis, dass er für eine funktionierende plurale Gesellschaft zentral ist, immer deutlicher wird. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 192 vom 17.12.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

nun sind wir doch wieder zurück im Lockdown. Und alles ist genauso gekommen, wie es ausdrücklich nicht kommen sollte. Welcome back in der Welt der wenigen Kontakte, in der Atmosphäre des Rückzugs und zuweilen auch der Skepsis. Leider ist das eine Welt, in der auch unsere Arbeit komplizierter wird, weil wir die Dinge und das Leben weniger in Augenschein nehmen können. Dabei wäre es gerade jetzt umso wichtiger.

Medien haben in diesen Tagen viel darüber berichtet, was Politiker alles falsch gemacht haben in den vergangenen Monaten, welche Entscheidungen sie verpasst haben. Dass sie die zweite Welle nicht richtig ernst genommen haben, zu viel gestritten und schließlich zu spät halbherzige Maßnahmen ergriffen haben. Dass sie die Sommermonate nicht noch intensiver genutzt haben, eine Software zu entwickeln, die die zeitraubende Fax-Korrespondenz der Gesundheitsämter ersetzt. Dass sie die Schulen nicht mit Hochdruck fit gemacht haben für die zweite Welle. Und auch, dass es ihnen nicht gelungen ist, die Überbrückungshilfen weder technisch noch politisch schnellstens zu regeln. Selbst wenn sie die Warnungen der Virologen nicht glauben konnten, hätten sie all das vorbereiten können. Sie haben versprochen, dass es keinen zweiten Lockdown geben würde und sie haben versprochen, dass selbst, wenn es einen Lockdown geben würde, die Schulen und Kitas nicht wieder geschlossen würden. Nun ist all das eingetreten – und genau diesen Widerspruch haben Medien Politikern zurecht vorgehalten in diesen Tagen.

Aber was haben WIR eigentlich falsch gemacht in diesem Jahr? Was hätten wir mindestens besser machen können? Das haben wir uns bislang nicht wirklich gefragt, jedenfalls war davon nicht viel zu lesen, zu hören oder zu sehen. Haben wir die richtigen Fragen gestellt? Haben wir unsere Rolle in der Pandemie gefunden – kritisch und so unabhängig wie möglich? Wie haben wir unsere Haltung entwickelt im Spannungsfeld zwischen Regierenden und Querdenkern? Zwischen diesen Virologen und jenen Virologen? Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 191 vom 24.11.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

heute schon eine “Schalte” – oder gleich mehrere – absolviert? Zu Beginn des Jahres nannte man das noch “Konferenz”. Viele Leute in einem Raum, die konzentriert und diszipliniert die Themen und Ideen für die nächste Ausgabe, die nächste Sendung besprechen. Bisweilen aber auch – denn das gehört dazu – heftig gestritten über die Relevanz, die Einordnung oder die Stoßrichtung all dessen, was so täglich passiert und über das berichtet werden soll. Unmittelbarer Augenkontakt, spontane Reaktionen. Ist es nicht diese Atmosphäre, die wir alle brauchen, um eine “Haltung” zu unserem Produkt zu entwickeln, um täglich bestmöglichst unser Verständnis von Journalismus zu präsentieren?

Heute stellen sich für viele Redaktionen ganz andere Herausforderungen: Klappt die Technik, reicht das WLAN, ist die Stummtaste zum richtigen Zeitpunkt gedrückt, gibt es zu viele störende Hintergrundgeräusche, bin ich zu hören (und auch zu sehen)? Wie reagieren die anderen spontan auf meine Worte, entsteht so etwas wie eine konstruktive Atmosphäre für unser gemeinsames Anliegen?

Die Erfahrungsberichte sind sehr unterschiedlich. Manche meinen, der Austausch per Video sei wesentlich konzentrierter, die Kommunikation sei völlig ausreichend, nichts bleibe “auf der Strecke”. Andere vermissen den unmittelbaren Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen, den direkten und auch spontanen Austausch, die Gespräche am Kaffeeautomaten oder beim gemeinsamen Mittagessen. ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo formulierte es so: “Eine Zeitung muss gemeinsam erquatscht werden”.

