nr unterstützt Kampagne gegen neues BND-Gesetz

Netzwerk Recherche unterstützt gemeinsam mit einem internationalen Bündnis von Menschenrechtsorganisationen, Journalistenverbänden und Medien die globale Kampagne, um ausländische Journalisten außerhalb der EU vor Überwachung durch den Bundesnachrichtendienst zu schützen. Ziel der von Reporter ohne Grenzen initiierten Aktion ist es, eine entsprechende Schutzklausel in der Neufassung des BND-Gesetzes durchzusetzen, über die der Bundestag derzeit berät. Die Unterzeichner des Aufrufs halten die globale Massenüberwachung des BND für einen Verstoß gegen die Menschenrechte. In der Überwachung ausländischer Journalisten sehen sie einen schwerwiegenden Angriff auf die Pressefreiheit weltweit. In den kommenden Wochen können Menschen auf der ganzen Welt eine mehrsprachige Online-Petition unterzeichnen, die von den beteiligten Organisationen unterstützt wird und Mitte September den Fraktionen von CDU/CSU und SPD übergeben werden soll.

Direkt zur Online-Petition: https://www.reporter-ohne-grenzen.de/mitmachen/petition-bnd-de/
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nr-Stammtisch Berlin: Die Keylogger-Affäre in der „taz”

Martin Kaul und Sebastian Erb berichten über ihre Recherche im eigenen Haus

Martin Kaul und Sebastian Erb haben die Hintergründe der Keylogger-Affäre aufbereitet und sind den Spuren von Sebastian Heiser gefolgt. Sie gingen der Frage nach: Warum hat Heiser Kollegen in der taz ausgespäht? Was stand dahinter? Zu den Opfern gehörten auffallend viele junge Frauen.

Wir wollen mit Martin Kaul und Sebastian Erb über ihre Erfahrungen rund um die Affäre sprechen und wie der Fall das Redaktions-Klima in der taz verändert hat. Hintergründe zum Fall gibt es hier:
taz – Dateiname LOG.TXT
detektorFM – Ist das gerecht? 

Der Berliner Stammtisch findet am Mittwoch, dem 20. Juli (ab 19 Uhr) im Recherchebüro von Correctiv statt (Singerstraße 109, 10179 Berlin). Weiterlesen

Die Medien und ihre Verantwortung

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Foto: Wulf Rohwedder

Rede von Olaf Scholz, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, auf der nr-Jahreskonferenz am 8. Juli 2016

Sehr geehrter Herr Dündar,
Herr Präsident,
sehr geehrter Herr Marmor,
sehr geehrte Frau Stein,
sehr geehrte Damen und Herren,

schön, dass Sie sich auch in diesem Jahr wieder hier in Hamburg treffen. Die Jahreskonferenz des Netzwerks ist ja mittlerweile zu einer guten Tradition geworden, die hervorragend hierher passt. Schließlich hat Journalismus in der Medienstadt Hamburg nicht nur eine große Tradition, sondern auch eine spannende Gegenwart und eine viel versprechende Zukunft.

Ich bin gebeten worden, an dieser Stelle einmal in etwas grundsätzlicher Form meine Sicht auf „die“ Medien darzulegen.
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„Grow“: Neue Start-up-Stipendien ausgeschrieben

Mit drei Stipendien für Gründer wollen Netzwerk Recherche e.V. und die Schöpflin-Stiftung den gemeinnützigen Journalismus voranbringen. Die Stipendien umfassen eine Anschubfinanzierung in Höhe von jeweils 2.000 Euro ebenso wie Beratung und Vernetzung. Die Stipendiaten werden auf ihrem Weg von der Idee zur Gründung begleitet, damit der Start der neuen journalistischen Projekte gelingen kann. Bewerbungen sind ab sofort möglich.

„Im Non-Profit-Journalismus beobachten wir eine große Innovationsfreude und eine Aufbruchsstimmung, die dem Journalismus insgesamt sehr gut tun. Die Stipendiaten können mit ihren Ideen für noch mehr Schwung sorgen“, sagt Thomas Schnedler, Referent für Non-Profit-Journalismus bei Netzwerk Recherche. Gesucht werden journalistische Start-ups, die einen Recherche-Schwerpunkt haben und die Gründung als gemeinnützige Organisation anstreben. „Es ist spannend und wichtig, diese Art von Praxistest zu machen: Welche Ideen gibt es wirklich auf dem Markt und wer bringt sie an den Start? Nur so erfahren wir, welche Geschichten und Recherchen durch gemeinnützigen Journalismus möglich werden“, so Julia Stein, 1. Vorsitzende von Netzwerk Recherche. Weiterlesen

Recherchen gemeinsam gefördert

Zum ersten Mal unterstützen Netzwerk Recherche und die Karl-Gerold-Stiftung gemeinsam ein Recherche-Vorhaben. Jenny Marrenbach geht auf Haiti den Ursachen der Cholera-Epidemie von 2010 nach, bei der mehr als 10.000 Menschen ums Leben kamen. Der Ausbruch der Seuche, soviel steht fest, ging auf nicht fachgerecht entsorgte Fäkalien aus einem Camp der UN-Friedensmission in Haiti (MINUSTAH) zurück.
In Haiti formierte sich heftiger Widerstand gegen die Blauhelme, die bereits im Vorfeld wegen verschiedener Missbrauchs- und Vergewaltigungsfälle in die Kritik geraten waren. Eine Organisation von Menschenrechtsanwälten bereitete im Namen von 5000 Cholera-Opfern eine Klage gegen die Vereinten Nationen vor. Darin enthalten waren Forderungen zum Schadensersatz, die Verpflichtung der UN, in Haiti ein funktionierendes Abwassersystem zu installieren und eine offizielle Entschuldigung an die haitianischen Opfer. Ein langer Rechtsstreit begann, bei dem die UN kategorisch jegliche Verantwortung abstritt.

Das Stipendium von Jenny Marrenbach wird von Netzwerk Recherche (2.000 €) und von der Karl-Georld-Stiftung gefördert (1.200 €). Die Autorin, die inzwischen aus Haiti zurück gekehrt ist, wird auf der Jahreskonferenz von nr über das Projekt berichten.

Khadija Ismajilowa nach eineinhalb Jahren Haft freigelassen!

Freiheit für Khadija Ismayilova, Anar Mammadli und andere Journalisten und Menschenrechtsaktivisten forderten wir auf der Demo vor dem Kanzleramt im Januar 2015. (Foto: Senkel)

Das Oberste Gericht in Aserbaidschan reduzierte die Strafe der Journalistin Khadija Ismajilowa heute von siebeneinhalb auf dreieinhalb Jahre Freiheitsentzug und setzte sie zur Bewährung aus. Sie unterliegt weiterhin Reiseverbot und weiteren Einschränkungen. Das Gericht sprach die ehemalige Leiterin des Radio Free Europe/Radio Liberty von den Anklagepunkten Untreue und Machtmissbrauch frei, bestätigte aber die Strafen für illegales Unternehmertum und Steuerhinterziehung.

