Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 188 vom 28.08.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

neulich sollte Markus Söder nach Schleswig-Holstein kommen: das hat mir wieder vor Augen geführt, wie doof ich unseren Journalismus manchmal finde. Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident, der so ist, wie er ist, wollte zur Wattwanderung kommen, um sich dort von Journalisten fotografieren und filmen zu lassen. Und rund siebzig Journalisten fanden das offenbar eine wirklich gute Idee und wollten in jedem Fall zum Fotografieren und Filmen dabei sein.
Vor ein paar Jahren war Markus Söder schon einmal mit Journalistentross im Watt herumspaziert und offenbar hat es ihm schon damals so gut gefallen, dass er es just jetzt noch einmal machen wollte. Frische Bilder, um sich ein bisschen selbst zu inszenieren, als vielleicht-Kanzler-Kandidat oder einfach auch als Markus Söder.

So durchschaubar, aber zugleich so gerne genommen von uns Medien, die dann vorgeben, es natürlich alles zu durchschauen. Immer wieder hält man es für witzig und unterhaltsam, wenn Politiker sich so zeigen und sieht darin dann einen Anlass für eine besondere und auch total kritische Berichterstattung. Dass Medien meinen, dort würden interessante Beobachtungen von Markus Söder oder von Markus Söder und den Medien gelingen, ist eigentlich eine Farce. Am Ende drehen und beobachten wir uns alle gegenseitig, um zu analysieren, wie verrückt das alles ist, dass Markus Söder sich im Watt filmen lässt und wir Medien es bereitwillig berichten. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 187, 27.07.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

die Skandalfirma Wirecard kennt mittlerweile jeder. Und auch deren “Spitzenleute” sind in aller Munde: Markus Braun (sitzt aktuell im Gefängnis) und Jan Marsalek (ist noch auf der Flucht).

Doch nur ganz wenige kennen Dan McCrum und Stefania Palma. Das ist schade. Beide recherchieren und schreiben für die Financial Times. Auch über Wirecard. Und das schon seit 2016 (!). Als Wirecard in Deutschland noch als Börsenliebling gefeiert und von Politikern hofiert wurde, lieferten sie immer wieder verstörende Einblicke in den Wirecard-Sumpf.

Doch offenbar waren Behörden, Kontrolleure oder Politiker hierzulande nicht an Aufklärung all der Vorwürfe interessiert. Stattdessen wurden Dan McCrum und Stefania Palma für ihre Enthüllungen über die Betrügereien bei Wirecard bedroht, diffamiert und sogar verklagt. Mit dabei: Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Eine Behörde mit rund 2.700 Mitarbeitern, für deren Rechts- und Fachaufsicht das Finanzministerium zuständig ist, machte sich also zum Büttel von Wirecard. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 185, 25.05.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

es ist eine für den Journalismus ambivalente Zeit und auch für Netzwerk Recherche.
Wir lernen ja gerade, dass diejenigen, die Ambivalenz besser aushalten, also das gleichzeitige Vorhandensein widersprüchlicher Informationen und Gefühle, besser durch Krisen kommen. Das erfahren wir von den Psychologen, die wir dieser Tage über den richtigen Umgang mit Corona befragen. Das gilt für Menschen, aber vielleicht gilt es auch für Organisationen.

Wir freuen uns einerseits, dass wir anstelle unserer Jahreskonferenz eine virtuelle Konferenz, Webinare planen [1]. Dort wollen wir uns über all die professionellen Fragen austauschen, die uns gerade beschäftigen, die Fragen, über die man im Home Office weniger debattiert. So ein virtueller Austausch funktioniert oft erstaunlich gut.
Aber, und auch das ist uns natürlich klar, die Webinare werden nicht den Charakter eines Klassentreffens haben können, den viele an der Jahreskonferenz so geschätzt haben: Die Gespräche am Rande, die Kollegen, die man zufällig kennenlernt oder jedes Jahr nur hier wiedertrifft, die Leidenschaft, die eine tolle Diskussion vermitteln kann. Dass es das in diesem Jahr nicht geben wird, ist bitter, für uns alle im netzwerk, und fühlt sich um so trauriger an, je näher der Termin rückt.

Eine Ambivalenz, die jetzt, im dritten Monat der Coronakrise, sehr viele beschäftigt, ist der Widerspruch, wie sehr unsere Arbeit gerade von vielen anerkannt wird, aber wie brüchig das wirtschaftliche Fundament ist, auf dem sie steht. In vielen Verlagen und Sendern gibt es Sparprogramme und Kurzarbeit, die Situation für Freie und Berufsanfänger ist noch schwieriger geworden. Gleichzeitig wird unsere Arbeit in der Krise stärker gelesen, gehört und angesehen. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 184, 28.04.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

ich bin voller Anerkennung für Deutschland. Dass wir 47 Flüchtlingskinder aus dem griechischen Lager in Lesbos aufnehmen, war eine gute Nachricht in diesen Tagen. Ohne viel öffentliches Gezank der Politiker, ohne übermäßige Profilierungsgelüste und ohne hörbare rechte Misstöne hat Deutschland diese Flüchtlinge nun zu sich geholt. Dass Medien derzeit wenig Aufmerksamkeit für politischen Zwist haben, ist dabei ein echter Vorteil.

Deutschland hätte viel mehr Kinder und Jugendliche holen können und müssen, sagen und denken wiederum viele. Denn es ist eine Schande und schmerzvoll, dass es ein solches Lager in Europa überhaupt gibt. Was wir darüber wissen, haben wir wenigen Journalisten zu verdanken, die dort unbeirrt und trotz heftiger Bedrohungen ihre wichtige Arbeit verrichten. Nur, wenn ihre Bilder und Beschreibungen um die Welt gehen, erhöht sich der Druck für die anderen Staaten. Ich hoffe, dass noch viele Kinder und Jugendliche nach Deutschland kommen werden und dass andere Länder Deutschland und Luxemburg folgen werden.

Ich denke, wir haben das nicht gemacht, weil es uns gut geht. Sondern es geht uns gut, weil wir das so gemacht haben.

Denn tatsächlich haben wir ja gerade jetzt zu kämpfen. An allen Ecken und Enden geht es um die Substanz. Und auch im Journalismus setzt uns Corona übel zu. Jedes Medium ist betroffen, ob groß oder klein, überregional oder lokal. Das unsichtbare Virus wütet und hinterlässt eine Schneise der Verwüstung in unserer Medienlandschaft. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 183, 26.03.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

jetzt also – in der Krise – ist unsere Arbeit plötzlich “systemrelevant”. Ganz offiziell. Beschlossen und verkündet von den Behörden in NRW und Berlin. Andere Bundesländer werden sich dieser Einordnung sicherlich anschließen. Dies erleichtert vielen Kollegen ihre Arbeit, da sie Anspruch auf eine Notfallbetreuung ihrer Kinder haben. “Systemrelevant” bedeutet aber nicht, dass wir wieder als “Systempresse” (oder “Staatsmedien”) diffamiert werden. Dies nur als vorsorglicher Hinweis für all jene, die schon seit geraumer Zeit mit solch populistischen Parolen unsere Unabhängigkeit in Frage stellen.