Auch wir bei Netzwerk Recherche müssen uns in dieser “neuen Zeit” zurechtfinden. Schmerzhaft die Entscheidung, unsere diesjährige Jahrestagung absagen zu müssen. Stattdessen eine Webinar-Reihe mit vielen Panels zu wichtigen Themen. Ja, wir haben dafür viel Lob und Anerkennung erhalten (vielen Dank dafür), aber auch viele Reaktionen, die einen Tenor hatten: Nichts kann die vielen Gespräche, Kontakte, Diskussionen ersetzen, die viele während unserer mittlerweile 18 Jahrestagungen beim NDR (und vielen Fachkonferenzen) erlebt haben. Und immer wieder fiel das Stichwort vom offenkundig schmerzlich vermissten “Quatschen am Pommesstand”. Wir scheinen also in all den Jahren vieles richtig gemacht zu haben. Das zumindest hat uns gefreut in dieser schwierigen Zeit. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 190 vom 27.10.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

vor den US-Wahlen reden alle über die Enthüllungen von New York Times oder Washington Post, über die Berichterstattung bei CNN, ABC oder Fox News. Dabei ist guter Lokaljournalismus für die Wähler mindestens genauso wichtig.

Der liegt in den USA längst am Boden: Lokales Fernsehen produziert selten eigene Recherchen und große Teile werden von der oft einseitig konservativ berichtenden Sinclair-Gruppe kontrolliert. Lokalradio existiert zwar, muss aber zu großen Teilen über Spenden finanziert werden. Und Zeitungen brechen in manchen Regionen gar komplett weg. Viele große Städte wie Denver oder Cleveland haben oft nur noch wenige Dutzend Journalisten, die das Geschehen vor Ort recherchieren und einordnen können – wenn überhaupt. (Eine Buchempfehlung hierzu: “Ghosting The News” von Margaret Sullivan).

Diese Lücke wird mittlerweile von Webseiten ausgenutzt, die bestellte Artikel für Unternehmen und Politiker veröffentlichen – vor allem für konservative Republikaner – und diese gekauften Texte als Journalismus verkleiden. 1300 solcher Lobby-Seiten soll allein ein einziges Unternehmen betreiben, recherchierte die New York Times vor Kurzem. Das klingt nach Dystopie, ist aber längst Realität.

In Deutschland ist es noch nicht so schlimm, aber die USA sollten uns eine Warnung sein. Ein Beispiel hat mich vor kurzem ins Grübeln gebracht. Mit Karsten Krogmann und Tobias Großekemper sind zwei ausgezeichnete Reporter von der Nordwest-Zeitung beziehungsweise den Ruhr-Nachrichten zum “Weißen Ring” gewechselt, einer NGO, die sich für Kriminalitätsopfer einsetzt. Krogmann hatte unter anderem die Mordserie des Pflegers Niels Högel mit aufgedeckt und dafür einen Nannenpreis erhalten. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 189 vom 24.09.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

in diesem Monat hat die Journalistin Sarah Schurmann einen offenen Brief zur Berichterstattung über den Klimawandel veröffentlicht, den etliche Journalisten unterschrieben haben (s. #12). Sie ruft darin dazu auf, die Klimakrise “endlich ernst zu nehmen” und die immer deutlicher sichtbaren Konsequenzen der Erderwärmung mit größerer Dringlichkeit zum Thema zu machen. Eine der Kernaussagen des Briefes ist, der Journalismus verharre trotz der Dramatik der Klimakrise viel zu sehr im Normalmodus.
Schnell begann daraufhin eine Debatte über die angemessene Rolle von Journalisten: Sollen, dürfen oder müssen sie auch Aktivisten sein?

Es ist eine für den Journalismus alte Frage, aber eine sehr wichtige, und eine extrem umstrittene. Schurmann und ihre Mitunterzeichner schreiben: “Solange eine kritische Masse an Journalisten” nicht verstehe wie unumkehrbar die Erderwärmung sei, dass sofortiges Handeln notwendig sei und ihre Arbeit danach ausrichte, “solange werden auch Politiker nicht entsprechend handeln”.