„Wir freuen uns mit Khadija Ismajilowa über ihre Freilassung, aber dieses Urteil kann nur ein erster Schritt zu ihrer Rehabilitierung sein“, kommentierte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Khadija Ismajilowa hätte keinen einzigen Tag hinter Gittern verbringen dürfen. Alles andere als eine vollständige Aufhebung ihrer Strafe bleibt eine Justiz-Farce. Nach wie vor sitzen in Aserbaidschan Journalisten und Blogger wegen ihrer Arbeit im Gefängnis.“

Netzwerk Recherche schließt sich der Protastaktion von Reporter ohne Grenzen vor der Aserbaidschanischen Botschaft in Berlin an. Am Freitag (27. Mai, 11 Uhr) – zum 40. Geburtstag von Khadija Ismajilowa – fordern wir die vollständige Aufhebung ihrer Strafe. Weitere Informationen zu Khadija Ismajilowa und der Protestaktion: auf der ROG-Website.

Informationen zu Khadija Ismajilowa und ihren Projekten erhalten Sie auch auf der Website „Free Khadija Ismayilova“ der not-for-profit-Organisation Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP).

nr-Stammtisch zum Thema Investigativer Journalismus

Berliner Stammtisch mit Mark Lee Hunter

Datum: Mittwoch, 18. Mai 2016 ab 19 Uhr
Gastredner: Mark Lee Hunter, Gründungsmitglied des Global Investigative Journalism Network
Thema: Investigativer Journalismus: neue Akteure & neue Geschäftsmodelle
Ort: Correctiv (Singerstr. 109, 10179 Berlin).

Wir möchten Sie herzlich zum nächsten Treffen unseres Berliner Stammtischs einladen. Unser Gesprächspartner am Mittwoch, dem 18. Mai (ab 19 Uhr) ist Mark Lee Hunter .

Mit dem Beginn der Krise der Nachrichtenindustrie zu Beginn des 21. Jahrhunderts traten neue Akteure im investigativen Journalismus auf den Plan. Diverse Gruppen, Verbünde und Büros – beispielsweise Greenpeace oder soziale und politische Aktivisten – versuchen, ihre eigenen Ziele durch ihre eigenen Medien zu fördern. Weiterlesen

Zunehmender Druck auf Journalisten – auch in Deutschland

Am heutigen Internationalen Tag der Pressefreiheit lässt sich kein positives Bild über die Freiräume der Medien zeichnen. So geht aus der jährlich von Reporter ohne Grenzen veröffentlichten Rangliste die Tendenz zu mehr Autokratie von Staaten und eine steigende Einflussnahme auf die Medien hervor. Auch in Deutschland lässt sich eine Verschlechterung dokumentieren. Die Bundesrepublik ist in der Rangliste der Pressefreiheit von Platz 12 auf 16 gefallen. Diese Entwicklung ging mit aggressiver Hetze und Gewalt gegen Reporter und Kamerateams einher. Ebenso nahm auch der Druck auf Journalisten und ihre Informanten zu, die geheime Informationen ans Tageslicht bringen. Weiterlesen

nr-Stammtisch zu Rosssmann-Recherchen

Berliner Stammtisch mit Hans-Martin Tillack

Datum: Mittwoch, 4. Mai 2016 ab 19 Uhr
Gastredner: Hans-Martin Tillack, Journalist beim stern und Buchautor
Thema: Rosssmann-Recherchen
Ort: Correctiv (Singerstr. 109, 10179 Berlin).

Wir möchten Sie herzlich zum nächsten Treffen unseres Berliner Stammtischs einladen. Unser Gesprächspartner am Mittwoch, dem 4. Mai (ab 19 Uhr) ist Hans-Martin Tillack, einer der bekanntesten investigativen Journalisten im Land. Hans-Martin Tillack ist im Berliner Büro des stern verantwortlich für investigative Recherche. Nach dem Studium der Soziologie und Politologie arbeitete er zunächst fünf Jahre lang als Redakteur für die „tageszeitung“. 1993 wechselte er in das Bonner Büro des stern. Von 1999 bis 2004 war er EU-Korrespondent des stern in Brüssel.

Gemeinsam mit seiner Kollegin Laura Himmelreich hat Hans-Martin Tillack monatelang zu den Arbeitsbedingungen bei einem Subunternehmen der Drogeriekette Rossmann recherchiert. Roßmann verweist gern auf die guten Löhne und Arbeitsbedingungen in seinem Unternehmen – über die Potsdamer promota.de, das Unternehmern firmierte bis vor kurzem als Iostore Solutions Services GmbH (ISS), lässt er mehrere tausend Regaleinräumer per Werkvertrag in den Drogerien seines weit verzweigten Imperiums werkeln. Mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns erhalten die Angestellten 8,50 Euro in der Stunde. Bis Ende 2014 bekamen die Regaleinräumer teilweise lediglich 6,63 Euro (West) bzw. 6,12 Euro (Ost) pro Arbeitsstunde. Weiterlesen

Panama Papers – weltweite Recherche-Kooperationen und jede Menge Daten

Seit einigen Tagen schlottern weltweiter Prominenz – vom Staatschef bis zum Fußballstar – die Knie. Die Panama Papers bringen lang unentdeckte Offshore-Geschäfte ans Licht, decken versteckte Milliarden auf und bringen einiges ins Wanken. Sie erhöhen den nötigen politischen und gesellschaftlichen Druck, Steueroasen trockenzulegen. Und sie zeigen auf, wie wichtig guter Recherche-Journalismus ist.

Was innerhalb des letzten Jahres hinter verschlossenen Türen recherchiert wurde und heute als unvergleichbare Enthüllungsgeschichte Wellen schlägt, begann mit einer kurzen E-Mail an das Investigativteam der Süddeutschen Zeitung. Aus der ersten Nachricht des „John Doe“ wurde eine stetig wachsende Datensammlung geleakter Informationen über die Geheimnisse der Kanzlei „Mossack Fonseca“, die von Panama City aus anonyme Briefkastenfirmen gründet: Zur Vertuschung großer Vermögen etwa, zur Geldwäsche, zur Finanzierung von Krieg und Terror oder der Umgehung von Sanktionen. Circa 2,6 Terabyte groß ist die Datenmenge, die der anonyme John Doe nach und nach an die Journalisten schickte. Schon früh war klar, dass dieser Berg an Informationen nicht von einer einzelnen deutschen Redaktion ausgewertet werden kann. Weiterlesen

Initative „Open Web Index“ – vorgestellt von N. Huss und A. Ude

Berliner Stammtisch mit Nikolaus Huss und Albrecht Ude

Datum: Mittwoch, 30.03.2016 ab 19 Uhr
Gastredner: Nikolaus Huss (Sprecher der Initiative Open Web Index) und Albrecht Ude (Journalist)
Ort: Correctiv (Singerstr. 109, 10179 Berlin).

Offener Web-Index

Quelle: openwebindex.eu/

Suchmaschinen nutzt Jede und Jeder, jeden Tag. Aber was haben die mit Politik zu tun, mit Autonomie, mit wirtschaftlicher Entwicklung und mit gesellschaftlichem Fortschritt. Daran denkt man ja erst mal nicht, wenn man sich die naechste Pizzeria googlet.

Der Kern einer Suchmaschine ist ihr „Index“, eine Datenbank, die das Internet abbildet und durchsuchbar macht. Dabei sind die Moeglichkeiten der Einflussnahme und des Filterns gross. Das merkt man schon, wenn man schaut, wo die grossen Suchmaschinen sitzen: in den USA (Google, Bing), in Russland (Yandex) und in der VR China (Baidu) – nicht zufaellig Machtzentren dieser Welt.

Wo ist da Europa? Wir stellen die Initative „Open Web Index“ (OWI) vor, die einen offenen, europaeischen Webindex auf den Weg bringen soll. Und wir erlaeutern, was das fuer recherchierende Journalisten an Moeglichkeiten bedeutet.
Weitere Infos und zur Anmeldung bitte hier klicken.

