Autorin: Amel Ghani

Die Journalismusbranche im Allgemeinen und der investigative Journalismus im Besonderen waren und sind ein einsamer Ort für Frauen. Leitende Redakteurinnen führender Organisationen aus der ganzen Welt wie des britischen Bureau of Investigative Journalism (TBIJ) oder des Wole Soyinka Centre for Investigative Journalism aus Nigeria geben Frauen neun Tipps für eine starke Karriere im Investigativjournalismus.

Vergesst die Geschichte der einsamen Wölfin

Rachel Oldroyd, Managing Editor und CEO von TBIJ, sagt, dass das vorherrschende Bild des Investigativreporters als „einsamer Wolf“, der im Alleingang eine Story ausgräbt, veraltet sei. Sie argumentiert, dass Journalist:innen diese Vorstellung ad acta legen und sich darüber freuen sollten, dass viele Frauen Teamplayerinnen sind, was ganz eigene Vorteile mit sich bringe, vor allem im Bereich des kollaborativen Investigativjournalismus. „Wir neigen dazu, besser zu teilen, zusammenzuarbeiten und zu netzwerken. Wir können uns besser in andere einfühlen und verfügen häufig über all die Fähigkeiten, die im Investigativjournalismus so wichtig sind“, erklärt sie und fügt hinzu, dass Frauen ruhig stärker betonen könnten, wie wichtig all diese Dinge für den Journalismus sind.

Nicht jede Karriere verläuft linear

Marina Walker Guevara, Executive Editor des Pulitzer Center, arbeitete als Senior Reporterin in Argentinien, als sie beschloss, in die USA umzuziehen. Ihre Familie hielt dies damals für einen Schritt zurück, da sie von einer hochrangigen Position als Reporterin als Praktikantin in das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) wechselte. Doch sie stieg schnell auf und was wie ein Lotteriespiel schien, zahlte sich aus: Sie wurde zunächst stellvertretende Direktorin und schließlich Direktorin für strategische Initiativen und Netzwerk des ICIJ. Frauen rät sie, den Gedanken anzunehmen, dass ihre Karriere nicht immer vorhersehbar ist und dass Werdegänge nicht zwangsläufig einem geraden Weg folgen oder immer in dieselbe Richtung weisen.

Haltet Ausschau nach preisgekrönten Stories

Oldroyd erinnert Frauen daran, dafür zu kämpfen, dass ihre Perspektiven in den Redaktionen und Chefetagen Gehör finden. Sie unterstreicht, wie wichtig eine Berichterstattung zu frauenspezifischen Themen ist, die in der Vergangenheit nicht die Aufmerksamkeit erhielten, die sie verdienen. Sie glaubt, dass sich hier etwas ändert, da globale Stories über Frauen und ihre Erfahrungen Auszeichnungen erhalten. Diese preisgekrönten Stories könnten als Vorbild dienen und von Reporter:innen in den Redaktionen als Referenz angeführt werden, um sich für ähnliche Arbeiten einzusetzen.

Nutzt Daten zur Untermauerung eurer Argumente

Motunrayo Alaka, Executive Director und CEO des Wole Soyinka Centre, ermutigt Frauen, Daten für ihre Anliegen zu nutzen. Sie berichtet von ihren eigenen Recherchen über die „Maskulinität der Redaktionen“, in deren Rahmen sie herausfand, dass in Nigeria auf Managementebene zwei Frauen auf zehn Männer und auf Vorstandsebene zwei Frauen auf sieben Männer kommen. Dieses Wissen, so Alaka weiter, habe es ihr nicht nur erlaubt, dem Management mit Forderungen gegenüberzutreten, sondern auch, sich für die Einstellung von mehr Frauen aus moralischen und wirtschaftlichen Gründen stark zu machen.

Bittet um Hilfe und Unterstützung

Oldroyd findet, dass Frauen in den Redaktionen auch mehr Sicherheit und Unterstützung einfordern sollten, wenn sie diese benötigen, vor allem dann, wenn sie zu sensiblen Themen arbeiten und beispielsweise Recherchen über mächtige Männer und Belästigung im Rahmen von „#MeToo“ machen. „Stories, bei denen Frauen im Zentrum stehen, sind oft sehr herausfordernd und erfordern zusätzliche Unterstützung, da man mit verletzlichen Quellen wie Vergewaltigungsopfern oder Mitgliedern der #MeToo-Bewegung spricht“, erklärt Oldroyd und ergänzt, dass dies zu „stellvertretenden Traumata“ führen kann.