Noch gehören wir nicht zu den “Helden des Alltags”, die zu Recht durch großflächige Plakate, seitenfüllende Zeitungsanzeigen, Danksagungen im Netz und gemeinsamen Klatschen von Balkonen gefeiert werden. Aber immer mehr Menschen erkennen, dass auch unsere Arbeit “unverzichtbar” ist für eine demokratische Gesellschaft. Rekordquoten für Informationssendungen, riesige Zuwächse im Netz für Nachrichtenangebote von Verlagen und Sendern. Und so mancher macht beim Zeitungsladen die gleiche Erfahrung wie bei der Suche nach Klopapier im Supermarkt:
Zeitungen leider ausverkauft. Wir gehören mit unserer Arbeit – so zynisch das auch klingen mag – zu den “Gewinnern” der Krise.

Aber viele von uns sind auch “Verlierer”. Das sollte uns gerade jetzt auch bewusst sein. Unzählige freie Kollegen haben aktuell keine Einkommen, weil fest verabredete Beiträge storniert werden. Weil viele Themen abseits von Corona nicht mehr gefragt sind. Weil viele Fernsehmagazine vorübergehend pausieren, Drehs für Dokumentationen nicht möglich sind, viele Zeitungsbeilagen nicht gedruckt werden. Über “Solidarität in der Krise” wird allüberall geschrieben – und sie wird auch immer wieder eingefordert. Sender und Verlage sollten klar signalisieren, dass diese “Solidarität” auch ihren freien Mitarbeitern zuteil wird.

Gerade in Krisenzeiten haben Medien, also wir, eine große Verantwortung. Gefordert sind kompetente und einordnende Berichte und Analysen statt reißerische Schlagzeilen für hohe Klickzahlen und hohe Auflagen. Ein erster – und sicherlich nur vorläufiger – Befund: Die meisten Medien werden dieser Verantwortung gerecht. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 182, 20.02.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

die Rheinzeitung hat angekündigt, ihre Lokalredaktionen zu schließen. Stattdessen soll es nur noch drei sogenannten Regionaldesks geben [1]. Und die Westdeutsche Zeitung will in Zukunft ihre Inhalte für den Düsseldorfer Lokalteil nicht mehr selbst produzieren [2].

Zwei Meldungen aus den vergangenen vier Wochen, die – sollten die Einsparungen nicht für neue Recherche-Teams genutzt werden – einen seit Jahren andauernden Trend fortsetzen: Es gibt immer weniger Journalismus im Lokalen, von Recherche gar nicht erst zu reden. Das ist bitter, denn im Lokalen ist unsere Arbeit besonders direkt erleb- und überprüfbar. Wo, wenn nicht dort, sollen wir Vertrauen in unsere Arbeit bewahren oder wieder erkämpfen?

Wer investiert überhaupt noch in Recherchen vor Ort? Welche Modelle haben Zukunft? Das Netzwerk Recherche hat vor kurzem mit einer Reihe von Partnern das “Forum Gemeinnütziger Journalismus” mitgegründet [3]. Aber reicht das?

Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass wir mit weniger Inhalten am Ende mehr Leser an uns binden können – wenn die Inhalte gut genug sind [4]. Für mich ist das eine unglaublich ermutigende Nachricht. Was folgt darauf? Warum probieren wir nicht mehr aus, veröffentlichen nur noch sehr viel weniger Artikel, schaffen Print ab und verschicken nur noch einen ausführlichen Newsletter? Wo sind die radikalen Modelle im Lokalen? Vielleicht ist der Druck auch einfach noch nicht groß genug.

Wer Ideen für Recherchen im Lokalen hat, aber keine redaktionelle Unterstützung dafür: Wir beim Netzwerk Recherche fördern nichts lieber als gute Ideen für lokale Recherchen. Egal ob Umweltkriminalität, Arbeiterausbeutung, extremistische Zellen oder eine illegale Postenvergabe im Landratsamt – meldet Euch gerne bei uns, wir unterstützen Eure Ideen mit bis zu 5000 Euro [5].

Und: Auch auf unserer Jahreskonferenz werden wir wieder ausführlich über Recherche im Lokaljournalismus diskutieren. Bis zum 29. Februar gibt es die Tickets für die Konferenz noch zum vergünstigten „Early Bird“-Tarif [6].

Und: Unterstützt Reporter*innen, die zu Rechtsextremismus recherchieren.

Es grüßen

Daniel Drepper,
Albrecht Ude Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 181, 27.01.2020

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

seit siebeneinhalb Jahren lebt Wikileaks-Gründer Julian Assange nicht mehr in Freiheit. Im Juni 2012 floh er aus Furcht vor einer Auslieferung in die USA in die ecuadorianische Botschaft in London. Nachdem Ecuador 2019 den Aufenthalt in der Botschaft beendete, nahm die britische Polizei ihn fest, er sitzt im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, bis vor wenigen Tagen offenbar in Einzelhaft. Die USA verlangen seine Auslieferung, in wenigen Wochen, Ende Februar, soll die Verhandlung darüber vor einem Londoner Gericht beginnen. Schweden hat die Ermittlungen wegen Vergewaltigungsvorwürfen gegen Assange im November 2019 eingestellt, weil sich die Beweislage deutlich abgeschwächt habe, da die Vorwürfe schon so lange zurückliegen.

Die US-Regierung hat Assanges Auslieferung schon länger betrieben. Nach seiner Verhaftung wurde die bis dahin geheime Anklageschrift der USA bekannt. Zunächst ging es um den Vorwurf, er habe dem Whistleblower Chelsea Manning geholfen, Passwörter zu überwinden.

Im April erhob die US-Regierung 17 weitere Vorwürfe nach dem sogenannten Espionage Act von 1917. Im Kern drehen sich diese Punkte darum, dass Assange amerikanische Geheimdokumente erhalten und veröffentlicht haben soll. Auch die New York Times, der Guardian und Der Spiegel veröffentlichten damals Dokumente, aus denen etwa hervorging, dass die USA die Zahl der zivilen Opfer im Irak als deutlich zu niedrig angegeben hatten und die Kriegsverbrechen nahelegten. Ein Video zeigt die Tötung unbewaffneter Zivilisten aus einem Hubschrauber heraus. Assange wird also etwas vorgeworfen, das die Aufgabe investigativer Reporter ist: Informationen zu beschaffen und zu veröffentlichen, die zeigen, dass die Regierung ihren Bürgern nicht die Wahrheit sagt.

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 180, 19.12.2019

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

als vor gut zwei Jahren die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia nahe ihres Hauses mittels einer Autobombe ermordet wurde, war das ein Schock. Besonders für andere Journalisten: In der Europäischen Union wurde eine Reporterin wegen ihrer Arbeit getötet, ein barbarisches Verbrechen. Vier Monate später starb der slovakische Journalist Jan Kuciak, der zur organisierten Kriminalität in seinem Heimatland recherchiert hatte, er wurde zusammen mit seiner Freundin erschossen.