Profil ist nicht alles – aber ohne Profil ist alles nichts!

Berliner Stammtisch mit Prof. Bascha Mika

Datum: Mittwoch, 24.02.2016 ab 19 Uhr
Gast: Prof. Bascha Mika, Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau
Ort: Correctiv (Singerstr. 109, 10179 Berlin).

Foto_Bascha_Mika_01092014_KopfWir möchten Sie herzlich zum nächsten Treffen unseres Berliner Stammtischs einladen. Unser Gast im Februar ist Bascha Mika. Sie ist seit 2014 Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, nachdem die Zeitung 2013 kurz vor der Insolvenz vom Verlag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung übernommen wurde.
Mit Bascha Mika wollen wir darüber sprechen, wie ein Comeback der journalistischen Qualität die Frankfurter Rundschau wieder zum Erfolg führt.

Weitere Infos und zur Anmeldung bitte hier klicken.

#Landesverrat: „Informanten besonderen Gefahren ausgesetzt“

Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen Andre Meister und Markus Beckedahl eingestellt. Für die Kollegen von Netzpolitik.org ist die Sache damit aber nicht vom Tisch: Sie fordern Transparenz über die Ermittlungen. Die Strafanzeigen des Verfassungsschutzes haben sie veröffentlicht – und sehen darin einen Angriff auf die Pressefreiheit: “Ein Verfassungsschutz-Präsident, der so rücksichtslos gegen die Pressefreiheit intrigiert, schützt die Verfassung nicht, sondern versucht sie auszuhöhlen.”

Julia Stein, Vorsitzende von Netzwerk Recherche, erklärte anlässlich der Einstellung des Verfahrens gegenüber kress: “Ich freue mich, dass der Spuk nun endlich vorbei ist. Die Pressefreiheit kann gestärkt aus diesem Desaster hervorgehen – wenn wir unsere Rechte weiterhin nutzen und uns von den journalistischen Feindbildern einiger Geheimdienstler nicht weiter irritieren lassen. Die netzpolitik.org-Affäre hat die Verunsicherung auf Seiten des Verfassungsschutzes, aber auch bei Teilen der Regierung offenbart. Umso wichtiger ist nun eigentlich eine Selbstverständlichkeit: dass wir unsere Informanten noch besser schützen, denn sie sind besonderen Gefahren ausgesetzt.”

Netzpolitik.org: Ermittlungen einstellen!

Die Ermittlungen gegen die Redaktion Netzpolitik.org und ihrer unbekannten Quellen wegen Landesverrats sind ein Angriff auf die Pressefreiheit. Klagen wegen Landesverrats gegen Journalisten, die lediglich ihrer für die Demokratie unverzichtbaren Arbeit nachgehen, stellen eine Verletzung von Artikel 5 Grundgesetz dar. Wir fordern die sofortige Einstellung der Ermittlungen gegen die Redakteure von Netzpolitik.org und ihrer Quellen.

Unterzeichner:

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Eine Warnung? Wir stehen zusammen.

Foto: Jillian C. York (CC BY-NC-SA 2.0) https://flic.kr/p/vRYdaC

Foto: Jillian C. York (CC BY-NC-SA 2.0)

Über 50 Jahre nach der SPIEGEL-Affäre haben wir nun also eine netzpolitik.org-Affäre. Die Kollegen – Blogger – mussten sich gerade noch behaupten als “echte” Journalisten. Der Bundestag hatte ihnen die Akkreditierung verwehrt – weil sie eben “nur” Blogger sind –, als sie von den Sitzungen des NSA-Untersuchungsausschusses berichten wollten.

Nun dürfen sie sich in gewisser Weise geadelt fühlen – als “neues Sturmgeschütz der Demokratie in 2015”? Warum eigentlich nicht. Lange Zeit wurden Blogger nicht richtig ernst genommen und auch von ihren Journalisten-Kollegen belächelt. Nun spätestens sieht wirklich jeder – ausgerechnet durch den Vorwurf des Landesverrats – dass die Kollegen auf journalistischer Augenhöhe berichten, unabhängig, zuweilen auch unliebsam.

Wenn Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen also tatsächlich Journalisten warnen wollte mit dieser Harakiri-Aktion, dann hat er jetzt das glatte Gegenteil erreicht. Alle stehen nun zusammen. Markus Beckedahl und seine Kollegen können sich verlassen auf die Solidarität von Netzwerk Recherche und allen Journalisten – ob Blogger, Zeitungskollegen, Hörfunker oder Fernsehreporter. Es hätte keines außerordentlichen politischen und strategischen Instinkts bedurft, um das vorherzusehen.

→ Beiträge zum Thema und Informationen zur Demo am 1. August

→ Als Zeichen der Solidarität bilden wir hier die von netzpolitik.org veröffentlichten Dokumente ab: jpeg / pdf
U.a. auch abrufbar bei landesverrat.org und Correctiv.

IFG Baden-Württemberg: Zivilgesellschaftliche Verbände in großer Sorge wegen geplantem Gesetz

Baden-Württemberg unterbietet bundesweite IFG-Standards.

Baden-Württemberg unterbietet bundesweite IFG-Standards.

Vereinbarte Eckpunkte bleiben weit hinter bundesweiten Standards zurück, weitere Verbesserungen unwahrscheinlich

Das Bündnis für Informationsfreiheit in Baden-Württemberg hat heute auf einer Pressekonferenz in Stuttgart Alarm geschlagen. Zum von der Regierung versprochenen Informationsfreiheitsgesetz könne in der Kürze der verbleibenden Zeit bis zur Wahl im März keine inhaltliche Debatte mehr stattfinden. „4 Jahre wurden die Verbände vertröstet. Jetzt wird deutlich, dass für inhaltliche Verbesserungen kein Raum mehr ist, nachdem es so schwer war, einen Konsens zwischen den Regierungsfraktionen herzustellen“, so Sarah Händel von Mehr Demokratie e.V. – Ein fortschrittliches Informationsfreiheitsgesetz sei aber noch nie aus der Ministerialbürokratie heraus entstanden. „Das konnte auch in anderen Bundesländern immer nur auf Druck der Zivilgesellschaft durchgesetzt werden“, so Manfred Redelfs vom Journalistenverband Netzwerk Recherche, der schon an der Ausarbeitung des Hamburgischen Transparenzgesetzes beteiligt war.

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nr-Stipendiat veröffentlichen Reportage über die Lage der Roma in Ungarn

Abgeschlossen wurde eine von nr geförderte Reportage über die Lage der Roma in Ungarn. Vor zehn Jahren wurde das Roma-Jahrzehnt ausgerufen, um die Lage der größten europäischen Minderheit zu verbessern und um Ausgrenzung und Diskriminierung zu bekämpfen. Sebastian Garthoff (Text) und Daniel Kaldori (Fotos) haben auf der Seite 3 der Berliner Zeitung die Geschichte über ein ungarisches Dorf veröffentlicht, in dem die Integration der Roma bereits weitgehend gelungen ist. Das sei allerdings eine rühmliche Ausnahme und leider nicht die Regel, sagt Garthoff.

Zum Artikel von Sebastian Garthoff: Sárszentlörinc in Ungarn Ein Ort der Hoffnung für Roma.