Der Brief ist getragen vom Zutrauen in den eigenen Einfluss und von der Gewissheit, was das Ziel der Berichterstattung sein soll. “Die kommenden Monate sind unsere wohl letzte Chance, genug Druck auf die Regierungen dieser Welt aufzubauen, um sie zu Maßnahmen zu bewegen, um unter 1,5 Grad zu bleiben.” Das ist keine Berichterstattung, die darauf abzielt, auf Missstände hinzuweisen, sondern die sich der Umsetzung eines politischen Ziels verschrieben hat.
Welche Probleme das mit sich bringt, und warum eine ganze Reihe Journalisten meinen, diese Art des Aktivismus sei nicht nur kein Problem, sondern notwendig, darüber müssen wir immer wieder diskutieren.
Aber der offene Brief enthält eine weitere Botschaft, er ruft nämlich dazu auf, immer wieder Abstand vom Tagesgeschäft zu gewinnen und sich die richtigen Fragen zu stellen. Schurmann schreibt über unsere routinierte Berichterstattung mit all den Meldungen zur Klimakrise: “Viele von uns scheinen das Gesamtbild gar nicht mehr zu sehen, das diese Meldungen ergeben. Wir machen uns – und anderen – gar nicht klar, was all diese Entwicklungen zusammengenommen für die Welt bedeuten, in der wir leben. Doch genau das wäre unser Job.” Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 188 vom 28.08.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

neulich sollte Markus Söder nach Schleswig-Holstein kommen: das hat mir wieder vor Augen geführt, wie doof ich unseren Journalismus manchmal finde. Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident, der so ist, wie er ist, wollte zur Wattwanderung kommen, um sich dort von Journalisten fotografieren und filmen zu lassen. Und rund siebzig Journalisten fanden das offenbar eine wirklich gute Idee und wollten in jedem Fall zum Fotografieren und Filmen dabei sein.
Vor ein paar Jahren war Markus Söder schon einmal mit Journalistentross im Watt herumspaziert und offenbar hat es ihm schon damals so gut gefallen, dass er es just jetzt noch einmal machen wollte. Frische Bilder, um sich ein bisschen selbst zu inszenieren, als vielleicht-Kanzler-Kandidat oder einfach auch als Markus Söder.

So durchschaubar, aber zugleich so gerne genommen von uns Medien, die dann vorgeben, es natürlich alles zu durchschauen. Immer wieder hält man es für witzig und unterhaltsam, wenn Politiker sich so zeigen und sieht darin dann einen Anlass für eine besondere und auch total kritische Berichterstattung. Dass Medien meinen, dort würden interessante Beobachtungen von Markus Söder oder von Markus Söder und den Medien gelingen, ist eigentlich eine Farce. Am Ende drehen und beobachten wir uns alle gegenseitig, um zu analysieren, wie verrückt das alles ist, dass Markus Söder sich im Watt filmen lässt und wir Medien es bereitwillig berichten. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 187, 27.07.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

die Skandalfirma Wirecard kennt mittlerweile jeder. Und auch deren “Spitzenleute” sind in aller Munde: Markus Braun (sitzt aktuell im Gefängnis) und Jan Marsalek (ist noch auf der Flucht).

Doch nur ganz wenige kennen Dan McCrum und Stefania Palma. Das ist schade. Beide recherchieren und schreiben für die Financial Times. Auch über Wirecard. Und das schon seit 2016 (!). Als Wirecard in Deutschland noch als Börsenliebling gefeiert und von Politikern hofiert wurde, lieferten sie immer wieder verstörende Einblicke in den Wirecard-Sumpf.

Doch offenbar waren Behörden, Kontrolleure oder Politiker hierzulande nicht an Aufklärung all der Vorwürfe interessiert. Stattdessen wurden Dan McCrum und Stefania Palma für ihre Enthüllungen über die Betrügereien bei Wirecard bedroht, diffamiert und sogar verklagt. Mit dabei: Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Eine Behörde mit rund 2.700 Mitarbeitern, für deren Rechts- und Fachaufsicht das Finanzministerium zuständig ist, machte sich also zum Büttel von Wirecard. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 186, 15.06.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

unser Journalismus hat sich verändert. Wir gehen weniger raus, wir berichten seit Monaten fast ausschließlich über die Coronavirus-Pandemie, wir sind selbst von Kurzarbeit, Auftragsverlusten oder Kündigungen betroffen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns austauschen; dass wir darüber nachdenken, wie es weitergehen kann; dass wir uns Techniken aneignen, um diese neuen Herausforderungen zu meistern.