Die beiden Fälle zeigten, wie sehr auch in Europa die Pressefreiheit bedroht ist, dass auch hier Journalisten um ihr Leben fürchten müssen, weil sie ihre Arbeit gut machen. Welchen Preis sie für ihre Arbeit gezahlt haben, kann nur Ansporn für uns in Deutschland sein, unsere Aufgabe als Recherchejournalisten ernst zu nehmen und die Möglichkeiten, die wir haben, zu nutzen, um wichtige Themen in Angriff zu nehmen. Es muss uns motivieren, gegen Einschränkungen der Pressefreiheit gemeinsam vorzugehen und solidarisch mit denjenigen zu sein, die in Gefahr sind. Hierzulande sind das etwa Kolleginnen und Kollegen, die über Rechtsradikale, Pegida oder die NPD berichten. Und viel zu viele andere Kollegen in Europa und weltweit.

Dass die Solidarität von Kollegen etwas bewirken kann, auch dafür ist der Fall Daphne Caruana Galizia ein Beleg. Achtzehn Medienorganisationen vor allem aus Europa haben sich, unter der Führung der gemeinnützigen Rechercheplattform “Forbidden Stories” zusammengeschlossen, um die Arbeit von Galizia weiterzuführen, und zu zeigen, dass brutale Gewalt, einen einzelnen Reporter zum Schweigen bringen kann, nicht aber die Recherchen stoppt, die diese Journalisten gemacht haben. In den vergangenen Wochen ist überdeutlich geworden, welchem Ausmaß an Korruption in Malta Daphne auf der Spur war und dass der Büroleiter des Premierministers zum Kreis der Verdächtigen in ihrem Mord gehört. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 179, 20.11.2019

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

schweigen oder berichten? Soll man eine Provokation der NPD durch Berichterstattung relevant machen oder durch Nichtbeachten ins Leere laufen lassen? Eine Frage, die in den letzten Tagen in mancher Redaktion diskutiert wurde. Es geht um den Aufruf der NPD zu einer Demonstration gegen missliebige Journalisten, die nächsten Samstag (23. November) in Hannover stattfinden soll. Deren Motto lautet:
“Schluss mit steuerfinanzierter Hetze! Feldmann in die Schranken weisen!”

Dazu ein Foto des NDR-Journalisten Julian Feldmann, der u.a. für das Politikmagazin PANORAMA in den Themenfeldern Innere Sicherheit, Terrorismus und Rechtsextremismus recherchiert. Namentlich erwähnt wird auch David Janzen, der u.a. für den “Störungsmelder” von Zeit Online über die rechte Szene schreibt.

Dass die Rechtsradikalen ihre empörende Menschenjagd mit dreisten Lügen begründen, sei nur am Rande erwähnt. Einige wurden mittlerweile von Gerichten untersagt, andere finden sich noch immer auf der Homepage der NPD Niedersachsen. Dass sie in ihrer Attacke speziell gegen die öffentlich-rechtlichen Anstalten den Kampfbegriff “steuerfinanzierte Hetze” verwenden, dokumentiert nicht nur ihre Ahnungslosigkeit, sondern belegt auch ihre grundsätzliche Verachtung für seriösen Journalismus. Aber damit sind sie leider nicht allein, wie etliche Reden, Tweets und Auftritte u.a. auch von AfD-Politikern erschreckend zeigen. Das “Feindbild Journalismus” gehört in diesen rechten Kreisen längst zum Mainstream.

Viele Medien haben sich entschieden, im Vorfeld dieser NPD-Demonstration nicht zu schweigen, sondern zu berichten. Wissend, dass dies auch eine ungewollte PR für die NPD sein kann.

Aber zu schweigen wäre falsch. Es könnte missverstanden werden. Nämlich dass es uns nicht interessiert, uns nicht tangiert. Das Gegenteil ist richtig: Es empört uns! Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 178, 23.10.2019

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

ein Editorial ist ja eher ein Ort, an dem es darum geht, nach vorn zu blicken. Aber dieses Mal lohnt es sich, in die Vergangenheit zu schauen: Unsere große globale Konferenz liegt hinter uns, 1700 Journalisten aus 130 Ländern waren da, mehr als 400 Referenten berichteten von ihrer Arbeit und teilten ihre Erfahrungen. Für uns als Geschäftsstelle und Vorstand von Netzwerk Recherche war es ein einmaliges Erlebnis, so eine Riesenveranstaltung auszurichten – und wir sind überwältigt von den begeisterten Rückmeldungen, die wir bislang bekommen haben. Besonders froh waren wir, dass auch viele Vereinsmitglieder und regelmäßige Gäste unserer Jahreskonferenz dabei waren, als Referenten und als Teilnehmer.

Jeder Konferenzbesucher hat wohl Momente, die ihn besonders bewegt haben. Von den Kolleginnen und Kollegen aus den Philippinen und aus Pakistan, aus Osteuropa, aus Lateinamerika zu hören, mit welchen Problemen sie kämpfen, wie sie mit Rechtspopulisten, Autokraten und Regierungen umgehen müssen, die die Pressefreiheit mit Füßen treten und die recherchierende Journalisten diffamieren, macht zwei Dinge klar: Einerseits, unter welchen ungleich schwierigeren Umständen viele Kollegen arbeiten müssen, etliche in berechtigter Sorge um die eigene Sicherheit. Und dass andererseits die Struktur der Probleme, mit denen die Kollegen kämpfen, durchaus denen ähnelt, mit denen der Journalismus auch in Deutschland konfrontiert ist: ein Vertrauensverlust in Medien, gezielte Desinformation, eine auch durch soziale Medien fragmentierte Öffentlichkeit.

Die charismatische philippinische Chefredakteurin Maria Ressa sprach in ihrer Rede zur Verleihung des Shining Global Light Award über die großen Fragen, die unsere Branche berühren: “den Kampf um die Wahrheit, die Rolle der amerikanischen Plattformen der sozialen Medien und was wir tun können”. Der Kampf um die Wahrheit, so sagte Ressa, sei der Kampf unserer Generation, einer in dem es letztlich darum gehe, die Demokratie zu bewahren. “Mit Technologie als Beschleuniger wird eine Lüge, die eine Million Mal erzählt wird, zur Wahrheit.” Sie erklärte, dass Philippinos mehr Zeit in sozialen Medien verbrächten, als Bürger aller anderen Nationen und man deswegen dort etwas über “die dystopische Zukunft der Demokratie” lernen könne. Es lohnt sich diese Rede zu lesen oder noch besser anzuschauen, weil es klar macht, wo auch für deutsche Journalisten eine ganz große Frage liegt.

Eine zweite wichtige Erfahrung der Konferenz: Uns verbinden weltweit nicht nur die Probleme, uns verbindet auch unser Handwerk. Das wurde zum Beispiel klar, als Musikilu Mojeed, Chefredakteur der Premium Times aus Nigeria, darüber sprach, was einen guten Ressortleiter ausmacht und wie man eine investigative Geschichte druckreif bekommt. Oder als Marina Walker vom Konsortium ICIJ, das die Panama Papers enthüllte, auf demselben Panel erzählte, welche Fragen sie stellt, um herauszufinden, ob es sich lohnt, eine aufwendige Recherche zu beginnen. Unsere Werte und Grundprinzipien sind überall auf der Welt gleich und es begeistert, an den Erfahrungen der Kollegen teilhaben zu können. Und nicht zuletzt hat angespornt, wie viele kleine Redaktionen, manche mit weniger als zehn Journalisten, von ihren großartigen Enthüllungen berichten konnten.