Informationen zum nr-Stipendienprogramm: nrch.de/stipendien

Befragung zum Thema Korruption und Einflussnahme im Journalismus

Nehmen Journalisten in Deutschland korrupte Handlungen und versuchte Einflussnahme im Berufsfeld wahr und wenn ja, haben sie selbst schon einmal Erfahrungen mit Korruption und versuchter Einflussnahme gesammelt? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt einer bundesweiten Online-Befragung zum Thema „Korruption und versuchte Einflussnahme im Journalismus”, die heute gestartet ist. Ziel der Journalistenbefragung ist es, erstmals vergleichbare Daten zur Korruptionswahrnehmung von Journalistinnen und Journalisten in Deutschland zusammenzutragen und so mögliche Missstände im Berufsfeld genauer benennen zu können.

Zur Teilnahme sind Journalistinnen und Journalisten aller Mediengattungen und Ressorts eingeladen. Die Befragung ist Teil der Abschlussarbeit „Korruption und Einflussnahme im Journalismus” am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg und wird in Kooperation mit Transparency Deutschland durchgeführt.

Zur Befragung: http://ww3.unipark.de/uc/studie-uni-hamburg/

Geförderter Beitrag zum Widerstand gegen die Fracking-Industrie veröffentlicht

Martin Sander hat sein Projekt über den Streit eines polnischen Dorfes mit der Fracking-Industrie abgeschlossen. Das Radio-Feature „Żurawlów probt den Aufstand. Ein polnisches Dorf im Streit mit der Fracking-Industrie” kann zur Zeit in der Mediathek von Deutschlandfunk angehört werden. Netzwerk Recherche hatte die Recherchen betreut und durch einen Mentor unterstützt.

Informationen zum nr-Stipendienprogramm: nrch.de/stipendien

Anhörung in NRW: Nonprofit-Journalismus anerkennen

“Beitrag zu Vielfalt und Qualität im Journalismus leisten – Gemeinnützigkeit von Journalismus anerkennen”. Zu diesem Antrag der FDP-Fraktion findet im Medienausschuss des Landtags Nordrhein-Westfalen am morgigen Donnerstag, 26. Februar, eine öffentliche Anhörung statt.

Weitere Informationen: auf unserer Nonprofit-Website.

 

nr-Stipendiaten veröffentlichen zu Abschiebungen und Fairtrade-Tee

Florian Haenes, Alexander Glodzinski und Ronald Mutum haben ihr Projekt über die Abschiebepraxis aus Deutschland nach Nigeria abgeschlossen und darüber für 3sat Kulturzeit einen Film produziert. Sie gehen darin der Frage nach, ob die nigerianische Botschaft zu großzügig Ersatzpapiere ausstellt, obwohl die Herkunft der jeweiligen Asylbewerber ungesichert ist. Haenes und Mutum waren 2013 von der Jury des Otto Brenner Preises mit einem Stipendium von 5.000 Euro für ihr Vorhaben gefördert worden. Das Netzwerk Recherche hatte die Recherchen betreut und durch einen Mentor unterstützt.

Philipp Jusim hat sein Projekt über den Einsatz von Pestiziden beim Anbau von Fairtrade-Tee in Indien abgeschlossen und darüber ein einstündiges ARD-Radiofeature produziert, das in mehreren ARD-Sendern ausgestrahlt wird. Netzwerk Recherche hat Jusims Recherchen auf den indischen Teeplantagen mit einem Stipendium unterstützt (Manuskript als pdf-Datei, 24 Seiten, 4 MB).

Informationen zum nr-Stipendienprogramm: nrch.de/stipendien

Zwischen Sonntagsreden und Sparprogrammen – oder: Die ausgestopfte Leserin

Franziska Augstein (Foto: „Franziska-augstein-2012-roemerberggespraeche-ffm-103“ von Dontworry - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons - https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Franziska-augstein-2012-roemerberggespraeche-ffm-103.jpg#mediaviewer/File:Franziska-augstein-2012-roemerberggespraeche-ffm-103.jpg

Franziska Augstein (Foto: Dontworry. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons)

Dokumentation der Rede von nr-Vorstandsmitglied Franziska Augstein auf dem Deutschen Medienkongress 2015 — 20. Januar 2015, Alte Oper — Frankfurt am Main

Lesen und lesen lassen: Jene, die lesen lassen, sind der Meinung, daß jene, die lesen sollen, nicht mehr lesen wollen – und wenn, dann nur auf Smartphones, Tablets und so weiter. Das wirft die Frage auf: Wie ist das Verhältnis zwischen dem gedrucktem Journalismus und den Verlagsangeboten im Internet?

Am Ende meiner kleinen Rede werde ich mich dieser Frage ernsthaft widmen.

Alles was ich bis dahin sage, können Sie ernst nehmen, sie müssen es aber auch nicht. Wenn ich den Zustand, wenn ich die Lage der Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland ironisch, ja sarkastisch beschreibe, tue ich das mit einer Aneinanderreihung und Komprimierung von Zitaten aus der Branche, die aber gar nicht ironisch oder sarkastisch gemeint waren. Vielleicht erkennen Sie die Zitate da und dort wieder, womöglich ist das eine oder andere sogar von Ihnen. Ich überzeichne, ja karikiere also mithilfe der Realität. Voilà.

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Khadija Ismajilowa freilassen!

khadija

Olympische Europaspiele in einem Land, das die Pressefreiheit missachtet? „Frau Ismayilova ist nicht alleine“, schreibt das Recherchebüro Correctiv.

Weltweit haben in den vergangenen Tagen Journalisten und Menschenrechtsorganisationen die Freilassung der aserbaidschanischen Investigativjournalistin Khadija Ismajilowa gefordert. Sie war am 5. Dezember aus fragwürdigen Gründen in Haft gekommen. “Die aserbaidschanischen Behörden versuchen offensichtlich mit allen Mitteln, eine weitere führende Kritikerin ihres autoritären Regimes zum Schweigen zu bringen”, kommentierte Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen die Inhaftierung. “Dieser Fall reiht sich nahtlos in die derzeitige Repressionswelle ein und muss spürbare diplomatische Folgen haben. Wenn Aserbaidschans Justiz noch einen Hauch von Unabhängigkeit hat, muss sie die Vorwürfe gegen Khadija Ismajilowa umgehend fallen lassen.” Ismajilowa ist seit Jahren Gerichtsverfahren und massivem Druck der Behörden ausgesetzt. Weiterlesen

Die Auster geht auf Tournee

Die „Verschlossene Auster“ in der Ausstellung „Unter Druck! Medien und Politik“. Foto: Teena Ihmels

Die „Verschlossene Auster“ in der Ausstellung „Unter Druck! Medien und Politik“. Foto: Teena Ihmels

Die Verschlossene Auster, der Negativpreis von Netzwerk Recherche für den Informationsblockierer des Jahres, ist eines der Exponate der soeben eröffneten Ausstellung “Unter Druck! Medien und Politik”. Sie wird bis 9. August 2015 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig zu sehen sein, anschließend im Haus der Geschichte in Bonn.

Hintergrund ist die Verleihung der Auster 2013 an den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Er hatte sich zunächst geweigert, den Journalisten Daniel Drepper und Niklas Schenck Auskunft über die Medaillen-Zielvorgaben für die Olympischen Spiele zu geben. Durch eine Klage gelang es den Kollegen, das Ministerium zur Auskunft zu zwingen. Für ihre Hartnäckigkeit wurden sie mit dem Wächterpreis belohnt. Netzwerk Recherche hatte die Recherchen mit einem Stipendium unterstützt. Weiterlesen

Der Daten-Überflieger

Skepsis im Blick und immer auf der Hut, seine Augen sehen müde aus: Lorenz Matzat hat an diesem Tag schon einen Vortrag und einige Fachgespräche hinter sich Nur noch einige Minuten, dann hat er schon den nächsten Termin. Und doch redet er ruhig und mit Bedacht. Und während seine Zuhörer noch vor einigen Jahren eher ungläubig über seine Ideen staunten, kommt heute eher die Frage nach der Vorgehensweise. 2012 wurde Lorentz Matzat vom medium magazin als einer der journalistischen Newcomer des Jahres ausgezeichnet. Doch wie wird man eigentlich zu einem Vorreiter des Datenjournalismus?