Wir haben uns beim Netzwerk Recherche dazu entschlossen, unsere Jahreskonferenz trotz allem durchzuführen, online, mit weniger Veranstaltungen – aber es gibt sie und wir können gemeinsam über guten Journalismus und Recherchen reden. Unser Programm spiegelt dabei die aktuellen Herausforderungen. Wir reden über Daten- und Wissenschaftsjournalismus zu Corona-Themen, über neue Medienformate in der Krise – und über Recherche-Grundlagen, online wie offline.

Vielleicht ist die Krise auch eine Chance, neues Vertrauen in uns Journalisten zu schaffen.

Zum einen, indem wir unsere Arbeit transparenter machen, indem wir Quellen – wenn möglich – verlinken, indem wir Recherchewege erklären und insgesamt wissenschaftlicher arbeiten. Eine zentrale Frage an unsere Artikel können wir aus der Wissenschaft ableiten: Können Kollegen, können meine Nutzer meine Arbeit nachrecherchieren? Und würde dasselbe Ergebnis dabei herauskommen? Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 185, 25.05.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

es ist eine für den Journalismus ambivalente Zeit und auch für Netzwerk Recherche.
Wir lernen ja gerade, dass diejenigen, die Ambivalenz besser aushalten, also das gleichzeitige Vorhandensein widersprüchlicher Informationen und Gefühle, besser durch Krisen kommen. Das erfahren wir von den Psychologen, die wir dieser Tage über den richtigen Umgang mit Corona befragen. Das gilt für Menschen, aber vielleicht gilt es auch für Organisationen.

Wir freuen uns einerseits, dass wir anstelle unserer Jahreskonferenz eine virtuelle Konferenz, Webinare planen [1]. Dort wollen wir uns über all die professionellen Fragen austauschen, die uns gerade beschäftigen, die Fragen, über die man im Home Office weniger debattiert. So ein virtueller Austausch funktioniert oft erstaunlich gut.
Aber, und auch das ist uns natürlich klar, die Webinare werden nicht den Charakter eines Klassentreffens haben können, den viele an der Jahreskonferenz so geschätzt haben: Die Gespräche am Rande, die Kollegen, die man zufällig kennenlernt oder jedes Jahr nur hier wiedertrifft, die Leidenschaft, die eine tolle Diskussion vermitteln kann. Dass es das in diesem Jahr nicht geben wird, ist bitter, für uns alle im netzwerk, und fühlt sich um so trauriger an, je näher der Termin rückt.

Eine Ambivalenz, die jetzt, im dritten Monat der Coronakrise, sehr viele beschäftigt, ist der Widerspruch, wie sehr unsere Arbeit gerade von vielen anerkannt wird, aber wie brüchig das wirtschaftliche Fundament ist, auf dem sie steht. In vielen Verlagen und Sendern gibt es Sparprogramme und Kurzarbeit, die Situation für Freie und Berufsanfänger ist noch schwieriger geworden. Gleichzeitig wird unsere Arbeit in der Krise stärker gelesen, gehört und angesehen. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 184, 28.04.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

ich bin voller Anerkennung für Deutschland. Dass wir 47 Flüchtlingskinder aus dem griechischen Lager in Lesbos aufnehmen, war eine gute Nachricht in diesen Tagen. Ohne viel öffentliches Gezank der Politiker, ohne übermäßige Profilierungsgelüste und ohne hörbare rechte Misstöne hat Deutschland diese Flüchtlinge nun zu sich geholt. Dass Medien derzeit wenig Aufmerksamkeit für politischen Zwist haben, ist dabei ein echter Vorteil.

