Wüstenradar

Laufende Studie: Zur Verbreitung des Lokaljournalismus in Deutschland und dessen Effekt auf die Funktionsfähigkeit der Demokratie

Ein leeres Schaufenster eines geschlossenen Kiosks in Greiz.

Einst wurden hier Zeitungen und Zeitschriften verkauft - geschlossener Kiosk in Greiz in Thüringen. (Foto: Thomas Schnedler)

Sinkende Wahlbeteiligung, weniger Engagement von Politiker:innen für ihre Wahlkreise, mehr Fehlverhalten von Unternehmen – die Liste der Risiken für unsere Gesellschaft ist lang, wenn Journalismus und Pressefreiheit leiden, heißt es in der internationalen Forschung. Doch wie ist die Lage in Deutschland? In einer Pionierstudie untersuchen derzeit Forscher:innen an der Hamburg Media School, wie sich die Situation der Tageszeitungen seit der deutschen Wiedervereinigung verändert hat und welche Folgen eine Schwächung der Lokalpresse für das demokratische Gemeinwesen in Deutschland hat. Unterstützt wird die Hamburg Media School dabei durch Netzwerk Recherche und Transparency International Deutschland.

Das Monitoring zur Entwicklung der Tagespresse in Deutschland zielt darauf ab, Trends und Entwicklungen in der Landschaft lokaler und regionaler Printmedien zu erkennen und zu verfolgen. Konkret wird die Anzahl der wirtschaftlich voneinander unabhängigen Publikationen in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten aus verschiedenen öffentlich zugänglichen Quellen erhoben. Die Veränderungen des Tageszeitungsmarkts werden digital visualisiert und im Zeitverlauf über eine interaktive Karte im Internet präsentiert.

Darauf aufbauend soll untersucht werden, inwiefern ein Rückgang der journalistischen Aktivität im lokalen und regionalen Raum auch in Deutschland zu messbaren negativen Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Demokratie führt. Die Vitalität der demokratischen Gesellschaft kann sich zum Beispiel manifestieren im politischen Wissen, der politischen Polarisierung, den Einstellungen und der politischen Partizipation der Bevölkerung sowie in der politischen Accountability.

In einigen Ländern ist bereits nachgewiesen worden, dass die Funktionsfähigkeit der Demokratie leidet, wenn der Lokaljournalismus schrumpft. Dies gilt es in Deutschland zu überprüfen. Von besonderem Interesse ist dabei, dass auch in Deutschland im Zeitablauf das Ausmaß des Lokaljournalismus zwar zurückgegangen ist, aber bisher – im Gegensatz zu anderen Ländern wie den USA, Australien und dem Vereinigten Königreich – noch keine sogenannten Nachrichtenwüsten entstanden sind.

In journalistischen Fallstudien werden drei lokale Medienmärkte porträtiert, die als Musterbeispiele für die aktuelle Transformation des Lokaljournalismus gelten können. Auf der Basis von Vor-Ort-Besuchen und Interviews entsteht so ein anschauliches Bild des Wandels und der Perspektiven für die Zukunft. Die Recherchereisen führten Netzwerk Recherche nach Greiz, Konstanz und Regensburg.

Wüstenradar: Präsentation von Zwischenergebnissen in Erfurt (Foto: Vivienne Moise)

Rund um Greiz in Thüringen wird die einzige Lokalzeitung - die Ostthüringer Zeitung - seit Mai 2023 den Abonnent:innen nicht mehr durch Zusteller:innen nach Hause gebracht. Die Lieferung in die Gemeinden sei unwirtschaftlich, argumentierten die Verlagsmanager von Funke Medien Thüringen. Sie erklärten die Dörfer zu einer Modellregion für die Digitalisierung des ländlichen Raums und flankierten den Abschied von der gedruckten Zeitung am Frühstückstisch durch ein Medienbildungsprogramm für Senior:innen und weitere Angebote.

In Konstanz ist ein gemeinnütziges Start-up - das karla Magazin - an den Start gegangen. Die Gründer:innen wollten in ihrem ambitionierten Medienprojekt mit neuen Formen des Lokaljournalismus experimentieren, Lücken in der lokalen Berichterstattung schließen und sich einen festen Platz neben dem Südkurier, der Lokalzeitung in der Stadt am Bodensee, erobern. Die Arbeit der karla-Redaktion sollte über Crowdfunding, Mitgliedschaften und Stiftungsgelder finanziert werden - doch dann reichte das Geld nicht. Derzeit wird ein neues Konzept erprobt.

Als im Sommer 2021 die in Regensburg erscheinende Mittelbayerische Zeitung an die Mediengruppe Bayern verkauft wurde, nahm der Verleger des Straubinger Tagblatts aus der Nachbarschaft diesen Schritt zum Anlass, mit einer neuen Zeitung vor Ort in den Wettbewerb einzusteigen. Innerhalb weniger Tage brachte er mit seinem Team die Regensburger Zeitung an die Kioske. Mitunter setzt aber ein ganz anderes Medium die Themen in der Stadt - das durch investigative Recherchen bundesweit bekannt gewordene Online-Magazin Regensburg Digital.

Die Studie steht unter der Leitung von Dr. Christian-Mathias Wellbrock (Hamburg Media School). Ermöglicht wird die Studie von der Rudolf Augstein Stiftung. Die Präsentation der Ergebnisse des Forschungsprojekts ist für November 2024 geplant. Erste Eindrücke wurden bei der Correctiv.Lokal-Konferenz in Erfurt im Oktober 2023 präsentiert und diskutiert.

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