Am Anfang stand für Lorentz Matzat zunächst ein Studium zum Diplom-Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt der Drogenpolitik. Daneben eschäftigte er sich mit Computerlernen – also damit, wie Computerprogramme dem Menschen beim lernen helfen können. Erstmals mit solcher Technik in Berührung gekommen, war Matzat begeistert von dem Potential und den Möglichkeiten der Interaktion zwischen Mensch und Maschine.

Als Matzat, immer noch begeistert von den Möglichkeiten moderner Technik, aufmerksam die Datenjournalismus-Szene in Amerika studierte, musste er erstaunt feststellen, dass in Deutschland noch kaum Datenjournalismus betrieben wird. Stattdessen herrschte in den Redaktionen eine Angst vor dem Unbekannten, den Kosten, der eigenen Unfähigkeit mit solch neuen Methoden umzugehen.

Nach einem Volontariat begann Matzat zunächst als freier Journalist und Medienpädagoge tätig zu werden. Wie aber wird ein Geisteswissenschaftler zum Experten in einer journalistischen Disziplin, die auf technischem Fachwissen basiert? Entsprechende Kurse gab es in Deutschland noch nicht. . Die einzige Chance: Der Zusammenschluss mit Gleichgesinnten. Zusammen mit Marco Maas gründet Matzat die Datenjournalismus-Agentur „OpenDataCity“. Als Plattform für Fachkollegen und als Beratungsstelle für Redaktionen in Sachen Datenjournalismus gestartet, ist die Agentur zu einer echten Größe in der Szene geworden. Ihr erster großer Coup: die Geschichte Verräterisches Handy für Zeit Online zur Vorratsdatenspeicherung. Durch die, von dem Grünenpolitiker Malte Spitz eingeklagten Verbindungsdaten der Telekom ließ sich ein ziemlich genaues Bewegungsprofil samt ein- und ausgehender SMS und Telefonate erstellen – und das abstrakte Problem der Vorratsdatenspeicherung wurde für jedermann im Netz anschaulich begreifbar.

Doch das Projekt warf auch neue Fragen auf: Wie darf und soll Datenjournalismus mit privaten und geschützten Daten umgehen? Für Matzat ist dies eine Abwägungsfrage. Dient es dem gesellschaftlichen Wohl, Erkenntnisse zu erlangen, die anders nicht einsehbar sind, sei es im Einzelfall legitim, Missstände aufzudecken, indem man formale und juristische Grauzonen nutzt – ähnlich wie es schon bisher im investigativen Journalismus üblich ist. Dennoch gelte der Grundsatz: „Private Daten schützen, öffentliche Daten nutzen.“

Die Entwicklungen im Journalismus schreiten dank Leuten wir Matzat voran, doch noch schneller ist die Entwicklung in der Technik. Gesellschaft, Gesetzgebung oder Journalismus können nicht so schnell verarbeiten, was an Technik regelmäßig erscheint. Dazu passt es, dass Pionier Matzat sich zusätzlich auch mit dem Einsatz von Drohnen im Journalismus beschäftigt. Bekanntlich haben Drohnen keinen guten Ruf. Doch Daten-Überflieger Matzat sieht darin mehr als unbemannte Flugobjekte, die in die Privatsphäre eindringen können und zum Werkzeug skrupelloser Morde werden. Mit sensiblen Sensoren ausgestattet, wäre es etwa möglich, damit Umweltdaten zu sammeln und so Missstände aufzudecken. So könnte eine U-Boot ähnliche Drohne genutzt werden, um die Wasserqualität an Abflussrohren zu messen.

Die Technikaffinität im Journalismus erscheint aber vielerorts noch unterentwickelt. Lorenz Matzat hingegen sieht die Zukunft in der Nutzung von Hightech im Journalismus. OpenDataCity hat er inzwischen verlassen, um sein eigenes Projekt lokaler.de zu starten – ein Service, der Datensätze in Relation zu Geokarten setzten kann.

Doch noch ist sein Ziel, den Datenjournalismus im deutschsprachigen Raum fest zu verankern, nicht erreicht. Also wird er weiter regelmäßig über den Datenjournalismus referieren, Medienhäuser beraten und von einem Termin zum nächsten eilen.

Krankenhausstatistik unter der Lupe: der Operationsexplorer

Herzinfarkte, Hüftgelenke, HIV: Jede Woche werden neue medizinische Studien über die Deutschen und ihre Krankheiten vorgestellt. Wer deren Aussagen unabhängig überprüfen will, stößt häufig auf Hindernisse: Zwar sind viele Daten beispielsweise beim Statistischen Bundesamt gegen Gebühr erhältlich, aber ohne gute Statistikkenntnisse und Spezialsoftware kommt man in den ewig langen Tabellen nicht sehr weit.

Vor ähnlichen Problemen stand auch Wissenschaftsjournalist Volker Stollorz.

„Wir bekamen einen regelrechten „Excel-Krampf“ bei der Überprüfung von Datensätzen über Hysterektomien“, berichtet er über ein Rechercheprojekt zu der Frage, wie häufig und warum Frauen die Gebärmutter entfernt wird. Das Projekt aus dem Jahr 2011 wurde im Rahmen der an der TU Dortmund angesiedelten Initiative Wissenschaftsjournalismus gefördert. Schon damals hatte er das Gefühl, so etwas müsse einfacher werden, um an der Geschichte zu arbeiten. Sein Glück: Als „Journalist in Residence“ beim Heidelberger Institut für theoretische Studien (HITS) und mit finanzieller Unterstützung der Robert Bosch Stiftung entwickelte Journalist Stollorz gemeinsam mit dem Programmierer Meik Bittkowski den OperationsExplorer. Der OperationsExplorer ist ein medizin-journalistisches Analysetool. Er soll einen vereinfachten Überblick über 18 Millionen Datensätze zu Diagnosen und Behandlungen in deutschen Krankenhäusern bieten und noch im Jahr 2014 starten.

Hinter den Datensätzen verbergen sich die Diagnosen, Operationen und Prozeduren nahezu aller Klinikpatienten in Deutschland, klassifiziert nach ICD-10- (International Classification of Diseases) und OPS-Codes (Operationen- und Prozedurenschlüssel). Außerdem lassen sich die vorhandenen Datensätze aus knapp 2000 deutschen Krankenhäusern nach Wohnort des Patienten, Geschlecht und 18 Altersgruppen aufgeschlüsselt betrachten. Damit die Daten trotz unterschiedlicher Altersstrukturen in unterschiedlichen Regionen vergleichbar werden, normiert der OperationsExplorer die Fallzahlen auf Fälle pro 100.000 Einwohner und sorgt auf Knopfdruck für eine Altersstandardisierung.

Gut für den Nicht-Statistiker, der zum Beispiel nach Daten über eine bestimmte Krankheit in verschiedenen Regionen sucht: Man spart viel Zeit und zusätzlich werden Fehler durch das Nicht-Beherrschen eines statistischen Handwerks vermieden.