Deutschland hätte viel mehr Kinder und Jugendliche holen können und müssen, sagen und denken wiederum viele. Denn es ist eine Schande und schmerzvoll, dass es ein solches Lager in Europa überhaupt gibt. Was wir darüber wissen, haben wir wenigen Journalisten zu verdanken, die dort unbeirrt und trotz heftiger Bedrohungen ihre wichtige Arbeit verrichten. Nur, wenn ihre Bilder und Beschreibungen um die Welt gehen, erhöht sich der Druck für die anderen Staaten. Ich hoffe, dass noch viele Kinder und Jugendliche nach Deutschland kommen werden und dass andere Länder Deutschland und Luxemburg folgen werden.

Ich denke, wir haben das nicht gemacht, weil es uns gut geht. Sondern es geht uns gut, weil wir das so gemacht haben.

Denn tatsächlich haben wir ja gerade jetzt zu kämpfen. An allen Ecken und Enden geht es um die Substanz. Und auch im Journalismus setzt uns Corona übel zu. Jedes Medium ist betroffen, ob groß oder klein, überregional oder lokal. Das unsichtbare Virus wütet und hinterlässt eine Schneise der Verwüstung in unserer Medienlandschaft. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 183, 26.03.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

jetzt also – in der Krise – ist unsere Arbeit plötzlich “systemrelevant”. Ganz offiziell. Beschlossen und verkündet von den Behörden in NRW und Berlin. Andere Bundesländer werden sich dieser Einordnung sicherlich anschließen. Dies erleichtert vielen Kollegen ihre Arbeit, da sie Anspruch auf eine Notfallbetreuung ihrer Kinder haben. “Systemrelevant” bedeutet aber nicht, dass wir wieder als “Systempresse” (oder “Staatsmedien”) diffamiert werden. Dies nur als vorsorglicher Hinweis für all jene, die schon seit geraumer Zeit mit solch populistischen Parolen unsere Unabhängigkeit in Frage stellen.

Noch gehören wir nicht zu den “Helden des Alltags”, die zu Recht durch großflächige Plakate, seitenfüllende Zeitungsanzeigen, Danksagungen im Netz und gemeinsamen Klatschen von Balkonen gefeiert werden. Aber immer mehr Menschen erkennen, dass auch unsere Arbeit “unverzichtbar” ist für eine demokratische Gesellschaft. Rekordquoten für Informationssendungen, riesige Zuwächse im Netz für Nachrichtenangebote von Verlagen und Sendern. Und so mancher macht beim Zeitungsladen die gleiche Erfahrung wie bei der Suche nach Klopapier im Supermarkt:
Zeitungen leider ausverkauft. Wir gehören mit unserer Arbeit – so zynisch das auch klingen mag – zu den “Gewinnern” der Krise.

Aber viele von uns sind auch “Verlierer”. Das sollte uns gerade jetzt auch bewusst sein. Unzählige freie Kollegen haben aktuell keine Einkommen, weil fest verabredete Beiträge storniert werden. Weil viele Themen abseits von Corona nicht mehr gefragt sind. Weil viele Fernsehmagazine vorübergehend pausieren, Drehs für Dokumentationen nicht möglich sind, viele Zeitungsbeilagen nicht gedruckt werden. Über “Solidarität in der Krise” wird allüberall geschrieben – und sie wird auch immer wieder eingefordert. Sender und Verlage sollten klar signalisieren, dass diese “Solidarität” auch ihren freien Mitarbeitern zuteil wird.

Gerade in Krisenzeiten haben Medien, also wir, eine große Verantwortung. Gefordert sind kompetente und einordnende Berichte und Analysen statt reißerische Schlagzeilen für hohe Klickzahlen und hohe Auflagen. Ein erster – und sicherlich nur vorläufiger – Befund: Die meisten Medien werden dieser Verantwortung gerecht. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 182, 20.02.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

die Rheinzeitung hat angekündigt, ihre Lokalredaktionen zu schließen. Stattdessen soll es nur noch drei sogenannten Regionaldesks geben [1]. Und die Westdeutsche Zeitung will in Zukunft ihre Inhalte für den Düsseldorfer Lokalteil nicht mehr selbst produzieren [2].

Zwei Meldungen aus den vergangenen vier Wochen, die – sollten die Einsparungen nicht für neue Recherche-Teams genutzt werden – einen seit Jahren andauernden Trend fortsetzen: Es gibt immer weniger Journalismus im Lokalen, von Recherche gar nicht erst zu reden. Das ist bitter, denn im Lokalen ist unsere Arbeit besonders direkt erleb- und überprüfbar. Wo, wenn nicht dort, sollen wir Vertrauen in unsere Arbeit bewahren oder wieder erkämpfen?