Beim netzwerk machen wir jetzt weiter mit unserer Fachkonferenz am 29. und 30. November in Tutzing, “Was Journalismus aus den Täuschungsfällen lernen muss”. Dort wollen wir den Blick auf unsere eigenen Schwachstellen lenken und diskutieren, was wir aus den Skandalen in der Branche lernen können. Anmeldungen sind noch willkommen.

Es grüßen

Cordula Meyer,
Albrecht Ude Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 177, 20.09.2019

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

nun sind es nur noch wenige Tage und Nächte, dann endet ein langer Weg für uns, alle Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder von Netzwerk Recherche.

Mehr als 1500 Investigativ-Journalisten aus der ganzen Welt kommen dann nach Hamburg zur Global Investigative Journalism Conference, um gemeinsam Neues zu lernen, sich auszutauschen und um bei 250 Panels und Workshops handwerklich noch besser zu werden. Wir freuen uns auf jede Kollegin und jeden Kollegen!

Mit diesen Andrang – geradezu einem Ansturm – hatte keiner gerechnet, auch nicht unsere erfahrenen Partner vom Global Investigative Journalism Network (GIJN). Alle zwei Jahre richten sie diese Konferenz irgendwo auf der Welt aus, mit ortsansässigen Partnern, dieses Mal also mit der Interlink Academy und dem Netzwerk Recherche. Nie war die Nachfrage so groß. Die GIJC war quasi in Null Komma nichts ausverkauft, schon in der Early-Bird-Phase gingen die Karten aus. Mehr als 400 Kolleginnen und Kollegen standen zuletzt noch auf der Warteliste. Es brach einem das Herz, wie GIJN-Executive Director Dave Kaplan sagte, sie abweisen zu müssen, denn eigentlich wollen wir ja Rechercheure zusammenbringen und vernetzen, – so steht es geschrieben auch in unserem Namen.

Die guten Nachrichten aber überwiegen: Aus Entwicklungs- und Schwellenländern kommen mit Hilfe von Stipendien 450 Journalistinnen und Journalisten zur Konferenz, ausgewählt aus 1800 Bewerbungen. Möglich ist das dank einer überwältigenden Unterstützung von 65 Stiftern, Partnern und Sponsoren. Allen möchten wir herzlich danken – auch dafür, dass wir irgendwann keine schlaflosen Nächte mehr hatten, weil wir fürchten mussten, dass irgendwann das Geld nicht reichen würde. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 176, 27.08.2019

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

wieviele Adapter halten wir bereit für all diejenigen Journalisten, die sich in Deutschland plötzlich wundern, dass ihr Stecker gar nicht passt? Müssen wir zu jeder Mahlzeit Reis anbieten, wo doch ein großer Teil unserer Gäste aus Asien kommt? Und – wird es den ausländischen Journalistinnen und Journalisten gelingen, sich frei in Hamburg von A nach B zu bewegen, ohne durchgehend im Bus durch die Gegend gekarrt zu werden?

Es sind nicht unbedingt Fragen der Recherche und des Journalismus, mit denen wir uns gerade vorrangig beschäftigen, in unserer Netzwerk Recherche-Geschäftsstelle. Die Vorbereitung der Global Investigative Journalism Conference (GIJC19) vom 25.-29. September in Hamburg ist dennoch ein Abenteuer und lehrreich. Es ist kurios, welches Journalistenbild hinter all den Fragen steckt, die uns auch mal von unseren erfahrenen Konferenzpartnern des Global Investigative Journalism Network gestellt werden. Journalisten in der Gruppe scheinen demnach nicht unbedingt die Besten darin, sich in der Fremde oder mit Veränderungen zurecht zu finden. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 175, 25.07.2019

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Zitate verfälschen, Fakten verdrehen, Argumente unterschlagen und Artikel manipulieren – das ist die (eigentlich vernichtende) Bilanz eines Journalisten, der von 1989 bis 1994 als Korrespondent des “Daily Telegraph” aus Brüssel berichtete. Und dessen journalistische Karriere danach nicht etwa zu Ende ging, sondern bis 1999 als Herausgeber des konservativen Wochenblatts “The Spectator” eine unrühmliche Fortsetzung erfuhr. Der Name des (ehemaligen) Journalistenkollegen: Boris Johnson.

Mit den gleichen Methoden wie damals als Journalist – also lügen, fälschen, manipulieren – gelang ihm der Aufstieg als Politiker. Seit dem 24. Juli ist er britischer Premierminister.

Da können wir nur hoffen, dass solche Karrieren die absolute Ausnahme sind und bleiben. Doch gefährliche Populisten wie Johnson sind auch in Deutschland allgegenwärtig – und manche mittlerweile auch sehr erfolgreich. Irritierend und frustrierend, dass sich so viele (ehemalige) Journalisten, also angebliche Kollegen von uns, in diesem rechten Lager tummeln. Vielleicht aber auch erklärbar: Journalisten mit den gleichen Methoden wie Boris Johnson gibt es leider auch bei uns. Nicht nur in politischen Redaktionen.

Zum Beispiel in der Branche der sogenannten Regenbogenpresse. Auch sie nennen sich Journalisten, missachten aber allzu oft alle ethischen und juristischen Maßstäbe. Erfundene Interviews, falsche Behauptungen, irreführende Schlagzeilen, reißerische Aufmacher – das alles sind die üblichen Zutaten für die Jagd nach Käufern am Kiosk und Klicks im Netz. Ein Blick auf die online auffindbaren Titel zeigt häufig gerichtlich verfügte schwarze Flächen, wo zuvor knallige Titelgeschichten um Aufmerksamkeit buhlten. Schmerzensgelder und Gerichtskosten sind für die Verlage offenbar kein Anlass, ihr offenbar sehr lukratives Geschäftsmodell zu überdenken.

Johnson-Methoden aber auch in vielen Blogs der rechten Szene. Egal ob Journalistenwatch (bis vor kurzem gemeinnützig) oder PI-news (Politically Incorrect) und wie sie alle heißen: Verbale Tiraden gegen seriöse Kollegen, die “Gesicht zeigen”, ihre Haltung gegen rechts nicht verbergen. Hetze gegen Sendungen, Beiträge und Redaktionen, die den selbsternannten (rechten) Gesinnungswächtern missfallen. Keine Verschwörungstheorie ist ihnen zu abstrus, keine Lüge zu dreist, um sie nicht gegen Andersdenkende zu benutzen. Wer dies alles als das Werk von einigen “rechten Spinnern” kleinreden will, täuscht sich gewaltig. Es sind solche (häufig sehr erfolgreiche) Blogs, die wesentlich zum immer wieder kritisierten Klima von “Hass und Hetze” im öffentlichen Diskurs beitragen. Und die Betreiber und Autoren dieser Blogs – auch sie nennen sich “Journalisten”.