Nutzungsmöglichkeiten für den Explorer sind zum Beispiel Analysen über medizinische Trends und Entwicklungen. Egal, ob es um die Verbreitung von Masern-Epidemien oder die nicht mehr zeitgemäße Nutzung von überholten Behandlungen geht – mit dem passenden Code lassen sich die Daten schnell auswählen und auf einer Deutschlandkarte darstellen.

Volker Stollorz weist allerdings darauf hin, dass diese Analysen nur so gut sein können „wie die Daten halt sind“. Denn diese werden von den Kodierern der Kliniken ins Abrechnungssystem der Krankenkassen eingetragen. Und es ist nicht auszuschließen, dass dieser Vorgang fehlerhaft ist oder sogar manipuliert wird – etwa um den Ertrag einer Klinik zu erhöhen. Das geflügelte Wort „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“ hat also auch hier eine gewisse Berechtigung. Andererseits gilt: Es gibt eben keine besseren Daten. Auch die Krankenkassen mit ihren Studien nehmen die Abrechnungsstatistik als Grundlage für ihre Darstellungen, wie gut die Krankenversorgungslage in verschiedenen Regionen Deutschlands ist.

Und manche Daten können oder dürfen auch gar nicht genauer erfasst werden. So wird immer nur die einzelne Behandlung und nicht der Patient als solcher kodiert. Dadurch steigt die Gesamtzahl der Datensätze. Erreicht jemand mit einer Grippe das Krankenhaus und verlässt es zusätzlich nach einer Lungenentzündung, taucht er somit zweimal in der Statistik auf.

Das aber hat bereits mit dem Datenschutz für den einzelnen Patienten zu tun. Wenn man über das Zusammenlegen verschiedener Informationen einen bestimmten Patienten de-anonymisieren könnte, wäre für Volker Stollorz eine ethische Grenze erreicht. Aus diesem Grund sind die Daten im OperationsExplorer auch nur dann angegeben, wenn Diagnosen oder Operationen in mindestens drei Fällen vorhanden sind. So soll der direkte Bezug auf einen Patienten erschwert werden. Um zusätzlich den verantwortungsvollen Umgang mit den Daten zu stärken, ist das Projekt nicht als OpenData-Projekt gedacht. Stattdessen muss man sich innerhalb eines Clubmodells registrieren und die Nutzungsbedingungen akzeptieren.

„Ziel meiner Berichterstattung ist die Qualität der Behandlung und der generellen medizinischen Qualität in Deutschland transparent zu machen und zu verbessern.“, sagt Volker Stollorz. Zunächst aber befindet sich der Explorer in einer Test-Phase, um den Umgang damit zu üben, später soll er dann über das Registrierungsmodell mehr Leuten zugänglich gemacht werden. Bisher sind im auch nur die Daten von stationären Behandlungen aufgeführt, eine Erweiterung um Daten aus dem ambulanten Versorgungsbereich ist noch Zukunftsmusik. Und es gibt weitere Pläne: Die Datenbank soll um ein weiteres Thema, eine regional aufgeschlüsselte Todesursachenstatistik, ergänzt werden.

Ebenso hoffen die Entwickler auf eine zukünftig schnellere Einspeisung der Daten. Da bisher nur die Daten bis 2012 eingepflegt sind, entsteht eine Zeitdifferenz, in der manche Trends längst nicht mehr aktuell sind. Aber trotzdem gibt Volker Stollorz sich zuversichtlich, mit dem neuen Tool so manchen künftigen Excel-Krampf lösen zu können: „Ich habe das Gefühl, dass da recht coole Geschichten zu finden sind.“

Die Strukturierte

Strahlenbelastung in Fukushima, halsbrecherische Snowboardstunts, Flüchtlingstote vor den Toren Europas – das sind Geschichten, die auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben. Sylke Gruhnwald ist die Frau, die die Verbindung schafft, denn in ihrer Hand laufen alle Fäden zusammen.
Sylke Gruhnwald ist Datenjournalistin mit Leib und Seele; sie sucht, findet, analysiert Daten, mischt Daten, erhebt eigene Daten. Folgt man etwa dem einen Faden in ihrer Hand, landet man bei dem Porträt über Iouri Podladtchikov, einem weltberühmten Schweizer Snowboarder. Um seinen bekanntesten Trick für die Leser zu veranschaulichen, haben Sylke Gruhnwald und ihr Team von der Neuen Zürcher Zeitung den Sprung „einfach“ unter Laborbedingungen nachgestellt – mit einem IPhone. Das Ergebnis: die multimediale Visualisierung des „Yolo-Flips“, später ausgezeichnet mit dem Grimme Online Award 2014.

Für Sylke Gruhnwald könnte man das auch einen Aufstieg in die Königsklasse des Datenjournalismus nennen. Sie selbst versteht unter „Königsklasse“ allerdings etwas völlig anderes. Eine eigene Datenbank zu erstellen, also „Source Data“ – das sei königlich und kröne die „Vier Level des Datenjournalismus“.

Level 1: Show Data –Datenvisualisierungen.
Level 2: Mashup Data – das Mischen von Datensätzen.
Level 3: Analyze Data – saubere Datenanalyse.
Level 4: Source Data – eine eigene Datenbank aufbauen.

Alle datenjournalistischen Projekte ließen sich nach diesem Schema gliedern, sagt sie. So auch das Projekt The Migrant Files, eine Dokumentation der Flüchtlingstoten vor den Toren Europas. Eine Gruppe europäischer Journalisten (darunter auch das Team um Sylke Gruhnwald von NZZ-Data) begab sich auf die Spuren der Flüchtlinge und stellte die Ergebnisse in einer großen Datenbank zusammen – Source Data, Königsklasse.

Als Teamleiterin von NZZ Data ist Sylke Gruhnwald in der Welt der Daten zuhause, die Daten sind ihr tägliches Brot. Vorgezeichnet war dieser Weg nicht, vom Sinologie- und BWL-Studium hin zum Datenjournalismus. Noch während sie ihr Diplom machte, begann sie, für den Economist in Wien zu arbeiten, danach ging sie als Wirtschaftsredakteurin zu NZZ-Online. Dort kam sie nach und nach in den Bereich des Datenjournalismus‘, erst mit 40 Prozent ihrer Stelle, dann zu 100 Prozent. Sie kämpfte dafür, ein eigenes Team zu bekommen, denn sie sah in den Daten mehr als Zahlen – eigene Geschichten und die Chance, neue Felder des Online-Journalismus zu erschließen. Ihr Bemühen hatte Erfolg.

Seit nunmehr fast zwei Jahren ist NZZ Data fester Bestandteil der Neuen Zürcher Zeitung und längst aus den Kinderschuhen raus: bereits zwei Nominierungen für den Grimme Online Award, einmal für das preisgekrönte Snowboarder-Porträt, einmal für eine multimediale Webdoku zur Situation in Fukushima, zwei Jahre nach der Katastrophe.

Bei solchen Projekten reize besonders die Recherche, sagt Sylke Gruhnwald. Recherchieren, das ist ihre Kernkompetenz. Dabei sei „Trial and Error“ das wichtigste – der mögliche Fehler ist nämlich vor der Recherche nicht sichtbar. So könne man mit einer spannenden These in die Datensuche starten und dann merken: Die Recherche gibt nichts her! „Man muss auch den Mut haben, eine Geschichte nicht zu machen.“

Anderen Problemen, die dem Journalisten-Dasein häufiger Steine im Weg sind, begegnet Sylke Gruhnwald mit Hartnäckigkeit. „Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe und es wirklich will, erstreite ich es mir auch schon mal“. Und damit hat sie Erfolg – so wie damals bei der Etablierung von NZZ Data.

