30.06.-03.07. 2005, I-22017 Menaggio (CO), Villa Vigoni

Netzwerk Recherche und das Deutsch-Italienische Zentrum Villa Vigoni organisieren in Zusammenarbeit mit der Botschaft der Italienischen Republik in Berlin und der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Rom ein deutsch-italienisches Journalistentreffen.

Behandelt werden die Themenfelder:

  • Die Situation der Medien in Italien und in Deutschland,
  • Presse und Politik: ein offener Vergleich,
  • Presse, Wirtschaft und Gesellschaft in Italien und in Deutschland,
  • Die Funktion der Medien für die Schaffung einer europäischen öffentlichen Meinung.

Liebe und Respekt simultan uebersetzt.
“Die Konferenzsprachen: Deutsch und Italienisch mit Simultanübersetzung”.
So stand es im Programm. Doch dass dies zur Verständigung längst nicht ausreichen wuerde, wenn deutsche und italienische Journalisten zusammentreffen – das hatte wohl niemand vorhergesehen.

Die Rollenverteilung war geklärt: Das Netzwerk Recherche (nr) brachte die kritischen Journalisten und wissenschaftliche Beiträge aus Deutschland. Das Deutsch-Italienische Zentrum Villa Vigoni stellte den Veranstaltungsort am malerischen Comer See und lud deutsche Italien-Korrespondenten sowie Journalisten und Wissenschaftler aus Italien. Der deutsche Botschafter in Rom, Michael Gerdts, und sein italienischer Kollege in Deutschland, Silvio Fagiolo, waren ebenfalls vor Ort. Allerdings trug diese Konstellation vielleicht schon den Keim eines Missverständnisses in sich: Sollte es nun ein gewohnt straffes Treffen des Netzwerk Recherche werden oder eher eine Zusammenkunft mit dem Charakter einer UNO-Vollversammlung, wie einer später sagte.

Um solch eine diplomatische Zurückhaltung gar nicht erst aufkommen zu lassen, wies nr-Vorsitzender Thomas Leif auf die weissen Flecken in der deutschen Recherchelandkarte hin: Kein tiefes Schürfen zum nachlässigen IT-Management bei der Bundesagentur für Arbeit, kein Nachbohren bei der Verantwortung des RWE-Managements in der Affäre um die CDU-Politiker Arentz und Meyer und deren Entlohnung für nicht geleistete Arbeit, keine Aufklärung im Umfeld des NPD-Verbotsverfahrens, stattdessen Vernebelung kritischer Informationen durch die politische Klasse. Die Botschaft an die italienischen Kollegen war klar: Wir lassen zuerst die Hosen runter. Aber dann seid ihr dran.

Bereits am nächsten Tag zeigte sich, dass nicht jeder von ihnen die gleiche tadelnde Perspektive auf die Blätter und Sender zwischen Bozen und Bari einnehmen wollte. So benannte Roberto Briglia, Manager bei der italienischen Verlagsgruppe Mondadori, die mehrheitlich zu Berlusconis Fininvest gehört, zunächst drei Kriterien, an denen er die italienische Medienlandschaft vermessen wollte: “Pluralismus, Innovation und ökonomische Gesundheit”. Punkt zwei und drei bewertete er insbesondere dank des Merchandisings von Büchern – von deutschen Verlagen eifrig kopiert – eher positiv. Auch die Meinungsvielfalt sah Briglia, der nebenbei noch Vize-Präsident der Vereinigung italienischer Zeitungs- und Zeitschriftenverleger F.I.E.G. ist, kaum beeinträchtigt. Zum Beleg fuehrte er das jüngst gescheiterte Referendum an, bei dem italienische Medien laut für ihre jeweiligen Positionen getrommelt hatten und welches dann mangels Bürgerbeteiligung durchfiel. Insgesamt seien die grossen Zeitungen besser geworden und viele kleinere neu entstanden. Das italienische Fernsehen, so formulierte Briglia in einer gewagten These weiter, spiele eine eher “passive Rolle, weil es Realität zwar fotografiert, sie aber nicht interpretiert”. Er erkenne beim italienischen Fernsehen aber durchaus einen Interessenkonflikt. Wie auch nicht: In einem Land, in dem der Regierungschef das private Fernsehen mehrheitlich besitzt, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk qua Amt kontrolliert und sich die Mediengesetzgebung so passgenau schneidern lässt wie seine Anzüge. Auf die Nachfrage eines deutschen Diskutanten, ob in Italien eine Telediktaktur herrscht, eine Deformation der Demokratie droht und Eingriffe in das Mediensystem stattfinden, musste der Berlusconi-Angestellte Briglia freilich nicht näher eingehen, was er der eher laxen Moderation des Vormittags zu verdanken hatte. Dieser in der Sache durchaus berechtigte Vorstoss aus Deutschland liess jedoch eine kleine dunkle Wolke des kulturellen Missverständnisses aufziehen: Denn Form und Inhalt stehen in Italien durchaus gleichberechtigt nebeneinander. Was aus deutscher Sicht nachvollziehbar oder absolut unverständlich sein kann – es ist aber nun einmal so.

Es passte insofern ins Bild, dass der Vize-Direktor von La Stampa, Carlo Bastasin, dessen Zeitung seit 50 Jahren FIAT gehört, später empört auf die Frage reagierte, ob er als Journalist unabhängig ueber den Turiner Autokonzern berichten könne: “Bitte, damit wird das Mafia-Klischee auf den italienischen Journalismus übertragen. Es gibt keine Zensur dieser Art. Ich versichere, es gibt in italienischen Blättern mehr Information über politische und wirtschaftliche Macht als in Deutschland.” Sprach’s und rauschte im Anschluss an die Diskussion nicht unbedingt besser gelaunt wieder ab.

Angelo Bolaffi, Professor für politische Philosophie an der römischen Universität La Sapienza, war an diesem Tag der Retter der italienischen Ehre, indem er einen Paradigmenwechsel in Italien beschrieb, der Medienmogule und Tycoons als neue Diktatoren hervorbringe. Dafür lieferte Bolaffi auch gleich den Begriff: Berlusconismo.

Dass es bei solchen Reibungen selbst in einem überschaubaren Rahmen wie diesem Treffen noch ein weiter Weg bis zur Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit sein wuerde, war somit bereits klar, als der Medienhistoriker Bernd Sösemann von der FU Berlin seine These für die entsprechende Funktion der Medien erläuterte: Der Kommunikationsraum eines Kerneuropa bestehe bereits in monetärer und wirtschaftlicher, nachrichten- und kommunikationstechnischer Hinsicht. Dagegen sei er sozio-kulturell, medial und kommunikationspolitisch vorerst nur in schwachen Umrissen zu erkennen.

Unterdessen dürften alle Seiten genug damit zu tun haben, ihre latenten Vorurteile oder Klischees abzubauen. Eine boshafte Beschreibung des deutsch-italienischen Verhältnisses lautet: Die Deutschen lieben die Italiener, aber sie respektieren sie nicht. Und die Italiener respektieren die Deutschen, aber sie lieben sie nicht. Selbstredend ist da ganz und gar nichts dran. Gleichwohl würde es gewiss nicht schaden, wenn der deutsch-italienische Journalisten-Austausch fortgesetzt würde.

Gern mit Simultanübersetzung.
{Venio Piero Quinque}

 

Einladung und Programm des deutsch-italienischen Journalistentreffens (2 S., 87 KB) [PDF]