Die Liste der Bereiche, wo Journalisten mit den Johnson-Methoden erfolgreich sind, lässt sich um einige verlängern. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 174, 24.06.2019

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

nach der Konferenz ist in diesem Jahr vor der Konferenz. Gerade sind wir gemeinsam durch das “Abenteuer Recherche” gegangen, unsere Jahreskonferenz in diesem Sommer. Wir haben darüber gestritten, was Haltung im Journalismus bedeutet, überlegt und diskutiert, was man aus den Fälschungsfällen im Journalismus lernen muss. In vielen Veranstaltungen zum journalistischen Handwerk haben wir Anregungen bekommen, wie wir besser werden können, so dass Fehler am besten gar nicht erst passieren. Uns freut besonders, dass gut ein Drittel der Teilnehmer der Konferenz Nachwuchsjournalisten in der Ausbildung waren. Es ist ein Zeichen dafür, wie sehr sich die jungen Kollegen für unsere Inhalte interessieren.

Für die angeregten Diskussionen, die lebhafte Beteiligung und auch die Angebote, bei der nächsten Jahreskonferenz mit anzupacken, vielen Dank.

Aber davor gibt es in diesem Jahr ja noch ein ganz besonderes Ereignis: die Global Investigative Journalism Conference vom 26. bis 29. September in Hamburg. Die Konferenz ist die weltweit größte Zusammenkunft investigativ arbeitender Journalisten und wir sind sehr stolz, dass wir sie in diesem Jahr in Hamburg mit unseren Partnern ausrichten. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 173, 27.05.2019

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

“Wir suchen nach einer Frau mit Kind. Sie kommt idealerweise aus einem absolut verschissenen Land. (…) Die Figur für den zweiten Konflikt beschreibt Claas. (…) Dieser Typ wird selbstverständlich Trump gewählt haben.”

“Ein anderer Dokumentar schilderte der Kommission, dass ‘nicht selten’ kurz vor Druck Fakten vom Dokumentar so hingebogen werden sollten, dass ein Text ‘gerade eben nicht mehr falsch ist’, um eine These zu retten, die in einer Konferenz vorgestellt wurde.”

Der Spiegel hat am Freitag seinen 17-seitigen Relotius-Report veröffentlicht. Die oben zitierten Stellen sind für mich zwei der erschreckendsten Passagen. Weil sie zeigen, wie wenig Respekt einige beim Spiegel vor dem haben, was Carl Bernstein einmal “the best obtainable version of the truth” genannt hat – und dass Sound offenbar vor Fakten geht.

Jede Journalistin und jeder Journalist sollte den Relotius-Report lesen (oder zumindest die Zusammenfassung von Stefan Niggemeier). Nicht nur, weil der Report detailliert und schonungslos den Totalschaden Relotius nachzeichnet. Sondern weil er darüber hinaus viele weitere Probleme des Spiegels seziert – und damit auch von Teilen des Journalismus. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 172, 23.04.2019

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

was war das wieder kompliziert. Ein einziger Quälkram, mit viel zu vielen Mails und Missverständnissen.

Dabei haben wir nur ein Motto für unsere Jahrestagung gesucht. Möglichst nur drei Worte, kurz und knapp. Zum Beispiel: “Haltung und Handwerk”. Großes Gemurre: Nicht schon WIEDER was mit Haltung. Lieber sowas wie “Schwere Fracht – Recherche mit klarem Kompass”. Wieder Gemurre: Viel zu lang. Immer so belehrend. So negativ und irgendwie auch altbacken.
Es folgte noch ein Vorschlag und noch ein Vorschlag und noch ein Vorschlag.
Aber nicht einmal darin waren wir uns einig, dass es all das noch nicht war.

Parallel dazu: haben wir nach dem entsprechenden Motiv gesucht, das uns alle Jahre wieder der Illustrator Vincent Burmeister zeichnet. Auch das fast immer ein zermarternder Prozess – vor allem für Günter Bartsch, unseren nr-Geschäftsführer, der unermüdlich zwischen Vorstandsverteiler und Vorstandsverteiler und Vorstandsverteiler und Vincent Burmeister moderiert. Eigentlich ist es ein Wunder, dass Vincent alle Jahre wieder für Netzwerk Recherche am Start ist, denn wir quälen uns auch auf seine Kosten. Indem wir kaum ein Ende finden in unserem Ringen, WAS die Illustration WIE ausdrücken soll.

Am Ende aber finden wir immer das Glück. In einer großartigen Illustration. Und in der richtigen Erkenntnis. Auch dieses Mal. Für unsere diesjährige Jahrestagung am 14. und 15. Juni in Hamburg stürzen wir uns nun ins “Abenteuer Recherche”. Die Illustration führt uns durch den Urwald, wir bahnen uns unseren Weg durchs dichte Grün. Die Reporter sind auf Spurensuche und dokumentieren, was sie finden und sehen. Noch nie war unser nr-Motto in Wort und Bild so farbenfroh, so aufbrechend und kraftvoll. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 171, 27.03.2019

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Oslo, München, London oder (zuletzt) Christchurch. Städte, die weltweit für Eilmeldungen und Sondersendungen sorgten. Der SPIEGEL listet diese und andere Städte auf dem Titel seiner aktuellen Ausgabe. Dazu die Schlagzeile, die all diese Orte unfreiwillig verbindet: “Die braune Verschwörung – Das globale Netzwerk rechter Terroristen”

Nach jedem dieser furchtbaren Verbrechen Schockzustände, Verzweiflung, Anteilnahme und auch Ohnmachtsgefühle. Und für uns Journalisten und Journalistinnen immer wieder die große Herausforderung: Wie sollen, wie können wir darüber berichten? Was haben wir aus den Erfahrungen nach all den vergleichbaren Verbrechen der vergangenen Jahre gelernt?

Nach dem letzten Terrorakt in Christchurch lautet die bittere Antwort leider mal wieder: Manche Journalisten/innen und manche Medien haben überhaupt nichts gelernt. Die Gier nach hohen Auflagen, Einschaltquoten und Klickzahlen ist größer als der immer wieder postulierte Anspruch vom seriösen und verantwortungsvollen Journalismus.

Der Täter in Christchurch wollte, dass die Welt bei seinem Verbrechen zuschauen konnte. Deshalb der Livestream im Netz. Er wollte, dass alle von seiner irren Gedankenwelt erfahren. Deshalb stellte er sein 70 Seiten langes “Manifest” ins Netz. Er suchte die Öffentlichkeit.

Und viele Medien erfüllen seinen Wunsch, machen sich zu seinem Handlanger. Sie zeigen Ausschnitte des Videos. Und liefern dafür auch noch eine Begründung. Unter anderem der Chefredakteur der BILD-Gruppe, Julian Reichelt: “Erst die Bilder verdeutlichen uns die erschütternde menschliche Dimension dieser Schreckenstat”. Tatsächlich? Brauchen wir zu dieser Erkenntnis dieses Video? Doch damit nicht genug: “Durch Journalismus wird aus einem Ego-Shooter-Video ein Dokument, das Hass demaskiert und aufzeigt, was der Terrorist von Christchurch ist: Kein Kämpfer, kein Soldat. Sondern bloß ein niederträchtiger, feiger Mörder, der unschuldige, wehrlose Menschen massakriert hat.” Eine Rechtfertigung für die Publizierung des Videos, eine Definition von Journalismus, die viele – nicht nur Journalisten/innen – irritiert und verwirrt. Und auch wütend macht. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 170, 20.02.2019

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

wo werden wir in zehn Jahren noch Recherchen lesen? Und wer wird es sich noch leisten können, diese Recherchen zu lesen? Das frage ich mich seit einigen Wochen immer häufiger. In den USA haben innerhalb weniger Tage mehr als 2000 Journalisten ihren Job verloren. Und auch in Deutschland kürzen die Verlage, zuletzt zum Beispiel die Funke Mediengruppe.

