Newsletter Netzwerk Recherche 241 vom 24.01.2025
Liebe Kolleg:innen,
ich habe den Eindruck, dass es in den vergangenen Jahren härter geworden ist, kritische, investigative Recherchen zu veröffentlichen.
Das liegt nicht so sehr an den langwierigen Recherchen selbst, sondern an den Dingen, die nach der Veröffentlichung folgen: Journalist:innen werden immer häufiger massiv diskreditiert: mit Hilfe von Hetze in den sozialen Medien, mit Hilfe extrem rechter Portale – und auch mit der Hilfe williger Anwälte, die kein Problem mit einschüchternden Klagen haben.
Eigentlich müssten Redaktionen deshalb die investigative Recherche stärken und auch diejenigen Reporter:innen, die sich für solche Recherchen einsetzen. Was mir aber leider in immer mehr Gesprächen zugetragen wird: Manche Redaktionen sind vorsichtiger geworden, verlagern die Risiken und Kosten der Vorrecherche umfassend auf freie Kolleg:innen, halten Reporter:innen von einer Veröffentlichung ab, lassen Autor:innen während und nach umkämpften Veröffentlichungen alleine.
Das ist gefährlich, denn was passiert, wenn Reporter:innen irgendwann keine Kraft mehr haben, sich diesem Gegenwind entgegenzustellen?
Umso mehr freue ich mich, dass wir uns in den kommenden Monaten gleich zwei Mal treffen und uns persönlich gegenseitig Mut zusprechen können. Am 14./15. März treffen wir uns beim rbb in Berlin zur Fachkonferenz „Junge Recherche“ (hier gibt es nur noch Wartelisten-Plätze), am 13./14. Juni beim NDR in Hamburg zur Jahreskonferenz.
Auf bald persönlich!
Euer
Daniel Drepper
Daniels Tipps des Monats
Vergewaltiger-Netzwerke
Diese NDR-Recherche hat mich im wahrsten Sinne erschüttert. Die STRG_F-Kolleginnen Isabell Beer und Isabel Ströh zeigen internationale Chatgruppen, in denen Männer teilen, wie sie ihre Frauen bewusstlos vergewaltigen. In denen sie sich Tipps für unauffällige und besonders wirksame Substanzen und Vorgehen geben. In denen sie live auf Anweisung vergewaltigen. In denen sie ihre Frauen anderen Männern zur Vergewaltigung anbieten. Eine der Gruppen hatte 73.000 Mitglieder, die tausende Beiträge im Monat verbreiten. Im Laufe der Doku recherchieren die Reporterinnen Klarnamen und Adressen. Weil sie Hinweise auf konkrete, bevorstehende Vergewaltigungen sehen, verständigen die Kolleginnen die Behörden. Obwohl sie den Behörden vor mehr als einem Jahr Zugang zu den Vergewaltiger-Gruppen gegeben haben, ist offenbar bis heute wenig passiert. Die Männer teilen weiter Videos ihrer Straftaten.
Kaum Schutz für Zivilist:innen
Die New York Times hat in den vergangenen Monaten mit mehr als 100 isralischen Soldat:innen und Offiziellen gesprochen und zahlreiche Militärdokumente gesichtet. Und zeigt mit einer neuen Recherche, wie verantwortungslos und brutal das israelische Militär im Krieg in Gaza vorgegangen ist.
Elon Musks Character Limit
Elon Musk ist der reichste und mächtigste Unterstützer des globalen Rechtsextremismus. Kaum ein Mensch ist derzeit gefährlicher für demokratische Gesellschaften. Und deshalb sollten wir uns unbedingt mit Elon Musk beschäftigen. Und seiner Radikalisierung in den vergangenen Jahren, seiner Arbeitsweise, seinen Zielen. Das Buch „Character Limit“ der beiden New York Times-Autor:innen Kate Conger und Ryan Mac hilft dabei – und es macht gleichzeitig großen Spaß zu lesen. Es zeichnet im Detail nach, wie Musk es schaffen konnte, die Plattform Twitter zu übernehmen. Wie er sich als Chef und Investor verhält. Wie irrational und erratisch er handelt. Wie er mit seinen Mitarbeiter:innen umgeht. Welche politischen Ziele er verfolgt. Wie er immer und immer wieder Versprechen bricht und am Ende nur eins zählt: sein persönlicher Vorteil.