Wer investiert überhaupt noch in Recherchen vor Ort? Welche Modelle haben Zukunft? Das Netzwerk Recherche hat vor kurzem mit einer Reihe von Partnern das “Forum Gemeinnütziger Journalismus” mitgegründet [3]. Aber reicht das?

Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass wir mit weniger Inhalten am Ende mehr Leser an uns binden können – wenn die Inhalte gut genug sind [4]. Für mich ist das eine unglaublich ermutigende Nachricht. Was folgt darauf? Warum probieren wir nicht mehr aus, veröffentlichen nur noch sehr viel weniger Artikel, schaffen Print ab und verschicken nur noch einen ausführlichen Newsletter? Wo sind die radikalen Modelle im Lokalen? Vielleicht ist der Druck auch einfach noch nicht groß genug.

Wer Ideen für Recherchen im Lokalen hat, aber keine redaktionelle Unterstützung dafür: Wir beim Netzwerk Recherche fördern nichts lieber als gute Ideen für lokale Recherchen. Egal ob Umweltkriminalität, Arbeiterausbeutung, extremistische Zellen oder eine illegale Postenvergabe im Landratsamt – meldet Euch gerne bei uns, wir unterstützen Eure Ideen mit bis zu 5000 Euro [5].

Und: Auch auf unserer Jahreskonferenz werden wir wieder ausführlich über Recherche im Lokaljournalismus diskutieren. Bis zum 29. Februar gibt es die Tickets für die Konferenz noch zum vergünstigten „Early Bird“-Tarif [6].

Und: Unterstützt Reporter*innen, die zu Rechtsextremismus recherchieren.

Es grüßen

Daniel Drepper,
Albrecht Ude Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 181, 27.01.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

seit siebeneinhalb Jahren lebt Wikileaks-Gründer Julian Assange nicht mehr in Freiheit. Im Juni 2012 floh er aus Furcht vor einer Auslieferung in die USA in die ecuadorianische Botschaft in London. Nachdem Ecuador 2019 den Aufenthalt in der Botschaft beendete, nahm die britische Polizei ihn fest, er sitzt im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, bis vor wenigen Tagen offenbar in Einzelhaft. Die USA verlangen seine Auslieferung, in wenigen Wochen, Ende Februar, soll die Verhandlung darüber vor einem Londoner Gericht beginnen. Schweden hat die Ermittlungen wegen Vergewaltigungsvorwürfen gegen Assange im November 2019 eingestellt, weil sich die Beweislage deutlich abgeschwächt habe, da die Vorwürfe schon so lange zurückliegen.

Die US-Regierung hat Assanges Auslieferung schon länger betrieben. Nach seiner Verhaftung wurde die bis dahin geheime Anklageschrift der USA bekannt. Zunächst ging es um den Vorwurf, er habe dem Whistleblower Chelsea Manning geholfen, Passwörter zu überwinden.

Im April erhob die US-Regierung 17 weitere Vorwürfe nach dem sogenannten Espionage Act von 1917. Im Kern drehen sich diese Punkte darum, dass Assange amerikanische Geheimdokumente erhalten und veröffentlicht haben soll. Auch die New York Times, der Guardian und Der Spiegel veröffentlichten damals Dokumente, aus denen etwa hervorging, dass die USA die Zahl der zivilen Opfer im Irak als deutlich zu niedrig angegeben hatten und die Kriegsverbrechen nahelegten. Ein Video zeigt die Tötung unbewaffneter Zivilisten aus einem Hubschrauber heraus. Assange wird also etwas vorgeworfen, das die Aufgabe investigativer Reporter ist: Informationen zu beschaffen und zu veröffentlichen, die zeigen, dass die Regierung ihren Bürgern nicht die Wahrheit sagt.