Bleibt eurem Führungsstil treu

Sherry Lee, Chefredakteurin des taiwanesischen The Reporter, warnt davor, dass häufig abwertende Adjektive wie „rechthaberisch“ oder „emotional“ verwendet werden, um Frauen in Führungspositionen zu beschreiben. Solche Begriffe werden für Männer in derselben Position nicht genutzt. Einer ihrer Kollegen sagte einmal zu ihr: „Sherry, du spielst den Bad Cop wirklich gut.“ Zunächst wusste sie nicht, was sie darauf erwidern sollte. Als ein weiterer Kollege dieselben Worte verwendete, wusste sie, dass sie es ansprechen musste. Sie sagte ihnen, dass es als Führungskraft ihre Aufgabe sei, Verantwortung zu übernehmen, und dass sie genau das tue. „Ich forderte sie zudem auf, nicht noch einmal so über mich zu sprechen“, sagt sie und zog damit ihre Grenze. Sie ist der Ansicht, dass unterschiedliche Frauen unterschiedliche Führungsstile haben und dies annehmen sollten, anstatt zu versuchen, sich aufgrund von herrschenden Vorurteilen in Redaktionen zu ändern.

Passt euch an – wieder und wieder

Marina Walker Guevara betont die Bedeutung von Flexibilität auf persönlicher Ebene. Rawan Damen, Generaldirektorin von ARIJ, hingegen, legt den Fokus eher auf Anpassungsfähigkeit und Flexibilität auf organisatorischer und beruflicher Ebene. „Du musst viel planen und dich jedoch auch oft anpassen“, erklärt Damen und betont, dass Flexibilität und einen Plan zu haben „zwei Seiten derselben Medaille“ seien.

Achtet auf Euch

„Studie um Studie hat aufgezeigt, dass Frauen häufiger von Burnout betroffen sind als Männer“, mahnt Walker Guevara und äußert die Vermutung, dass das daran liegen könne, dass Männer und Frauen ihre Prioritäten anders setzten. Sie erinnert sich an eine Zeit in ihrer eigenen Karriere, als sie ein T-Shirt mit der Aufschrift „Scheitern ist keine Option“ trug, und verweist darauf, dass diese Art von Druck schließlich im Burnout enden könne, sie jedoch erkannt habe, wie wichtig es sei, „Nein“ zu sagen, Grenzen zu ziehen und diese auch zu kommunizieren.

Unterstützt die neue Generation von Führungskräften

Für Motunrayo Alaka ist es nicht nur wichtig, für sich selbst einzutreten, sondern auch andere Frauen zu ermutigen und als Mentorin zu begleiten. Sie veröffentlicht nicht nur Ausschreibungen für bestimmte Positionen, sondern sucht auch nach Journalistinnen, indem sie nach ihren Recherchen sucht, um potenzielle Kandidatinnen zu finden. „Wenn eine Frau gewinnt, gewinnen alle Frauen, denn du kannst den Weg für andere ebnen“, sagt sie.

Info:

Neun Leadership Tipps für Frauen sind aus dem Workshop „Frauen und investigativer Journalismus: Leadership-Tipps“ entstanden. Er fand auf der 12. Global Investigative Journalism Conference (#GIJC21) statt.

Auf dem Podium saßen leitende Redakteurinnen führender Organisationen aus der ganzen Welt wie des britischen Bureau of Investigative Journalism (TBIJ), des Wole Soyinka Centre for Investigative Journalism aus Nigeria, der taiwanesischen Onlineplattform für investigativen Journalismus The Reporter, des Pulitzer Center aus den Vereinigten Staaten, das den investigativen Journalismus mit Fördermitteln unterstützt, und Arab Reporters for Investigative Journalism (ARIJ) mit Sitz in Jordanien. Gestützt auf Jahrzehnte kollektiver Erfahrungen berichteten die Podiumsteilnehmerinnen, wie sie es trotz der Herausforderungen, mit denen Frauen in vielen Nachrichtenredaktionen konfrontiert sind, an die Spitze geschafft haben. Eine vollständige Aufzeichnung der im Rahmen der GIJC21 geführten Diskussion stellen wir auf Youtube zur Verfügung.

Zudem gibt es Tipsheets und Präsentationen der Redner:innen auf der GIJC21-Website. Zur weiteren Vertiefung empfehlen wir diesen Bericht von der GIJC19, Women Investigative Journalists on Work and Life, und den GIJN-Leitfaden Resources for Women Journalists.

Dieser Guide wurde übersetzt von Tanja Felder.

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