EigenanzeigeAus dem Netzwerk Recherche
Fellowship zur „Jungen Recherche“
Netzwerk Recherche lädt am 14. und 15. März 2025 zur „Jungen Recherche“ beim rbb in Berlin ein. Die Veranstaltung richtet sich an Nachwuchsjournalist:innen und bietet Unterstützung beim Einstieg in den investigativen Journalismus. Gemeinsam mit funk vergeben wir ein Fellowship, um finanzielle Hürden für die Teilnahme abzubauen. Das Fellowship umfasst das Konferenzticket, die Reisekosten und Hotelübernachtung. Die Förderung richtet sich an Personen, denen eine Teilnahme ohne finanzielle Unterstützung nicht möglich wäre. Bewerbungen sind bis zum 2. Februar möglich. Hinweis: Die Konferenz ist bereits ausgebucht. Wer Interesse an einem Stand hat, kann sich per Mail melden.
Fellowship „Vielfalt im Investigativjournalismus stärken“
Netzwerk Recherche und „Neue deutsche Medienmacher*innen“ vergeben 2025 zum vierten Mal das Investigativ-Fellowship. Das Programm richtet sich an junge Journalist:innen mit Migrationsgeschichte, Rassismus- oder Armutserfahrungen, die in den Investigativjournalismus einsteigen möchten. Das Fellowship umfasst ein dreimonatiges, bezahltes Praktikum bei renommierten Medienhäusern oder Unternehmen, finanzielle Unterstützung durch ein Stipendium sowie Zugang zu Fortbildungen und Journalismuskonferenzen. Bewerbungen sind bis zum 2. März 2025 möglich.
Fortbildung: Förderkosmos Journalismus 2025
Du möchtest dein journalistisches Projekt umsetzen, aber es fehlen die Fördermittel? In unseren digitalen Workshops der Fortbildungsreihe „Förderkosmos Journalismus“ lernst du, die passenden Förderprogramme zu finden, überzeugende Anträge zu schreiben und dein Projekt erfolgreich vor Fördergeber:innen zu präsentieren. Mehr Infos und die genauen Termine zum Förderkosmis Medienprojekte (Anmeldeschluss 20. Februar 2025) und Rechercheprojekte (Anmeldeschluss 28. Februar 2025) gibt es hier. Die Workshops kosten 200 Euro (NR-Mitglieder zahlen nur 100 Euro – jetzt Mitglied werden!).
Mentale Gesundheit: Roundtables in Hamburg und Berlin
Im Rahmen unseres Helpline-Projekts veranstalten wir gemeinsam mit dem Dart Centre Europe Roundtables zum Thema „Mentale Gesundheit im Journalismus“ in Hamburg und Berlin. Eingeladen zu den vertraulichen Arbeitstreffen sind Personen in redaktionellen Führungspositionen oder Mitglieder von Betriebsräten. Wir möchten gemeinsam Strategien diskutieren, wie man Überlastungen bei Mitarbeitenden vorbeugen und betroffene Kolleg:innen bestmöglich unterstützen kann. Der Roundtable Berlin findet am 7. Februar von 11:30 bis 13:30 Uhr statt. Der Roundtable Hamburg am 11. Februar von 14 bis 16 Uhr. Interessierte melden sich bitte per Mail an. Gerne an potenzielle Teilnehmende weiterleiten!
Stipendien: Geförderte Recherchen veröffentlicht
„Grün ist die Wüste“ von Niklas Franzen befasst sich mit den ökologischen und sozialen Folgen von Eukalyptusplantagen in Brasilien. Der Artikel zeigt am Beispiel der Kleinstadt Três Lagoas, wie der steigende Papierkonsum in Deutschland die problematische Zellstoffproduktion in Brasilien vorantreibt. Der Autor wurde durch ein Olin-Stipendium unterstützt.
Eine andere, geförderte Recherche von Deana Mrkaja und Florian Schmitz befasst sich mit KI-Technologien an europäischen Außengrenzen. Von der griechisch-türkischen Landgrenze bis zum Ärmelkanal werden Drohnen, Wärmebildkameras, Überwachungs- und Identifikationssysteme von der EU finanziert. Diese Entwicklung hin zu „intelligentem Migrationsmanagement“ wirft seit Langem rechtliche und ethische Bedenken hinsichtlich der Verletzung von Rechten von Migrant:innen auf. Die Recherche wurde durch ein NR-Stipendium unterstützt und ist u. a. in Deutschland, den USA und der Schweiz erschienen.