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 180, 19.12.2019

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

als vor gut zwei Jahren die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia nahe ihres Hauses mittels einer Autobombe ermordet wurde, war das ein Schock. Besonders für andere Journalisten: In der Europäischen Union wurde eine Reporterin wegen ihrer Arbeit getötet, ein barbarisches Verbrechen. Vier Monate später starb der slovakische Journalist Jan Kuciak, der zur organisierten Kriminalität in seinem Heimatland recherchiert hatte, er wurde zusammen mit seiner Freundin erschossen.

Die beiden Fälle zeigten, wie sehr auch in Europa die Pressefreiheit bedroht ist, dass auch hier Journalisten um ihr Leben fürchten müssen, weil sie ihre Arbeit gut machen. Welchen Preis sie für ihre Arbeit gezahlt haben, kann nur Ansporn für uns in Deutschland sein, unsere Aufgabe als Recherchejournalisten ernst zu nehmen und die Möglichkeiten, die wir haben, zu nutzen, um wichtige Themen in Angriff zu nehmen. Es muss uns motivieren, gegen Einschränkungen der Pressefreiheit gemeinsam vorzugehen und solidarisch mit denjenigen zu sein, die in Gefahr sind. Hierzulande sind das etwa Kolleginnen und Kollegen, die über Rechtsradikale, Pegida oder die NPD berichten. Und viel zu viele andere Kollegen in Europa und weltweit.

Dass die Solidarität von Kollegen etwas bewirken kann, auch dafür ist der Fall Daphne Caruana Galizia ein Beleg. Achtzehn Medienorganisationen vor allem aus Europa haben sich, unter der Führung der gemeinnützigen Rechercheplattform “Forbidden Stories” zusammengeschlossen, um die Arbeit von Galizia weiterzuführen, und zu zeigen, dass brutale Gewalt, einen einzelnen Reporter zum Schweigen bringen kann, nicht aber die Recherchen stoppt, die diese Journalisten gemacht haben. In den vergangenen Wochen ist überdeutlich geworden, welchem Ausmaß an Korruption in Malta Daphne auf der Spur war und dass der Büroleiter des Premierministers zum Kreis der Verdächtigen in ihrem Mord gehört. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 179, 20.11.2019

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

schweigen oder berichten? Soll man eine Provokation der NPD durch Berichterstattung relevant machen oder durch Nichtbeachten ins Leere laufen lassen? Eine Frage, die in den letzten Tagen in mancher Redaktion diskutiert wurde. Es geht um den Aufruf der NPD zu einer Demonstration gegen missliebige Journalisten, die nächsten Samstag (23. November) in Hannover stattfinden soll. Deren Motto lautet:
“Schluss mit steuerfinanzierter Hetze! Feldmann in die Schranken weisen!”

Dazu ein Foto des NDR-Journalisten Julian Feldmann, der u.a. für das Politikmagazin PANORAMA in den Themenfeldern Innere Sicherheit, Terrorismus und Rechtsextremismus recherchiert. Namentlich erwähnt wird auch David Janzen, der u.a. für den “Störungsmelder” von Zeit Online über die rechte Szene schreibt.

Dass die Rechtsradikalen ihre empörende Menschenjagd mit dreisten Lügen begründen, sei nur am Rande erwähnt. Einige wurden mittlerweile von Gerichten untersagt, andere finden sich noch immer auf der Homepage der NPD Niedersachsen. Dass sie in ihrer Attacke speziell gegen die öffentlich-rechtlichen Anstalten den Kampfbegriff “steuerfinanzierte Hetze” verwenden, dokumentiert nicht nur ihre Ahnungslosigkeit, sondern belegt auch ihre grundsätzliche Verachtung für seriösen Journalismus. Aber damit sind sie leider nicht allein, wie etliche Reden, Tweets und Auftritte u.a. auch von AfD-Politikern erschreckend zeigen. Das “Feindbild Journalismus” gehört in diesen rechten Kreisen längst zum Mainstream.

Viele Medien haben sich entschieden, im Vorfeld dieser NPD-Demonstration nicht zu schweigen, sondern zu berichten. Wissend, dass dies auch eine ungewollte PR für die NPD sein kann.

Aber zu schweigen wäre falsch. Es könnte missverstanden werden. Nämlich dass es uns nicht interessiert, uns nicht tangiert. Das Gegenteil ist richtig: Es empört uns! Weiterlesen

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