Besonders problematisch finde ich die vielen Entlassungen bei BuzzFeed, bei Vice und bei der HuffPo. Nicht, weil ich selbst für BuzzFeed arbeite oder den Journalismus der drei Genannten besser fände als den anderer Medien. Sondern weil die Probleme dieser drei Digital-Angebote zeigen, wie schwierig es ist, im Internet (vor allem) mit Anzeigen genug Geld für teuren Journalismus zu verdienen.

Im Gegensatz zu anderen großen Medien stellen BuzzFeed, Vice und HuffPo ihren Journalismus weiterhin frei ins Netz. Immer mehr andere Medien machen dagegen dicht, verlangen von den Nutzern Geld für ihre Arbeit. Das ergibt aus Sicht der jeweiligen Medien Sinn. Doch wenn immer weniger Medien ihre Recherchen für alle zugänglich machen, haben viele Menschen irgendwann überhaupt keinen Zugriff mehr auf guten Journalismus. Menschen, die sich 19,99 Euro im Monat für Spiegel+ nicht leisten können.

Ein mögliches Gegenmittel ist der gemeinnützige Journalismus. Für diesen setzt sich auch das Netzwerk Recherche mit seiner Non-Profit-Initiative ein. Ich habe als Mitgründer und ehemaliger Reporter des Recherchezentrums Correctiv viel Sympathie für gemeinnützigen Journalismus und finde, dass er noch viel stärker gefördert werden sollte – aber er wird wohl niemals all das ersetzen können, was schon weggebrochen ist und noch wegbrechen wird.

Anzeigen finanzieren weniger Journalismus als erhofft. Verlage legen ihre Recherchen zunehmend hinter Bezahlschranken. Gemeinnütziger Journalismus ersetzt keine wegbrechenden Institutionen. Was bleibt? Der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 169, 24.01.2019

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

2019 wird ein besonderes Jahr für Netzwerk Recherche, wir arbeiten nicht nur auf unsere Jahreskonferenz im Juni hin, sondern auch auf die Global Investigative Journalism Conference im September, die wir zusammen mit dem GIJN (Global Investigative Journalism Network) und der Interlink Academy in Hamburg ausrichten. Es sind also gleich zwei große Projekte in diesem Jahr. Vergangenes Wochenende haben wir im Vorstand, mit Partnern und interessierten Kollegen zusammengesessen und über die Programme für beide Konferenzen gesprochen. Für die Jahreskonferenz sind schon einige Themen eingeplant.

Beschäftigt hat uns natürlich auch der Fall Claas Relotius und welche Lehren nicht nur der SPIEGEL daraus ziehen muss. Die Affäre könnte auch ein Moment für die Branche sein, Entwicklungen zu hinterfragen: Dass viele Zeitungen unter finanziellem Druck ihre Auslandskorrespondenten eingespart haben, dass die packende Reportage in etlichen Redaktionen mehr zu gelten scheint als die Enthüllungsgeschichte, wie groß der Druck auf freie Journalisten ist.

Auch internationale Kooperationen und die extrem schwierigen Bedingungen, unter denen viele Kolleginnen und Kollegen etwa in Osteuropa arbeiten müssen, waren Gesprächsthemen bei und am Rande unserer Vorstandssitzung. Die Stipendiaten von Netzwerk Recherche und der Olin-Stiftung recherchieren ihre Projekte oft in fernen Ländern – sehr häufig geht es darum, dass Entscheidungen in  Unternehmen und Regierungen in Industrieländern wie Deutschland Auswirkungen auf das Leben der Bürger dort haben. Das sind wichtige Geschichten. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 168, 20.12.2018

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

eigentlich sollte an dieser Stelle, passend zum Jahresende, eine kleine Bilanz über unsere Branche gezogen werden. Über tolle Recherchen, die durch die vertrauensvolle Kooperation verschiedener Medien eine besonders große Aufmerksamkeit erregten. Egal ob MeToo, Football-Leaks, der Skandal um gefährliche Implantate und viele andere Enthüllungen – all das hat eindrucksvoll bewiesen, wie wichtig seriöser Journalismus ist, was er bewirken kann.

Zu dieser Bilanz hätte natürlich auch gehört, wie Verlage nach erfolgreichen Geschäftsmodellen für die Zukunft suchen, wie sich viele Kolleginnen und Kollegen angesichts sinkender Auflagen und Werbeeinnahmen um ihre Zukunft sorgen oder wie man auf die immer aggressiveren Beschimpfungen gegen unsere Arbeit angemessen reagieren kann.

Ja, so war es eigentlich gedacht. Und hätte sich auch gelohnt. Aber dann verkündete der SPIEGEL “in eigener Sache” am Mittwoch eine Affäre, die nicht nur ihn noch auf lange Zeit beschäftigen wird: Ihr Autor Claas Relotius hat in mehreren Reportagen Interviews mit Protagonisten frei erfunden, Erlebnisse beschrieben, die es nicht gab, Personen beschrieben, die er nie getroffen hat – er hat gelogen und das, wie der SPIEGEL schreibt, auch mit “krimineller Energie”.

Ausgerechnet Claas Relotius. Der 33-Jährige war einer der Besten nicht nur beim SPIEGEL. Mit Preisen und Ehrungen überhäuft, von vielen Kolleginnen und Kollegen geachtet und geschätzt. Trotzdem immer bescheiden und zurückhaltend, sympathisch und gewinnend. Kein Wichtigtuer oder Besserwisser wie manch anderer in unserer Zunft. Von einem “Schock” schreibt der SPIEGEL, von einem “Tiefpunkt” der SPIEGEL-Geschichte. Er will jetzt aufklären, warum die zahlreichen – und immer wieder als vorbildlich geltenden – Kontrollmechanismen versagt haben.

Er wird auch Antworten liefern müssen, warum er frühzeitige Hinweise auf die Lügengeschichten des Kollegen ignorierte, den Tippgeber abkanzelte und ihn behandelte wie einen lästigen Störenfried. Denn es gibt in diesem ganzen Skandal einen Aufrechten, dem die Wahrheit wichtiger war als die toll geschriebene Reportage für den nächsten Journalistenpreis. Es ist der SPIEGEL-Autor Juan Moreno. Er hat, wie der SPIEGEL zugeben muss, unter “Gefährdung seines Jobs” auf eigene Faust und Kosten unermüdlich recherchiert, bis auch die SPIEGEL-Verantwortlichen endlich aktiv wurden. Der Rest ist bekannt: Claas Relotius gestand seine Erfindungen. Sein (angebliches) Motiv: Angst vor dem Versagen. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 167, 26.11.2018

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

das Netzwerk Recherche hat einen Konferenz-Marathon hinter sich – und noch vor sich! Gerade erst haben wir in Berlin zur Fachkonferenz zum Verbraucherjournalismus eingeladen, wenige Wochen vorher hatten wir ebenfalls in Berlin unsere Tagung zum Nonprofit-Journalismus mit der Vergabe der Grow-Stipendien realisiert. Und zu Beginn des kommenden Jahres beginnen wir mit den Planungen für unsere Jahreskonferenz in Hamburg (14./15. Juni). Zwischen alldem geht es nun bald jeden Tag um die Vorbereitung der Global Investigative Journalism Conference 2019 im kommenden September. Es sind Zeiten voller Tatkraft für unseren Verein, die Mitarbeiter der Geschäftsstelle und den Vorstand.