EigenanzeigeGIJN Deutsch
Online-Kurs: Cyber Investigations
Digitale Manipulation wie Desinformation, Trolling, Malware oder Spyware stellt eine Gefahr für die Gesellschaft und speziell für Medienschaffende dar. In diesem GIJN-Webinar soll Journalist:innen aus aller Welt das nötige Fachwissen vermittelt werden, um Cyber-Recherchen durchzuführen. Der Kurs ist kostenlos und findet ab dem 14. April montags und donnerstags über einen Zeitraum von sechs Wochen um 10 Uhr EDT (16 Uhr in Deutschland) statt. Bewerbungsschluss ist der 1. Februar 2025.
Internationale Recherche des Monats: Die Waldbrände in L.A.
Wie nie zuvor haben im Januar die Waldbrände in der Region Los Angeles gewütet und nicht zuletzt wegen der Nähe zu Hollywood Aufmerksamkeit auf sich gezogen. In dieser visuellen Aufarbeitung der Daten zeigt der Guardian das Ausmaß der Zerstörung anhand von Karten, Videos und Satellitenbildern.
Sigma Awards für Datenjournalismus: Jetzt bewerben!
Seit diesem Jahr hostet das Global Investigative Journalism Network die Sigma Awards für Datenjournalismus. Wir laden Journalist:innen aus aller Welt ein, die besten Datenrecherchen des Jahres 2024 einzureichen. Hier geht’s zur Bewerbung. Die Frist endet am 28. Februar 2025.
Nachrichten
Schutz vor SLAPP-Klagen
Eine neue EU-Richtlinie soll Journalist:innen in Zukunft vor SLAPP-Klagen schützen. „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) pocht darauf, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, und empfiehlt eine Reihe von Maßnahmen, die bei der Umsetzung der neuen EU-Richtlinie beachtet werden sollten. Unter anderem fordert RSF, dass wer „Rechtsmissbrauch initiiert, auch finanziell zur Verantwortung gezogen werden muss. Betroffene sollten nicht nur ihre Kosten erstattet bekommen, sondern auch Anspruch auf Schadenersatz haben.“
EigenanzeigeVeranstaltungen, Preise & Stipendien
Stipendium für Menschen mit Rassismus-Erfahrung und Behinderung
Das inkulsive Magazin „andererseits“ vergibt jeweils ein Recherche-Stipendium an eine von Rassismus betroffene Person mit und ohne Behinderung. Das Stipendium hat eine Laufzeit von zwei Monaten, die individuell festgelegt werden, und umfasst 1.500 Euro. Die beiden geförderten Personen arbeiten im Team und produzieren einen Text oder ein Video zu einem Thema ihrer Wahl. Bewerbungen sind bis zum 30. Januar 2025 möglich.
Deutsch-Nordamerikanischer Journalismus-Austausch
Mit dem Arthur F. Burns Fellowship erhalten zwanzig Journalist:innen aus Deutschland, Kanada und den USA die Möglichkeit, im Rahmen eines Arbeitsstipendiums berufliche und persönliche Erfahrungen im jeweiligen Gastland zu gewinnen. Die Stipendiat:innen arbeiten mindestens zwei Monate in einer Gastredaktion ihrer Wahl und haben gleichzeitig die Möglichkeit, als Korrespondent:innen für ihre Heimatmedien zu berichten. Das Stipendium der Organisation „Internationale Journalisten-Programme“ umfasst eine einmalige Zahlung von 4.000 Euro sowie 1.500 Euro Reisekostenzuschuss. Die Bewerbungsfrist endet am 1. Februar 2025.
Journalismus-Austausch Deutschland und südliches Afrika
Außerdem hat das IJP aktuell das Bundespräsident Horst Köhler-Journalistenstipendium ausgeschrieben, das sich an Journalist:innen aus dem südlichen Afrika und aus Deutschland richtet. Ziel des Austauschprogramms ist es, Öffentlichkeit für deutsch-afrikanische Themen herzustellen. Die Stipendiat:innen erhalten eine finanzielle Unterstützung in Höhe von 3.500 Euro und arbeiten nach einer Einführungskonferenz in Berlin in einer Redaktion im Gastland. Bewerbungsschluss ist der 15. Februar 2025.