Was sie dort aufgebaut hat, gibt sie nun jedoch in die Hände ihrer Kollegen ab. Im August 2014 verlässt sie die NZZ und beginnt neu beim Schweizer Radio und Fernsehen. „Mein Chef sagt, Leute wechseln nur, wenn es ihnen im Büro nicht mehr gefällt“, lacht sie. Doch das sei nicht der Grund für den Wechsel. Beim SRF wird sie für den Aufbau von „SRF Data“ verantwortlich sein, die Fäden des Datenjournalismus im Haus werden bei ihr zusammenlaufen, ähnlich wie zuvor bei der NZZ. Was anders sein wird, ist die Medienvielfalt. Datenjournalismus in Radio und Fernsehen bringt viele Herausforderungen und Möglichkeiten, die es so im rein Digitalen nicht gibt. Das reizt, findet Sylke Gruhnwald.

Positiv blickt sie in die Zukunft. Nicht nur in ihre eigene, auch in die des Journalismus im Allgemeinen. Zurzeit würden viele neue Felder erschlossen, das seien immer wieder auch neue Chancen für den Journalismus. „Wir haben die Möglichkeit, alles anders zu gestalten.“ Was dabei hilft, ist Biss. Den hat sie. Und was noch? „Eine positive Grundeinstellung!“

Der Interdisziplinäre

„Ich bin Informatiker geworden, weil ich einfach faul bin“, erzählt Kristian Kersting. Schon als Kind hat er sich gerne davor gedrückt, sein Zimmer aufzuräumen. Und fand die Vorstellung toll, irgendjemandem oder irgendetwas beizubringen, die Arbeit für ihn zu erledigen.

Was wie ein lustiger Kindheitstraum klingt, tut Kersting heute tatsächlich in gewisser Weise: Das Forschungsgebiet des Informatik-Professors ist das Data Mining, die Extraktion von Wissen aus großen und komplexen Datenmengen. 2006 hat Kersting auf diesem Gebiet in Freiburg promoviert, es folgte ein Aufenthalt am Massachusetts Institute of Technology (MIT), am Fraunhofer-Institut in Sankt Augustin und an der Universität Bonn, bis er eine Professur an der Technischen Universität in Dortmund annahm.

Dort kam er zum ersten Mal in direkten Kontakt mit dem Journalismus. Beim Antrittsbesuch im Rektorat lernte er Henrik Müller kennen, damals ebenfalls neu ernannter Professor am Lehrstuhl für wirtschaftspolitischen Journalismus. Man kam ins Gespräch und so wurde ein neues Projekt erdacht: Unter dem Namen „ECONIM“ (Economic Narratives in the Media) soll die internationale Berichterstattung um die Finanzkrise betrachtet werden. Dabei werden aus dem Repertoire von Online-Datenbanken mehrere Tausend Artikel unter die Lupe genommen, für einen Menschen ohne maschinelle Hilfe wäre in diesen Mengen ein „Aufräumen“ unmöglich. Welche Themen dabei dominant sind und welche Wörter in Verbindung miteinander auftreten, lässt sich mit Methoden aus dem Data Mining feststellen – und lässt möglicherweise Rückschlüsse auf Sichtweisen in den jeweiligen Ländern zu. Aus der Entwicklung können auch Prognosen für den weiteren Verlauf der Kriseabgeleitet und mögliche Erschütterungen im Voraus erkannt werden, sagt Kersting.

Aber egal wie viele Daten man aufräumt und sortiert, lässt sich die Zukunft überhaupt sicher vorhersagen?„Klar gibt es keine Sicherheiten, nur Wahrscheinlichkeiten. Irgendwann treffen Mensch und Maschine aber gemeinsam informierte Entscheidungen“, sagt der 40-Jährige. Für Kersting ergänzen sich die beiden kooperierenden Disziplinen aus Wissenschaft und Medien jedenfalls hervorragend: „Es gibt eine ganz natürliche Beziehung zwischen Informatikern und Journalisten“ – was die einen technisch besser finden könnten, verpackten die anderen in Worte.

Für die Zukunft wünscht sich Kersting jedenfalls eine bessere Aufklärung zum Umgang mit Daten schon in der Schule – und das auch außerhalb des Informatikunterrichts. Jeder solle wissen, dass er digital Daten hinterlässt. Aus den Vorteilen neuer Technologien kann nämlich nur der schöpfen, der auch mit den Risiken vertraut ist und diese umfassend im Blick behält. Das muss auch ein Informatiker wie Kersting – bei aller sympathischen Faulheit.

Der Investigative

Die Geschichte der im fünften Monat schwangeren Jessica Zeppa ist vielleicht typisch für das, was Andrew Lehrens Arbeit ausmacht: Recherchen an der Schnittstelle zwischen Investigativ- und Datenjournalismus. Zeppa musste sterben, weil in einem US-Militärkrankenhaus eine Sepsis – eine schwere Blutvergiftung– nicht erkannt wurde. Ein Einzelschicksal, das man nicht dramatisieren sollte, oder ein Indiz für die allgemein mangelnde Versorgung in Militärkrankenhäusern?

Um die Frage zu beantworten, kämpften sich Andrew Lehren und sein Team durch Datenberge; Akten, in denen unerwartete Todesfälle verzeichnet wurden, glichen sie mit jenen Akten ab, in denen unerwartete Todesfälle letztlich auch gemeldet wurden. Die Ergebnisse wurden sortiert, visualisiert und kombiniert mit einer investigativen Reportage über mangelnde Patientensicherheit – bedingt durch Strukturprobleme in Verwaltungsapparaten, Hierarchiekonflikte in Krankenhäusern und mangelnde Aufarbeitung durch die zuständigen Stellen des Pentagons. Datenrecherchen und Investigativrecherche verschmolzen so zu einer Einheit. Das Ergebnis: Im Zeitraum von 2011 bis 2013 waren 239 unerwartete Todesfälle dokumentiert, jedoch nur 100 an das „patient-safety-center“ des Pentagons weitergleitetworden – wo Experten herausfinden sollen, wie die Behandlung in Militärkrankenhäusern verbessert werden kann. Und das obwohl die betreffenden Krankenhäuser tatsächlich deutlich höhere Quoten von Komplikationen und Schäden bei Geburten und Operationen zu verzeichnen hatten. Zeppas Fall war somit charakteristisch für mangelhafte medizinische Versorgung sowie symbolhaft für viele vermeidbare Fehler mit Todesfolge.

Für Andrew Lehren bergen Daten unendlich viele Geschichten, die erzählt werden müssen, weil sie den Leser etwas angehen, ihn berühren. Doch anstatt nur ein Diagramm anzufertigen, geht er raus in die Welt und sucht die Menschen hinter den abstrakten Daten. Er beschäftigt sich mit konkreten Fällen, menschlichen Schicksalen und sucht gezielt nach ungeklärten Fragen. Um diese beantworten zu können, schreibt Andrew Lehren die Geschichten dieser Menschen auf. So will er sein Publikum informieren und auch emotional erreichen. Dabei kombiniert er immer wieder alte und neue Methoden der Recherche.