Bei der GIJC19 wird sicher auch eine Rolle spielen, warum im Journalismus für diejenigen, die unsere Gesellschaft größtenteils ausmachen, häufig kein Platz ist.

Als Journalist strengt man sich stets an, mehr zu wissen als andere. Man strebt zudem danach, sprachlich brillant zu sein, handwerklich herausragend und besonders gut und vielfältig verbunden zu sein. Damit darf man keinen Tag aufhören.

Allerdings: Diejenigen, die unsere Gesellschaft auch ausmachen, sind vielleicht sprachlich nicht brillant. Nicht besonders gut verbunden. Nicht Teil dieser intellektuellen Elite. Sie finden kaum Zutritt in die Medienwelt.

Jeder vierte Mensch in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Das sind 19,3 Millionen. Sie selbst oder mindestens eines ihrer beiden Elternteile wurde ohne deutsche Staatsangehörigkeit geboren. Diese Zahlen, zuletzt im August dokumentiert vom Bundesamt für Statistik, sind gestiegen mit der Ankunft der Flüchtlinge 2015.

Nicht jeder vierte Journalist hat einen Migrationshintergrund. Natürlich nicht. Es liegen also Welten zwischen unserer Medien-Elite und den Menschen, die hier leben. Zwischen der Medien-Elite und der Gesellschaft, die wir sind.

Das zu ändern, ist gar nicht so leicht. Denn es ist im Grunde schon ewig so, Deutschland ist ja nicht erst seit 2015 ein Einwanderungsland. Und wenig haben wir dafür getan, dass mehr Kollegen mit Migrationshintergrund in unseren Redaktionen Fuß fassen. Lange Zeit war es gar kein Thema für uns. Genauso wie wir hingenommen haben, dass Journalisten aus Ostdeutschland kaum eine Chance hatten, in überregionalen Medien etwas zu erreichen. Anders als westdeutsche Journalisten, die selbstverständlich immer das Sagen hatten. Und auch mit den Frauen und der Gleichberechtigung an den Redaktionsspitzen war und ist es ein ziemlich zäher Kampf. Medien sind nicht der Schmelztiegel des gesellschaftlichen Fortschritts. Sie haben viel zu große Angst vor Veränderungen. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 164, 27.08.2018

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

“Sie begehen eine Straftat, sie begehen eine Straftat!” Der Demonstrant, der das ZDF-Team um Arndt Ginzel erst bepöbelt und dann die Polizei eingeschaltet hat, arbeitet also selbst bei der Polizei. Und die Polizei, die die Journalisten rund 45 Minuten lang mit Ausweiskontrollen schikaniert hat, steht nun noch dümmer da, als sie es von Beginn an tat. Die Aufnahmen, wie die Beamten mehrfach den Presseausweis kontrollieren und feststellen, er sei “in Ordnung” offenbaren eine sonderbare Hilflosigkeit der Polizisten. Denn sie wissen nicht genau, was sie tun sollen, außer die Journalisten von der Arbeit abzuhalten. Und dass ein Presseausweis, der fast für jeden zugänglich ist, als Beleg dafür herhalten muss, dass es sich um “echte” Journalisten handelt, ist auch nicht ohne Komik. Andererseits ist die Unsicherheit der Beamten das Schlimme an der Situation. Denn natürlich sind sie qua Amtes am längeren Hebel und haben die Macht, die Arbeit der Kollegen einfach zu stoppen, trotz ihrer offenkundigen Hilflosigkeit.

Warum sind Journalisten ausgerechnet während einer Pegida-Demonstration für die Polizei das glaubwürdigere Feindbild als pöbelnde Demonstranten? Das ist die Frage, die durch die Äußerungen des Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, CDU, noch verstärkt wird. Denn auch für ihn war der Fall sofort klar und er twitterte: “Die einzigen, die in diesem Video seriös auftreten, sind Polizisten.” Gerade weil das nicht stimmte, ist es eine sonderbare Bekräftigung. Dass nun ausgerechnet ein LKA-Mann in seiner Freizeit der Auslöser des Gemenges war, lässt den Tweet erst recht absurd erscheinen. Der Innenminister hat klare Worte gefunden für das Verhalten des LKA-Beschäftigen: Er erwarte von allen Bediensteten ein korrektes Verhalten, auch wenn sie sich privat in der Öffentlichkeit aufhielten. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 163, 31.07.2018

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Was lernen wir aus Mesut Özils vorläufigem Rücktritt und dem unter #MeTwo geteilten Alltagsrassismus? Ich lerne vor allem, dass wir zwar viel Meinung zu lesen bekommen, dass wir aber noch immer viel zu wenig zu Rassismus im Alltag recherchieren. Das liegt daran, dass es in Deutschland zu wenige Kollegen im investigativen Journalismus gibt, die das könnten. Weil zu wenige von uns solche Alltagserfahrungen machen.

#MeTwo zeigt genau wie #MeToo, wie viele Geschichten seit Jahren unter der Oberfläche schlummern, aber von Medien bisher nicht Ernst genommen wurden. Diese Themen beschäftigen viele Menschen jeden Tag, sie betreffen ganz besonders ohnehin benachteiligte Gruppen – und sie können schwere Schäden hinterlassen. Genau das, wonach investigative Reporter bei Themen stets suchen. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 162, 25.06.2018

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

am kommenden Freitag ist es mal wieder soweit: Bereits zum 17. Mal treffen sich hunderte Journalistinnen und Journalisten zur Jahrestagung von Netzwerk Recherche. Was im Jahr 2002 unter dem Motto “Wege zu einer neuen Recherche-Kultur” ganz klein begann, hat sich längst zu einem der wichtigsten Medienkongresse entwickelt. Gab es zu Beginn einen Raum und sechs Panels, gibt es heute 10 Räume und 110 Panels. Gab es damals 18 Referenten, gibt es heute rund 250 Referenten und Referentinnen.

Unverändert geblieben ist das NDR-Gelände als Veranstaltungsort und der NDR als großzügiger Gastgeber. Unverändert auch der Anspruch, den das Netzwerk Recherche als Veranstalter hat: Die Förderung des Recherche-Journalismus. Der konstruktive Streit um aktuelle Probleme, aber auch Chancen unserer Branche. Die Vermittlung von Handwerk und Haltung. Wir wollen motivieren und neue Impulse geben. Und noch etwas hat sich nicht verändert: Diese Konferenz wird ehrenamtlich organisiert: Von Journalisten. Mit Journalisten. Für Journalisten.