Erinnerung: Nina-Grunenberg-Fellowship für Bildungsjournalismus
Du interessierst dich für Bildungspolitik und Journalismus? Dann bewirb dich um das Nina-Grunenberg-Fellowship von Publix. In zwei 14-tägigen Blöcken ermöglicht das Fellowship den Austausch mit Schulen, Redaktionen, Bildungseinrichtungen und politischen Institutionen. Es umfasst die Reise- und Übernachtungskosten sowie einen Gehaltsausgleich in Höhe von maximal 3.500 Euro. Außerdem vergibt Publix für Absolvent:innen des Nina-Grunenberg-Fellowship in Kooperation mit Netzwerk Recherche zwei bis vier Recherchestipendien zwischen 1.500 und 5.000 Euro. Die Bewerbungsfrist für beide Programme ist der 9. Februar 2025.
Publix Fellowship for Media Entrepreneurs
Publix vergibt zusammen mit dem Reuters Institute in Oxford erstmals das Publix Fellowship for Media Entrepreneurs – ein Weiterbildungsangebot, das die Innovations- und Führungskompetenzen von Journalist:innen stärkt. Die Teilnehmer:innen verbringen drei Monate am Reuters Institute sowie mehrere Wochen bei Publix in Berlin. Bewerben können sich Journalist:innen aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz, die an einer Gründungs- oder Innovationsidee im Bereich des gemeinwohlorientierten Journalismus arbeiten. Die Bewerbungsfrist endet am 13. Februar 2025.
Deutsche Gesellschaft für Ernährung vergibt Journalismus-Preis
Journalist:innen, die im Jahr 2024 zum Thema (nachhaltige) Ernährung gearbeitet haben, können sich für den „Journalisten-Preis 2025“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bewerben. Zugelassen sind feste und freie Journalist:innen sowie Redaktionsteams aus allen Medienbereichen, die zwischen dem 1. Januar und 31. Dezember zum Thema publiziert haben. Der Preis ist mit 2.000 Euro pro Kategorie (Tages- und Wochenzeitungen; Publikumszeitschriften; Hörfunk und Podcast; Filmbeiträge; Internet und Social Media) dotiert. Bewerbungsschluss ist der 15. Februar 2025.
MIZ Innovationsförderung
Die Innovationsförderung des Medieninnovationszentrums Babelsberg (MIZ) fördert Studierende, Absolvent:innen sowie Start-ups und Medienprofis bei ihren medialen Projektvorhaben. Geförderte erhalten bis zu 40.000 Euro, individuelle Coachings, Netzwerkmöglichkeiten, Zugang zu Büroplätzen sowie Online- und Audiostudios im MIZ. Bewerbungen sind bis zum 2. März 2025 möglich.
Online-Workshop zur Analyse von Desinformation
Ein Online-Workshop der Alliance4Europe und dem EU-finanzierte adacio.eu Projekt möchte Mechanismen aufzeigen, nach denen Informationsmanipulation funktioniert. Der kostenlose, zweistündige Workshop, der voraussichtlich im März 2025 stattfinden soll, legt dabei den Fokus auf manipulative Narrative. Veranstaltungssprache ist Englisch. Interessierte werden gebeten, diesen Fragebogen (3-4 Minuten) auszufüllen.
Fortbildungen
- Demokratie im Krisenmodus – Journalismus gefordert wie nie?, Journalismustag der dju, 25. Januar 2025
- Kompaktkurs: Interview und Einzelfeedback, Webinar der ARD.ZDF medienakademie, 27. Januar
- Redigieren auch mit KI, Webinar der Akademie für Publizistik Hamburg, 27. und 28. Januar
- Grundlagenkursus: Journalistisches Schreiben, Seminar der Friedrich-Ebert-Stiftung, 19. bis 21. Februar 2025
- Zwischen Hassrede, Framing und generativer Künstlicher Intelligenz: Medien und Sprache aus ethischer Sicht, Tagung der Akademie für Politische Bildung Tutzing, 20. und Freitag 21. Februar 2025
- Abmahnung, Klage, Schadensersatz – Wie SLAPPs gegen Journalist*innen funktionieren und wie du dich schützen kannst, Workshop der dju, 25. Februar 2025
Zum Schluss
Einreichungen NR25
Vielen Dank für insgesamt 233 Vorschläge, die uns über unseren Call for Participation für die Jahreskonferenz NR25 erreicht haben. In Expert:innenteams sichten wir nun die Einreichungen. Die Benachrichtigung über die Auswahl wird voraussichtlich im März 2025 erfolgen.