Annika Joeres unterteilt in ein früheres und jetziges Leben. Aufgewachsen im Ruhrgebiet, einem der ärmsten Regionen in Deutschland, hat sie früh gelernt, den Blick für die Benachteiligten der Gesellschaft zu schärfen. Für sie selbst, war die Zeit im Ruhrpott von mehreren beruflichen Rückschlägen geprägt: die Einstellung der taz NRW, wo sie stellvertretende Redaktionsleiterin war, und das drastische Schrumpfen der Frankfurter Rundschau, bei der sie als NRW-Korrespondentin gearbeitet hat. Als dann auch noch die Nachrichtenagentur dapd Insolvenz anmeldete, entschied sich Annika Joeres für einen Neuanfang in Frankreich – dem Land, in dem sie studierte und das sie wegen der französischen Literatur, dem Essen und der Alpen schon immer liebte. Dort absolvierte sie eine Bergführer-Ausbildung, bevor es sie wieder in den Journalismus zog.

Während die meisten ihrer Kolleg*innen in Paris arbeiten, lebt Joeres mit ihrer Familie in einem kleinen Bergdorf. „Wenn man die Klimakrise verstehen will, ist es hier eine sehr beispielhafte Region“, die Auswirkungen wie zum Beispiel der Anstieg des Meeresspiegels und die zunehmende Trockenheit sind gut zu erkennen. Ihr Wohnort ermöglicht es ihr, die Klimakrise aus einer anderen Perspektive zu betrachten, fernab von der urbanen Bubble in Paris. In ihrem Selbstversorger-Garten in Südfrankreich kann sie die Auswirkungen der Klimakrise jeden Tag beobachten: „Wenn einem die Ernte wegbrennt, ist das schon existentiell.“ Für Joeres geht es nicht nur um das Gemüse in ihrer Wahlheimat, es ist auch ein täglicher Reminder an die Dringlichkeit ihrer Arbeit.

Annika Joeres arbeitet in ihrem jetzigen Leben als Senior Reporterin zu Energie-und Klimathemen für die gemeinnützige Investigativredaktion Correctiv und ist Korrespondentin für Zeit Online. Sie ist spezialisiert darauf, Lobbyismus zu enttarnen und falsche Versprechen von Parteien und Industrien zu entlarven. Dafür hat sie etliche Preise gewonnen. Die Erfahrungen aus dem Ruhrpott und ihre tiefe Verbindung zur Natur haben sie zu den Klima- und Energiethemen gebracht – eine Berufung, die sie mit Leidenschaft verfolgt.

Gemeinsam mit ihrer Kollegin Susanne Götze hat Joeres das Buch „Die Klimaschmutzlobby“ geschrieben, das 2020 veröffentlicht wurde. Darin beschreiben die beiden ein Netzwerk, das ihrer Recherche nach den Fortschritt im Klimaschutz behindert. Für das Medium Buch haben sie sich entschieden, weil sie dabei stärker in die Tiefe gehen können. Aufwendige und zeitintensive Recherchen, die Joeres besonders gerne macht und sich daher selber als „Workaholic“ bezeichnet, finden dort den entsprechenden Platz.

Klimajournalismus als „Teil von der Suche nach einem besseren Leben“

Annika Joeres betrachtet Klimajournalismus nicht nur als Zugang zu einem drängenden Problem, sie ist davon überzeugt davon, dass „der Klimajournalismus Teil von der Suche nach einem besseren Leben“ sein kann. Für sie geht es nicht nur um die Bekämpfung des Klimawandels, sondern darum, wie nachhaltige Maßnahmen das Leben jedes Einzelnen verbessern können. Sie ist überzeugt, dass Lösungen wie grüne Städte und erneuerbare Energien nicht nur die Umwelt schützen, sondern auch die Lebensqualität steigern können. Und diese Perspektive wünscht sie sich auch für den Klimajournalismus: Klimaschutz darf nicht als Bedrohung, sondern muss als Chance betrachtet werden.

Annika Joeres möchte sicherstellen, dass Berichte über die Klimakrise, die Rolle von Lobbyisten und mögliche Lösungen wieder den zentralen Platz im Journalismus erhalten, den sie angesichts der Dringlichkeit des Themas verdienen. Ihr Ziel ist es, die Menschen nicht nur zu informieren, sondern ihnen auch Lust zu machen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und Freude daran zu finden, über nachhaltige Lösungen zu lesen.

Neuanfang in Südfrankreich: Eine zweite Heimat und neue Perspektiven

Frankreich hat sie gelehrt, dass das Thema Klima noch weitere Herausforderungen in sich birgt: Die Menschen in dem Dorf, in dem sie mit ihrer Familie lebt, haben ein ganz anderes Bewusstsein für den Klima- und Umweltschutz. „Es scheint die Leute überhaupt nicht zu interessieren, obwohl sie die katastrophalen Folgen des drängenden Problems direkt vor der Haustür sehen können.“ Joeres versucht ihre Nachbar*innen den Zusammenhang zwischen der Klimakrise und den Folgen zu erklären: „Ich versuche immer noch persönliche zu überzeugen, auch wenn man bei manchen Fällen weiß, dass es verlorene Mühe ist.“

Deswegen wird ein zentrales Thema auf der Netzwerk Recherche Jahreskonferenz 2024 in Hamburg der Aufstieg rechter Anti-Klimaschutzparolen sein. Joeres Meinung nach liegt das größte Problem in der wachsenden sozialen Ungleichheit: „Das Grundübel ist die größer werdende Kluft zwischen Armen und Reichen.“ Sie ist überzeugt, dass diese Ungleichheit dafür verantwortlich ist, dass Klimaschutzmaßnahmen von vielen als Bedrohung wahrgenommen werden. Darüber wird sie in der Session „Rechtsruck und Fatigue – Backlash im Klimajournalismus“ mit Barbara Junge, Christian Stöcker und Alban Burster am Freitag den 19. Juli um 15:30 Uhr sprechen.

Davor, um 12 Uhr, moderiert sie die Session „Grüne Märchen – Wie wir das Greenwashing von Unternehmen entlarven“, in der Gesa Steeger und Felix Rohrbeck über ihre Recherchen sprechen.

Text: Jana Abel (TU Dortmund)