Doch etwas hat sich verändert: 2002 gab es 16 männliche Referenten, lediglich zwei Kolleginnen waren auf den Podien vertreten – Susanne Fischer und Patricia Schlesinger. Solch männerlastige Podien gibt es bei vielen, leider zu vielen Medientagungen auch heute noch. Umso erfreulicher die (vorläufige) Bilanz unserer jetzt beginnenden Tagung: Rund 40 Prozent der ReferentInnen sind Frauen, gar mehr als 80 Prozent der Moderationen liegen in weiblicher Hand. Vergleichbare Werte gab und gibt es auf keinem anderen Medienkongress. Zugegeben: Es war nicht ganz einfach. Noch immer gibt es nach unseren Anfragen mehr Absagen von Kolleginnen – aus sehr unterschiedlichen Gründen – als von Kollegen. Deshalb dauert die “ausgeglichene” Besetzung vieler Panels meist sehr viel länger, die Bemühungen sind viel größer. Es lohnt sich, darüber mal zu reden. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 161, 22.05.2018

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

die #MeToo-Debatte wird in Deutschland nicht mehr nur abstrakt geführt. Nach den Enthüllungen über Dieter Wedel in der “Zeit” berichten unsere Kollegen auch über andere Fälle – in der Kulturbranche und im Journalismus. Es ist ein gesellschaftlicher Fortschritt, dass sexuelle Belästigung nicht länger als Bagatelle abgetan wird und dass Journalisten Hinweise auf solche Vorfälle sorgfältig recherchieren. Aber es brauchte vorher den Fall Weinstein. Also vor allem mutige Frauen, die bereit waren, ihre Vorwürfe öffentlich zu erheben. Und Journalistinnen und Journalisten, die aus deren Aussagen, aus Schweigevereinbarungen, aus vielen Interviews ein Bild zusammensetzten, das Verhaltensmuster von Belästigern offenbarte.

Einige der jetzt beschuldigten Männer haben sich teils jahrzehntelang auffällig verhalten, ohne dass Vorwürfe laut wurden. Es waren offenbar Führungskräfte in den Redaktionen nötig, die Recherchen über Belästigung und Missbrauch ermutigen und unterstützen, es war eine Kampagne von Frauen auf Twitter nötig, die ihrer Empörung Ausdruck verliehen und es war offenbar ein verändertes Verständnis davon nötig, was sexuelle Belästigung ausmacht und wie sie zu ahnden ist.

Die Gesellschaft blickt heute anders auf das Thema sexuelle Belästigung als noch vor einem Jahr. Das ist auch das Verdienst von Journalisten, die solche Recherchen betrieben haben, aber es ist gleichzeitig ein bisschen entmutigend, dass die Zeit für diese Veränderung erst jetzt zusammen mit der #MeToo-Welle reif war. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 160, 19.04.2018

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

es ist schon ein paar Jahre her, aber heute kommt es mir plötzlich vor, als sei es gestern gewesen: Auf der Bühne des Deutschen Schauspielhauses wurden die Großen des Journalismus geehrt. Die besten Schreiber, die besten Reporter, die besten Rechercheure, sie alle wurden ausgezeichnet mit dem Henri-Nannen-Preis. Im Jahr 2012, also vor sechs Jahren ergab sich dabei ein Bild, was schon damals nicht mehr ganz zeitgemäß wirkte: Ein Mann nach dem anderen betrat die Bühne und bekam die Trophäe. In der Kategorie Dokumentation wurden sogar gleich zwölf Kollegen, also zwölf Männer, ausgezeichnet. Unter Frauen schwankten wir im Small-Talk danach zwischen Wüten und Witzeln: ein Mann hätte es wohl alleine nicht geschafft, es mussten gleich zwölf sein. Aber genau das war das Bittere: es wirkte wie ein closed shop, als würden die Männer es im Vorfeld unter sich ausmachen. Frauen gehörten einfach nicht dazu, keine Chance.

Heute ist das anders. Denkt man. Dachte ich. Nach dem Nannen-Preis aber bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob und was genau eigentlich anders ist. Dabei hat sich der Preis seit 2012 geschüttelt und grundlegend verändert: Frauen in der Jury, weniger Chefs, mehr Macher und Macherinnen, vor allem in der Vorjury. Es gab ja auch in diesem Jahr wie in anderen Jahren zuvor überragende Frauen unter den Preisträgerinnen. Herzlichen Glückwunsch, Caterina Lobenstein! Herzlichen Glückwunsch, Souad Mekhennet! (Und herzlichen Glückwunsch allen anderen 15 ausgezeichneten Kollegen!)

Aber: im Investigativen waren es wieder fast ausschließlich Männer unter den letzten dreien. Es waren immerhin insgesamt 17 nominiert in der Sparte “Investigative Leistung” – 16 Männer, eine Frau. Es liegt nicht an der Jury, es fehlt schon an den Einreichungen. Viel weniger Frauen reichen ihre Arbeiten ein. Und noch davor: Viel weniger Frauen arbeiten überhaupt in den investigativen Teams. Warum bloß?

Wir haben so viele Frauen im Journalismus. Es starten mehr Frauen in den Beruf als Männer, weil beim Nachwuchs die Frauen besser sind als Männer. Es gibt ganz und gar überragende Investigativ-Frauen, die in der Spitze mitspielen. Auch können wir regelmäßig lesen, wie froh Medien sind, Frauen in der Führung vorzuzeigen. Aber in der Breite der Investigativ-Ressorts ändert sich letztlich offenbar wenig. Warum bloß? Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 159, 26.03.2018

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

es ist wieder passiert. Mitten in Europa – im EU-Land Slowakei. Ein Journalist wird ermordet. Ján Kuciak mit einem Schuss in den Bauch, seine Freundin Martina Kusnirova mit einem Schuss in den Hinterkopf. Es war eine Hinrichtung.

Ján Kuciak recherchierte – wie auch seine im Dezember letzten Jahres im EU-Land Malta ermordete Kollegin Daphne Caruana Galizia – über Korruption und organisierte Kriminalität in den politischen Führungszirkeln. Auch wenn in beiden Fällen weder Auftraggeber noch alle Details der Morde feststehen, ist eines gewiss: Weder Daphne Galizia noch Ján Kuciak sind “Zufallsopfer” eines schlimmen Verbrechens. Beide sind tot, weil sie manchen Leuten wohl zu neugierig waren. Weil sie mutige Journalisten waren. Weil sie ihren Beruf liebten.

Einen Beruf, den der langjährige – mittlerweile zurückgetretene – Ministerpräsident der Slowakei, Robert Fico, verachtete und bekämpfte. Kritische Journalisten waren für ihn “schleimige Schlangen”, “dreckige Huren” oder “dumme Hyänen”. Der Sozialdemokrat (!!!) attackierte verbal, andere (vielleicht dadurch ermutigt?) jetzt mit tödlicher Gewalt.

Diese verbalen Brandstifter gibt es in vielen Ländern. Regierungen in Polen, Ungarn, Russland oder den USA und vielen anderen Ländern haben keinerlei Skrupel, wenn sie gegen Journalisten hetzen. Und auch bei uns gehört diese Hetze offenkundig zur politischen DNA einiger Kreise – u.a. der AfD (“Lügenpresse”) oder Pegida (“Regierungshuren”). Erschreckend, dass sich auch einige (nicht nur ehemalige) Journalisten an dieser Treibjagd beteiligen.

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