Angefangen hat alles 1988 mit dem Besuch einer Tagung der Vereinigung „Investigative Journalists and Editors“, die ihm klar machte, wie häufig Interessenkonflikte tatsächlich sind und wie unsicher Quellen sein können. Er begann zunehmend, die Dinge investigativ zu recherchieren und entwickelte eigene Strategien. Darüber ließe sich, wie er heute sagt, unendlich lange reden. Am wichtigsten ist ihm aber, dass Journalisten ständig und bei jeder Quelle kritisch denken – und nicht die Komplexität einer Geschichte aus Bequemlichkeiten fallen lassen. Anstatt die in den USA (und nicht nur dort) weit verbreiteten „He-said-she-said-stories“ zu schreiben, soll ein Journalist mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen, dem Leser die Wahrheit zu liefern.

Ein weiteres Beispiel dafür, wie Andrew Lehren althergebrachte Recherche mit neuen Methoden verknüpft, ist die Geschichte von Sergant Bergdahl. Der in Afghanistan stationierte Soldat äußerte in Briefen an seine Eltern Zweifel am Vorgehen der amerikanischen Army. Als er danach plötzlich verschwand, wurde in Amerika eine Diskussion losgetreten, ob der Soldat wirklich von der Taliban entführt worden sei, wie es offiziell hieß. Um die Wahrheit zu finden, ging Andrew Lehren einen Schritt zurück und arbeitete sämtliche auf Wikileaks zugänglichen War Logs zur Einheit Bergdahls durch, die vor seinem Verschwinden geschrieben worden waren. Um ausschließen zu können, dass Bergdahl in Wahrheit aus Unzufriedenheit desertiert war, sondern tatsächlich entführt worden war, untersuchte Lehren das Thema –ohne Rücksicht auf die darauf projizierten politischen Probleme Amerikas zu. Anhand der analysierten Dokumenteließ sich die Entführung Bergdahls bestätigen, aber auch, dass seine stationierte Einheit bekannt für einige Schwierigkeiten war. Mehr noch: Sie spiegeltestrukturelle Probleme des gesamten amerikanischen Militärsystems wieder, weswegen die politische Diskussion um Bergdahls Unschuld erst losgetreten wurde.

Bei seinem persönlichen Kampf für die Wahrheit und für den Qualitätsjournalismus hilft Andrew Lehren die Beschaffung und Analyse von Datensätzen immer wieder – auch wenn es mal nicht um ein Militärthema geht. Bei der New York Times arbeiten dazu Hacker und Journalisten im Team an ihren Geschichten, um zu dafür zu sorgen, dass bei der Verarbeitung der Daten möglichst nichts schief geht. Der Leser soll an erster Stelle stehen und sich drauf verlassen könne, dass alles richtig ist. Andrew Lehrens Leidenschaft, die alte Schule der Journalismus zu pflegen, und zugleich ständig neue Recherchekünste zu lernen, erweist sich dabei inzwischen als die vielleicht beste Strategie.

Der Journalist als Programmierer? – Von Zaubertöpfen und Netzverstehern

Als Sebastian Vollnhals auf der Jahrestagung des Netzwerk Recherche von „Klicki-Bunti-Seiten“spricht, deren maschinenlesbare Informationen sich mit eigens programmierter Software aus dem Internet fischen lässt, blickt er in die ratlosen Gesichter vieler Journalisten. Denn wenn Vollnhals von diesen Scraping-Programmen redet, dann redet er auch viel von Quellcodes und von Formaten wie html, csv, xml, json, rss und atom. Als Journalist komme man darum aber eben nicht herum – zumindest nicht, wenn man Daten für Geschichten sucht, die sonst keiner hat.

Ein bisschen „wonky“ sei es ja schon, so viel gesteht Sebastian Vollnhals den Journalisten noch zu. Trotzdem ist Programmieren für ihn etwas, das jeder einfach lernen kann – jeder, der es wirklich versucht. „Das ist alles eine Frage des Selbstbewusstseins“, sagt Vollnhals. Er habe sich alles, was er über Programmierung weiß, selbst beigebracht, mithilfe von Büchern. Kein Studium – nur eine abgebrochene Ausbildung zum Fachinformatiker.

Sebastian Vollnhals ist der Typ Mensch, den man anhand von Klischees schnell in die Kategorie Nerd oder Geek steckt. Das scheint er zu wissen und irgendwie scheint es ihm sogar zu gefallen. „Ich bin wohl in den Zaubertopf gefallen“, erklärt er sein schnelles Verständnis für Daten und Programmiertechniken. Doch was tun, wenn besagter Zaubertopf nicht auffindbar ist? Muss der normale Journalist dann tatsächlich mühsam programmieren lernen, um mit Daten zu arbeiten?

Marco Maas glaubt das nicht: „Journalisten sind Storyteller“, erklärt der Datenjournalist. Dinge wie das Scrapen lägen nicht in ihrem Aufgabenbereich. Nicht umsonst müssten Programmierer ihren Job in der Regel fünf bis sechs Jahre lernen, bevor sie wirklich gut seien– ebenso wie Journalisten. „Das zu vermengen ist gar nicht unbedingt sinnvoll oder gewinnbringend“, sagt Maas. Vollnhals ist da anderer Meinung: „Es sollte mittlerweile zum Handwerkszeug eines Journalisten gehören, zumindest ansatzweise programmieren zu lernen.“ Informationen könne man heutzutage nicht mehr in einem Aktenschrank finden, auch reiche es nicht mehr aus, irgendwelche Leute zu interviewen. „Es kommen immer mehr Informationen aus dem Netz“, sagt er.

Auf den ersten Blick sind die beiden Datenjournalisten ein ungleiches Paar: Vollnhals ist der Exzentriker mit blau lackierten Fingernägeln und pinken Haaren, Maas eher der etwas ruhigere Anzugträger. Trotzdem gehören die beiden zum Kernteam von Open Data City, einer Datenjournalismus-Agentur. Zwar kennt sich auch Marco Maas mit Daten aus und weiß, wie man sie beschafft und visualisiert. Für ihn gibt es aber eine Grenze von dem, was ein Journalist wirklich lernen muss. Er selbst würde sich Hilfe holen, wenn er nicht mehr weiter weiß – zum Beispiel bei Vollnhals. „Es gibt Experten auf jedem Gebiet, die dann zusammenkommen, um gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten“, sagt Maas. „Datenjournalismus wird immer mehr zur Teamarbeit.“

So oder so: Der Journalismus wird technischer, da sind sich die beiden einig. Vollnhals geht sogar noch einen Schritt weiter: „Es wird bald keinen Datenjournalismus mehr geben, weil es keinen Journalismus ohne Daten mehr geben wird“, sagt er. „Und wenn du selbst kein Nerd bist, such dir einen“, rät er denen, die sich so gar nicht damit anfreunden können. Finden kann man einen Nerd – das sollte ausreichend deutlich geworden sein– eben zum Beispiel bei Open Data City. Die Agentur hilft dabei, Technik-Freaks und Journalisten an einen Tisch zu bringen und so ganz neue Ideen umzusetzen.

Trotzdem sei es nicht verkehrt, sich mit manchen Dingen selbst auszukennen, findet auch Marco Maas: „Je mehr man selbst machen kann, desto besser kann man auch Geschichten umsetzen“, erklärt er. Dabei muss jeder selbst entscheiden, wie weit diese Eigenständigkeit gehen soll. „Ich glaube, es wird immer eine Teilung zwischen Hardcore-Codern und Journalisten geben, die ein bisschen verstehen, wie diese Leute ticken und vielleicht Einstiegssachen selbst machen können“, sagt Maas.Und dabei denkt er wohl auch an seinen Kollegen Vollnhals und sich selbst.

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